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Immer diese Heulerei



Ich gebe es zu. Ich weine wegen jedem Mist. Wegen jeder noch so kleinen Kleinigkeit. Ich bin eine Heulsuse. Und das ist gut so.


Warum ich das heute mit euch teilen will? Ich würde gerne wissen, ob es nur mir so geht. Ich bin eigentlich schon immer eine Heulsuse gewesen. Von klein auf. Meine Mum weint auch wegen jedem Scheiß. Vielleicht habe ich das ja von ihr geerbt, falls das überhaupt geht.

Neulich ist es mir wieder passiert. Wobei es gar nicht so oft passiert. Vielleicht weine ich nur etwas öfter und etwas schneller als andere. Ich bin einfach nah am Wasser gebaut. Doch neulich war mir das doch etwas peinlich.

Es war auf Arbeit. Ich arbeite ja bei einer Tageszeitung, mache eine Art Ausbildung, was Volontariat heißt. Ich habe einen Text über einen Künstler geschrieben. E sollte eine Art Porträt werden, also eher um ihn als um seine Arbeit gehen. Aber irgendwie ist mir das nicht so ganz bewusst gewesen, bis ich dann ordentlich von einem älteren Kollegen zusammen gestaucht wurde: „Das ist doch alles viel zu technisch. Versteht ja niemand. Du schreibst so gut wie nichts über den Künstler. Das kommt alles erst zum Schluss, viel zu spät...!“ Und so ging das endlos weiter. Er hat sich richtig empört, fast in Rage gesprochen. Er war richtig unzufrieden mit meinem Text. Wollte am liebsten alles umkrempeln und umschreiben. Er wollte den Text ganz anders haben, verlangte von mir ihn umzuschreiben.

Das war schon mal ein derber Schlag für mich. Ich komme mit Kritik nicht gut klar. Ich weiß, es gehört dazu, wenn man lernt. Man muss damit umgehen können. Es war ja nicht mal böse gemeint. Ich weiß, dass jeder Fehler macht und man eben daraus lernt. Aber ich nehme Kritik immer so persönlich. Es fühlt sich an, als wäre ich eine Versagerin. Als wenn ich nichts auf die Reihe kriege. Ich hasse dieses Gefühl. Ich weiß, es ist nichts gegen mich, nicht mal so sehr gegen meine Fähigkeiten, es ging nur um den Text. Derselbe Kollege hatte mich die Woche davor noch so sehr für einen anderen Text gelobt. Es tut weh, wenn man seine Mitmenschen enttäuscht. Sie erwarten etwas von einem und dann erfüllt man diese Erwartungen nicht.

Ich merkte, dass mir während er mich kritisierte, die Augen feucht wurden. Das passiert mir irgendwie immer, wenn ich Kritik und böse Worte bekomme. Ich weiß, nicht wieso. Ich fühlte mich an den Pranger gestellt, weil um uns herum alle anderen Kollegen mithören konnten. Alle anderen kriegten meinen Fehler, mein Versagen mit. Es war mir so peinlich, ich schämte mich zutiefst. Wahrscheinlich auch ein Grund, weswegen sich meine Augen mit Tränen füllten.

Das kam alles zusammen. Ich fühlte mich angegriffen, verletzt. Kritik tut immer weh, egal ob es um einen als Person geht oder die eigenen Fähigkeiten. Es tat weh, jemanden zu enttäuschen. Es tat weh, Fehler aufgezeigt zu bekommen. Ich wurde verbal angegriffen. Und dann wurden meine Fehler auch noch öffentlich gemacht. Scham kam eben noch dazu. Das alles führte dazu, dass meine Augen feucht wurden. Ich kämpfte mit den Tränen.

Glücklicherweise brach ich nicht sofort in Tränen aus. Ich konnte es irgendwie unterdrücken, wimmerte innerlich vor mich hin. Ich versuchte das eine Weile lang, während ich an meinem Text herum dokterte. Doch ich merkte, wie die Gefühle immer wieder hochkochten. Dann ging ich auf Toilette und alles nahm seinen Lauf. Ich schniefte vor mich hin, wimmerte, schluchzte und weinte bis nichts mehr ging. Ich bereute es direkt danach. Denn meine rote Nase und meine roten Augen verrieten mich. „Oh Gott, hoffentlich schaut mich niemand an.“ Ich wollte unsichtbar werden. Es war noch peinlicher, wenn mich danach jemand. Jeder hätte gewusst, was passiert ist. Und dann hätten sie Fragen gestellt. Das wäre mir unangenehm gewesen. Aber ich musste einfach weinen und alles, was in mir war, herauslassen. Sonst hätte ich es nur in mich hineingefressen, es hätte gestört und wäre immer wieder hochgekocht. So löste sich meine innere Anspannung. Gleichzeitig war ich unzufrieden mit mir. Dass ich einfach meine Gefühle nicht unter Kontrolle habe und das alles nicht so leicht wegstecken kann.

