Verliebtheit gehört für viele
einfach zur Beziehung dazu. Doch muss das immer sein oder klappt es
auch ohne die rosarote Brille?
Vor einiger Zeit habe ich mich mit
einer Freundin unterhalten, die einen Freund gefunden hat. Sie
erzählte mir, dass sie nicht in ihn verliebt sei und trotzdem mit
ihm zusammen ist. Für sie sei es einfacher, ohne diese rosarote
Brille, die eigentlich nur eine Illusion und Falle ist. Eine
Beziehung ohne Verliebtheit bewahrt sie vor Enttäuschungen.
Zuerst war ich darüber wirklich
erstaunt und verwirrt. Kann denn das funktionieren? Für mich
undenkbar. Verliebtheit steht an erster Stelle, daran habe ich immer
geglaubt. Wenn es sie nicht gibt, dann kommt es eben nicht zu einer
Beziehung. Das ist, denke ich, die gängige Meinung vieler. Doch muss
das wirklich sein? Und ist das auch wirklich gut?
Auf der Suche nach der wahren Liebe
Wir kriegen es ja durch Medien,
Filme und Bücher immer wieder eingetrichtert: Es muss die große
Liebe sein. Zwei, die sich gesucht und gefunden haben. Zwei Menschen
kommen zusammen, die einfach füreinander geschaffen sind. Schon
klar, in der Realität sieht das anders aus. Und trotzdem hängen wir
dem Ideal hinterher. Warum sonst boomen die ganzen
Partnerschaftsbörsen im Internet? Weil alle auf der Suche nach dem
Richtigen oder der Richtigen sind. Doch eigentlich gibt es nicht den
perfekten Partner. Menschen können mit unterschiedlichen Partnern.
Es gibt welche, die geeigneter sind als andere.
Weil wir den perfekten Partner
suchen, stellen wir hohe Anforderungen. Wir geben uns nicht mit jedem
zufrieden. Es muss halt richtig gut passen. Dabei entgeht uns aber
vielleicht doch der eine oder andere geeignete Partner, eben weil wir
so auf Perfektion getrimmt sind.
Oder wir sehnen uns nach
Verliebtheit. Ich spreche aus eigener Erfahrung. In meiner Jugend war
ich immerzu verliebt, wobei, es war wohl eher verknallt sein. Meine
Liebesopfer waren Jungs, die ich kaum oder gar nicht kannte. Ganz
ehrlich: Ich weiß nicht,was damals in mich gefahren ist. Als
schüchternes Mädchen hatte ich es nicht leicht, Jungs
kennenzulernen. Darum schmachtete ich sie immer von weitem an, ohne
sie kennenzulernen. Hin und wieder konnte ich mich überwinden. Aber
dann eben die herbe Enttäuschung: Es passte einfach nicht. Meine
Verliebtheit war nichts anderes als eine Art Projektion meiner Ideale
und Wunschvorstellungen. Mit der Realität hatte das nichts zu tun.
Verliebt in die Liebe
Es gab auch mal Jungs, die sich für
mich interessierten. Das Problem dabei war meist, dass ich mich
weniger zu ihnen hingezogen fühlte. Ich frage mich sowieso, ob ich
mich in diejenigen verliebte, die für mich unerreichbar waren oder
die mir die kalte Schulter zeigten. Sobald sich jemand für mich
interessierte und mir das zeigte, ging ich in Abwehrhaltung. Ich
erinnere mich an einen Jungen, mit dem ich mich auch traf und mit dem
ich echt gut verstanden hatte. Ich wusste, dass er mich auf eine
bestimmte Art und Weise mochte und ich mochte ihn auch, aber eben
nicht so. Ich sah in ihm keinen potenziellen Liebespartner, sondern
mehr einen Kumpel. Forever Friendzone. Dabei wusste ich vom Verstand
her, dass wir bestimmt gut zusammen passen würden, weil wir uns so
ähnelten. Doch mein Gefühl sagte mir, dass es zwischen uns einfach
nicht funkt.
So ging es viele Jahre weiter. Bis
ich eben meinen heutigen Freund kennenlernte. Wohl gemerkt, mein
erster richtiger Freund, mit dem ich mittlerweile wirklich sehr lange
zusammen bin. Doch es hat von Anfang an gut funktioniert. Wir lernten
uns übers Internet kennen, waren gleich auf einer Wellenlänge. Die
Gemeinsamkeiten fanden wir schnell heraus und wir telefonierten und
trafen uns auch bald.
Währenddessen gab es meinerseits
aber auch immer Zweifel. So blöd wie es klingt: Als ich ein Foto von
ihm sah, war das erst mal doch etwas enttäuschend. Er entsprach
nicht meinen Vorstellungen. Ich bin in der Hinsicht doch etwas
oberflächlich, wie ich ja all die Jahre zuvor schon merkte. Das
Aussehen ist mir enorm wichtig. Zumindest, wenn es um das
Zusammenkommen geht. Nicht, dass mein Freund schlecht aussieht. Aber
in meinen Augen reichte das nicht und ich war mir deswegen nicht mehr
sicher, ob ich mit ihm zusammen kommen möchte oder nicht. Schon echt
dämlich.
