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Darum sollten wir Konflikte zulassen

 

Konflikt – das ist ein Wort, was sehr emotionsgeladen und vor allem negativ konnotiert ist. Konflikte sollten besser vermieden werden. Um jeden Preis. Aber stimmt das wirklich?


Bei einem Konflikt stoßen unterschiedliche Ansichten, Interessen, Bedürfnisse, Wünsche, Ziele, Ansichten aufeinander. Menschen wollen unterschiedliche Dinge oder sind anderer Meinung. Da fehlt meist nicht viel, bis man in den Streit kommt.

Vielleicht kommt daher auch eher die negative Assoziation – Konflikte sind nicht gut, die sollten vermieden werden oder so schnell wie möglich gelöst. Als ob Konflikte Probleme darstellen und für Unfrieden sorgen.


Konflikte gibt es in allen Lebensbereichen, sie sind normal

Wenn man sich aber mal verdeutlicht, was Konflikte sind, wird schnell klar: Konflikte sind total normal, sie gehören zum Leben dazu und können gar nicht vermieden werden. Eben weil wir Menschen alle so unterschiedlich sind und so vielfältige Einsichten, Meinungen, Bedürfnisse, Interessen und Ziele haben. Das ist total natürlich, dass wir uns öfter nicht einig sind. Es grenzt an ein Wunder, dass wir doch größtenteils auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Das ist gar nicht selbstverständlich.

Es liegt einfach in unserer Natur, durch unsere Individualität, dass Konflikte vorprogrammiert sind. Und damit denke ich, wird klar, dass Konflikte nicht negativ an sich sind. Wir bewerten sie als schlecht, weil wir uns nach Einigkeit, Harmonie und Frieden sehnen. Und fürchten, dass diese durch Konflikte gestört werden. Es kann durchaus passieren, Konflikte können weite Kreise ziehen, können negative Folgen haben, ausarten in viel schlimmeren Dingen. In Streitigkeiten, Gewalt und Krieg. Aber das muss nicht immer sein.


Konflikte sind notwendig

Ich spreche hier aber von den alltäglichen Konflikten, die wir im Zusammenleben erfahren.

In meiner Arbeit als Jugendbildungsreferentin habe ich einen anderen Blick auf Konflikte entwickelt. Ich habe viel mit Gruppen zu tun, die sich gerade erst neu bilden. Und es gehört zur Gruppenbildung dazu, dass sich irgendwann auch mal Konflikte einstellen. Je besser sich die Jugendlichen kennenlernen, als Gruppe zusammenwachsen, desto mehr werden Unterschiede bewusst. Und es kommt auch mal vor, dass man da unterschiedliche Meinungen hat. Dann kracht es mal.

Aber statt diese Konflikte zu vermeiden (was eigentlich nicht geht), zu verdrängen, sollten sie besser zugelassen werden. Teil der Gruppenbildung ist eine Konfliktphase, die am Ende dazu führt, dass die Gruppe noch besser zusammenwächst. Sie hat einen gemeinsamen Konflikt bewältigt und geht gestärkt dabei hervor. Es kann natürlich passieren, dass die Gruppe zerfällt, wenn es wirklich ein krasser Konflikt ist. Aber das ist eher eine Seltenheit.

Und was lernen wir daraus? Konflikte sind nicht per se schlecht, im Gegenteil: Sie sind wichtig, müssen auch mal zugelassen und vor allem ausgehalten werden. Am Ende lohnt es sich, Konflikte näher anzuschauen, zu lernen, sie zu bewältigen und Lösungen zu finden.


Erst im Streit lernen wir uns wirklich kennen

Eine besondere Rolle spielen Konflikte in Beziehungen. Da geht es ans Eingemachte, da tun sich Abgründe hervor. Ich sage mir immer: Ich lerne einen Menschen erst wirklich kennen, wenn ich mich mit demjenigen streite. Und vor allem lerne ich mich auch mal von einer ganz anderen Seite kennen. Es ist immer wieder eine Überraschungstüte.

