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Eine Runde Kuscheln, bitte!



Am Montag war Weltkuscheltag. An diesem Tag treffen sich weltweit fremde Menschen, um miteinander zärtlich zu werden und miteinander zu knuddeln. Manche machen das auf großen Partys, andere wiederum buchen sich dafür professionelle Kuschler. Was steckt dahinter?



Für diesen Tag habe ich im Vorfeld mit einigen Menschen gesprochen. So auch mit einer professionellen Kuschlerin aus Magdeburg. Sie heißt Kristin Zabel. Ich habe sie direkt in ihrer Wohnung besucht, wo auch die Kuschelsessions stattfinden. Sie macht das lieber bei sich Zuhause, weil sie dort am besten entspannen kann.

Seit 2018 ist die professionelle Kuschlerin. Von einer Bekannten erfuhr sie, dass es überhaupt diesen Job gibt. Das hat sie so sehr gepackt, dass sie auch mal selbst Kuschlerin werden wollte. Sie hat es dann mit Freunden und Bekannten probiert. Sie meinten, es würde ihnen gut tun und sie könne das sehr gut. Also lernte sie dann innerhalb eines Tages in einem Workshop wie man professionell kuschelt.

Kristin Zabel ist wirklich eine sehr sympathische Person gewesen und ich kann mir vorstellen, dass die Leute gerne zu ihr kommen, um sie zu umarmen oder von ihr umarmt zu werden. Die 29-Jährige war schon immer auf der Suche nach einer Arbeit, bei der sie anderen helfen kann. Für sie ist Kuscheln die direkte Möglichkeiten, Menschen Nähe, Unterstützung und Liebe zu geben. Für sie ist Liebe nicht nur einfach dieses erotische auf Partnerschaftbezogene, sondern mehr. Liebe kann an jeden gegeben werden. Egal, was für Menschen die Klienten sind, bei ihr dürfen sie es sein und werden von ihr so genommen, wie sie sind.

Bevor es aber an das Kuscheln geht, müssen der Klient und die Kuschlerin einen Vertrag unterzeichnen. Damit sind dann beide abgesichert. Dort stehen die wichtigsten Regeln: Darunter fällt auch, dass es zu keinem Sex oder intimen Berührungen kommen darf und beide angezogen bleiben. Alkohol und Drogen sind auch verboten.

Sicherlich haben auch schon mal einige versucht, sie am Po oder woanders zu streicheln. Das hat sie gelassen aufgenommen und dann trotzdem sanft, aber bestimmt abgelehnt. Das verstößt ja gegen die Regeln.

Das Kuscheln selbst läuft ganz individuell ab. Um das Eis zu brechen streichelt sie die Klienten meist sehr sanft und langsam an den Armen, hält ihre Hände. Mit der Zeit taut der Klient dann auf und die Umarmungen und Streicheleinheiten werden dann auch etwas kräftiger und intensiver. Ich wusste im übrigen gar nicht, dass es so viele verschiedene Kuschelpositionen gibt. Kristin Zabel hat mir ein Buch mit den Positionen gezeigt. Das fand ich wirklich interessant. Einige ihrer Klienten mögen es im Stehen, andere wiederum liegen mit dem Rücken auf ihr, sodass die Kuschelerin ihre Arme streicheln kann.

Doch warum buchen sich einige sogar professionelle Kuschler? Vielen fehlt es an Berührung, sie haben niemanden zu kuscheln oder vermissen einfach Körperkontakt auch in der Beziehung. Andere wiederum stecken in einer Sinnkrise: Haben den Job oder Partner verloren. Die meisten der Klienten von Zabel sind Männer, aber es kommen auch Frauen zu ihr. Die Alterspanne ist vielfältig: Von Anfang 20 bis in Seniorenalter. Alle sehnen sich nach Berührungen. Sie wollen jemanden spüren, sind dankbar für den Halt und die Nähe, die sie von ihr bekommen.