Das Blöde ist ja, dass mir das immer wieder passiert. Wenn ich so zurückdenke, gab es immer wieder Situationen in denen ich angefangen habe zu weinen und es nicht einmal unterdrücken konnte. Zeit mal meine Heulerei zu untersuchen und die Gründe dahinter zu finden. Denn es gab viele Situationen, die mich zum Weinen brachten. Wirklich sehr unterschiedliche und banale Gründe.

In der Schule weinte ich, weil mich ein Klassenkamerad ärgerte. Ich fühlte mich so verletzt und so erniedrigt, wahrscheinlich war ich auch sauer.

Ich erinnere mich auch an Situationen aus dem Sport. Einmal bekam ich beim Volleyball den Ball richtig ins Gesicht geschmettert. Es tat echt weh, ich ging auf Toilette um mich auszuruhen und musste weinen. War es der Schmerz oder einfach das Gefühl, versagt zu haben? Weil ich dem Ball nicht ausweichen konnte? Oder vielleicht der Schock? Oder als ich, da ich echt nicht gut im Sport bin, ständig den Ball nicht fangen konnte und dann die Enttäuschung der anderen merkte. Als sich das häufte, musste ich wieder weinen. Auch wieder das Gefühl versagt zu haben, von anderen abgelehnt zu werden.

Ich weinte auch, weil ich einfach unbeliebt in der Schule war, keine wirklichen Freunde hatte. Ich war einsam und versuchte mit dem Weinen diese auszugleichen oder eben zu verdrängen.

Ich weinte ganz besonders viel, weil ich damals in ein tiefes Loch fiel. Ich litt unter einer Depression, war so fertig mit der Welt. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, alles zu beenden so unglücklich war ich. Es kam soviel zusammen: Einsamkeit, Wut, Trauer, Verzweiflung, Selbstmitleid, fehlendes Selbstvertrauen, Versagen. Ganz oft weinte ich, weil ich auch unzufrieden mit mir selbst war und wie mein Leben verlief. Ich war so schüchtern, fand keinen Zugang zu der Welt. Ich war orientierungslos, so wie es vielen Jugendlichen in der Phase geht. Ich hatte keinen Platz in der Welt und fühlte mich ungeliebt.

Ich weinte sehr oft wegen meinem Stiefvater, der ständig betrunken war und sich mit mir und meiner Mutter stritt. Ganz schlimm fand ich es, wenn die beiden sich verbal fertig machten. Es machte mich unendlich traurig und verletzte mich. Ich weinte, weil unsere Familie einfach so verkorkst war.

Irgendwann kamen dann bessere Zeiten, in denen ich nicht mehr so oft weinen musste. Dann kam mein Freund und ich lernte wieder ganz andere Seiten meiner Heulerei kennen. Wenn wir zusammen Karten spielten und ich verlor, wurde ich so sauer und angepisst, dass ich auch da wieder heulen musste. Es war unglaublich dämlich und im nachhinein bereue ich es sehr. Wie kann man sich wegen einem Spiel nur so ärgern? Und dann auch noch die eigene Beziehung so belasten?

Man kann auch aus Wut und Unzufriedenheit weinen. Das merkte ich immer wieder. Immer wenn ich gegen meinen Freund im Spiel verlor oder auch beim Spielen selbst. Wenn ich immer wieder scheiterte, staute sich in mir so viel Aggression und Wut, dass ich anfing zu weinen. Wahrscheinlich war das meine Art und Weise mit diesen Aggressionen klar zu kommen. Ich merke, Weinen passiert vor allem dann, wenn heftige Gefühle in einem brodeln und sie raus wollen.