Gerade im Privaten und vor allem in Beziehungen kommt es immer wieder zu Streitigkeiten. Das liegt in der Natur der Sache. In Beziehungen besteht eine besondere Vertrautheit zum Partner, er ist derjenige, der uns meist am besten kennt. Wir tragen ja alle irgendwie Masken, doch in einer Beziehung lassen wir diese Masken, auch Höflichkeiten jeglicher Art, fallen und zeigen uns so authentisch, wie wir wirklich sind. Und da kann es eben auch mal vorkommen, dass unschöne Seiten offenbart werden. In Beziehungen können wir zu echten Monstern werden.

Und das ist das Schöne und auch Fiese zugleich: In Beziehungen machen wir uns verletzlich, zeigen uns, wie wir wirklich sind. Weil wir darauf vertrauen, dass uns der Partner trotzdem so akzeptiert und liebt wie wir sind. Wenn wir diese Gewissheit nicht hätten, würden wir uns auch nicht komplett emotional nackt machen.

Und das kann aber auch sehr unangenehm sein, wenn man wirklich authentisch wird, für beide Seiten. Ich habe das in meiner ersten langjährigen Beziehung ganz schnell gemerkt, dass ich ganz andere Seiten habe, auf die ich nicht stolz bin. Das hat mich manchmal auch zweifeln lassen, ob ich wirklich so ein liebenswürdiger Mensch. Eben weil ich genau wusste, wie fies und egoistisch ich teilweise in Streitsituationen sein konnte.

Weil in solchen Situationen zum Teil sehr viele Emotionen aufkommen, ganz viel Frust, Enttäuschungen und Wut. Viele von uns lassen sich dann nicht mehr von Rationalität leiten, sondern verfallen in eine Art Film oder innere Muster, die teilweise sehr verletzend und zerstörerisch sein können. Manche von uns erkennen sich nicht wieder, die Partner inklusive.

Es ist schon sehr paradox: Auf der einen Seite wollen wir eigentlich nur friedlich und glücklich mit unserem Lieblingsmenschen zusammen sein. Und vor allem nur das Beste für denjenigen. Auf der anderen Seite werden wir teilweise zu echten Monstern, denen es nicht mehr um den Zusammenhalt geht. Plötzlich wird der Partner zum größten Gegner oder gar Feind, den es zu besiegen gilt. Solche Streitigkeiten mutieren nicht selten zu Machtspielen, bei denen es nur darum geht, zu gewinnen. Egal, ob dabei der Frieden in der Beziehung auf dem Spiel steht. Man sieht nur noch sich und seine Bedürfnisse, seine Ansichten, man will recht haben, den anderen überzeugen, komme was wolle.

Ich ertappe mich dabei auch immer wieder, dass ich in Konfliktsituationen nicht mehr das große Ganze im Blick habe, unsere Beziehung, dass wir ein Team sind, sondern es geht allein nur um mich. Dem geht voraus, dass wichtige Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen nicht erfüllt worden sind. Das frustriert ungemein und lässt Raum für negative Gefühle wie auch Aggressionen und Wut, die unreflektiert auf den Partner übertragen werden.

Nun ist das jetzt gerade nicht das Paradebeispiel, wie Konflikte bewältigt werden sollten. Und da kommen wir zum Kern: Konflikte sind per se nicht schlecht. Was am Ende eher für das ungute Gefühl sorgt, ist, wie wir damit umgehen. Und dass wir eben nicht gelernt haben, konstruktiv mit Konflikten und unterschiedlichen Meinungen umzugehen.

Und woran liegt es? Weil wir Konflikte überhaupt nicht zulassen wollen, weil sie totgeschwiegen und verdrängt werden. Weil es noch immer im Kopf der Menschen ist, dass Konflikte nicht gut sind und deswegen besser vermieden werden sollten.

