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Der Blick in den Spiegel: Wer bin ich wirklich?

Fassade. Meine Eltern. Wut. Angst vor Ablehnung. Eifersucht. Drang nach Selbstoptimierung. Suche nach Abenteuer. Vertrauen. Nicht verrückt wirken. Das alles war vor Kurzem Thema in der zweiten probatorischen Sitzung mit der Therapeutin H. Ganz viele lose Enden, bei denen ich nicht weiß, wie ich sie am Ende miteinander verbinden werde.

Es ist nach wie vor etwas bedrückend mit meiner Therapeutin zusammenzusitzen, auf ihre Fragen zu antworten, nicht zu versuchen, jede Regung und jedes Stirnrunzeln auf mich zu beziehen und daraus Schlüsse zu ziehen. Das erste Gespräch war für mich eine vermeintliche Katastrophe im Vergleich zu den Erstgesprächen mit zwei anderen Therapeutinnen.

Ich fühlte mich danach orientierungslos, ein Stück weit auch heruntergezogen. Das Gespräch verlief nicht so, wie ich es erwartet hatte. Es ließ mich zurück mit ganz vielen Fragen, aber auch ganz vielen neuen Denkanstößen. Das Gespräch hat etwas mit mir gemacht. Mich zum nachdenken gebracht. Das allein ist doch eigentlich viel wert. Was hatte ich mir denn eigentlich sonst davon erhofft? Dass ich mich danach erleichtert und glücklich fühle? Therapie ist alles andere als Wellnessprogramm. Es kann echt anstrengend werden. Und das spürte ich zum ersten Mal. Aber es war nicht nur das. Ein Stück habe ich mich auch unwohl gefühlt. Nicht ernst genommen mit meinen Gefühlen, Bedürfnissen und Problemen. Als ob das alles nicht so schlimm wäre.

Ich kann sie rückblickend ein wenig verstehen. Als Therapeutin muss sie eine Diagnose stellen, damit sie das vor der Krankenkasse rechtfertigen kann. Damit überhaupt eine Behandlung anfangen kann. Und vermutlich ist mein Problem nicht eins, was man in irgendeine Schublade stecken kann. Darum bereitete ihr das große Sorgen. Allerdings dachte ich mir auch: Warum bügelt sie mich einfach so schnell weg. Sie kennt mich noch nicht und will schon beim ersten Gespräch genau wissen, ob mein Problem genug für eine Therapie ist?

Wie sollte man sich nach der Therapie fühlen?

Und das ist es, was mich vermutlich so heruntergezogen hat. Ich glaubte ihr wirklich, dass mein Leidensdruck vielleicht gar nicht so hoch war. Dass ich vielleicht keine Therapie bräuchte. Was an sich ja ein gutes Zeichen wäre. Aber ich hatte die Hoffnung, endlich an meinen Problemen mithilfe einer Therapeutin zu arbeiten. Ich war mit meinem Latein am Ende. Und jetzt sagte sie mir, dass sie glaubt, dass ich bereits alle hätte und viel erreicht habe. Und ich aber nicht genug Leid empfinden würde, um eine Therapie in Anspruch zu nehmen.

Ich fühlte mich mit meinem Leid nicht ernst genommen. Auch ich zweifelte, ob sie wirklich die richtige Therapeutin für mich war. Ich glaubte, dass all meine Probleme ja nichtig seien und natürlich gibt es Menschen mit noch größeren Problemen. Wenn man es von außen sieht, scheine ich auch ein total gutes Leben zu führen. Das war es auch, was sie vermutlich so irritierte. Ich habe eine Job, eine Beziehung, habe meine Vergangenheit hinter mir gelassen, wirke sehr souverän und kompetent. Ich bin an sich glücklich, wenn da nicht immer diese Konflikte in der Beziehung wären.

Vielleicht habe ich auch wie so oft, einen falschen Eindruck von mir vermittelt. Eine Maske aufgesetzt, die nicht durchblicken lässt, was sich dahinter verbirgt. Wie oft war es bei anderen Menschen, dass sie sich nicht vorstellen konnten, dass ich unter anderem ein schüchterner Mensch bin. Und wie oft auch das Gegenteil, dass Leute von mir überrascht waren, dass ich aus mir herauskommen konnte, obwohl ich sonst so schüchtern war?

