Ich
stecke in einem echten Dilemma: Ich liebe meinen Freund über alles.
Mit ihm möchte ich den Rest meines Lebens verbringen. Und trotzdem
wird das Verlangen in mir stärker, auch mit anderen Männern zu
schlafen. Mein Freund ist dagegen. Ich will ihn nicht betrügen und
verletzen und damit unsere Beziehung aufs Spiel setzen. Doch ich will
mich auch nicht verstellen. Was soll ich nur tun?
Alles
fing damit an, als ich mich fremdverliebt hatte. Da war auf einmal jemand, den ich toll fand und dem ich
emotional und auch körperlich näher kommen wollte. Inzwischen hat
sich diese Verliebtheit, wenn es denn eine war, auch wieder gelegt.
Ich bin in mich gegangen und habe mich gefragt: Was steckt eigentlich
wirklich dahinter? Warum hatte ich mich in einen anderen Mann trotz
so scheinbar glücklicher Beziehung verliebt? Was sagte das über
meine Beziehung aus? Ich kam zu dem Schluss, dass es einige Dinge
gab, die ich in meiner Beziehung und an meinem Freund vermisse.
Und
stieß auch auf ein altes Problem, dass ich all die Jahre mit mir
herumschleppte und immer wieder verdrängte: Die körperliche
Sehnsucht nach anderen Männern. Schleichend kam dieses Verlangen
wieder auf. Auslöser war diese Fremdverliebtheit und das brachte den
Stein wieder ins Rollen. Während ich noch verliebt war, spürte ich
auch die Sehnsucht nach einem fremden Körper, wollte wissen, wie
sich ein anderer Mann anfühlt, wie er riecht, wie er schmeckt und
wie er liebt. Ich konnte es fast nicht aushalten, so sehr wollte ich
es wissen. Aber um unsere Freundschaft aufrechtzuerhalten und weil
ich nicht sicher war, was er für mich empfand, blieb das im
Endeffekt alles nur Kopfkino.
Inzwischen
ist er auch in eine andere Stadt gezogen, ich werde ihn daher nicht
mehr so oft zu Gesicht bekommen. Anfangs fiel es mir schwer, ihn zu
vergessen. Ich tat alles Mögliche, versuchte mich abzulenken, mich
auf mich zu konzentrieren. Doch immerzu ertappte ich mich dabei, wie
ich an ihn dachte, an all unsere Treffen, all die Details. Seine
Blicke, unsere zufälligen Berührungen, unsere tiefsinnigen
Gespräche – und was das alles in mir auslöste. Ich konnte ihn
nicht so schnell vergessen.
Dann
kam ich auf die grandiose Idee, mich auf Tinder anzumelden. Anfangs
habe ich das nur getan, weil ich einfach zwanglos mit anderen Männern
schreiben und mich dadurch von meiner Verliebtheit ablenken wollte.
Eigentlich wollte ich mich dadurch ein Stück weit schneller
entlieben, dachte ich, ich könnte ihn dadurch vergessen. Und
tatsächlich funktionierte das dann auch. Doch ich konnte nicht
ahnen, dass das eigentlich noch viel größere Wellen schlagen würde.
Ich
nahm ein x-beliebiges Foto von mir, was halbwegs okay war. Ich sah
auf dem Bild nicht wirklich gut aus, hatte auch keine großen
Erwartungen, dass sich irgendwer dort für mich interessieren würde.
Selbstwertgefühl gleich Null. Und trotzdem wagte ich dieses
Experiment. Ich wollte wissen, was für Männer dort nach der großen
Liebe oder dem nächsten Abenteuer suchen. Es war Neugier mit sehr
viel Aufregung.
