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Geständnis einer Magersüchtigen



Dieser Beitrag kostet mich viel Überwindung. Aber heute packe ich aus. Ich habe ein ziemlich gestörtes Verhältnis zur Ernährung. Das ist nicht mehr normal. Und ich will euch auch erklären, warum.


Ich leide höchstwahrscheinlich unter Anorexie, was mit einem gestörten Essverhalten zu tun hat.
Doch was ist denn das überhaupt und woran erkennt man die sogenannte Magersucht? Ich will mal auf wichtige Merkmale eingehen und daran zeigen, wie diese auf mich zutreffen.


Untergewicht

Ein Punkt ist ein Untergewicht. Damit hängt zusammen, möglichst viel abzunehmen und nicht das normale Gewicht zu behalten. Wiegt jemand weniger als der normale BMI zulässt und tut derjenige alles, um bloß nicht mehr zu wiegen, ist ein schon ein wichtiger Hinweis auf eine Magersucht.

Und das traf zumindest auf mich eine ganze Weile lang zu. Bei einer Körpergröße von 1,58 Metern und einem Gewicht von 44 Kilo entsprach mein BMI etwa 17,6, was leichtem Untergewicht entspricht. Normalgewicht würde bei einem BMI von 18,5-19 entsprechen. Durch einige Umstände und weil ich im letzten Jahr immer mal unterwegs war, habe ich dann innerhalb von einem dreiviertel Jahr etwa vier Kilo zugenommen. Derzeit wiege ich 48 Kilo, was mit einem BMI von 19 nun Normalgewicht ist.

Und ich muss zugeben: Ich hasse es. Ich will einfach kein Normalgewicht haben, ich will gefälligst wieder so schön dünn sein wie vorher. Viele sagen mir, dass ich so wie ich jetzt aussehe besser ausschaue. Aber ich bin überhaupt nicht mit meinem Körper derzeit zufrieden, weil ich weiß, wie ich vor weniger als einem Jahr aussah. Ich mochte meinen super schlanken Körper, diesen flachen Bauch und die schlanken Oberschenkel. Zwar sehe ich nicht unbedingt dick aus, aber eben nicht mehr so dünn wie vorher. Und das wurmt mich total. Ich schaue jeden Tag in den Spiegel und sehe, wie ich mich verändert habe. Die erwähnten Körperteile sind zwar immer noch einigermaßen okay, aber nicht mehr so schön wie vorher, zumindest aus meiner Sicht.

Mein Untergewicht war die Folge meinem Magerwahn. Ich wollte so dünn wie möglich sein, weil ich noch vor einigen Jahren mit Übergewicht zu kämpfen und sehr viel abgenommen hatte. Früher wog ich bei 158 Centimeter Körpergröße etwa 65 Kilo. Nachdem ich in Vietnam war und immer wieder deswegen kritisiert wurde, habe ich begonnen abzunehmen. Innerhalb von einem Jahr etwa 15 Kilogramm, was schon eine ordentliche Leistung war. Ich hatte damals noch Normalgewicht.

Ich hätte gerne weniger gewogen, aber mein Körper wollte das Gewicht behalten. Doch nachdem ich dann mit einer vegetarischen Ernährung und intensiveren Unisport begonnen hatte, wog ich dann 2015 etwa 44 Kilogramm. Und damit war ich mehr als zufrieden, obwohl alle anderen um mich herum besorgt waren, mir immer wieder sagten, ich sei zu dünn, solle mehr essen und auf meine Gesundheit achten. Ich wollte das alles nicht hören, das war mir egal, was die anderen sagten. Solange ich mich gut in meinem Körper fühlte, wollte ich nichts von den Meinungen anderer wissen. Ist ja auch meine Sache.