Doch sehen wir der Wahrheit ins Auge: Konflikte sind überall! Es bringt nichts, sie zu ignorieren. Genauso wenig wie es etwas bringt, Tod und Sterben zu tabuisieren und so zu tun, als würde es uns nichts angehen.

Statt also weiter zu verdrängen und ignorieren, gilt es, die Augen dafür zu öffnen, sich dafür zu öffnen, ein anderes Mindset zu entwickeln, das Gute zu sehen: Denn Konflikte bieten so viel Potenzial für Wachstum, Verständnis und Verbundenheit, wenn wir das auch erkennen. Und auch lernen, mit Konflikten besser umzugehen.


Sich für andere Ansichten und Meinungen öffnen

Um das zu lernen, müssen wir uns auch öffnen, unser Denken erweitern, loslassen von Annahmen und Mustern, die uns daran hindern, die Andersartigkeit unserer Mitmenschen zu akzeptieren.

Und vor allem müssen wir lernen, auch unsere eigenen Annahmen zu hinterfragen und unsere Gefühle etwas besser zu kontrollieren.

Konflikte auszutragen ist wichtig, um sich selbst von anderen abzugrenzen. Sich bewusst zu machen, was mich ausmacht und mich von anderen trennt, aber ohne jegliche Wertung. Und trotzdem damit okay zu sein, dass jemand anders denkt als ich.

Den Konflikte das Negative zu nehmen und vor allem auch von jeglichen Machtspielen zu lösen. Oftmals verfallen wir ja in dieses Denken: Ich muss jemanden von meiner Meinung überzeugen, die Diskussion und den Streit gewinnen. Doch darum geht es bei Konflikten gar nicht. Wenn jeder nur seine eigenen Interessen durchsetzt, kann das nur schief gehen. Und am Ende gibt es dann nur Verlierer. Konflikte sind eine Chance, diese Machtdynamiken zu hinterfragen und zu sprengen. Es gibt beim Lösen von Konflikten keine Gewinner oder Verlierer, es geht um ein gesundes Miteinander, von dem alle profitieren können. Es geht darum, ein Verständnis für andere Menschen zu entwickeln, die Vielfalt unterschiedlicher Ansichten und Meinungen zu erfahren.

Wir müssen niemandem beweisen, dass wir im Recht sind. Zumal ich ohnehin denke, dass es viele verschiedene Wahrheiten wie es Menschen gibt. Klar, gewisse Fakten gibt es und über die lässt es sich gar nicht streiten. Aber wenn es um Meinungen, Ansichten und Annahmen geht, dann bringt es einfach nichts, darüber zu streiten. Diskutieren wäre okay, sich darüber auszutauschen, aber ohne den Anspruch, den anderen überzeugen zu wollen. Man kann es versuchen, sollte es aber nicht um jeden Preis. Am Ende entscheidet jeder für sich, welche Meinung er vertritt. Es wäre wünschenswert, wenn wir nicht auf einer Meinung beharren, sondern auch andere zulassen und unsere Ansichten hinterfragen. Sich überzeugen lassen ist auch total legitim, seine Meinung zu ändern genauso.


Keine Hindernisse, sondern Chancen für Wachstum und Verständnis

Lasst uns Konflikte nicht als Hindernis und Problem sehen, das uns auseinandertreibt, trennt oder uns gegenseitig schlecht macht.

Denn es ist wie mit vielen Dingen so, es gibt immer mindestens zwei Seiten.

Konflikte sind wertvoll, weil wir unser Gegenüber besser kennenlernen, auch von einer anderen Seite. Wir lernen, wie der andere wirklich tickt, denkt, fühlt, was sie oder sich gern wünscht. Lassen wir Konflikte zu und gehen damit konstruktiv um, kann es eine tolle Chance sein, daran zu wachsen.

