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Habe ich Recht oder nicht?


Neulich habe ich mich in einem Seminar zur journalistischen Weiterbildung mit dem Thema „Kommentar“ befasst. Ein journalistischer Kommentar ähnelt einer Erörterung, die viele bestimmt noch aus der Schule kennen. Dabei befasst man sich mit einem ausgewählten Thema oder einer Fragestellung, stellt eine These auf und versucht diese anhand von Argumenten zu belegen. Es geht knapp gesagt darum zu einer Sache oder einem Thema eine Meinung zu äußern. Das setzt also voraus, dass man überhaupt eine Meinung zu etwas hat. Doch wie ist es, wenn man eine Meinung hat, aber im Laufe der Argumentation oder später merkt, dass man an dieser nicht mehr festhalten kann und will?


Im Alltag und auch im journalistischen Alltag gehört es dazu, Meinungen zu äußern. Wir beziehen konkret Stellung zu einer Sache oder einem Thema. Wir stellen eine These auf, an der wir hängen, argumentieren dafür. Meist bleibt es aber nicht bei einer einseitigen Argumentation. Eine gute Erörterung fordert dazu auf, die Sache aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Ich bin beispielsweise der Meinung, dass Geld allein nicht glücklich macht. Das wäre meine These oder Behauptung.

Diese kann ich einfach so in den Raum werfen, aber das reicht nicht. Ich muss auch begründen, weswegen. Ich begründe die These damit, dass Geld kein alleiniger Glücklichmacher ist und es noch weitere Faktoren wie Beziehungen, guter Job und Gesundheit und noch viel mehr, die dafür sorgen, dass es uns gut geht. Denn Geld hat auch Schattenseiten. Wer viel Geld hat, muss damit auch umgehen können und sorgen, dass es sicher ist. Das ist auch mit Risiken und Ängsten und viel Verantwortung verbunden. Außerdem bin ich der Ansicht, dass nur materielle Dinge nicht glücklich machen. Es sind eher Erlebnisse, an die wir uns erinnern und die uns wirklich etwas bedeuten.

Doch wozu eigentlich jetzt dieser ausschweifende Diskurs, fragt ihr euch sicherlich oder? Ich will eigentlich nur deutlich machen, dass es nicht reicht etwas zu behaupten. Wir müssen die Behauptung und These begründen und mit Argumenten belegen. Nur so können wir auch andere davon überzeugen. Das ist meist auch Sinn hinter Diskussionen. Wir diskutieren, weil wir Recht haben und andere von unserer Meinung überzeugen wollen. Wir wollen damit also gezielt etwas bei anderen erreichen.

Doch einfach nur stur an der eigenen Meinung hängen und vehement diese durchzusetzen, kann auch nicht gut sein. Meinungen werden zu schnell mit Wahrheiten oder Fakten gleichgesetzt. Ich bin der Meinung, dass es keine richtige Meinung gibt und eigentlich auch keine wirkliche Wahrheit. Alles hat mehrere Seiten. Wir gehen im Alltag meist nur von einem „entweder-oder“ aus, aber die Wirklichkeit ist wesentlich komplexer. Es gibt auch viele Widersprüche und Paradoxien. Dinge, die wir so nicht erklären können und die unseren Wissensstand und unser Bewusstsein übersteigen.

Darum meine ich, dass es oftmals besser ist, von einem „sowohl-als-auch“ auszugehen und mehrere Ansichten zuzulassen. Es ist schwer. Ich weiß auch, dass es einfacher ist Stellung zu beziehen und darauf zu beharren. Menschen streben nach Ordnung, sie brauchen Orientierung, die sie dadurch schaffen, indem sie die Welt kategorisieren. Die einfachste Einteilung, die bereits in ganz einfachen Erzählformen wie Märchen, die es seit bestimmt Jahrhunderten gibt, ist die in gut und schlecht beziehungsweise gut und böse. Besonders Kindern hilft es erst einmal die Welt in Schwarz und Weiß einzuteilen, ob es doch so viele Grautöne gibt. Aber das wäre viel zu komplex und würde Kinder überfordern. 

