Direkt zum Hauptbereich

Fremdgehen: Bin ich als die andere Frau schuld daran?

 

Mal wieder ein moralisches Dilemma. Und mal wieder geht es um Betrügen. Doch dieses Mal bin ich nicht diejenige, die betrügt. Dieses Mal bin ich „die andere Frau“, die Person, mit der man betrügt.

Mit diesem Text werde ich mich nicht beliebt machen, das weiß ich.

Ich habe mal wieder Schuld auf mich geladen. Habe mich wissentlich auf jemanden eingelassen, mit dem ich mich hätte lieber nicht einlassen sollen. Wir kannten uns schon vorher, sind uns bei dem Feriencamp, bei dem ich vor Kurzem Betreuerin war, näher gekommen. Und ja, ich war diejenige, die zuerst seine Nähe aufgesucht hatte. Doch zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht mal, dass er in einer Beziehung ist. Das erfuhr ich erst einige Tage später. Doch spätestens dann hätte ich eigentlich sagen müssen: „Stopp, bis hierhin und nicht weiter.“ Tat ich nicht. Zu sehr war ich von ihm fasziniert. Zu sehr wollte ich ihm doch näher kommen.

Es gab ein gewisses Risiko. Er hätte mich ja auch ablehnen können. Die Angst schwang immer mit, wenn ich mich ihm annäherte. Doch ich spürte etwas zwischen uns, eine große Anziehung, die er nicht leugnen konnte. Ich erhoffte mir mehr, interpretierte mehr in seine Blicke und in sein Lächeln hinein. Da musste doch etwas sein, ich hatte es ganz genau gefühlt. Und wie gut wir uns verstanden, wie anders ich in seiner Gegenwart wurde. Das musste ein Zeichen sein.

Wir öffneten uns in der kurzen Zeit so schnell und so ganz ohne Zögern. Ich wusste, dass ich ihm vertrauen konnte und er mir. Innerhalb so kurzer Zeit machten wir ein seelisches Striptease. Irgendetwas war schon anders zwischen uns. Solch eine Verbindung habe ich bisher selten erlebt. Dass man so sehr auf einer Wellenlänge ist.

Wir näherten uns nicht nur emotional, sondern auch körperlich. Nicht ich war es, die in der Richtung den ersten Schritt tat, sondern er. Macht es das besser? Bin ich deswegen weniger Schuld an allem? Vermutlich nicht ganz. Ich habe schließlich trotzdem zugelassen. Ich hätte auch „Nein“ sagen können, hätte es verhindern können. Aber ich wollte es ja auch. Von Schuldgefühlen gar keine Spur.

Es kam, wie es kommen musste: Wir landeten zusammen im Bett. Und es war sehr gut. All das Ganze war so unfassbar, wie aus einem Film. Das, was sich da so schnell entwickelte und so schnell eskalierte. Unvorstellbar.

Für mich war klar: Das war eine einmalige Sache. Es war sehr aufregend, dieses ganze Versteckspiel, und wie sich alles zwischen uns entwickelte. Doch das reichte mir.

Ihm aber nicht. Er wollte mehr. Wir sind in Kontakt geblieben, haben uns danach noch zweimal gesehen, waren kurz spazieren. Es ist eigentlich nicht wirklich viel passiert. Aber wir sind uns wieder körperlich näher gekommen. Haben uns geküsst, umarmt, berührt. Ist das schon Fremdgehen? Vermutlich. Alles, was so nicht mit der Partnerin abgesprochen ist. Und das war es in keinster Weise, nie.


Kein schlechtes Gewissen

Er hat kein schlechtes Gewissen. Er will mehr. Es will es wieder mit mir tun. Er liebt seine Freundin, mit der eine Fernbeziehung führt, nach wie vor, nicht weniger. Es würde nichts an seinen Gefühlen zu ihr ändern. Es wäre alles beim Alten.

Doch warum habe ich nur so ein schlechtes Gewissen?

Ich habe mich seitdem immer wieder gefragt: Bin ich Schuld am Fremdgehen? Welche Rolle spiele ich dabei? Habe ich eine Verantwortung. Wie moralisch verwerflich ist das, was ich da tue?

Ich kannte es bisher nur aus einer Postion heraus: diejenige, die betrügt. Und da ist der Fall klar. Ich bin das Arschloch, was fremdgeht. Etwas total beschissenes tut. Weil ich ja meinem Partner zur Treue verpflichtet bin. Ich hintergehe den Menschen, den ich liebe. Ganz klar: schuldig.