Aber gleichermaßen spürte ich eine
gewisse Verliebtheit, wenn ich mich daran erinnerte wie er eben
charakterlich ist. Bevor ich sein Aussehen kannte, habe ich mich
bereits in seinen Charakter verliebt. Wobei auch das eigentlich eine
Illusion war. Denn damals kannten wir uns ja nur übers Internet,
hatten uns nicht mal persönlich getroffen, sondern erst als wir
zusammen waren. Insofern war es wohl doch nicht so einfach, wie
gedacht.
Aussehen oder Charakter?
Da er mich aber vom Äußeren her
nicht so ansprach, wie es sein sollte, war ich eben doch am Zweifeln.
Ich meine, es muss ja eine gewisse sexuelle Attraktivität da sein,
damit man eine Beziehung eingeht. Das unterscheidet ja die
Liebesbeziehung von anderen Beziehungen wie Freundschaften. Reine
Zuneigung allein reicht eben auch nicht.
Und doch zählte dann
glücklicherweise am Ende doch der Charakter für mich. Obwohl ich am
Schwanken war, entschied ich mich für ihn, weil wir einfach
zumindest über die Distanz sehr gut miteinander harmonierten. Es gab
zuvor keinen anderen Mann, bei dem ich mich so gehen lassen konnte
wie bei ihm. Es hat also doch sofort zwischen uns gefunkt und auch
als wir uns das erste Mal trafen, hat es sofort gepasst. Es war also
die richtige Entscheidung gewesen.
Doch zurück zum eigentlichen Thema:
Beziehung ohne Verliebtheit. Kann das gut gehen? Ich würde nicht
pauschal sagen, dass es nicht funktionieren kann. Für mich gehört
Verliebtheit schon dazu. Damit fällt es auf alle Fälle leichter,
eine Beziehung mit dem anderen einzugehen und das bindet beide in der
Anfangsphase mehr miteinander. Doch dann kommt die Beziehung ja in
die nächste Phase, in der die Verliebtheit sich aus dem Staub macht.
Plötzlich gibt es am anderen etwas zu meckern, man jammert und
ärgert sich. Die negativen Seiten kommen zum Vorschein bzw. man
hatte sie zuvor einfach wegen der rosaroten Brille übersehen oder in
einem anderen Licht betrachtet.
Wenn die rosarote Brille verblasst
So war es auch bei uns
gewesen.Nachdem wir nach kurzer Fernbeziehung zusammenzogen, stellte
sich bald der Alltag ein. Wir stritten uns mehr, ärgerten uns über
die Macken und Fehler des anderen. An Verliebtheit war nicht mehr zu
denken. Das war schon echt ernüchternd und eine herausfordernde Zeit
gewesen, die wir einigermaßen hinter uns gelassen haben.
Bei Beziehungen, in denen die
Verliebtheit nicht da ist, kann das logischerweise nicht passieren.
Man sieht den anderen schon von Anfang an realistischer und
nüchterner. Der Vorteil ist, zu wissen, woran man ist und man weiß
worauf man sich dabei einlässt. In einer Beziehung ist es ja so,
dass zuerst die Leidenschaft kommt, aus der sich dann mit der Zeit
eine freundschaftliche Liebe entwickelt. In einer vernünftigen
Beziehung, (ich nenne sie einfach mal so, weil die Gefühle erst mal
nicht im Vordergrund stehen), kann sich die freundschaftliche Liebe
leichter einstellen.
Dafür sollten sich aber die
romantischen Gefühle hoffentlich langsam entwickeln, sonst ist es
wirklich nur eine sehr nüchterne Beziehung. Eine Beziehung ohne
Gefühle kann ich mir gar nicht vorstellen, das wäre für mich auch
keine ordentliche. Das Schwierige ist eben, dass nicht vorauszusehen
ist, ob sich Gefühle entwickeln oder nicht. Entweder es passiert
oder nicht. Das hat auch mit Glück zu tun.
Beziehung ohne Leidenschaft
Bei der vernünftigen Beziehung ist
es aber so, dass die Leidenschaft nicht so wichtig ist. Es wird alles
berechenbarer und überschaubarer. Man stellt sich aufeinander ein,
verfolgt möglichst gemeinsame Ziele und Wünsche, teilt ähnliche
Werte und Vorlieben. Das finde ich ist auch überhaupt wichtig in
jeder Beziehung.