Was
mich an Tinder doch stört ist, wie schnell und oberflächlich doch
alles abläuft. Man zappt sich einfach durch verschiedene
Profilbilder durch, schiebt die uninteressanten Männer nach links
und switcht die heißen Kerle nach rechts, mit denen man sich, was
auch immer vorstellen kann. Wenn sich beide dann gut finden, wird man
benachrichtigt und kann dann miteinander chatten. Und so ging das
eine Weile, bis ich dann meine ersten Matches hatte. Wer hätte
gedacht, dass ich überhaupt einen Match bekomme.
Und
dann schrieben mich auch einige an. Der erste schrieb mir sofort, wie
heiß und sexy er mich findet. Ich musste echt schmunzeln, konnte es
nicht ernst nehmen. Schließlich hatte ich nur ein Foto, auf dem man
mein Gesicht sehen konnte. Meinen Körper so gar, also wie soll er
wissen, ob ich sexy bin oder nicht? Und trotzdem fühlte es sich gut
an, bestätigt zu bekommen, dass man doch gar nicht unattraktiv ist.
Mein Freund sagt mir auch gelegentlich, dass ich sexy und attraktiv
bin und das finde ich toll. Aber es dann noch einmal von wem anders
und nicht dem eigenen Freund gesagt zu bekommen, hat doch schon eine
andere Wirkung. Ich bin also immer noch gut genug, um im Rennen zu
bleiben, auch wenn ich in einer Beziehung bin. Das hat mein Ego schon
gepusht und ich merke, dass ich mich etwas selbstbewusster fühle.
Und
dann wurde es ernster. Mit einem schrieb ich dann doch mehr und
verriet ihm auch, dass ich einen Freund habe. Ehrlich gesagt kam ich
ins Schwanken, ob ich es ihm erzählen soll oder nicht. Warum zögerte
ich und wurde nervös, als ich es ihm schreiben wollte? Ich fürchte
mich vor der Reaktion. Wie zu erwarten, war er sehr irritiert: „Du
bist noch mit deinem Freund zusammen??“ Bestimmt erteilt er mir
gleich eine Abfuhr, dachte ich mir. Aber er nahm es doch relativ
entspannt. Fragte dann aber auch gleich besorgt, ob mein Freund davon
weiß und ob er mir damit keinen Ärger macht. Das war schon
irgendwie süß von ihm. Nicht alle Männer sind Arschlöcher und
denken nur an das Eine, sondern können durchaus rücksichtsvoll
sein.
Ich
ging auf Tinder weiter auf Männerjagd und erwischte den einen oder
anderen Match. Die meisten entsprachen so gar nicht meinem Geschmack.
Ich muss zugeben: Ich schaue sehr nach dem Aussehen, habe da hohe
Ansprüche. Auf Tinder wie auch auf vielen anderen Dating-Portalen
tummeln sich wesentlich mehr Männer als Frauen. Wir Frauen haben es
dann natürlich leichter. Die Männer machen uns regelrecht den Hof,
während wir die freie Wahl haben und uns dann nur für die Besten
entscheiden. Schon ganz schön ungerecht, aber nicht zu ändern.
Irgendwie hatte es für mich etwas Reizvolles, Männer abzuweisen
oder mich für einige zu entscheiden. Ich hatte die Macht darüber,
wen ich näher kennenlernen will und wen nicht.
Bei
vielen Dating-Portalen, ganz besonders auf Tinder, geht es nur ums
Aussehen. Oder zumindest macht das viel aus. Die, die gut aussehen
oder sich in Szene setzen können, punkten natürlich. Die inneren
Werte fallen da komplett weg. Natürlich ist das Aussehen
entscheidend bei der Partnerwahl. Aber hier jemanden für etwas
Ernstes kennenzulernen ist schon ein wenig schwieriger, weil eben
doch nur nach dem Äußeren geschaut wird. Doch wer gut aussieht,
muss ja nicht unbedingt eine tolle Persönlichkeit haben. Meist
empfinde ich das Gegenteil.