Wenn du es tust, tut es eine andere

Doch wie ist es als die andere Frau, mit der betrogen wird? Einige, wie auch mein Freund, sagen: Wenn du es nicht tust, wird es eine andere Frau tun. Ja, das mag schon sein. Das klingt so, als würde es keine Rolle spielen, ob ich die Frau bin, mit der er fremdgeht oder nicht. Als ob es unvermeidbar wäre. Du wirst ihn nicht am Fremdgehen hindern.

Der Spruch klingt so, als würde das mich von jeglicher Schuld befreien. Die Alleinschuld läge bei demjenigen, der fremdgeht. Derjenige, der in einer monogamen Beziehung ist. Er wird so oder so fremdgehen, ob mit mir oder einer anderen Frau. Ich bin da nur das kleine Zahnrad im gesamten System, nur ein kleines Teilchen, was vielleicht keine wirkliche Schuld hat?

Es ist klar, dass die Hauptschuld derjenige hat, der betrügt. Derjenige hat sich zu verantworten. Derjenige müsste die Hauptschuld haben.

Klar, kann ich auch sagen: Ist mir doch egal, ob der andere in einer Beziehung ist oder nicht. Das ist nicht mein Problem. Er muss wissen, was er da tut. Das sind nicht meine Angelegenheiten.

Doch das stimmt nur zum Teil. Sobald ich weiß, dass der andere vergeben ist und ich trotzdem mitmache, bin ich auch involviert. So zu tun, als ob man gar keine Rolle spielt, ist einfach nur wahnsinnig ignorant. Denn ich habe ja einen Einfluss. Ich trage meine Schuld mit. Mag sein, dass es auch jede andere beliebige Frau sein könnte. Aber in dem Moment, in dem ich mitspiele, bin ich diejenige, die das Ganze ins Rollen bringt. Natürlich liegt die Hauptschuld bei demjenigen, der betrügt.

Für mich gibt es niemanden, den ich betrüge. Mein Partner weiß davon und hat mir sogar grünes Licht gegeben. Für ihn ist alles okay. Ich bin nicht diejenige, die Ehrlichkeit der Partnerin gegenüber versprochen hat.

Und trotzdem befreit mich das nicht von meiner Mitschuld.


Es gehören immer zwei dazu

Ohne mich würde das Fremdgehen nicht funktionieren. Selbst wenn er wöllte, würde das nicht bedeuten, dass er fremdgehen kann. Es gehören immer mindestens zwei Menschen dazu.

Und zu sagen, dass es sonst jemand anders macht, ist doch quasi nur eine Rechtfertigung, genauso zu sagen, dass ich mit der ganzen Sache nichts zu tun habe und mich das nichts angeht. Natürlich geht mich die Beziehung nichts an. Aber ich bin mit schuld, wenn die Beziehung in die Brüche geht, weil das Fremdgehen auffliegt.

Wenn du es nicht tust, tut es eine andere“ – das soll doch nur mein eigenes Gewissen erleichtern, dass ich doch gar keine so große Schuld habe. Am Ende ist es der betrügende Partner, der seine Freundin am meisten verletzt. Weil er es geheim gehalten hat. Es ist meist nicht der Sex, der so wehtut, sondern der Vertrauensbruch. Die ganzen Lügen.

Ich kenne das alles schon. Ich wurde nie betrogen, aber ich habe oft betrogen. Insofern kann ich mich sehr gut in ihn hineinversetzen. Er leidet in der Beziehung, weil ihm die körperliche Nähe fehlt. Ich kann ihn verstehen.

Eigentlich steht es mir nicht zu, über ihn zu urteilen. Ich bin die letzte, die ihm Vorwürfe macht. Weil ich das eben selbst so oft durchgemacht habe.


Fehler von damals wieder gut machen

Aber ich will es dieses Mal besser machen. Will wenigstens ihn davor bewahren, dass der den gleichen Fehler wie ich macht. Dass er weiter betrügt und belügt, bis sie es irgendwann herausfindet.

Und das wird sie.

Er glaubt, dass es nie passieren wird, wenn er nichts sagen wird. Er denkt so wie ich damals. Ich habe damals auch geglaubt, dass alles gut gehen wird. Wäre niemals auf die Idee gekommen, dass mein Ex es irgendwann mal herausfinden wird. Wie naiv gedacht es damals doch war.

Ich wollte nur meinen Spaß, war egoistisch und nahm mir das, was ich brauchte. Ohne darüber nachzudenken, was ich damit meinem Ex antun würde. Was das alles anrichten würde, wenn es einmal rauskam.

