Religionen spielen immer weniger eine Rolle in unserem Alltag. Oder kann Religion und Glaube heute auch noch nützlich sein?
Künstliche Intelligenzen und
Maschinen nehmen eine immer größere Rolle in unserem Teil ein.
Inzwischen sprechen wir sogar mit künstlichen Assistenten wie Alexa
und Siri. Verschwimmen die Grenzen zwischen Maschine und Menschen
immer mehr? Und was hat Glaube damit zu tun?
Ich war diese Woche bei einem
Industriedesigner in Halle. Er hat sich in seiner Abschlussarbeit an
der Hochschule mit Digitaler Kunst befasst. Der Künstler hat einen
Algorithmus entwickelt, der anhand vorhandener Merkmale von
verschiedenen Religionen eine neue Religion erschafft, an die der
Computer glaubt. So etwas soll gehen? Das klingt total verrückt. Und
auch jetzt finde ich die Idee und dass es sich tatsächlich umsetzen
lässt total unglaublich.
Ein Computer, der an etwas glauben
und beten kann. Das klingt wie aus einer Science-Fiction-Geschichte.
Denn Glaube und Religion sind Dinge, die wir eigentlich nur uns
Menschen zuschreiben würden. Tiere oder andere Lebewesen wären
nicht dazu in der Lage. Und doch könnte es in Zukunft möglich sein,
dass von Menschen geschaffene Objekte wie Maschinen fähig sind, an
etwas zu glauben.
Nun möchte ich diesen Aufhänger
verwenden, um über Religion zu reflektieren. Welche Rolle spielte
Religion in der Geschichte der Menschheit? Und wie wichtig ist sie
nun für unsere heutige Welt?
Religion hatte früher einen sehr
großen Stellenwert in unserer Geschichte. Sie erfüllte verschiedene
Funktionen. Zum einen gab sie den menschen Orientierung. Früher
konnte man sich vieles nicht erklären, alles war geheimnisvoll und
nicht verständlich. Religion ermöglichte den Menschen aber
bestimmte Erklärungen auf Sinnfragen wie Woher komme ich?, Wozu bin
ich hier? Wohin gehe ich? Sie gab dem Menschen einen Lebenssinn.
Religion erklärte auch Naturkatastrophen und Ereignisse in der Welt,
erklärte, wie die Welt entstand und wie der Mensch geschaffen wurde
und warum die Welt so ist wie sie ist.
Sie hatte auch einen
gesellschaftliche Funktion. Sie teilte die Menschen in bestimmte
Klassen ein, die gesellschaftliche Ordnung war gottgegeben. Man wurde
in eine Klasse und in eine bestimmte soziale Position hineingeboren
und musste dieses Schicksal akzeptieren. Sich daraus zu befreien,
aufzusteigen oder abzusteigen war nicht möglich. Das mag aus
heutiger Sicht komisch und verrückt klingen, aber damals war das so.
Das half den Menschen zu wissen, wo sie im Leben standen. Außerdem
hat Religion die Menschen zusammengebracht. Alle habe an dasselbe
geglaubt, hatten die gleiche Vorstellung von der Welt, dem Himmel,
der Hölle usw. Zusammen zu beten, in die Kirche zu gehen und nach
den gleichen Regeln zu leben hat gewissermaßen auch die Gemeinschaft
gestärkt.
Religionen haben auch immer eine
ethische Funktion. Sie teilen uns mit, was wir tun sollen und dürfen
und was verboten ist. Sie lenkten das Verhalten der Menschen, die
versuchten nach den Regeln, Dogmen und Vorstellungen zu leben. Tue
nur Gutes, dann kommst du in den Himmel. Tue Schlechtes und du
landest in der Hölle. Religion kontrolliert das Denken und Handeln
der Zugehörigen. Sie gibt vor, welche Werte gelebt werden sollen wie
beispielsweise Nächstenliebe und Demut. Denken wir an die zehn
Todsünden, nach denen wir beispielsweise nicht töten und stehlen
sollen.