Doch
zurück zu meinen Tinder-Matches. Mit einem hatte ich kürzlich
intensiver geschrieben, der auch direkt in meiner Nähe wohnt und
selbst in einer offenen Beziehung lebt. Wir haben uns dann auch
direkt getroffen.
Doch
davor geriet meine komplette Beziehung total ins Wanken. Denn
zunehmend fühlte ich mich doch schlecht, dass ich dieses Verlangen
vor meinem Freund versteckte. Es fühlte sich nicht richtig an,
hinter seinem Rücken mit anderen zu flirten. Anfangs fand ich es
aufregend, weil es geheim und verboten war. Ich hatte aber auch
Angst, dass mein Freund es herausfand. Und dann entschied ich mich,
ihn auf das Thema andere Männer und offene Beziehung anzusprechen
und erzählte ihm auch von Tinder.
Ich
hatte geahnt, dass es ihn verletzen würde. Aber dass es so schlimm
wurde, hätte ich nicht gedacht. Er war mehr als nur verletzt, er war
so schockiert von meiner Offenbarung, dass er raus musste und Zeit
für sich haben musste. Und seine Ansage kam auch sofort: Er will
nicht, dass ich mit anderen Männern intim werden, von Sex ganz zu
schweigen. Allein die Vorstellung, würde ihn kaputt machen. Er
wüsste nicht, ob er dann jemals mit mir schlafen könnte. Das wäre
für ihn der absolute Bruch und würde unsere komplette Beziehung
zerstören. Dahinter steckt eine große Verlustangst: Er fürchtet
sich davor, mich an wen anders zu verlieren. Was ist, wenn ich
besseren Sex mit wem anders habe? Was ist, wenn ich ihn dann nicht
mehr liebe? All diese Horrorfantasien sind schrecklich für ihn. Er
könnte es nicht ertragen, mich mit jemanden zu teilen und mich zu
verlieren. Für ihn gehören Sex und Liebe einfach zusammen. Er
könnte nicht mit einer anderen Frau, das machen, was er mit mir
macht. Und das will er auch nicht.
Es
gab eine Zeit kurz nachdem wir unsere rosaroten Brillen abgenommen
haben, da dachte er noch anders. Wir sind beide jung zusammen
gekommen, hatten davor keinerlei sexuelle Erfahrungen mit anderen
Menschen. Wir haben unsere ersten Male miteinander geteilt. Und
damals war er unsicher, ob er sich festlegen und mit mir für eine
längere Zeit zusammenbleiben will. Er war unzufrieden, kam mit
meinen Fehlern und Macken schwer zurecht. Und sehnte sich auch nach
anderen Frauen. Das verletzte mich damals und doch verstand ich, was
er meinte. Denn auch mir ging es ein wenig so.
Wir
sprachen über unsere Ängste und Sehnsüchte. Wir wollten beide uns
gerne sexuell noch einmal ausprobieren, Erfahrungen sammeln. Wir
hatten Angst etwas zu verpassen, wenn wir uns für die Beziehung auf
ewig entscheiden würden.
Als
ich mit meinem Freund damals abgemacht hatte, dass wir eine offene
Beziehung führen, hatte ich es schnell aufgeben, noch bevor ich es
versucht hatte. Warum? Weil ich mir einredete, dass es sowieso mit
niemand anderen klappen würde. Wer würde mich schon attraktiv
finden? Doch heute weiß ich, dass es doch keine Sache der
Unmöglichkeit ist. Hätte ich es nur früher probiert. Aber für
Reue ist jetzt einfach zu spät.
Und
nun stehe ich da, will etwas, was mein Freund nicht will. Und weiß
nicht, was ich tun soll. Auf der einen Seite ist mir unsere Beziehung
wichtiger als alles andere. Ich liebe meinen Freund so sehr, dass ich
mit ihm den Rest meines Lebens verbringen will. Wir haben so viel
zusammen durchgemacht. Ich weiß, ich könnte nie wieder jemanden,
wie ihn finden. Er liebt mich so wie ich bin und ist immer für mich
da. Ich vertraue ihm mehr als jedem anderen und fühle mich ihm so
nah. Er ist mein Seelenverwandter und bester Freund. Ein Leben ohne
ihn wäre unvorstellbar für mich.