Noch immer ist da eine Fassade

Ich dachte, dass ich inzwischen authentischer geworden bin. Aber mir haben jetzt die beiden Therapiegespräche gezeigt, dass ich nach wie vor eine gewisse Rolle spiele, eine Maske aufhabe. Das an sich ist nicht verkehrt, tragen wir doch auch alle unterschiedliche Masken. Doch ich möchte verstehen, was der Grund für meine Maske ist.

Inzwischen hat Therapeutin H. Auch erkannt, dass das vermutlich wirklich nur Fassade ist. Das hat sie mir im zweiten Gespräch auch gespiegelt, dass sie darüber nachgedacht hat und glaubt, dass da mehr dahinter steckt. Und dass sie sich vorstellen könne, mit mir weiterzuarbeiten. Das fand ich auch gut, ich war ein wenig erleichtert, denn das zweite Gespräch verlief doch viel besser als das erste.

Das ist eine Sache gewesen, die mich erstaunt hatte. Ich hatte während der 50 Minuten immer mal wieder Momente gehabt, in denen ich überrascht wurde. Sie schaffte es, hinter meine Fassade zu schauen.

Woher kam die Wut durch meinen Partner? War es wirklich Wut oder nicht ein anderes Gefühl? Woher diese Fassade? Vielleicht weil ich nicht will, dass andere etwas schlechtes von mir denken. Denken, dass ich langweilig, ein Mensch voller Fehler bin. Ich sorge mich, dass Menschen mich nicht mögen, darum verstelle ich mich.

Mir war bis dahin nicht bewusst, dass ich mehrere Strategien verwendete, um dies zu kaschieren. Die eine war mir geläufig, indem ich einfach nichts sagte. Doch bei ihr wurde mir bewusst, dass ich Worte mit Bedacht wählte, dass ich dadurch sehr kompetent wirkte. Dass ich ständig zustimmte. Ein Muster, was sehr lange schon in mir war. Um Harmonie aufrechtzuerhalten, um gemocht zu werden.

Dieser krasse Unterschied zwischen meiner so kompetenten und positiven und gefassten Art und meiner so emotionalen, aggressiven und negativen Art, wenn ich mit meinem Partner Streit hatte. Dieser Kontrast wird mir umso bewusster. Viele könnten sich gar nicht vorstellen, dass ich wirklich so wütend sein kann, wie ich es ihnen erzähle. Das hätten viele auch nicht von mir erwartet, weil ich sonst so liebenswürdig und nett wirke.


Was ist echt und was nicht?

Ich frage mich manchmal, ob das, was ich quasi vorspiele oder diesen Menschen zeige, wirklich mein wahres Ich ist. Was davon ist echt und was nicht, wenn ich mich doch mehr oder weniger bewusst verstelle?

Mit Menschen, die ich nicht gut kenne und selbst mit Freund*innen, scheint immer ein gewisser Filter zwischen ihnen und mir zu liegen. Ein Filter, der mich mit meinen Emotionen zurückhält und nur das Positive durchlässt. Nicht unbedingt unecht, aber es ist eben nicht 100 Prozent ich. Ein kontrollierter Ausdruck meines Selbst.

Doch mit meinem Partner kann ich komplett authentisch sein, mit all meinen Macken und Fehler. Obwohl ich von dieser Person am meisten geliebt werden will, habe ich auch am wenigsten Angst davor, mich zu zeigen wie ich bin. Es gibt keinen Filter: Alles, was mich bewegt, was ich denke, gebe ich direkt an ihn weiter. Leider eben auch das Negative.

Mir ist erst jetzt bewusst geworden, dass ich im Umgang mit den meisten Menschen doch viel zurückhalte, besonders wenn es um das Negative geht. Ich sage so oft Ja, obwohl ich Nein meine, stelle meine Bedürfnisse nach hinten. Aus Angst, dass ich sonst jemanden missfallen könnte.

Und es scheint so, als würde ich all das, was ich so lange zurückgehalten habe in der Vergangenheit, jetzt wieder zurückkommen. Immer dann, wenn ich mich bei meinem Partner nicht gesehen fühle, mit meinen Bedürfnissen nicht ernst genommen fühle. Dann kommt da diese Wut, dass ich mich ungerecht behandelt fühle. Quasi als Kompensation für all die Male, in denen ich nicht zu meinen Bedürfnissen stand.

