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TikTok-Trend „That girl“ – Inspirierend oder toxisch?


Um fünf Uhr direkt aufstehen, eine halbe Stunde Sport, am besten auch noch Yoga, gesundes Frühstück, am besten vegan, mit grünem Smoothiem, meditieren und im Journal die wichtigsten Ziele für den Tag notieren und noch viel mehr – derzeit teilen dutzende junge Frauen ihre morgendlichen Routinen auf TikTok, Youtube und Instagram. Alle mit einem Ziel: Inspirationen zu geben, wie man sein bestes Ich erreichen kann.

Der neue Trend „That girl“ ist in aller Munde und verbreitet sich in den sozialen Medien. Doch worum geht es da genau? „That girl“ ist das Idealbild einer gesunden, sportlichen, schlanken, reflektierten Frau. Eine Wunschvorstellung von Frau, die auch nur 24 Stunden am Tag hat und trotzdem alles super gut unter einem Hut bekommt – Job, Freizeit, Zeit für Sport, Reflexion und all die Routinen für ein gesundes Leben. Eine perfekte Frau, die alles schafft, egal, wie viel Stress und Zeitdruck sie hat.


Der Grundgedanke ist gut

Geht das denn überhaupt? Zweifelsohne ist es erst einmal ein toller Gedanke, das Beste aus sich herauszuholen, sich selbst Ziele zu stecken, sich zu motivieren, sich weiterzuentwickeln. Und ich finde es bemerkenswert, wenn es so viele junge Frauen gibt, die so diszipliniert sind, sich an selbst auferlegten Regeln und an Routinen halten, die ihnen ja anscheinend gut tun? Sie erfüllen eine Vorbildfunktion, zeigen, dass es möglich ist, mit viel Durchhaltevermögen, einem offenen Mindset so ein rundum gutes Leben zu führen.

Der Gedanke ist gut. Ich bin ein großer Freund von Selbstoptimierung und Persönlichkeitsentwicklung. Darum begrüße ich das auch im Großen und Ganzen, finde es besser, wenn man solch ein Ideal anstrebt, anstatt sich als junger Mensch mit Fast Food vollzufressen, planlos in den Tag zu leben und nur unnütze Sachen zu machen und zu konsumieren (wie beispielsweise den ganzen Tag nur zu netflixen). Es kann durchaus sehr motivierend sein, den ganzen Frauen zu folgen, die eben diesen Lifestyle leben. Und sicherlich wollen auch die Frauen, die das tun, nur das Beste für andere, Tipps und Anregungen geben, wie man solch einen Lifestyle verinnerlichen kann. Da ist ganz sicher keine böse Absicht dahinter.

Wie ihr euch vorstellen könnt, schwingt natürlich ein ganz großes Aber in meinen bisherigen Ausführungen mit. Ich sage aber, denn dieser Trend ist eben ein Trend, der durchaus gefährliche und toxische Züge annehmen kann. Nämlich immer dann, wenn man dem Trend unreflektiert folgt und übertreibt.


Wo ist die Individualität?

Generell kann es motivierend sein, sich diese Fotos und Videos von anderen inspirierenden Frauen anzuschauen. Was ich daran problematisch finde, ist jedoch die Vorstellung einer idealen Frau. Es heißt ja nicht umsonst „That girl“ also „DAS Mädchen“. Da frage ich mich: Was genau meinen die denn damit? Das Mädchen? Das eine perfekte und ideale Mädchen? Es wirkt auf mich ein wenig so, als würde es nur diese eine perfekte Vorstellung von Mädchen geben. Nur wenn du eben genau das befolgst, was dir der Trend weißmachen will, bist du eben „das Mädchen“. Aber was ist, wenn du eben nicht alles so tust, wie all die anderen Mädchen? Bist du deswegen weniger wert und weniger perfekt? Ihr merkt sicherlich, was der Knackpunkt dahinter ist.

Mit dem Trend werden alle Mädchen und Frauen über einen Kamm geschert, es wird nur eine akzeptable ideale Vorstellung von Frau vermittelt. Und schauen wir uns doch mal die Frauen an, die diesen Trend vermitteln: Es sind meist super schlanke, weiße, blondhaarige und wunderschöne Frauen. Allesamt sehen sie zauberhaft aus, aber irgendwie sehen alle auch gleich aus. Keine, die so wirklich heraussticht. Als ob alle nur irgendwie Kopien voneinander sind. Alle wunderschön, aber es fehlt ihnen an markanten Zügen, an Individualität. Das ist ohnehin so eine Sache, die mir bereits auch auf Insta aufgefallen ist. Schönheit geht vor, aber Individualität, die sich durch das nicht Perfekte auszeichnet, durch Makel und Fehler, geht verloren.