Ich weine eben aber auch besonders oft, wenn ich kritisiert werde, wie auch anfangs erzählt. Einmal weinte ich während des Studiums. Ich besprach mit einer Dozentin eine Hausarbeit, die sie mir zurückgeben wollte, damit ich sie besser mache. Ich hätte eine schlechte Note bekommen, aber sie wollte mir eine zweite Chance geben. Wir besprachen, was nicht so gut in der Arbeit lief und irgendwie war ich wohl doch so verletzt und enttäuscht, dass ich dann weinen musste. Ich konnte nichts dagegen tun. Es war die Kritik, das Gefühl des Versagens, was mich heulen ließ.

Und dann hatte ich ja noch letztes Jahr einen Autounfall. Nachdem es passierte,bin ich sofort in Tränen ausgebrochen. Ich weiß nicht wieso. Es war einfach eine schreckliche Situation, der Schock saß tief. Ich hatte wahrscheinlich mit einem riesigen Schreck und einer Todesangst zu kämpfen. Es war eine Schockreaktion und ich konnte es einfach nicht fassen. Ich kann ehrlich gesagt gar nicht beschreiben und erklären wie es passiert und warum. Ich weiß nur, dass das Weinen wie eine Art Reaktion auf den Unfall war.

Ich weine aber auch wegen anderer harmlosen Dinge. Wenn ich Serien oder Filme schaue oder irgendetwas sehe, was mich so innerlich berührt, fange ich an zu weinen. Besonders bei schönen aber eben auch traurigen Szenen. Ich versetze mich so sehr in die Szene hinein, als wäre ich direkt dabei. Ich identifiziere mich mit dem, was ich sehe und spüre dann die gleichen Emotionen. Sehr oft musste ich weinen und mein Freund ärgerte mich dafür, dass ich so nah am Wasser gebaut bin.

Auch im echten Leben fühle ich sehr mit meinen Mitmenschen. Sobald ich jemanden weinen sehe, fühle ich den gleichen Schmerz und muss einfach mitmachen. Es nimmt mich so sehr mit, jemanden so leiden zu sehen. Ich kann mich so gut in die andere Person hineinversetzen und empfinde dasselbe.

Streitigkeiten kann ich nicht leiden, ich hasse das total. Besonders mit meinem Freund und engen Freunden. Wenn ich da mit jemanden aneinander gerate, fange ich auch schnell an zu weinen. Wenn eine Beziehung nicht so gut läuft, ich merke, dass ich mich mit einer engen Person nicht verstehe. Das tut mir im Herzen weh. Ich bin so harmoniebedürftig und auch so wahnsinnig anhänglich. Ich habe Angst, den anderen zu verlieren. Aus dieser Verlustangst und dem Schmerz, der sich wie körperlicher Schmerz anfühlt, weine ich.

Auch wenn es mir mental einfach nicht gut geht, ich mit einer Sache, einer Situation oder einem Problem nicht umgehen kann und einfach überfordert bin – dann weine ich einfach. Um dem Druck zu entgehen, um mich wieder zu entspannen. Danach geht es mir meistens doch besser.

Wenn das Leben nicht so läuft, wie ich es gerne hätte, wenn ich Fehler begangen habe, wenn ich etwas bereue, wenn ich nicht das bekomme, was ich will – dann weine ich. Ich weine auch, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle, wenn ich mich vernachlässigt fühle.

Selten weine ich mal, wenn es mir körperlich nicht geht. Aber ich erinnere mich an das eine Mal, als ich wahnsinnige Schmerzen wegen einer körperlichen Sache hatte. Es tat so weh und beeinträchtigte mich im Alltag so sehr, dass ich auch da anfing zu weinen.


Es gibt also, wie ihr seht echt viele Gründe für mich zu weinen. Manche sind verständlich, manche einfach nur blöd. Ich bin zu nah am Wasser gebaut, weine manchmal auch einfach so ohne Grund. Da scheint tief in mir etwas zu stecken, was raus muss.

Doch bringt mir das Weinen überhaupt etwas? Manchmal denke ich schon. Es geht mir danach besser, ich fühle mich erleichtert. Besonders wenn es um Streit geht oder ich einfach meiner Wut freien Lauf lassen muss. Ich weine sehr oft, weil ich traurig, unglücklich und unzufrieden bin.