Erst mit dem Erwachsenwerden lernen wir, dass die Welt eigentlich viel komplizierter ist. Und doch begehen wir im Alltag den Fehler, nur von einer Meinung überzeugt zu sein. Jeder Mensch hat eine gewisse Sichtweise, unterliegt sogenannten „Framings“ also Rahmen. Wir sehen die Wirklichkeit nicht so wie sie eigentlich ist. Das würde gar nicht gehen, weil uns das überfordern würde. Das fängt schon bei der Wahrnehmung an. Wir nehmen nur selektiv bestimmte Informationen auf und verarbeiten diese. Daraus entsteht dann unsere Weltsicht. Jeder Mensch hat dabei eine andere Brille auf, durch die er die Welt wahrnimmt.

Wir sehen nur das, was wir auch sehen wollen. Alles andere blenden wir aus. Wenn wir uns nur auf das Negative fokussieren, sehen wir das auch nur. Das führt dann dazu, dass wir bestätigt bekommen, dass es nur Negatives gibt, obwohl das gar nicht stimmt. Aber wir sehen die Welt eben durch unsere Brille. Meistens unterschätzen wir, wie viel Einfluss unsere Persönlichkeit, Erlebnisse und Sichtweisen auf unsere Art der Wahrnehmung und unsere Art des Erlebens hat. Meistens merken wir es nicht, weil wir nicht darüber reflektieren, wir haben Scheuklappen auf.

Vor allem merke ich das, wenn ich mit jemanden über etwas diskutiere oder streite und total auf meiner eigenen Meinung beharre. Meine Meinung ist für mich total verständlich und die einzig Richtige. Ich suche nach Argumenten, die meine Meinung als die Wahre belegen. Manchmal bin ich dann aber in der Not und finde vielleicht doch nichts, um sie zu beweisen. Aus Notwehr sage ich dann so etwas wie: „Das ist eben meine Meinung und ich finde sie ist so richtig!“ Obwohl ich nicht mal eine gute Begründung habe. Dann neigt man doch schnell dazu, seine Meinung als Wahrheit herauszustellen, obwohl das eigentlich nicht sein sollte. Obwohl wir merken, dass wir im Unrecht sind, wollen wir unsere Meinung nicht ändern. Unser Gesprächspartner bringt vielleicht die besseren Argumente und eigentlich wissen wir, dass der andere Recht hat. Warum schaffen wir es dann nicht, unsere Meinung zu ändern?

Es fühlt sich seltsam an, wenn ich merke, dass ich eigentlich nicht Recht habe und mir das eingestehen muss. Das hat damit zu tun, dass wir dann in einem Dilemma stecken. Meistens versuchen wir alles, was uns betrifft, positiv zu sehen. Wir wollen Integrität wahren, wollen mit uns im Einklang sein. Das sorgt für inneren Frieden und Harmonie und einem guten Selbstwertgefühl. Doch wenn jemand unsere Ansichten angreift, fühlen wir uns meist persönlich betroffen. Wir versuchen eben aus Notwehr uns zu schützen, indem wir widersprechen und unsere Meinung stark machen. So streben wir danach wieder ein inneres Gleichgewicht zu erlangen.

Wenn wir aber merken, dass unsere Meinung doch nicht so richtig war, stecken wir in einem inneren Konflikt. Wir wollen uns selbst treu bleiben, deswegen versuchen wir ja so intensiv, unsere Meinung zu bestätigen, auch wenn sie gar nicht so gut und richtig ist. Es gibt also den Widerspruch zwischen der eigenen, aber nicht so guten Meinung und der eigentlich logischen Ansicht anderer. Wir haben die Möglichkeit, weiter auf unsere Ansicht zu pochen und die Ansicht anderer zu ignorieren. Das wäre aber eigentlich als ob wir uns von der Wirklichkeit und Wahrheit abwenden würden. Das käme einem Selbstbetrug gleich, aber viele würden es schaffen, das zu akzeptieren, sollte das innere Gleichgewicht wiederhergestellt wäre.

Eine andere Möglichkeit, die aber doch schwerer zu akzeptieren und umzusetzen ist, dem anderen einfach Recht zu geben und die eigene Meinung als unpassend, nicht richtig oder schlecht anzusehen. Das ist wirklich hart, weil man dann seine eigene Verletzlichkeit offenbart und es schon etwas am eigenen Selbstwertgefühl nagt. Der andere hat Recht, ich aber nicht. Das kommt einer Niederlage gleich und die meisten wollen lieber angestrengt weiterkämpfen, um ihre Meinung aufrecht zu erhalten.

