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Was hat mich geprägt?

Es sind nicht nur die guten, sondern auch die vermeintlich schlechten Erfahrungen im Leben, die mich geprägt und zu dem Menschen gemacht haben, der ich jetzt bin.

 

Vergangene Woche habe ich mich beruflich mit dem Thema „Sozialisation“ beschäftigt. Der lebenslange Prozess, bei dem man sich stetig mit seiner Umwelt auseinandersetzt, immer wieder neues lernt, Werte, Normen vermittelt bekommt und verinnerlicht. Es ist ein Prozess, bei dem man seine soziale Rolle neu definiert und schlussendlich auch sich immer wieder neu entdeckt.

Das gab mir den Anlass, mal über mein eigenes Leben nachzudenken und mich zu fragen: Was hat mich eigentlich am meisten geprägt? Was hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich jetzt bin.

Wo zieht man die Linie, schließlich prägen einen selbst die kleinsten Dinge. Ich möchte mich an der Stelle nur auf die wichtigsten Phasen, Menschen und Ereignisse beziehen.

Wie sehr die Herkunft und Familie prägt

Mich hat am meisten meine Andersartigkeit geprägt, auf die ich bereits letzte Woche intensiv eingegangen bin. Ich fühlte mich schon immer etwas fremd in der Gesellschaft und das auch heute noch.

Auch wenn ich es eigentlich am liebsten verdrängen würde, spielte meine vietnamesische Herkunft schon immer eine große Rolle. Ich bin in einer Familie mit interkulturellen Einflüssen aufgewachsen. Meine beiden Eltern sind bzw. waren vietnamesischer Herkunft. Ich habe in Vietnam eine große Familie mit so vielen Tanten, Onkel und Cousins und Cousinen, dass ich mich nicht mal an alle Namen erinnern kann. Mein leiblicher Vater ist früh gestorben, ich habe kaum eine Erinnerung an ihn und dachte, dass das für mein Leben keine Rolle spielen würde.

Die Therapie zeigte mir aber, dass dem nicht so ist: Selbst der Verlust eines Elternteils, an welches man sich kaum erinnert, prägt einen sehr. Wenn auch unbewusst.


Ich bin anders

Meine Herkunft prägt mein Aussehen und das allein hat einen großen Einfluss darauf, wie ich von anderen wahrgenommen werde, wie sie mich bewerten und wie sie mit mir umgehen. Und ganz sicher trägt die nicht-deutsche Herkunft einen wesentlichen Beitrag dazu bei, dass ich mich eben doch immer mal etwas anders und besonders sehe.

Meine interkulturellen Wurzeln haben mich auch schon immer beeinflusst und für ein Dilemma gesorgt. So richtig zugehörig zu einer Kultur habe ich mich nie empfunden. Da war immer irgendwie eine Zerrissenheit da. Ich wollte mich immer als deutsche Person sehen. Aber meine Herkunft, mein Aussehen und selbst meine Erziehung machten mir das immer schwer.

Meine Mutter hat schon immer die vietnamesischen Werte an mich weitergeben. Zu Hause sollte ich Vietnamesisch lernen und sprechen. Ich habe vor allem vietnamesisch gegessen und habe an Bräuchen wie das Anzünden der Räucherkerzen zu Todestagen mitgemacht.

Auf der anderen Seite bin ich in Deutschland geboren worden, aufgewachsen, zur Schule gegangen. Ich habe mich mit deutschen Kindern und Jugendlichen angefreundet. Mit vietnamesischen Menschen konnte ich wenig etwas anfangen.

Während andere vietnamesische Familien in Deutschland stetig Kontakt zu anderen suchten, war das bei meiner Mutter kaum der Fall. Auch sie fühlte sich den Deutschen zugehöriger, hatte keine vietnamesischen Freund*innen und arbeitete auch nicht in einem vietnamesischen Betrieb wie alle anderen. Somit hatte auch sie irgendwie eine Sonderstellung. Vielleicht ging es ihr ähnlich wie mir: Sie wusste nicht so wirklich, wo sie hingehörte.

Die Kindheit prägt bis ins Erwachsenenalter

Natürlich haben mich meine Eltern als Vorbilder sehr geprägt, Es war meine Mutter, zu der ich stetig aufsah. Ich bewunderte sie für ihre Stärke und ihren Ehrgeiz. Sie zeigte mir, dass man auch als alleinerziehende Mutter das Leben gut anpacken kann. Doch heute schaue ich auch mit etwas Mitleid auf sie, weil ich kaum glaube, dass sie so wirklich Freude in ihrem Leben hat.