Kuscheln hat viele positive Effekte. Kristin Zabel erklärte mir, dass Kuscheln eine Droge, ein Lebensmittel und Medizin zugleich ist. Durch das Kuscheln werden ja Hormone wie Serotonin und Oxytocin ausgeschüttet, das entspannt und macht glücklich. Man verfällt mit dem Knuddeln in eine Art Rausch – wie bei einer Droge. Andererseits ist Anfassen ein Grundbedürfnis des Menschen. Ohne Tastsinn könnten wir nicht überleben. Schon Säuglinge brauchen Körperkontakt um zu überleben, fehlt ihnen das, gehen sie zugrunde. Kuscheln wirkt auch wie Medizin. In vielen Studien wurde bewiesen, dass es Stress abbaut, Entzündungen hemmt, den Blutdruck reguliert. Es gibt ja auch sogenannte Berührungstherapien, die ebenso heilsam wirken.

Es gibt ja auch solche Kuschelpartys, bei denen sich viele Menschen zum Knuddeln treffen. Meistens kennen sich die Leute nicht. Doch innerhalb von paar Stunden kommen sich alle näher. Das fängt mit einer Vorstellungsrunde an, geht weiter über Meditiationen und spielerische Übungen, bei denen man sich näher kommt und Vertrauen fasst. Also keine Angst, es wird nicht sofort losgekuschelt. Das wäre für viele eine Überforderung. Nein, man nimmt sich Zeit und tastet sich langsam an die anderen heran. Und erst wenn man etwas vertrauter miteinander ist, können sich alle auf Matrazen als eine Art Kuschelwiese hinlegen und Zärtlichkeiten miteinander austauschen. Eine spannende Sache, die ich auch gerne mal ausprobieren will.

Und seit einiger Zeit gibt es ja auch diese Free Hugs Bewegung. Menschen mit Schildern, auf denen Free Hugs steht, verteilen gratis Umarmungen an wildfremde Menschen auf der Straße. Einfach so, ohne Gegenleistung. Ich glaube, dass es schon viel Wert ist, wenn Leute denn auch auf einen zukommen und Umarmungen geben und nehmen wollen. Umarmungen sind immer ein Geben und Nehmen, keiner verliert dabei, es ist für alle schön. Deswegen finde ich das ja auch echt eine tolle Sache, diese ganze Kuschelbewegung, die zu einem Trend geworden ist. Ob nun kostenlos oder eben nicht, ich finde, dass menschliche Nähe unbedingt immer gefördert werden sollte.

Das soweit zum den reinen Fakten des Kuschelns. Was halte ich von dem ganzen Anfassen und Kuscheln?

Ich merke die Wirkung von Berührungen oder Streicheln auch selbst an mir. Ich habe so eine Art Fetisch, könnte man sagen. Ich streichle mich gern selbst entweder mit den Händen und Fingern oder mit einem Pinsel. Mit dem Pinsel fahre ich sanft über meine Haut und merke dabei ein leichtes Kribbeln und ein wohliges Gefühl danach. Es muss also nicht immer wer anders sein, man kann sich auch selbst Gutes tun. Mein Freund belächelt mich dafür und zieht mich immer wieder damit auf. Aber ich finde es okay, das ist meine Art zu entspannen. Wenn er keine Lust hat, muss ich mich ja nicht davon abhängig machen. Aber am schönsten ist es eben doch, wenn man von anderen Menschen berührt wird.

Ich finde es toll, dass es Menschen wie Kristin Zabel gibt, die das anbieten. Ich finde es auch legitim, dass sie dafür Geld verlangt. Schließlich ist es ja auch eine Art Dienstleistung und für sie körperliche Arbeit. Manche fragen sich aber wirklich: Muss man denn mit fremden Menschen kuscheln und dafür Geld verdienen? Warum nicht einfach mit Mitmenschen kuscheln? Sicherlich könnten das einige tun, aber es gibt eben wie Kristin Zabel erklärte, viele, denen es an solchen Möglichkeiten fehlt. Nicht jeder hat einen Partner oder Familie mit denen er kuscheln kann. Was bleibt ihnen dann anderes übrig?