Religion hatte auch Auswirkungen auf
die Psyche der Menschen. Die Angst vor dem Tod und was danach
passiert, wurde genommen, indem die Bilder vom Himmel und der Hölle
vermittelt wurden. Die Unwissenheit verschwand, die Menschen wussten,
woran sie glauben konnten und was auf sie zukommt. Ängste konnten
dadurch leichter bewältigt werden. Wenn eine Krise zu überstehen
war, beteten die Menschen, meditierten, um zur Ruhe zu kommen und
sich zu besänftigen. Der Glaube an Gott gab ihnen innere Stärke und
Durchhaltevermögen, um selbst die größten Leiden zu überstehen.
Nicht umsonst heißt es ja: „Der Glaube versetzt Berge.“ Es gab
einen Sinn im Leben und dieser Sinn half über alle Sorgen, Nöte und
Krisen hinweg. Wenn Menschen Kummer hatten, weil ihnen schlechtes
widerfahren ist oder sie sogar selbst schlechtes taten, konnten sie
immer zu Kirchenvertreter gehen. Dort erhielten sie Seelsorge und
konnten beichten, um ihr Gewissen zu reinigen.
Das sind einige Funktionen, die
Religion damals und auch heute noch für gläubige Menschen erfüllen.
Sie zeigen, wie wichtig Religion damals war. Doch wie sieht es heute
aus? Es ist bekannt, dass immer weniger Menschen in der modernen Welt
an etwas glauben und einer Religion zugehörig sind. Vor allem in den
Industrieländern. Warum ist das so? Ich denke, dass viel mit der
Entwicklung der Menschheit, unserer Gesellschaft und der Wissenschaft
zu tun hat. Wie schon erwähnt, konnten wir uns vieles nicht
erklären. Es gab einfach zu viele weiße Stellen auf der Landkarte
der Welt und des Lebens. Religion half, diese Leerstellen mit Inhalt
zu füllen. Die Welt wurde erklärbarer.
Doch heutzutage haben die Menschen
die Welt intensiv ergründet und erforscht. Wir wissen viel mehr als
damals. Naturwissenschaften und Wissenschaften im Allgemeinen halfen
uns, die Welt besser zu verstehen. Sie verdrängten zunehmend den
Glauben an Religionen. Mittlerweile wissen wir genau, wie das
Universum entstand, dass die Erde keine Scheibe ist und der Mensch
nicht von Gott geschaffen wurde sondern ein Produkt der Evolution
ist. Wir haben einen rationalen Blick, wir wissen mehr und müssen
weniger glauben.
Glaube – das ist das Schlüsselwort
für Religion. Damals wussten die Menschen nicht so viel, sie mussten
an etwas glauben. Sie konnten nicht sicher sein, ob es stimmt, aber
sie nahmen es an ud zweifelten nicht an dem, was die Religion
vermittelte. Ich glaube an etwas, wenn ich mir nicht sicher bin. Das
Wissen fehlt mir, ich kann es nicht beweisen, aber ich hoffe daraus,
dass es stimmt oder wahr wird. „Ich glaube daran“ kann man mit
Hoffnung verbinden. Besonders in schweren Zeiten wollen wir den
Glauben nicht verlieren, dass das Leben wieder besser wird. Ich
denke, dass der Glaube immer mehr von all dem Wissen, was wir haben
verdrängt wurde. Aber es gibt für mich noch weitere Gründe.
Die Funktion der Religion
Geschichte, Natur und andere Dinge im Leben zu erklären, wurde durch
die Wissenschaften verdrängt. Aber vor allem auch dadurch, dass
Menschen immer reflexiver werden, und nun mehr ihren eigenen Verstand
nehmen. Damals haben die Leute nur geglaubt, aber nie an ihrer
Religion gezweifelt. Die meisten hatten auch nicht genug Bildung und
waren nicht intelligent genug. Sie hatten auch keine Zeit, um mal
Kritik auszuüben und über alles nachzudenken. Religion machte es
ihnen einfach, nicht nachzudenken, sondern einfach alles
nachzumachen. Insofern machte Religion das Leben einfacher. Man
musste ja nicht nachdenken.
„Habe Mut, dich deines Verstandes
zu bedienen!“ Das forderte der berühmte Philosoph und Denker
Immanuel Kant. Denn davor war es wohl so, dass die meisten zu doof
oder einfach nur zu faul waren, ihren Kopf anzustrengen. Religion
machte sie blind und taub. Sie glaubten so sehr daran, dass sie es
für wahr hielten und nicht mal selbst über alles nachdachten. Bis
eben auf einige wenige Denker und Forscher, ohne die die Welt nicht
so wäre, wie sie heute ist.
