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Das Leben mit einem alkoholkranken Vater


Viele Probleme, mit denen ich heute noch zu kämpfen haben, finden ihren Ursprung in meiner Vergangenheit, in meiner Kindheit. Zuhause in meiner Familie lief einiges schief. Und Schuld daran war zum Großteil auch mein Stiefvater. Er war Alkoholiker.




Ich weiß gar nicht, wann es damals angefangen hat. Er hatte schon immer dieses Problem. Bevor er meine Mutter heiratete, hatte er schon eine andere Familie. Doch genau wegen dem Alkoholproblem trennte sich wohl seine damalige Frau von ihm, seine Töchter hatten und wollten keinen Kontakt mehr zu ihm. Was ich absolut nachvollziehen kann.


Doch ich hatte jeden Tag mit ihm zu tun. Irgendwie war unser Verhältnis auch ohne den Alkohol sehr schwierig. AN sich war er schon ein netter und offener Mensch, aber bei mir zeigte er auch ganz andere Seiten. Mit strenger Hand erzog er mich, meckerte bei jeder Kleinigkeit und schimpfte mich ständig aus. Auch meine Mutter war nicht besser. Und das sage ich obwohl ich sie wirklich über alles liebe. Doch mit meinem Stiefvater war es doch etwas anderes.

Noch heute denke ich, dass die damalige Erziehung das aus mir machte, was ich heute bin. Ein schüchternes, ruhiges Mädchen mit sehr wenig Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein. Und dann noch mit einem Hang zu Perfektionismus. Denn ich achtete früher sehr genau darauf, keine Fehler zu machen. Ich fürchtete mich vor Kritik und Ablehnung.

Ich durfte ja nichts falsch machen, jeder Fehler wurde gleich bestraft. In der Schule war ich super fleißig, versuchte immer gute Noten nach Hause zu bringen. Doch nicht immer gelang es mir, und wenn ich doch mal eine schlechte Note kassierte, versteckte ich sie. Ich verheimlichte das Ganze, fälschte die Unterschrift meiner Eltern, damit es nicht auffiel. Ich wollte meine Eltern nicht enttäuschen, hatte Angst vor der Kritik und Ablehnung.

Und diese Angst hat sich bei mir so verfestigt, dass sie wohl inzwischen in nahezu allen Lebensbereichen ist. Nur deswegen hat sich in all den Jahren diese Angst zu einer richtigen sozialen Angst entwickelt. Es ist vielleicht nicht der einzige Grund, aber einer der wichtigsten.

Doch zurück zu dem eigentlichen Thema. Mein Stiefvater hatte echt ein großes Problem mit dem Alkohol. Gefühlt war er ständig betrunken. Ihn jedes Mal bei den anderen gescheiterten Existenzen zu sehen, die sich betrinken, hatte mir und meiner Mutter sehr weh getan. Wir schämten uns für ihn, bemitleideten ihn und waren aber auch voller Wut, wenn er mal wieder betrunken nach Hause kam.

Es war erniedrigend. Er war so betrunken, dass er manchmal auch auf den Boden hinfiel und sich verletzte, sich in die Hose machte wie ein kleines Kind. Wir mussten ihn manchmal nach Hause tragen. Jedes Mal, wenn er länger nicht nach Hause kam, fragten wir uns: „Wie wird er sein, wenn er wieder nach Hause kommt? Betrunken?“ Und meist bestätigte sich diese Annahme.

Ständig diese Alkoholfahne, überall die Bierflaschen. Ich erinnere mich noch so genau, wie er sich damals verheilt. Wie er lallte, nicht mehr ordentlich sprechen konnte, ständig hin und her wankte, sich nicht auf den Beinen halten konnte.

Mein Vater war so süchtig nach dem Alkohol, dass er es nicht mal schaffte, pünktlich zu seinem Job zu kommen. Er hangelte sich wegen seiner Unzuverlässigkeit immer wieder von einer Arbeit zur nächsten. Auch wir konnten uns nicht auf ihn verlassen.

Vor einiger Zeit fragte ich mich, was eigentlich daran wirklich schlimm war. Es gab keine Gewalt, zumindest keine körperliche. Aber es war der psychische Stress, der mich so fertig machte. Wenn er betrunken nach Hause kam, war er einfach nicht mehr er selbst. Er fing an, irgendwelche seltsamen Dinge zu reden, bildete sich was ein, wirkte wie ein Wahnsinniger. Er warf mir Dinge vor, die er sich ausdachte. Ihn vom Gegenteil zu überzeugen, war einfach nicht möglich. Mit ihm zu diskutieren reinste Zeitverschwendung.