Andererseits würde mir in einer
rationalen Beziehung einfach etwas fehlen, nämlich diese Aufregung,
das Herzklopfen. Klar, das könnte irgendwann mal kommen. Aber
besonders am Anfang würde ich es sehr vermissen. Dieses Knistern und
Funkenspringen zwischen beiden Partnern, das macht für mich doch
eine Beziehung aus.
Man könnte die rationale Beziehung
auch als eine bezeichnen, die eben weiter ist als die romantische
Beziehung. Beide sind schon emotional weiter, vielleicht akzeptieren
beide auch eher die Macken und Schwächen des anderen, gehen damit
anders um. Da beide von Anfang an wissen, wie der andere so tickt,
gibt es vielleicht auch weniger Streitereien, weil keine überzogenen
Erwartungen gestellt werden.
Gründe um eine Beziehung einzugehen
Normalerweise gehen ja Leute, so
kennen es die meisten, eine Beziehung ein, wenn sie ineinander
verliebt sind. Zumindest dachte ich es immer so. Doch es gibt eben
auch noch viele andere Gründe. Es gibt Menschen, die nicht Single
sein wollen und es nicht ertragen können. Deswegen nehmen sie
einfach jemanden, um überhaupt wieder einen Partner zu haben. Und
schon sind sie wieder in einer Beziehung. Manchmal sehnen wir uns
einfach so nach einem Partner und würden einfach jeden nehmen, der
uns in die Arme läuft. Nur eben nicht einsam zu sein. Lieber zu
zweit allein, als einsam sein.
Dann gibt es Menschen, die lieben es
ständig verliebt zu sein. Sind sozusagen verliebt in die Liebe. Das
war bei mir auch immer der Fall. Dann gibt es wieder andere, die
vielleicht eine Familie gründen wollen. Und nehmen dann einfach
jemanden, der gut zu ihnen passt und gut für die Familie sorgen
würde. Es muss nicht immer Verliebtheit oder die große Liebe sein.
Manche finden einfach nur jemanden
attraktiv und gehen deswegen nur deswegen eine Beziehung ein oder
eben weil es gerade gut passt. Das wäre so das Gegenteil zu der
Vorstellung der großen wahren Liebe. Und manche beginnen eine
Beziehung, ohne jegliches sexuelles Interesse, in der Hoffnung, dass
sich so etwas und romantische Gefühle mit der Zeit selbst
entwickeln.
Es ist auch ein ständiges
Experimentieren und Probieren. Wahrscheinlich suchen auch viele gar
nicht nach der großen Liebe, sondern einfach nach jemandem, mit dem
sie gut harmonieren. Dann entstehen halt schneller Beziehungen, die
aber auch leichter in die Brüche gehen. Weil man dann schnell merkt,
dass es halt doch nicht gut funktioniert.
Verliebtheit ist doch eigentlich blöd
Für mich war damals entscheidend,
als ich mit meinem jetzigen Freund zusammen kam, dass wir auf einer
Wellenlänge sind und er mich so nimmt, wie ich bin. Ich hatte also
schon hohe Ansprüche, die aber glücklicherweise erfüllt worden
sind. Ich war nicht einfach so von Anfang an verliebt, wie bei den
vielen Jungs zuvor. Die Verliebtheit kam auch erst später, während
wir uns besser kennenlernten. Ich meine, dass es eine andere Art von
Verliebtheit war, da ich ihn ja kannte. Bei den anderen war es
einfach nur Blödsinn gewesen, das hatte wahrscheinlich nicht mal
etwas mit Verliebtheit zu tun gehabt.
Eigentlich ist Verliebtheit sehr
unsinnig, rational überhaupt nicht zu erklären. Warum wir uns
verlieben darüber können wir gar nicht entscheiden. Es passiert,
kommt und geht schneller, als wir denken. Schon irgendwie blöd, dass
wir darüber nicht bestimmen können. Insofern ist es doch eigentlich
dämlich, Verliebtheit als eine Art Bedingung für eine Beziehung zu
nehmen oder? Die Gefühle verschwinden sowieso und machen Platz für
die innige Liebe, die sich ja auch in einer rationalen Beziehung
entwickeln kann.
Wichtiger für den Anfang einer
Beziehung ist doch, dass man sich gut versteht, eine tiefe Zuneigung
zueinander verspürt und auf einer Wellenlänge ist. Die Verliebtheit
entscheidet vor allem nicht mal, ob eine Beziehung gelingt, denn sie
ist ja wieder schnell weg. Wichtiger ist dann, dass man sich ähnlich
entwickelt, gleiche Werte und Ziele hat und eben gut im Alltag
miteinander auskommt. Und das kann in einer rationalen Beziehung
genauso gut funktionieren.
Was meint ihr dazu? Was haltet ihr
von Beziehungen, die ohne Verliebtheit beginnen? Habt ihr damit schon
Erfahrungen gemacht? Wie findet ihr solche Beziehungen im Vergleich
zu den romantischen?
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