Ich sah es überhaupt nicht ein, mehr zu wiegen. Für mich war das ein Alptraum zuzunehmen. Dahinter steckt sicherlich noch das Trauma von damals, als ich noch Übergewicht hatte. Ich wollte auf keinen Fall jemals wieder so enden und alles daran setzen, mein Gewicht zu halten. Nun könnt ihr euch vorstellen, wie erschreckend es für mich war, dann doch zuzunehmen. All die Jahre hatte ich außer nach meinem Vietnamurlaub 2016 nicht zugenommen, sondern immer das Gewicht gehalten. Doch letztes Jahr kam alles anders. Weil ich mal für einige Wochen woanders lebte und dann auch mein Essverhalten änderte, nahm ich schnell zu. Ich wollte etwas dagegen tun, wieder alles abnehmen.

Doch das Paradoxe war dann, dass ich eher das Gegenteilige tat. Ich habe meinen Heißhunger nicht mehr so gut unter Kontrolle. Ansonsten habe ich nur einmal die Woche Süßigkeiten genossen, doch inzwischen ist es so, dass ich fast täglich etwas esse. Sehr zum Leidwesen meines Gewichtes. Aus Frust aß ich letztes Jahr zu Weihnachten zu viel und nahm dann einen Kilo in einer Woche zu.
Sämtliche Diätversuche auch mit Intervallfasten brachten nicht den gewünschten Erfolg. Im Gegenteil, nachdem ich von 47 auf 46 Kilo abgenommen habe, habe ich dann wieder gleich zwei Kilo zugenommen. Es ist schrecklich. Ich schaffe es einfach nicht mehr, abzunehmen. Das frustiert mich einfach nur enorm. Alle anderen würden mir ja den Vogel zeigen und froh sein, dass ich dieses Normalgewicht habe. Ich glaube, dass ich mit meinem Wunsch nach Dünnsein echt alleine da stehe. Anscheinend will keiner so schlank sein, wie ich es mir wünsche. Alle sind mit Normalgewicht zufrieden. Ich frage mich, wer denn jetzt nun recht hat. Haben die anderen recht, dass ich wirklich nicht ganz normal bin mit meinem Magerwahn? Ist Normalgewicht wirklich das Beste? Rein objektiv gesehen kann ich es nachvollziehen. Der Körper sollte den Mittelweg finden und normal wiegen. Weder zu wenig noch zu viel sind gut.

Aber in meinem Gehirn hat sich diese Idee von Schlankheit eingebrannt. Ich kriege es nicht mehr los, es ist wie eine Sucht, von der ich nicht mehr loskomme. Je mehr ich darüber nachdenke, desto bewusster wird mir, dass das nicht mehr normal ist. Bestimmt liegt es an diesem krassen Ehrgeiz von damals, als ich noch dick war und versuchte, unbedingt abzunehmen. Was ich erfolgreich schaffte. Aber warum klappt es nicht mehr?

Für mich bedeutet Untergewicht = gutes Wohlbefinden. Obwohl es ja heißt, dass man gesundheitlich eher Nachteile hat, genauso wie bei Übergewicht. Untergewicht ist nicht gesund, ganz im Gegenteil. Ich stelle meinen Schlankheitswahn und Schönheitswahn über meine Gesundheit. Und das ist gefährlich. Wobei Untergewicht nicht unbedingt immer gefährlich sein muss. Solange ich nicht hungere, alle Nährstoffe und Vitamine bekomme, genug und abwechslungsreich esse, mich gesundheitlich gut fühle, ist alles gut. Und so war es ja eigentlich bei mir auch. Doch bei den folgenden Kriterien wird mir doch bewusst, dass nicht alles okay bei mir ist

Essverhalten

Untergewicht ist ein sehr wichtiges Kriterium, aber nicht das einzige Merkmal der Magersucht. Auffallend ist auch ein anderes Essverhalten. Essen stark zu kontrollieren, bestimmte kalorienreiche und fetthaltige Lebensmittel zu vermeiden, die Nahrungsaufnahme zu beschränken, gewisse Mahlzeiten wegzulassen. Und auch bei allen Mahlzeiten die Kalorien zu berechnen.