Religion schweißte die Menschen
damals zusammen. Heute wird gesagt, dass wir uns immer mehr
vereinzeln, jeder mehr auf sich bedacht ist und nicht an die
Gesellschaft denkt. Jeder ist mit sich und seinem Leben beschäftigt.
Angeblich vereinsamen die Menschen und Gruppen, Gemeinschaften und
Familien verlieren an Bedeutung. Ist das so? Ich gebe zu, dass
Gruppen immer loser werden, vielleicht tatsächlich nicht mehr so
stark zusammenhalten. Aber Gemeinschaft und die Beziehung zu anderen
ist nach wie vor wichtig. Nur brauchen wir nicht Teil einer Religion
zu sein, um einen Platz in der Gesellschaft zu bekommen.
Wir brauchen nicht die Religion, um
einen Lebenssinn zu finden. Das ist das Schöne. Inzwischen können
wir den Sinn selbst finden und unser Leben so gestalten wie wir
wollen. Wir haben so viel Freiheiten gewonnen, die es damals noch
nicht gab. Keine Religion schreibt uns mehr vor, was wir zu tun und
zu lassen haben. Wir sind Herr über uns und unser Leben. Wobei
natürlich Gesetze und gewisse Regeln der Gesellschaft uns dennoch
kontrollieren und Einhalt gebieten. Wir dürfen nicht alles und
können eben auch für Fehltaten bestraft werden. Und dennoch
genießen wir viele Freiheiten, aber müssen auch viel Verantwortung
tragen.
Wenn wir psychische Hilfe brauchen,
dann müssen wir nicht zur Seelsorge. Wir können mit unseren
Mitmenschen sprechen und notfalls auch mit Therapeuten und
Psychologen. Sie treten an die Stelle der Religion.
Wir brauchen Religion auch nicht
unbedingt, um Krisen zu überwinden. Es reicht, an sich selbst zu
glauben. Wir haben Familie, Freunde und Partner, die uns in schweren
Krisen beistehen. Ich komme zu dem Schluss, dass durch den Wegfall
der Religion vieles an uns hängen geblieben ist. Wir sind
selbstständiger geworden, sind nicht von Religion mehr abhängig,
sondern nehmen unser Leben in die eigene Hand. Wir entscheiden, woran
wir glauben. Jeder kann sich seinen Glauben aussuchen, wir werden
nicht mehr in die Welt geboren und müssen eine bestimmte Rolle
spielen.
Brauchen wir also noch Religion?
Das muss jeder für sich selbst
entscheiden. Es gibt noch immer Menschen, die an etwas glauben und
einer Religion angehören. Das können sie auch tun. Religion kann
für sie noch immer die gleichen oder andere Funktionen erfüllen.
Doch für Menschen wie mich spielt Religion keine große Rolle. Die
meisten der Religionen fühlen sich für mich eher an wie Korsetts.
Sie schreiben mir zu viel vor, woran ich glauben und wie ich handeln
soll. Das würde meine Freiheiten zu sehr einschränken.
Dagegen empfinde ich östliche und
asiatische Religionen wie den Buddhismus sehr anziehend, weil sie
nicht einen bestimmten Gott vorschreiben, an den wir glauben sollen.
Solche Religionen sind toleranter und geben uns nur gewisse
Ratschläge gepaart mit philosophischen Gedanken. Solche Religionen,
die viel Spielraum lassen und zum Nachdenken anregen, finde ich
besser als solche, denen man nur blind folgen muss.
Wenn ich schon an etwas glaube,
entscheide ich selbst woran. Bisher ist es so, dass mich keine
Religion wirklich angesprochen hat außer der Buddhismus. Ich möchte
dennoch frei sein und mir am liebsten aus Religionen nur das
aussuchen, was mir auch gefällt. Ich glaube so geht es vielen, die
sich nicht festlegen wollen. Nicht einfach nur eine Religion wählen,
sondern sich seinen eigenen Glauben schaffen, indem Elemente
verschiedener Religionen kombiniert werden.
Ist das denn eigentlich zulässig?