Wo bleibt da die Diverstität? Die Individualität? Wenn alle danach streben würden, was würde dann mit unseren Besonderheiten passieren? Wenn alle genau das machen würden, was ein „that girl“ tun sollte – was wäre das noch für ein individuelles Leben? Sind dann nicht alle Frauen irgendwie dann austauschbar? Und wer sagt bitte, dass das das ideale Mädchen oder die ideale Frau ist? Wer legt das denn bitte fest?

Und was ist mit all den Frauen, die nicht in dieses Schema passen? Die nicht so schlank sind? Nicht so weiß? Nicht so blond? Nicht so normschön? Oder die Frauen, die eben nicht 24/7 ein perfektes gut geplantes, diszipliniertes, gesundes Leben führen mit ganz viel Selbstfürsorge, Wellness und Produktivität? Sind das alles Frauen, die niemals „that girl“ werden können? Und ist es überhaupt erstrebenswert, das eine Mädchen zu werden?


Toxisches Schönheitsbild und Illusion

Ich denke mir, dass dieser Trend den ungesunden Schönheitswahn, der ohnehin durch Medien vermittelt wird, pusht und das zum Negativen. Als ob man unbedingt super gesund und wertvoll ist, wenn man eben nur richtig dünn wird. Richtig dünn bedeutet auch nicht automatisch gleich gesund. Für mich ist das ein schwieriges Bild von Weiblichkeit, für das besonders junge Mädchen anfällig sind, die das noch nicht reflektieren und einfach nachmachen wollen. Dabei kann Schönheit so viel mehr sein und so vielfältig und individuell.

Diese Frauen werden meiner Ansicht nach auch nur auf das Äußere reduziert, auf das Oberflächliche. Wir sehen ja auch nur das, was sie tun. Aber wie sind sie wirklich? Die Frauen stellen ihr Leben zur Schau, dokumentieren alles zwanghaft, als ob es etwas dafür zu gewinnen gäbe. Alles für die Likes, für die Follower*innen, für den Fame. Doch wem wollen wir was beweisen? Geht es da nur um uns oder nicht eher um die Anerkennung durch andere?

Außerdem ist das, was wir von diesen Frauen sehen, meist nur ein Teil des großen Ganzen. Wie so oft auf Social Media wissen wir nicht, was davon wirklich echt und authentisch ist. Meist ist das nur ein kleiner Ausschnitt oder wird sogar gestellt. Die Illusion sieht so perfekt aus, das wir nicht erkennen, dass sie eine ist. Und mal ernsthaft: Wie realistisch ist es wirklich, das alles zu schaffen? Da bleibt ja kaum noch Zeit für das Spontane und all die anderen schönen Dinge im Leben.


Du bist nicht das, was du tust und konsumierst

Selbstoptimierung kann gut sein und ist auch wichtig – doch nur in Maßen. Dieser „That girl“-Trend kann toxische Züge annehmen. Denn manche könnten sich durch die ständigen Vergleiche selbst abwerten, machen sich psychischen Druck, diesem Idealbild der Gesellschaft zu entsprechen. Statt sich im positiven weiterzuentwickeln, machen sie sich selbst fertig, weil sie es vielleicht nicht schaffen. Gleichzeitig kriegen sie auch das Gefühl: Ich bin nicht genug. Ich muss so sein wie diese perfekten Frauen, um wirklich wertvoll zu sein. Und dann fragen sich viele, warum sie es nicht schaffen, machen sich selbst fertig und suchen den Fehler bei sich selbst. Dabei ist mit ihnen alles in Ordnung. Nicht selten driftet das ganze in Extreme – in Depressionen oder Essstörungen, nur weil man einem falschen Idealbild gefolgt ist.

Das eigene Selbstwertgefühl, so kommt es bei dem Trend rüber, hängt vor allem von dem ab, was du tust. Nur wenn du dich optimierst und produktiv bist, bist du auch etwas. Außerdem sieht man die „that girl“ Frauen immer wieder mit Fitnesssachen, ob Getränke oder Essen. Sie sind nicht nur Produzenten, sondern vor allem Konsumenten. Konsumiere dies und jenes, nur dann klappt auch ein erfüllendes und gesundes Leben.

Ein weiteres Beispiel, dass wir dem Kapitalismus zum Opfer gefallen sind. Die Leistungsgesellschaft lässt grüßen und macht nicht mal Halt vor Tiktok-Trends.