Oh mann, das trifft mich wirklich sehr hart. Denn ich kann mich in allen Punkten so etwas von gut wiedererkennen. Es ist erschreckend, wie sehr das mein eigenes Essverhalten widerspiegelt. Inzwischen kann ich nicht mehr aufhören bei jeder Mahlzeit die Kalorien auszurechnen. Dabei weiß ich ganz genau, wie dumm und sinnlos das ist. Ich werde niemals wissen, wie viele Kalorien ich aufnehme. Jede Kalorie ist auch anders. Es bringt nichts und doch kann ich es nicht lassen.

Ich passe auch auf, möglichst nur Gesundes zu mir zunehmen. Ich habe eine regelrechte Phobie vor fetthaltigen, kalorienreichen und süßen Lebensmitteln entwickelt. Doch auf der anderen Seite habe ich in letzter Zeit richtige Fressattacken entwickelt, was besonders auf ungesunde Nahrungsmittel zutrifft. Obwohl ich weiß, wie ungesund das ist, tue ich es. Und das obwohl ich eigentlich abnehmen möchte. Wenn ich zu viel gegessen habe, vor allem ungesunde Lebensmittel, neige ich dazu, irgendwo anders beim Essen etwas wegzulassen. Ich verzichte beispielsweise Abends auf Brot, weil ich die Kalorien, die ich zu viel hatte, wieder so ausgleichen möchte. Auch nicht gerade gesund, weil dadurch eigentlich wichtige Nährstoffe verloren gehen. Sinnvoller wäre es, beim ungesunden Essen zu sparen. Doch um mir das zu gönnen, lasse ich andere Sachen weg.

Um das anderen klar zu machen und sie davon zu überzeugen, lasse ich mir dann auch Ausreden einfallen, damit ich weniger essen kann. Ich versuche mich zwanghaft gesund zu ernähren, was auh Anzeichen für eine weitere Essstörung namens „Orthorexie“ ist.


Andere Maßnahmen zur Gewichtsabnahme

Gut, das trifft bei mir nicht ganz so zu. Ich habe zwar versucht Intervallfasten zu machen, aber erbrechen möchte ich mich nun nicht. Auch Abführmittel verwende ich nicht. Dagegen treibe ich sehr viel Sport, ich jogge, mache Fitnessübungen und bewege mich in meiner Freizeit mehr als notwendig. Ich habe einen richtigen Zwang entwickelt, ständig zu stehen oder mich zu bewegen. Hinsetzen ist für mich ein Tabu geworden, ist leider aber im Büroalltag auf der Arbeit nicht mehr wegzudenken. Deswegen versuche ich das Zuhause auszugleichen, indem ich so gut wie gar nicht sitze.


Angst vor dem Dicksein

Für mich ist Schlanksein = Schönheit, deswegen vermeide ich so gut wie es geht, zuzunehmen. Und ja ich habe eine echte Angst vor dem Dicksein, weil ich nicht mehr so sein möchte, wie ich früher einmal war. Darum versuche ich alles, mein Essverhalten zu kontrollieren und das Gewicht zu halten oder abzunehmen.


Kontrolle und Disziplin

Bei der Magersucht dreht sich alles nur um das Thema Essen. Jede Mahlzeit, jedes Lebensmittel wird auf Kalorienanzahl und Nährstoffgehalt kontrolliert. Die Kalorienzufuhr wird genau dokumentiert und die Größen der Portionen auch angepasst.

Auch das trifft so etwas von voll auf mich zu. Ich hatte es am Anfang schon erwähnt, es ist ein Kontrollwahn geworden. Keine Mahlzeit darf zu viel sein. Wehe, ich habe mal zu viel Kalorien zu mir genommen, als ich verbrauchen kann. Ansonsten versuche ich das wieder durch Weglassen von Essen oder mehr Bewegung zu kompensieren. Mehrmals am Tag wiege ich mich auch, im mein Gewicht zu kontrollieren. Ich stehe sehr oft vor dem Spiegel. Es trifft mich hart, wie viele Merkmale der Magersucht doch auch auf mich zutreffen.