Ich finde es schon krass, dass solche Kuschler auch wirklich mit jedem kuscheln können beziehungsweise es auch müssen. Ich könnte es wahrscheinlich nicht und da spreche ich bestimmt für viele. Für mich hat Kuscheln etwas sehr Intimes, ich öffne mich jemanden und gebe ihm etwas von mir. Das kann ich wirklich nicht mit jedem teilen. Es ist ja so, dass wir ja nur bestimmte Leute in unsere Nähe lassen. Nicht umsonst gibt es ja bestimmte Arten von Distanzen.

Fremde Leute dann aber so nah an mich heranzulassen, das wäre für mich unvorstellbar. Ich mache mich dadurch auch verletzlich. Für mich ist Kuscheln zwar nicht immer mit Erotik und Sex verbunden, aber es hat eben etwas mit Intimität zutun. Ich kann mit Freunden, meinem Freund und meiner Familie kuscheln, aber nicht mit fremden Menschen. Ich wollte tatsächlich mal so eine Kuschelparty ausprobieren, um zu sehen, ob ich meine Komfortzone verlassen und diese Grenze überschreiten kann. Das habe ich mich dann aber doch nicht getraut.

Im Zuge meiner Recherchen und in Gesprächen mit meinen Kollegen ist mir aufgefallen, dass dieser Beruf doch von vielen belächelt wird. Hinzu kommt, dass die meisten gleich bestimmte Hintergedanken haben. Sie verbinden Kuscheln immer mit einer Liebesbeziehung. Kuscheln ohne Sex, Küssen und Anfassen der Intimzonen? Was bleibt denn dann noch übrig? Darüber wurde auf Arbeit gerne Witze gemacht. Ich fand es schade, dass die Leute nur an der Oberfläche kratzen, aber eben nicht tiefer schauen.

Natürlich verstehe ich es, wenn die Leute es mit dem Sexuellen verbinden. Aber warum denn dieses professionelle Kuscheln mit Prostitution in einen Topf werfen? Beim Profi-Kuscheln werden deutlich Grenzen gesetzt. Sex und Küsse sind tabu. Es geht um das reine und unschuldige Kuscheln. Das ist wie beim Masseur, der berührt und massiert einen auch, ohne dass es etwas Erotisches hat. Okay, man bezahlt eben für körperliche Nähe Geld und trotzdem verstehe ich nicht, wie man Profi-Kuscheln mit Sex gleichsetzt.

Umarmen und Kuscheln muss doch nicht immer etwas Erotisches haben. Vor allem Frauen berühren sich ja oft und fassen ihre Freundinnen und Mitmenschen an. Bei Freundschaften spielt ja körperliche Nähe auch eine Rolle. Und nicht zu vergessen in der Familie. Zwischen Eltern und Kindern findet viel auf körperlicher Ebene statt. Je älter wir werden, desto weniger umarmen wir uns gegenseitig. Als Kind habe ich noch viele Kuscheleinheiten mit meiner Mutter gehabt, das wurde dann eben durch Kuscheln mit dem Freund ersetzt.

Ich meine, Kuscheln und auch Kuschelpartys, bei denen sich viele fremde Leute zum Anfassen treffen, sind momentan angesagt. Warum ist das so? Ich denke, dass es viel über unsere Gesellschaft sagt. Kristin Zabel erklärte mir, dass heutzutage einfach viel zu wenig gekuschelt und angefasst wird. Das Smartphone wird öfter berührt als die Mitmenschen. Heutzutage läuft alles viel sachlicher, nüchterner statt, alles dank der Digitalisierung und der vielen Technik, die uns umgibt. Früher haben die Menschen mehr gekuschelt. Beispielsweise in der Steinzeit. Um sich eben zu wärmen.