Irgendwie machte mich das echt fertig. Früher wollte ich es verharmlosen, weil das ja nur dämliche Gespräche waren. Aber jetzt wird mir bewusst, wie sehr mich das doch geprägt hat. Es hat damals nicht nur genervt, es hat mich wahnsinnig gemacht. Ich war jedes Mal fast nur am Ausrasten.

Zuhause war die reinste Hölle. Kaum ein Tag an dem meine Eltern nicht miteinander stritten. Natürlich wegen der Alkoholsucht, aber auch, weil mein Vater ständig Schulden machte. Von irgendetwas musste er ja seine Sucht bezahlen. Aber auch sonst, hatte er sich wohl immer irgendetwas gekauft und nicht genau geschaut, ob er sich das leisten konnte. Und so ging das viele Jahre, während meiner Mutter hart für unseren Lebensunterhalt arbeitete.

Es ging sogar so weit, dass meine Mutter vollkommen verzweifelt mit Selbstmord drohte. Ich sehe noch immer das Messer in ihrer Hand, mit der sie nah an ihren Hals ging. Ich hatte wahnsinnige Angst, wollte nicht, dass es soweit kommt. Ich weiß, dass ich völlig am Ende war, nur noch weinte, es nicht mehr hören konnte, wenn sich die beiden anschrien, aufeinander gingen und die Türen zuknallten.

Damals habe ich meinen Vater wirklich gehasst. Ich wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben, doch das ging ja schlecht, wenn man unter einem Dach wohnt. Ich wünschte, meine Mutter hätte sich von ihm getrennt.

Und doch konnte ich ihn nicht alleine lassen, wenn er in Tränen ausbrach. Ich bekam wahnsinnig viel Mitleid. Ich konnte seine Trauer und Verzweiflung verstehen, sah ihn plötzlich als Opfer. Hörte ihm zu und war für ihn da. In diesen Momenten fühlte ich mich ihm nah und verbunden. Und irgendwie dachte ich, das wird schon wieder. Wenn ich nur gut genug auf ihn einrede und wir gemeinsam versuchen, nach einer Lösung zu suchen. Dann werden wir eine finden und unsere Familie wird wieder heil.

Doch jedes Mal war es umsonst. Denn wenn er wieder nüchtern war, hatte er scheinbar alles vergessen. Und dann betrank er sich wieder und alles war vergessen. Unsere Gespräche und das, was uns verbindet, war wieder weg.

In dieser Zeit entwickelte ich wohl diese tiefe Empathie und das Bedürfnis, anderen zu helfen. Mein Stiefvater war das größte Opfer und brauchte dringend Hilfe. Doch ich war einfach nicht in der Lage ihm zu helfen. Ich war ja damals noch ein Kind, wie hätte ich das alles verstehen und wie hätte ich helfen können?

Zwei Mal ging er in Therapie. Zwei Mal scheiterte er daran. Eine Zeit lang konnte er dem Alkohol widerstehen. Wir hatten alle die Hoffnung, er würde es schaffen. Aber er war zu schwach, verfiel wieder in alte Verhaltensmuster. Es änderte sich dadurch nichts.

Ich wollte einfach nur aus dieser Situation heraus, ertrug diese familiären Turbulenzen nicht mehr. Mein Vater stellte sich selbst als Opfer der Umstände hin. Dabei dachte ich nur, dass er einfach zu schwach war. Wenn wir ihm als Familie wichtig genug gewesen wären, dann hätte er die Sucht besiegt. Aber er war zu schwach.

Sicher hatte er es in seinem Leben nicht leicht, hat auch viele schreckliche Dinge erlebt, das konnte ich in unseren Gesprächen erfahren. Es lief vieles schief und deswegen fing er mit dem Trinken erst an. Aber das ist noch immer keine Ausrede ewig damit weiterzumachen.

Ich konnte es nicht verstehen, wollte ihm irgendwie helfen, aber ich fühlte mich nutzlos. Wenn er schon dagegen nicht ankämpft, kann ich erst recht nichts daran ändern. „Ihr seid nicht daran Schuld, es liegt nur an mir“, sagte er mir immer wieder. Und ich weiß auch, dass er damit recht hat. Aber hilflos zuzusehen, wie der Vater, den man doch irgendwie gern hat, auch wenn man ihn doch hasst, sich zugrunde richtet, das tut richtig weh. Und aus dem Grund, wollte ich unbedingt anderen helfen.Um mein Scheitern wieder gutzumachen. Wenn das schon nicht bei meinem Vater klappt, dann bei anderen.