Doch manchmal macht das Weinen nichts besser, ich weine noch mehr und fühle mich nicht wirklich gut danach. Was bringt das Weinen überhaupt für einen außer eben Erleichterung? Der Stress geht dadurch etwas weg, aber an der Situation und an dem Problem ändert sich ja nichts. Es bringt manchmal nichts zu weinen, es ist nur eine vorübergehende Ablenkung. Statt zu heulen, wäre es besser, die Gefühle im Zaum zu halten und gegen das Problem etwas zu unternehmen.


Warum weine ich überhaupt so schnell? Warum weinen andere gar nicht oder nur selten? Ich erkläre mir das so: Ich bin ein sehr sensibler Mensch. Meine Antennen sind ganz fein, sodass ich auch sofort merke, wie es anderen geht. Ich bin sehr leicht zu verletzen, habe keine harte Schale. Ich bin sehr empathisch, weswegen ich ja bei emotionalen Szenen aus Büchern und Filmen schnell weine oder wenn ich jemand anderen leiden sehe.

Ich bin aber eben auch sehr verletzlich, schon die kleinsten Dinge bringen mich aus der Balance. Ich kann einfach nicht gelassen sein. Schnell packt mich mal die Trauer und die Wut. Ich komme auch nicht gut mit Kritik klar, was daran liegt, dass ich eben wenig Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein habe. Ich nehme vieles zu persönlich und schäme mich auch gleich sofort.

Ich lasse mich schnell von Emotionen ergreifen, komme nicht gut mit ihnen klar. Ich bin oftmals nicht Herr meiner Gefühle, sie übernehmen die Kontrolle über mich. Kein Wunder wenn die Tränen schneller da sind als sie sollten und ich dagegen nichts tun kann. Ich kann leider auch nicht so tun als ging es mir gut. Dann muss ich erst recht weinen. Ich kann meine Gefühle nur schwer verstecken, man merkt mir sofort an, wenn es mir gut oder schlecht geht. Ich kann niemanden etwas vormachen nicht mal mir selbst. Ich bin also in der Hinsicht doch ein Buch mit sieben Siegeln. Meine Gedanken kann ich dagegen gut verheimlichen.


Einerseits ist es ja gut, dass ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen kann. Aber ich möchte echt ungern, dass andere mich weinen sehen. Bei Freunden, meinem Freund und meiner Familie zu weinen, ist an sich kein Problem, auch wenn es mir doch unangenehm ist. Doch vor Fremden oder Leuten, die ich nicht so gut kenne, zu weinen: Das geht gar nicht und ist super peinlich. Ich offenbare mich selbst, mache mich richtig verletzlich und zeige etwas aus meinem Inneren, was ich so nur Vertrauten zeigen will. Weinen wird auch nicht gern gesehen vor allem nicht unter Erwachsenen. Es ist ein Zeichen von Schwäche und dass man seine Gefühle nicht unter Kontrolle hat.

Damit zeige ich eben, dass ich schwach und unprofessionell bin. Weinen während der Arbeit geht gar nicht. Weinen ist ja etwas ganz Persönliches, was wir doch nur eben vor Vertrauten tun. Es dann so öffentlich zu machen, kommt einem Gesichtsverlust gleich. Dabei ist es doch traurig, dass Gefühle so im Alltag unterdrückt werden. Aber ich schäme mich auch sehr, wenn ich doch mal draußen weinen muss und es jemand mitbekommt. Deswegen weine ich echt ungern in der Öffentlichkeit und auf Arbeit. Es gehört dazu, dass man sich zusammennimmt und auch mit Kritik umgehen kann. Aber als mich der Kollege eben so kritisierte, konnte ich eben nicht anders. Was ich fühle, das fühle ich eben. Egal was andere darüber denken, das sind meine Gefühle und so empfinde ich. Es ist besser die Gefühle zu akzeptieren, sie sind ein Teil von mir und auch nicht grundlos einfach da. Je mehr man dagegen ankämpft, desto schlimmer wird es und desto mehr lehne ich mich dadurch selbst ab.

Ich sollte das Weinen akzeptieren, es ist ein Teil von mir und hat ja nicht nur Nachteile. An sich ist es doch gut, dass ich meine Emotionen ausleben und vor allem auch mit anderen mitfühlen kann. Aber manchmal wünschte ich doch, ich könnte meinen Emotionen besser kontrollieren.



Was meint ihr? Geht es euch ähnlich? Wann weint ihr und wie geht ihr damit um? Wann hilft euch das Weinen?

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