Mein Stiefvater, den sie heiratete, hatte auch einen erheblichen Einfluss auf mich – aber sehr negativ. Ich wünschte mir manchmal, dass wir ihm nie begegnet wären. Dann hätte ich vielleicht weniger psychische Probleme gehabt. Ich werfe meiner Mutter keine Schuld vor, auch sie war ein Opfer und gefangen. Wir sind da beide durch schwere Zeiten durchgegangen. Noch heute denke ich mir, dass mein Stiefvater einen großen Teil der Schuld daran hat, dass ich so schüchtern und unsicher bin und so wenig Selbstwert habe. Er war es, der immer auf mir rumhackte und kaum einmal Wertschätzung zeigte. Und das war nur der Anfang. Das führte alles dazu, dass ich so unglücklich im Leben war und zunehmend auch depressiv wurde, mich selbst verletzte und an Selbstmord dachte.


Schule, Manga, Anime und Games

Die Schulzeit war ganz sicher eine wirklich sehr wichtige Zeit für mich, so wie es vielen anderen auch geht. Ich habe durchaus sehr viel gelernt und gelebt, Gutes wie auch schlechtes. Aber insgesamt würde ich die Zeit doch eher als positiv in Erinnerung behalten. Ich kann nicht mal sagen, ob mich die Lehrer*innen oder die Mitschüler*innen mehr beeinflusst haben. Ich schätze mal eher letztere. Mit den meisten Lehrer*innen kam ich einigermaßen klar, mit einigen mehr, mit anderen weniger. Aber das traf auch auf meine Mitschüler*innen zu. Doch mit diesen habe ich insgesamt viel mehr Zeit verbracht und auch Freundschaften zu ihnen geschlossen. Die Lehrer*innen erinnerten mich oftmals eher an meinen Stiefvater, weil sie so streng und kritisch waren, und eher weniger Lob übrig hatten. Ich fühlte mich in ihrer Gegenwart meist weniger verstanden, vor allem von einigen, die mit meiner ruhigen Art nicht so gut klarkamen.

Anime und Manga haben meine Kindheit und Jugend sehr bestimmt und das bis heute. Ich bin mit beiden aufgewachsen, sie haben mir vor allem viel Trost gegeben, wenn es mir nicht so gut ging. Realitätsflucht war damals für mich etwas rein positives, was ich brauchte, um die harten Zeiten irgendwie zu überstehen. Ich konnte immer in den Geschichten versinken, mir vorstellen, wie ein anderes Leben wäre, konnte meinen Alltag und all meine Sorgen einfach vergessen.

Genauso spielten auch Games eine sehr große Rolle für mich. Auch diese begleiten mich ein Leben lang, auch wenn ich heute nicht mehr so viel spiele wie damals. Beim Zocken konnte man teilweise noch besser die Realität ausblenden und sich komplett geistig fallen lassen.

Freundschaften sind das wichtigste

Natürlich haben auch meine Freund*innen einen großen Einfluss auf mich, ganz besonders denke ich an meinen besten Freund, mit dem ich die Schulzeit von der 1. Klasse bis zum Abi durchgestanden habe. Wir sind noch immer befreundet, auch wenn wir uns nicht mehr so oft sehen. Meine damals beste Freundin spielte eine große Rolle in meinem Leben. Sie war die erste, die mein wahres Potenzial erkannte, die mich quasi entdeckt hat. Es ist bis heute einer der schönsten Freundschaften gewesen, die ich je hatte und hat mir gezeigt, dass es wahre Freundschaft geben kann. Auch eine andere enge Freundin, die weiter weg wohnt, ist mir nach wie vor wichtig und war trotzdem immer an meiner Seite. Freundschaften sind für mich mit das wichtigste, ohne sie, würde es mit meinem Selbstwert auch anders stehen und ich wäre bei weitem nicht so glücklich wie jetzt. Die Studienzeit zeigte mir auch, dass Liebe Freundschaften niemals ersetzen wird, aber andersherum vielleicht schon eher. Wir brauchen schon mehr als nur einen Freund, um glücklich zu sein und der Partner kann halt eben nicht alles für einen sein. Meine Freund*innen haben mir so viel gegeben, standen mir in schweren Zeiten bei, waren für mich da.