Insofern bewundere ich Kristin Zabel, dass sie sich dafür einsetzt, dass Nähe und Körperkontakt wieder mehr in unsere Gesellschaft kommen. Sie macht wirklich einen Engelsjob. Ihr Freund bewundert sie auch dafür, ist kein bisschen eifersüchtig, sondern freut sich, dass sie somit anderen Menschen helfen und sie glücklich machen kann. Sie gibt den Menschen das, wonach sie sich sehnen, körperliche Nähe, aber eben auch Mitgefühl und Wertschätzung. Die Menschen können so sein wie sie sind. Sie behandelt alle gleich, bevorzugt und benachteiligt niemanden.

Ich habe für mich aus dem Gespräch und meiner Recherchearbeit viel mitgenommen. Ich sollte im Alltag einfach mehr Kuscheln und überhaupt mehr Körperkontakt einbauen, vor allem natürlich mit meinem Freund, aber auch mit meinen engen Mitmenschen. Denn ich spüre ja auch immer wieder, wie schön es sein kann. Wie Kristin Zabel ja auch bereits erklärt, hat Kuscheln mehrere Vorteile. Neben dem Gesundheitsaspekt spielt für mich aber auch die Beziehung eine Rolle. Durch Anfassen können wir Beziehungen stärken und vertiefen.

Deswegen heißt es ja immer in Ratgebern, dass man den Partner öfter mal anfassen und sich Zeit für Körperkontakt und Streicheleinheiten nehmen soll. Diese Hormone, die dabei ausgeschüttet werden, fördern auch die Liebesbindung. Außerdem macht mich das tatsächlich so kurz wie es ist, immer sehr zufrieden und ich fühle mich durch die Berührung auch gestärkter. Knuddeln macht echt glücklicher. Besonders wenn es einem schlecht geht, brauchen die meisten ja einfach mal jemanden, der einen in den Arm nimmt. Kuscheln spendet in harten Zeiten Trost. Und ja, wenn ich umarmt werden, erfahre ich Wertschätzung.

Eine Umarmung ist wie als würde jemand zu mir sagen: „Ja, du bist gut so wie du bist.“ Eine besondere Art, Akzeptanz zu zeigen, gibt es eigentlich gar nicht. Umarmungen geben Geborgenheit, man fühlt sich dadurch sicherer. Ich nehme mir jetzt immer vor, wenigstens zehn Minuten am Tag mit meinem Freund zu kuscheln. So viel Zeit muss doch wenigstens drin sein. Schließlich ist das ja auch wichtig für das eigene Wohlbefinden und die Beziehung.

Kuscheln hat für mich auch viel mit Achtsamkeit zu tun. Wenn ich jemanden umarme, konzentriere ich mich nur auf diese Person und die Berührung. Ich spüre mit all den Fasern meines Körpers. Es scheint so, als würde die Zeit still stehen. Ich lebe in diesen einen Augenblick und denke nicht mehr an all meine Sorgen. Kein Wunder, wenn ich mich dadurch entspanne und in eine Art Trance verfalle.

Besonders im Winter ist Kuscheln toll. Mir und meinem Freund wird dabei schön warm, besser als jede Heizug, wir wärmen uns einfach gegenseitig mit unserem Körper.

Ich finde: Es sollte einfach mehr gekuschelt werden. Dann gäbe es mehr Frieden, mehr Freude, entspannte und glückliche Menschen, die mehr mit sich im Einklang sind.


Was meint ihr dazu? Habt ihr schon mal Free Hugs vergeben oder an einer Kuschelparty teilgenommen? Würdet ihr das gerne mal ausprobieren? Und wie oft umarmt ihr eure Mitmenschen?


Hier ist mein Zeitungsartikel: https://www.volksstimme.de/sachsen-anhalt/weltknuddeltag-eine-runde-kuscheln-bitte


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