Wir finden gemeinsam vielleicht einen Konsens, sind uns einig. Oder wir schließen Kompromisse, mit denen wir leben können. Wir lernen dabei, unsere eigenen Bedürfnisse auch mal zurückzustellen, dass wir eben nicht immer unseren Willen durchsetzen, sondern damit umgehen, uns auf andere einzustellen, auf die Bedürfnisse anderer Menschen einzugehen.


Von unlösbaren Konflikten bis zu Versöhnung

Gleichzeitig gibt es besonders in Beziehungen viele Konflikte, die eben einfach nicht lösbar sind. Konflikte sind nicht unbedingt immer dazu da, gelöst zu werden. Das ist oftmals auch nicht möglich. Aber wir können die Konflikte annehmen, lernen sie zu akzeptieren, wir müssen nicht immer auf einen Nenner kommen.

Akzeptanz ist das Zauberwort. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind: Wir können lernen, die Meinungen, Ansichten, Wünsche, Bedürfnisse sowie Prägungen anderer Menschen zu akzeptieren. Nur weil wir sie nicht teilen, bedeutet das ja nicht, dass sie schlechter sind als unsere eigenen. Lasst uns von Wertungen jeglicher Art Abstand gewinnen. Ich denke sowieso, dass unsere Gesellschaft viel zu sehr darauf ausgelegt ist, ständig in Schubladen zu denken und alles und jeden zu bewerten. Wir können es anders machen.

Konflikte können uns trennen, wenn wir es zulassen. Sie können uns aber auch viel näher zusammenbringen.

Einen gelassenen Umgang mit Konflikten lernen. Konflikte dürfen sein. Andere Meinungen dürfen sein. Ich muss niemanden überzeugen, seine Meinung zu ändern. Ich akzeptiere andere Meinungen. Ich muss sie nicht gut finden, aber ich lasse sie sein. Ich akzeptiere, dass es andere Meinungen geben kann und die genauso wichtig und richtig sind wie meine eigene.

Klar, sind Konflikte und Streits sehr unangenehm. Sie stellen Beziehungen auf die Probe. Erst im Konflikt zeigt sich, ob man wirklich miteinander kompatibel ist oder nicht. Ein Paar kann noch so unterschiedlich sein, doch wenn es gelernt hat, mit Konflikten gut umzugehen, kann es trotzdem glücklich miteinander sein. Wer glaubt, dass gerade die am glücklichsten sind, die nicht miteinander streiten, liegt eindeutig falsch. Denn das kann auch nicht gesund sein. Oftmals schwelen Konflikte eher im Inneren, sie werden verschwiegen und sorgen so für noch mehr Frust. Am Ende leben sich solche Paare auseinander, obwohl es nach außen so harmonisch aussah. Es geht bei Konflikten immer auch um die eigenen Bedürfnisse, die kommuniziert werden sollten. Sich über die eigenen Bedürfnisse und die es Partners bewusst zu werden, wird gerade in Konflikten deutlich. Konflikte sind für mich nichts anderes als eben das Zusammentreffen der Unterschiedlichkeiten beider. Und das ist ja auch erst mal nicht schlecht.

Ist ein Konflikt doch gelöst oder lernen wir, damit gelassener umzugehen, stellt sich meist Versöhnung ein. Wir schließen Frieden mit uns und dem anderen. Ich habe für mich gelernt, dass Konflikte förderlich sind, um die gegenseitige Verbundenheit und Vertrautheit zu stärken.

Für mich war es am Ende so, dass es sich gelohnt hatte, mal den Konflikt zuzulassen, auszuhalten und zu bewältigen. Am Ende hatte ich die besten Gespräche danach und spürte noch mehr Verbundenheit. Ich hatte das Gefühl, meinem Partner näher gekommen zu sein. Hätte es diesen Konflikt nicht gegeben, wäre es nicht passiert.

Ich glaube, dass wir insgesamt auch einfach gelassener werden, wenn wir nicht mehr gegen Konflikte ankämpfen, nicht ständig den Druck haben, unsere Interessen und Meinungen durchzusetzen, sondern einfach mal diesen Druck loslassen.

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