Nun stellt sich mir die Frage, was klüger wäre: Sollte man trotzdem versuchen seine Meinung durchzusetzen und mehr Argumente zu finden oder wäre es besser, nachzugeben und den anderen Recht zu geben? Ich bin der Ansicht, dass wenn man genau weiß, dass man Unrecht hat, auch lieber nachgeben sollte. Es ist verschwendete Energie, weiter zu kämpfen. Man muss auch Courage haben und zu seinen eigenen Unzugänglichkeiten stehen. Jeder kann sich mal irren und es ist mutig und ein Zeichen von Stärke, wenn man das auch selbst einsieht.

Nun kann ich pauschal sagen, dass es immer besser oder schlechter ist nachzugeben. Oftmals kommt der Vorwurf, man ließe sich zu leicht von seiner Meinung abbringen, wenn man anderen Recht gibt. Von jedem wird verlangt, zu allem eine Meinung zu haben. Das gehört eben dazu. Wenn man allzu oft seine Meinung ändert und ständig anderen Recht gibt, obwohl man doch anderer Ansicht ist, wird das als charakterlos interpretiert. Man ist jemand, der nur Ja sagt, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Und irgendwie wirkt das doch sehr komisch, solche Leute werden als nicht integer angesehen, denen kann man doch nicht trauen.

Dagegen empfinden wir es als gut, wenn jemand ganz deutlich seine Meinung sagt und sie auch in Diskussionen verteidigt und versucht durchzusetzen. Aber natürlich nicht um jeden Preis. Wir empfinden aber solche Leute, die immer eine klare Meinung haben, als selbstbewusst und solche, die eben mit sich im Reinen sind. Sie wissen, was sie wollen und was nicht und das kommt uns sehr ehrlich vor.

Doch es gibt eben auch Grautöne, um noch mal auf das Thema Schwarz-Weiß-Denken einzugehen. Es ist nicht immer möglich, eine klare Meinung zu haben. Das habe ich neulich selbst erfahren müssen, als es um das Thema Sterbehilfe ging. Es ist ein sehr komplexes und schwieriges Thema, wo man einfach nicht ja oder nein sagen kann. Es ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Ich war eigentlich bevor ich mich darüber intensiver informiert habe, der felsenfesten Überzeugung, dass aktive Sterbehilfe unbedingt legal werden soll.

Für alle die es nicht wissen: Aktive Sterbehilfe ist, wenn wir jemandem aktiv beim Sterben helfen, also gewissermaßen jemanden töten, der das aber auch möchte: Dazu gehört beispielsweise jemandem starke Schmerzmittel zu verabreichen oder eine Giftspritze, aber eben auf Verlangen desjenigen, der sterben will. Ich war der Ansicht, dass es keine Pflicht fürs Leben gibt, jeder sollte selbst bestimmen, ob er weiterleben oder sterben soll. Besonders sollte das bei den Menschen der Fall sein, die nicht mehr in der Lage sind, selbst zu handeln oder die einfach unerträglich leiden müssen. Wozu das Leiden verlängern, wenn der Tod doch erlösend wäre und schöner als das Leben selbst?

Doch je mehr ich mich über Sterbehilfe informierte, desto mehr kam ich in innere Bedrängnis. Es gab auch viele Gegner von Sterbehilfe. Die Argumente dagegen sind beispielsweise, dass daraus ein schmutziges Geschäft gemacht wird. Oder man sich zu wenig um die Sterbebegleitung kümmert und dafür mehr darin investieren sollte, diese zu verbessern. Gesellschaftskritik klingt an, denn wir sollten uns fragen, warum Menschen sterben wollen. Es müssen nicht einmal die Schmerzen sein. Es könnte auch die Angst sein, Angehörigen zur Last zu fallen oder die Angst überhaupt vor dem Sterben selbst. Also statt sofort aktive Sterbehilfe zu leisten, lieber sich um Sterbende und Kranke kümmern, ihnen das Gefühl geben, dass das Leben lebenswert ist, sie nicht abwerten, sondern ihre Ehre wiederherstellen. Wenn natürlich alles nichts hilft, dann sollte man auch dem Sterbewunsch nicht im Wege stehen.