Und darauf muss man sich immer einstellen. Die meisten glauben, sie seien besonders klug und könnten es gut verstecken. Es mag viele geben, die das hinkriegen. Aber die meisten scheitern früher oder später an dem Lügengerüst.

Natürlich will ich ihm die Entscheidung nicht nehmen. Wenn er fremdgehen will, dann soll er es tun. Vielleicht wollte ich damit ein Stück meine eigene Schuld mindern, indem ich verhindere, dass eine Beziehung kaputt geht. Ist das auch schon übergriffig? Mit welchem Recht darf ich mich in die Beziehung von anderen einmischen?

Aber ich will nicht diejenige sein, mit der seine Beziehung zerstört. Ich will nicht mehr länger bei diesem Lügenspiel mitmachen, weil ich weiß, wie destruktiv es sein kann. Wie sehr es Menschen zerstören kann und ihre Fähigkeit, zu vertrauen und zu lieben.

Es geht am Ende doch um mich

Es geht vielleicht gar nicht so sehr um ihn, seine Freundin, die ich nicht mal kenne oder deren Beziehung. Es geht nur um mich. Nicht darum, dass ich meine Bedürfnisse befriedige. Sondern es geht darum, dass ich einfach kein schlechter Mensch sein will. Ich will nicht noch mehr schlechtes Karma auf mich ziehen. Ich will nicht noch mehr am Lügen und Betrügen beteiligt sein. Ich habe mich für ein ehrliches Leben entschieden. Deswegen führe ich auch die offene Beziehung. Weil ich offen und ehrlich mit meinem Partner sein will.

Ja, das wäre ich immer noch, selbst wenn ich am Fremdgehen beteiligt wäre. Mein Partner wüsste davon.

Aber es würde nicht zu meinen Werten passen. Ich will nicht mehr länger jemand sein, der mit lügt und betrügt und in irgendeiner Weise das ganze verstärkt. Ich will nicht Teil eines Lügengerüstes von jemandem anderen sein.

Der eine Fehltritt reicht komplett. Den mag man mir verzeihen oder auch nicht. Auch wenn die Versuchung sehr groß ist, habe ich mich dagegen entschieden, das Ganze mit ihm fortzusetzen. Weil es sich einfach nicht richtig anfühlt. Weil es gegen meinen moralischen Kompass geht.

Es geht am Ende vielleicht nicht einmal um die Frage, wer jetzt die Schuld hat, sondern wer wie viel Schuld hat. Und da bin ich mir sehr sicher: Der Partner, der betrügt, hat die komplette moralische Verantwortung, für das, was er tut. Er ist seiner Freundin zu Treue und Ehrlichkeit verpflichtet.

Doch sich als „die andere Frau“ kein schlechtes Gewissen zu machen und so zu tun, als ob man gar keine Schuld hätte, ist absolut nicht okay. Es ist und bleibt moralisch verwerflich. Doch ich habe für mich entschieden, dass ich den Fehler nicht noch einmal tun werde und lieber ein reines Gewissen haben will.

Vielleicht tue ich das alles, um meine Weste wieder reinzuwaschen, die wieder Flecken bekommen hat. Ich bin kein Engel. Ich habe trotzdem mit einem vergebenen Mann geschlafen. Das war ein Fehler. Und trotzdem fühle ich mich nicht schlecht und trotzdem würde ich es wieder tun. Vielleicht will ich es deswegen trotzdem wieder gutmachen, damit ich mich nicht ganz so furchtbar damit fühle.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Blogparade: Ist Abenteuer heute noch möglich?

Jeder sucht im Alltag nach dem gewissen Etwas, nach etwas Aufregendem und nach Abenteuern. Doch was genau sind denn eigentlich Abenteuer und wie kann man sie in den Alltag integrieren? Diesen Fragen möchte Torsten auf seinem Blog  nachgehen. Und auch ich möchte mich dieser Fragen stellen.

Als ich 17 war...

Forever seventeen – für immer 17 sein. Ein Traum, den vielleicht viele haben, aber der natürlich nicht in Erfüllung gehen kann. Doch wie war das eigentlich damals, als ich noch 17 war? Das ist schon inzwischen 9 Jahre her, Zeit also mal wieder zurückzuschauen.

Eine Freundschaft Plus kann doch funktionieren!

Freundschaft Plus. Nichts halbes, nichts ganzes. Das kann doch niemals klappen. Einer von beiden wird immer damit unglücklich werden. So sagt man. Seit einigen Wochen führe ich selbst eine F+. Und muss sagen: Es ist viel unkomplizierter als gedacht!