Ich finde, dass jeder frei entscheiden kann, ob er das macht und wie
er das macht. Es gibt Menschen, die heutzutage nicht an Gott oder
bestimmte traditionelle Dinge glaubt, sondern an ganz moderne Sachen
wie das Internet oder die Marke Apple. Sie verehren vielleicht auch
bestimmte Persönlichkeiten wie Steve Jobs oder Ernährungstrends wie
Veganismus oder anderes. Das ist für sie die moderne Religion
geworden.
Ich finde das gar nicht mal so
abwegig. Manchmal denke ich mir auch, dass meine vegane
Ernährungsweise und mein Streben nach Nachhaltigkeit tatsächlich
wie eine Art Religion sind. Sie erfüllen zumindest einige Faktoren.
Sie geben mir Orientierung in der Welt, Regeln, nach denen ich lebe.
Und sie geben mir auch einen Sinn: Ich möchte damit etwas Gutes zur
Welt beitragen. Ich glaube daran, nein, ich weiß, dass ich mit einer
veganen und nachhaltigen Lebensweise die Welt verbessern kann und
mich damit auch ein Stück weit zum Guten verändere.
Dahinter steckt die Vorstellung,
dass wir eigentlich eins sind mit der Natur, mit den Tieren und
Pflanzen und dem Universum sind. Wir habe alle den gleichen Ursprung,
wir sind alle Lebewesen. Ich glaube auch, dass wir die Welt besser
behandeln sollen, sie hat uns das Leben geschenkt, wir sind nur hier
auf Miete und irgendwann müssen wir gehen und alles wieder
zurückgeben. Ich glaube auch gewissermaßen an so etwas wie Karma.
Wenn wir immer nur etwas Schlechtes tun, dann hat das auch auf uns
Auswirkungen und vor allem auf die Welt. Das Karma rächt sich
vielleicht nicht direkt an uns, aber an unsere Nachfolger und Kinder,
die dann den Mist ausbaden müssen, den wir verzapft haben.
Ich glaube nicht an so etwas wie
einen Gott. Aber ich schließe beispielsweise nicht aus, dass einen
Gott geben könnte. Insofern bin ich vielleicht so etwas wie eine
Agnostikern, die nicht sicher ist, ob es einen Gott gibt oder nicht.
Aber ich glaube an höhere Mächte in der Welt, an den Urfluss des
Lebens, aus dem wir und alles andere, was lebendig ist entspringt. Am
Ende gehen wir dorthin zurück. Wir sind auch nur einfach Leben, was
materiell geworden ist. Das ist ein ewiger Kreislauf, der so lange
weitergeht, wie es auch Leben auf der Welt gibt.
Ich habe im Zuge meiner Recherchen
auch erfahren, dass eine Art Religion gibt, die Künstliche
Intelligenz verehrt. Das fand ich faszinierend. Dabei war auch die
Rede davon, dass die Kontrolle über die Welt nicht mehr dem Menschen
gehört, sondern den Robotern und Künstlichen Intelligenzen. Und ich
muss sagen: Die Idee gefällt mir. Natürlich will ich nicht
unbedingt Sklave von Maschinen werden. Aber wenn Maschinen so viel
klüger sind als Menschen und nur das Beste anstreben, dann würden
sie bestimmt nicht zulassen, die Welt zu zerstören. Sie wüssten,
dass es unsere Lebensgrundlage ist und würden sich nicht selbst
zerstören wollen. Anders als der ach so vernünftige und rationale
Mensch, der aber fehlbar ist. In den Augen von Maschinen ist er ein
Fehler anfällig für Emotionen und Verlangen.
Schlussendlich will ich sagen, dass
ich Religionen für nützlich halte und sie niemanden ausreden
möchte. Jeder soll das glauben, was er will. Aber ich denke, dass es
vor allem wichtig ist, seinen eigenen Verstand zu nehmen und eigene
Glaubenssätze und Dinge, die man für absolut wahr häl,t immer
wieder zu hinterfragen. Ich bin eher für ein bewusstes Leben und
möchte selbst darüber entscheiden und mich nicht von einer Religion
abhängig machen. Ich würde mich von Religionen inspirieren lassen,
aber würde niemals dogmatisch einer folgen. Dafür gibt es genug
andere Dinge, an die ich glaube, allen voran an mich selbst.
Was meint ihr dazu? Findet ihr
Religion wichtig? Glaubt ihr an etwas? Was meint ihr zu meinen
Aussagen?
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