Theaterspielen in der Schule hat wahnsinnig viel mit meinem Selbstbewusstsein gemacht. Das war das erste Mal, dass ich so richtig aus mir herauskam und über mich hinauswuchs. In Rollen zu schlüpfen, auf der Bühne zu stehen, Menschen zu begeistern – das hat mich echt weitergebracht und mich mit so viel Stolz erfüllt. Das war mit Abstand auch die schönste Zeit während der Schule.


Zweischneidiges Schwert

Die Reisen nach Vietnam waren für mich immer sehr spannend, weil ich dadurch meiner Herkunftskultur näher kommen konnte. Und doch waren es auch immer die Zeiten, in denen ich mich besonders fremd fühlte – fremder als in Deutschland. Sich nicht richtig mit den Verwandten zu verständigen, war schon hart. Eine Reise 2009 blieb mir besonders in Erinnerung. Das war damals, als ich noch viel Übergewicht hatte und dafür von den Verwandten quasi gemobbt wurde. Das war alles andere als schön und hat meinen Selbstwert schon gekränkt. Und gleichzeitig habt es mir enormen Schub gegeben, um endlich abzunehmen. Wenn das nicht gewesen wäre, würde ich vermutlich nicht so aussehen wie jetzt.

Neben dem Schauspielern hat mir das Abnehmen geholfen, mich mehr anzunehmen und mit mir selbst zufriedener zu sein. Außerdem habe ich gemerkt, dass ich selbst auch etwas bewirken kann. Das war quasi auch der erste Schritt in die Zielstrebigkeit und den Ehrgeiz. Erst seitdem habe ich diesen entwickelt. Vorher war ich wirklich einfach nur so faul. Kaum vorstellbar, dass ich früher einmal so ein Mensch gewesen bin.

Erste Liebe und Umzug

Meine erste Beziehung mit meiner Jugendliebe hat mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt und mir auch einen großen Selbstwert-Boost verpasst. Endlich war da ein Mensch, der mich so annahm und akzeptierte, wie ich bin. Ich machte meine ersten sexuellen Erfahrungen, die damals für mich unglaublich aufregend war. Die erste Verliebtheitsphase gekoppelt mit einer Fernbeziehung sorgten für ein ständiges emotionales Auf und Ab, aber ich habe es auch geliebt. Nur zu schade, dass unsere Beziehung quasi nach dem Zusammenzug immer weiter bergab ging.

Einen sehr großen Einschnitt in mein Leben stellte der Umzug nach Magdeburg 2012 dar. Das war für mich alles komplett neu. Ein neues Leben in einer neuen Stadt anfangen, sich an alles gewöhnen, neue Menschen kennenlernen, einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Rückblickend kann ich sagen, dass es die beste Entscheidung ever war. Auch wenn ich damals wirklich sehr mit mir gestruggelt habe. Nach dem Umzug und während des Studiums fiel ich in das zweite Tief meines Lebens. Ich fand einfach keinen Anschluss, verkroch mich immer mehr. Ich hatte nur meinen damaligen Freund. Das Studium machte Spaß, aber niemanden dort zu haben, deprimierte mich sehr.

Die große Transformation

Und dann kam 2015 endlich der große Wandel und quasi der Durchbruch für mich: Ich wusste, dass ich etwas ändern musste. Ich packte meinen Ehrgeiz, nahm mir Ziele vor, verließ mein Schneckenhaus und suchte nach Kontakten. Und ich fand endlich gute Freund*innen und konnte mich endlich in der mir sonst so fremden Stadt einleben. Es war eine Zeit der großen Transformation für mich. Und ich glaube die Zeit hat mich am meisten zu dem Menschen gemacht, der ich bin: ein Mensch, der sich ständig selbst optimieren muss.

Die Entdeckung von Sport als eine Leidenschaft hat auch viel mit mir gemacht. Ich bekam ein besseres Körpergefühl, fühlte mich besser, sportlich und fit. Das hat erheblich zu einem echt aktiven Leben beigetragen.


Moralisch verwerflich

Ich bin zwar nicht wirklich stolz darauf, aber irgendwie muss ich auch meine Tinderzeit mit erwähnen, in der ich auch viele neue sexuelle Erfahrungen sammeln konnte, die mich schon irgendwie weitergebracht haben. Vorher wusste ich nicht so wirklich, was ich wollte, war so jung und unerfahren. Aber dadurch konnte ich mich ein Stück weit schon ausleben und neue Dinge probieren.