Was will ich wirklich?

Das Hinterfragen von mir selbst hört nicht mehr auf. Und zwar sprachen wir darüber, dass ich mich nach einem Leben voller Abwechslung und Abenteuer sehne. Woher das komme? Vielleicht weil ich das als Kontrastprogramm zu meinem sonst sehr routinierten Leben brauche. Aber warum braucht es das Kontrastprogramm? Ist das Leben sonst zu langweilig. Vermutlich. Aber was ist so schlimm an einem langweiligen Leben?

Weil das nicht das Leben ist, was ich führen will. Ich will ein aufregendes Leben führen, mit vielen Erlebnissen, die mir in Erinnerung bleiben. Wir kamen darauf zu sprechen, woher ich das habe. Eine Zeit lang habe ich mich von Influencer*innen und Blogger*innen inspirieren lassen, haben mich angesteckt mit dem Gedanken, mich ständig selbst zu optimieren. Mein Leben muss auch besser werden, ich will achtsamer werden, bewusster leben, das Beste aus allem machen. Das führt dazu, dass ich nicht zur Ruhe kommen, immer auf dem Sprung bin. Kein Erlebnis verpassen will, Fear of missing out.

Die entscheidende Frage ist: Ist das das Leben, was ich führen will? Oder eher ein Leben, von dem ich glaube, dass es gut wäre?

Und da fängt das Hinterfragen meines Lebens an.

Ich glaubte immer, dass ich mir selbst so bewusst bin. Dass ich weiß, was ich will.

Aber jetzt stellt sich heraus, dass ich oft genug entgegen meinem Willen handle. Dass ich weniger danach handle, weil ich es wirklich will und Lust habe. Sondern, dass ich Dinge auch öfter tue, weil ich glaube, dass sie wichtig wären. Weil es diese Blogger*innen, die meine Vorbilder waren, so suggeriert haben.

Ich habe aufgehört, auf mein Gefühl zu hören, habe oft genug etwas anderes getan, was meine innere Stimme nicht wollte. Weil ich mich und mein Leben selbst optimieren wollte. Aber wozu das Ganze? Weil ich mir selbst etwas beweisen will. Ich kann es schaffen. Ich kann es schaffen, ein Übermensch zu werden. Ist das mein Ziel?


Mehr auf meine innere Stimme hören

Ich sollte öfter auch einfach auf meine innere Stimme hören als mein Kompass für ein gutes Leben, anstatt auf das, was andere meinen, dass es sinnvoll wäre. Vielleicht habe ich deren Meinung zu sehr verinnerlicht und glaube jetzt wirklich daran, dass es auch meine Meinung ist. Es ist auch okay, mal nicht hart an sich zu arbeiten und ständig etwas zu erreichen. Es ist auch mal gut, dass ich auf meine Bedürfnisse höre und wenn es bedeutet, dass ich mal nichts mache, ist das auch total okay. Ich sollte weniger streng mit mir selbst sein.

In dem Gespräch wurde auch aufgedeckt, dass ich einfach hohe Ansprüche an mich selbst habe. Ich wäre gern ein offener Mensch, der seine Gefühle und Eifersucht im Griff hat, der weniger Drama macht und sich für den Partner freut. Aber das bin ich nicht. Ich versuche es zu sein, aber es ist verdammt schwer. Ob ich mir da nicht zu viel vornehme, fragte mich die Therapeutin. Vielleicht hat sie recht. Und wer weiß, ob das wirklich etwas für mich ist. Dass die Eifersucht nicht weniger geworden ist, wurmt mich nach wie vor. Das war eigentlich auch ein Grund für mich. Sich das einzugestehen, ist verdammt hart und tut weh.

Das sind jetzt so viele Gedanken, die mir während und nach der Therapiesitzung aufgekommen sind. Dinge, die ich teilweise wusste, aber die mir jetzt nochmal mehr bewusst geworden sind. Ich versuche die losen Enden zu verbinden und Schritt für Schritt das Puzzle zusammenzusetzen. In der Hoffnung, mich am Ende besser zu verstehen. Das ist erst der Anfang.

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