Opfer der Leistungsgesellschaft

Ich selbst bin diesem Trend lange Zeit unbewusst gefolgt, noch bevor es ein Trend war. In den letzten Jahren habe ich mich sehr stark auf Selbstoptimierung fokussiert, war einem falschen Bild von Schönheit verfallen, wollte auf keinen Fall zunehmen, habe exzessiv Sport getrieben, Kalorien gezählt. Noch bevor es diesen Trend gab, habe ich die Selbstoptimierung verinnerlicht.

Ich bin zwar weder weiß noch blond, noch besonders dünn. Aber ich habe und lebe diesen gesunden Lifestyle noch heute. Ich esse nur vegetarisch, absolviere täglich meinen Sport, lese täglich und reflektiere regelmäßig. Und vor allem nutze ich jede Minute, um produktiv zu sein. Pausen sind mir ein Graus. Ich bin ein echter Kontrollfreak geworden, der sich an einer strikten Morgenroutine von Workout und eine Stunde lesen festkrallt. Und dass ich sowieso meinen ganzen Tag durchplane, kommt noch obendrauf.

Mir gibt es ein gutes Gefühl. Ich brauche diese Dinge einfach, da sie mir eine feste Struktur geben. Alles im Leben ist von Veränderung geprägt, aber ich will wenigstens ein paar Sachen haben, die mir Halt und Sicherheit geben. Und ich fühle mich gut und bin stolz auf mich, wenn ich all die Punkte auf meiner inneren To-Do-Liste abhaken konnte.

Und vielleicht geht es den Frauen auch so, die diesen Trend leben. Vielleicht sehnen sie sich auch nach festen Strukturen, die ihnen Orientierung bieten.

Das Problem mit solchen Routinen ist: Man hält sich vielleicht zu sehr daran, zumindest ich, dass es nicht mehr gesund ist und einem nicht mehr guttut. Das ist bei mir mittlerweile zu einem echten Zwang geworden. Sobald ich etwas nicht schaffe, bin ich von mir selbst enttäuscht und suche Ausreden, um mein Gewissen zu beruhigen. Ich gehe hart mit mir ins Gericht und lasse kein Stück Selbstmitgefühl zu. Alles andere als schön.

Dabei vergesse ich aber immer wieder: Wir alle sind nur Menschen und keine Maschinen. Wir können nicht immer funktionieren. Das ist sowieso ein blödes Wort, bezogen auf uns Menschen. Wir leben, wir müssen nicht funktionieren. Schon wieder dieser blöde Druck der Leistungsgesellschaft.


Den eigenen Lifestyle finden

Ich habe inzwischen gemerkt, dass dieser Lifestyle nicht absolut ist und vor allem nicht zwanghaft erfolgen sollte. Alles in Maßen. Es ist generell positiv, so einen Lifestyle zu haben, aber man darf es nicht übertreiben. Sich ein paar Sachen herauspicken und an sein Leben anpassen, das wäre ein guter Ansatz.

Und vor allem muss man für sich selbst entscheiden: Ist das etwas, was ich für mich will, was zu mir passt? Ist es ein Lifestyle, den ich gern hätte? Oder glaube ich, dass er gut wäre, nur weil es die anderen auch so machen?

Sobald es anfängt, stressig zu werden, sollte man vielleicht einfach mal innehalten und ehrlich zu sich sein. Und auch mal den Mut haben, loszulassen, statt blind durchzuziehen. Statt im Außen und auf Social Media Inspirationen zu suchen – wie wäre es mal mit einem Blick ins Innere, mal aufs Herz hören? Mal in sich hineinhorchen, was man wirklich will und braucht, statt sich von anderen etwas aufzwängen zu lassen, was man nicht will.

Dieser Lifestyle mag für viele gut funktionieren oder anregend sein. Aber am Ende kommt es nicht darauf an, was die Mehrheit denkt, sondern, was ich will. Es geht darum, den eigenen individuellen Lebensstil zu finden, der zu einem passt, der authentisch ist. Wir müssen nicht jeden Trend mitmachen.

Selbstoptimierung kann schön und gut sein, aber in Maßen bitte. Es geht auch nicht immer darum, immer besser zu werden, sich stetig weiterzuentwickeln, noch mehr Ziele zu erreichen. Es ist auch mal total in Ordnung, einfach mal nichts zu schaffen. Man ist trotzdem gut so, wie man ist. Du musst nicht dein bestes Ich erreichen, du bist schon toll, so wie du bist!

Und ich glaube, dass ich da auch noch einiges zu tun habe. Ich muss auch mal öfter auf meine innere Stimme hören statt auf meinen Verstand. Wenn ich mal Lust auf sündigen habe oder mal keinen Bock auf nichts habe. Dann ist das auch gut so!

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