Auch die Affäre, die ich dann leider einging, ist für mich heute etwas, die ich nicht bereue. Es war eine der wenigsten Zeiten, in denen ich mich so lebendig fühlte. Wenn die Affäre nicht gewesen wäre, hätte ich niemals für mich die Entscheidung getroffen, mich dann von meinem ersten Partner zu trennen. Sie hat mir gezeigt, wie Liebe auch sein kann und dass ich alles andere als glücklich in meiner Beziehung war.

Als ich mit Anfang 2020 anfing mit Swing tanzen, war das damals für mich eine große Leidenschaft, die ich endlich gefunden hatte. Noch heute tanze ich liebend gern. Das ist für mich der Sport, der sich nicht so anfühlt und der mir so viel Lebensfreude gibt.

Trennung und allein leben

Die Trennung von meinem Exmann war sicherlich auch eine der prägendsten Phasen in meinem Leben. Für mich bedeutete das ein Abschied von einem Lebensabschnitt und der Anfang eines neuen Lebens ohne den Menschen, der mich so viele Jahre begleitet hat.

Damit einher ging quasi auch ein weiteres Erwachsenwerden. Denn ich stand vorher nie auf eigenen Beinen, ich war ja von zu Hause direkt mit ihm zusammengezogen. Das war das erste Mal, dass ich für mich selbst verantwortlich war. Ich suchte mir eine eigene Wohnung und lebte ein ganzes Jahr komplett für mich allein. Das war für mich ein notwendige und sehr lehrreiche Zeit, in der ich viel reflektierte, mehr über mich erfuhr und für mich einfach war.

Neue Beziehung als Chance

Die Beziehung mit meinem aktuellen Partner hat mich von Anfang wirklich sehr positiv geprägt. Durch seinen Ehrgeiz habe ich angefangen, mehr Sport zu machen, mich noch gesünder zu ernähren. Ich wurde mit der Zeit fitter. Wir haben uns gegenseitig sehr motiviert und tun das nach wie vor. Das ist die Beziehung, nach der ich so lange gesucht hat. Eine Beziehung, bei der sich beide gegenseitig in ihrer Entwicklung unterstützen. Wir haben so viel zusammen erlebt und gemacht, haben auch viele Höhen und Tiefen erlebt und überstanden. Wir haben viel sexuell neues ausprobiert, sind auch emotional an unsere Grenzen gekommen, haben ein offenes Beziehungsmodell gelebt. Ich bin wirklich immer wieder aufs Neue dankbar, dass ich ihn habe und er in mein Leben gekommen ist.


Ehrenamt und Jobs

Dass ich mich all die Jahre ehrenamtlich betätigt habe, hat mich in meiner Selbstwirksamkeit und auch auf der Suche nach Sinn immer wieder gestärkt. Ich habe mithilfe der verschiedenen Ehrenämter gelernt, dass ich etwas in der Welt erreichen kann, dass ich anderen Menschen helfen und glücklicher machen kann. Das zu erkennen, dass das mein Weg ist, hat mir bei meiner Lebenssinnsuche echt geholfen.

Auch mein erster Job sowie mein aktueller haben einen großen Einfluss auf mich gehabt. Die Erfahrungen, die ich gemacht habe, nehme ich mit. Ganz besonders die, die ich in meinem jetzigen Job immer wieder mache. Ich habe so vieles Neues gelernt, so viel erlebt und erfahren, so viele neue Menschen kennengelernt. Ich bin immer wieder dankbar, dass ich diesen Job habe und da trotz aller anfänglicher Bedenken über mich hinausgewachsen bin.

Und schlussendlich prägt mich die Therapie, in der ich mich befinde, am meisten. Da wird so vieles aus meiner Vergangenheit hervorgeholt und bearbeitet, dass ich immer wieder neues über mich erfahre, mich immer besser verstehe und eine andere Perspektive auf alles gewinne. Das ist ein Prozess, der so schnell nicht enden wird.

Abschließend lässt sich sagen, dass es sowohl positive wie auch negative Dinge in meinem Leben gab, die mich geprägt haben. Auch wenn ich schwere Zeiten durchgemacht habe, bin ich auch irgendwie dankbar dafür. Am Ende hatte doch alles irgendwie einen Sinn, den man aber später erkennen kann. Das sind alles Dinge gewesen, die mich eben zu dem Menschen gemacht haben, der ich bin.

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