Wir
haben in letzter Zeit viel über das Thema gesprochen, es tut ihm
immer noch weh und ich bin auch traurig, wenn ich ihn so verletzt
sehe. Er möchte sich mehr auf unsere Beziehung fokussieren, will,
dass wir sie stärken und tiefer machen. Er will sich ändern, will
sozialer werden, anderen Hobbys nachgehen und mehr Zeit mit mir
verbringen. Alles nur, um mich glücklicher zu machen. „Ich will
nur alles tun, damit das Thema gar nicht erst wieder aufkommt bei
dir“, sagte er mir. Er will alles tun, damit der Sex befriedigender
für mich wird. Es macht mich sehr glücklich, dass er das alles für
mich tun will.
Doch
auf der anderen Seite ist auch mein Bedürfnis nach sexueller
Freiheit und Vielfalt. Sehnsucht nach neuen sexuellen Erfahrungen.
Doch eine offene Beziehung kommt nicht in Frage. Seine Verlustangst
und mein Bedürfnis stehen sich gegenüber. Ich sehe auch, dass
unsere Beziehung und mein egoistischer Wunsch sich miteinander
messen. Mir ist unsere Beziehung wesentlich wichtiger und vielleicht
gehört es dazu, dass man in der Beziehung eben auch seine
Bedürfnisse etwas einschränkt, weniger egoistisch ist, damit es
wieder harmonisch ist. Andererseits will ich mir treu bleiben, ich
will mich nicht verstellen, selbst nicht für meinen Freund. Sein
Bedürfnis mich zu besitzen ist zwar einerseits verständlich, aber
ist das auch liebevoll? Wäre es nicht besser, loszulassen, um den
anderen glücklich zu machen? Was ist richtig, was ist falsch?
Ich
verstehe, dass er eifersüchtig ist. Ich an seiner Stelle wäre es
auch. Die Vorstellung, er mit anderen Frauen, würde mir auch weh
tun. Das sind keine guten Bedingungen für eine offene Beziehung.
Dabei ist es bei offenen Beziehungen wichtig, dass beide dazu bereit
sind und damit umgehen können, wenn der Partner mit wem anders
schläft. Ich müsste ihm das also genauso gönnen können. Aber kann
ich das denn auch? Ich bin selbst sehr eifersüchtig und will ihn nur
für mich. Könnte ich das auch ertragen, ihn loszulassen? Sind wir
beide überhaupt dazu bereit?
Ich
glaube, ich kann gerade keine Antwort finden. Ich sollte es nicht
überstürzen. Ich lasse das Thema ruhen und gebe uns beiden Zeit.
Ich möchte weder die Beziehung noch mein Bedürfnis loslassen. Was
bleibt also? Wahrscheinlich wäre es das Beste, wenn wir uns Zeit
nehmen und Zeit lassen. Vielleicht ändert er mit der Zeit seine
Meinung? Oder auch ich? Ich kann es mir zwar nicht vorstellen, aber
ich konnte mir vorher auch nicht vorstellen, jemanden wie ihn zu
finden, der mich so liebt, wie ich bin. Mal sehen, was die Zukunft
bringt. Betrügen will ich ihn auf keinen Fall, ich möchte, dass wir
ehrlich zueinander sind und uns vertrauen können.
Doch
eines weiß ich ganz genau: Ich möchte mich nicht von ihm trennen
und ihn verlieren. Ich möchte, dass wir zusammen bleiben. Wir
werden auch diesen Konflikt gemeinsam überstehen, so wie wir schon
vieles gemeinsam geschafft haben.
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