Schlussendlich war ich mehr als nur erleichtert, als meine Mutter sich von ihn hat scheiden lassen. Es dauerte sehr lange und war auch hart. Wir beide kämpften noch für ihn, wollten ihm beistehen. Doch irgendwann konnten wir einfach nicht mehr. Wir haben schon viel zu lange gekämpft und darunter gelitten. Wir wollten frei sein und uns nicht mehr davon belasten. War das von uns egoistisch? Sollte man nicht eigentlich füreinander da sein, in guten wie in schlechten Zeiten? Ist das nicht verwerflich und schwach? Ich glaube viele würden es verstehen, dass wir gegangen sind. Wenn er schon keine Entscheidung trifft, wollten wir aktiv sein und unser Leben in die Hand nehmen. So weh es uns auch tat, aber es war doch die richtige Entscheidung.

Nach der Scheidung und als mein Stiefvater auszog wurde es endlich besser. Zwar war es nicht leicht für meine Mutter, aber wir hatten uns zwei und konnten uns aufeinander verlassen. Endlich wurde es friedlich, wir beide entwickelten eine enge Beziehung zueinander, die noch bis heute hält. Endlich konnten wir ein neues Leben anfangen, ohne die Alkoholsucht.

Derweil hatten wir noch Kontakt zu meinem Stiefvater, es wurde mit den Jahren aber immer weniger. Bis ich irgendwann gar nichts mehr von ihm hörte. Irgendwie fühlte ich mich schuldig, weil ich mich so gar nicht meldete. Aber ich wollte nicht wieder von der Vergangenheit eingeholt werden, wollte keinen Kontakt, um mich wieder an diese schmerzhafte Zeit zu erinnern.

Neulich erfuhren wir aber, dass er gestorben ist. Wahrscheinlich an den Folgen seiner Alkoholsucht. Besiegt hat er sie sein Leben lang nicht. Als ich davon erfuhr, war ich erschüttert, ich wusste nicht, was ich denken und fühlte sollte. Irgendwie schämte ich mich und fühlte mich schuldig, weil ich eben nichts mehr von ihm wusste und keinen Kontakt hatte. Damals trotz der Wut und dem Hass, gab es auch Zeiten, in denen wir uns gut verstanden. Nicht immer war alles schlecht. Aber diese Zeiten waren eben doch knapp bemessen.

All die vergangenen Jahre hatte ich dieses düstere Kapitel hinter mir gelassen, aber eben durch seinen Tod wieder durchlebt. Doch nun aus einer anderen Perspektive, mehr aus der Distanz.


Schlussendlich war jene Zeit nicht umsonst, im Rückblick gab es doch einiges wofür ich dankbar war:

Es hat mich stärker gemacht. Klar, habe ich jetzt einen Knacks weg bezüglich meines Selbstwertgefühls. Aber diese emotionale Belastung hat mich abgehärtet. Und gleichermaßen auch empathischer gemacht. Vielleicht wäre ich nicht der sensible Mensch geworden, der ich jetzt bin. Durch ihn konnte ich das Zuhören lernen, entwickelte das Bedürfnis anderen zu helfen. Ich entwickelte ein Verständnis und sah das Alkoholproblem auch aus einer anderen Sicht.

Gerade mein Stiefvater ist ein Beispiel für die Art von Menschen, die ich niemals sein will. Niemals süchtig werden und immer die Kontrolle über sich haben. Sich nicht als Opfer sehen, sondern Verantwortung für das eigene Leben nehmen. Nicht die Sucht zum Lebensmittelpunkt machen. Wenn dann nur genießen, aber in Maßen. Ich entwickelte eine Abneigung gegenüber Alkohol und jeglichen anderen Drogen, wie auch Zigaretten, die er auch konsumierte.

 Ich würde niemals etwas davon nehmen, meine Gesundheit nicht aufs Spiel setzen. Darum bin ich meinem Stiefvater dankbar, weil er eine Art Antivorbild war. All das, was er war, möchte ich niemals sein. Ich will gesund und lange leben, glücklich sein und meine Probleme nicht mit Alkohol lösen. Und vor allem möchte ich meine Familie nicht mit meinen Problemen belasten oder sie sowie belasten, sondern beschützen und alles tun, damit es ihr gut geht.

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