Veränderte Körperwahrnehmung

Magersüchtige empfinden sich selbst wenn sie abgemagert sind als zu dick. So war es bei ir nicht. Ich fand mich mit leichtem Untergewicht genau richtig, doch jetzt mit Normalgewicht empfinde ich mich tatsächlich als nicht mehr schön und zu dick, obwohl es ja normales Gewicht ist. Aber ich fühle mich nicht darin wohl. Deswegen möchte ich wieder untergewichtig sein, weil ich mich dadurch schlanker und attraktiver wahrnehme.


Heißhungerattacken und Fressanfälle

Durch das unnormale Essverhalten kommt es zu Fressattacken, die nicht mehr zu kontrollieren sind. Das habe ich an mir seit ich vergangenes Jahr plötzlich viel zugenommen habe, immer häufiger gesehen. Davor war ich extrem diszipliniert, habe mein Essverhalten richtig unter Kontrolle gehabt und nicht so viel gegessen. Schon echt widersprüchlich. Ich fühle mich dicker und will abnehmen, aber tue genau das Gegenteil: Ich esse zu viel und dann auch unkontrolliert. Es sind vor allem Süßigkeiten, die es mir angetan habe. Ich weiß, dass es nicht gesund ist und ich das lassen sollte, aber ich kann nicht anders. Es ist echt schlimm geworden. Ich glaube es liegt an meinem davor so krass kontrollierten Essverhalten. Jetzt schlägt alles zurück und in das Gegenteil. Und danach fühle ich mich auch nicht besser, sondern eher schlecht und schuldig. Ich bereue es, aber tue es dann doch wieder. Es ist wie ein Teufelskreis.


Psychische Veränderungen

Bej Magersüchtigen hängt der Selbstwert nur noch vom Essen, der Figur und dem Körpergewicht ab. Alles andere wie Beziehungen, Bedürfnisse, Interessen und Aktivitäten spielen beim Selbstwertgefühl keine große Rolle mehr.

Das kann ich so nicht unterschreiben. Zwar weise ich nicht von der Hand, dass mein Selbstwert eng mit meinem Körper und Gewicht zusammenhängt. Aber trotzdem weiß ich, dass das nicht alles ist und vor allem meine inneren Eigenschaften und Fähigkeiten und auch meine Beziehungen mich sehr prägen und wie ich mich selbst empfinde und einschätze. Wenigstens das ist noch in Ordnung.


Körperliche Veränderungen

Da ich früher nicht bewusst abnehmen wollte und trotzdem abgenommen hatte, kann ich dem auch nicht ganz zustimmen. Und momentan nehme ich auch nicht ab, sondern eher zu. Insofern scheine ich also körperlich nicht mehr ganz so von der Magersucht betroffen zu sein. Doch mein Denken wird immer noch stark davon beeinflusst und auch mein Verhalten. Nur wirkt sich das nicht auf meinen Körper und mein Gewicht aus. Objektiv gesehen zum Glück, doch ich wünschte mir, es wäre so.


Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich bin wahrscheinlich doch magersüchtig. Auch wenn ich jetzt nicht mehr abnehme, kein Untergewicht habe, erkenne ich mich in so vielen Aspekten wider. Ich muss den Tatsachen ins Auge sehen. Ich weiß, dass ich eigentlich etwas dagegen tun sollte. Ich sollte aufhören abzunehmen und einfach nur mein Gewicht halten. Nicht mehr ständig mein Gewicht und Essverhalten kontrollieren, sondern auf meinen Körper hören. Das ganze theoretische weiß ich ja, aber das sind Verhaltensmuster, die sich all die Jahre bei mir verfestigt haben und die ich so leicht nicht ablegen kann. Ein erster Schritt ist die Magersucht erkennen. Und nun muss ich Strategien finden, gegen sie anzukommen.


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