Ich habe in meiner Erörterung die ganze Zeit eigentlich gegen Sterbehilfe argumentiert und kam trotzdem zu dem Schluss, dass man in Einzelfällen doch lieber Aktive Sterbehilfe zulassen sollte. Damit habe ich mir eigentlich selbst widersprochen, was nicht gut ist. Eine gute Argumentation sollte logisch und nachvollziehbar sein, konsequent und vor allem eben keine Widersprüche enthalten. Ich habe aber wie gesagt gemerkt, dass ich eigentlich sowohl die Befürworter als auch die Gegner der aktiven Sterbehilfe gut verstehen konnte. Es gibt auf beiden Seiten nachvollziehbare und gute Argumente. Dadurch fiel es mir schwer, eine Position einzunehmen. Das kann man aber durchaus auch erwähnen, dass es schwierig ist sich zu entscheiden.

Ist es eigentlich auch eine Meinung, wenn man sagt, man kann sich nicht entscheiden? Ich denke, das könnte man so sagen. Wie erwähnt, man muss nicht immer schwarz weiß denken, alles hat mehrere Seiten. Es ist doch kein Zeichen von Schwäche zuzugeben, dass man sich nicht entscheiden kann. Wenn ich einer Meinung bin, muss ich nicht zwangsläufig Gegenargumente unbedingte zunichte machen. Es ist eher positiv, weil man sich mit beiden Seiten befasst hat, Pro- und Contra-Argumente kennt. Ein Zeichen von Toleranz, wenn man keine Seite ablehnt.

Und auf der anderen Seite wird trotzdem verlangt, dass man zu einer Seite mehr tendiert. Das hätte ich in meinem Kommentar zur Sterbehilfe auch tun sollen. Zu offenbaren, dass ich beide Seiten nachvollziehbar finde und darum in einem Dilemma stecke. Aber trotzdem mich zu einer Seite mehr hingezogen fühle. Und ich denke, ich hätte aktive Sterbehilfe doch befürwortet. Zumindest hätte ich sagen sollen, dass aktive Sterbehilfe in Ausnahmefällen auf jeden Fall gewährleistet werden soll. Jeder soll doch über sein eigenes Leben entscheiden. Wir leben aber nicht allein, auch andere, besonders Angehörige sind von den Folgen der Sterbehilfe betroffen.

Ein anderer Konfliktfall ist ja, wenn man im Unrecht ist, das einsieht, aber nicht zugeben will. Man will ja das Gesicht wahren und bloß keine Schwäche zeigen. Wie ich aber schon erwähnt habe, ist es eher ein Zeichen von Selbstbewusstsein, wenn man zugibt, im Unrecht zu sein. Es ist auch absolut legitim, seine Meinung zu ändern. Klar, viele würden sagen: „Das ist aber echt komisch, das s du wieder anderer Meinung bist.“ Es wird von vielen vorausgesetzt von Anfang an bis zum Ende, bei einer Meinung zu bleiben.

Doch ich finde, das ist zu kurz gedacht. Selbst Fakten und Wahrheiten können sich als falsch herausstellen. Sollen wir trotzdem darauf beharren, nur um unsere Integrität zu wahren? Uns selbst belügen, obwohl wir die Wahrheit kennen? Wir könnten uns überhaupt nicht weiterentwickeln und verbessern. Das ist einfach dumm, bei seiner Meinung zu bleiben, obwohl sie offensichtlich nicht richtig ist. Es mag unangenehm sein, eigenes Unwissen und nicht richtiges Denken zu offenbaren. Aber es gehört eben dazu und daraus lernt man dann. 

Außerdem finde ich es auch nicht richtig, dann seine Meinung gewaltsam durchboxen zu wollen. Das stiftet auch Unruhe und ganz ehrlich manchmal ist es besser, man diskutiert nicht weiter und gibt nach, um für Harmonie zu sorgen. Das soll aber nicht heißen, gar nicht mehr zu diskutieren und zu streiten. Es gehört dazu, einfach weil es so viele unterschiedliche Meinungen gibt. Das ist gut so. Die Wirklichkeit ist auch komplex und eine wirkliche Wahrheit gibt es nicht.

Darum sollte auch jeder seine Meinung haben, aber eben auch gut begründen können und sie nicht als einzige Wahrheit deklarieren. Und wenn man merkt, dass man Unrecht hat, finde ich es besser, auch dazuzustehen und die Meinung auch zu ändern. Anderen Recht zu geben, ist nicht schlecht. Trotzdem sollte man sich auch treu bleiben und nicht einfach aus Bequemlichkeit sofort zu allem „Ja“ sagen.

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