Neulich ist mir mal aufgefallen, dass es für mich sehr schwer ist, über meine Gefühle zu sprechen. Ich habe mich immer für einen sehr emotionalen Menschen gehalten. Ein Mensch, der sich von Gefühlen leiten lässt. Aber ich wurde eines Besseren belehrt.
Es
war vor kurzem bei einem Deep Talk bei Move Meta. Das ist eine Art
soziale Bewegung, bei der Menschen zusammen kommen, die gleich
tiefsinnige Gespräche führen, ganz offen miteinander umgehen, sich
innerlich entblößen und auch über Probleme und innere Blockaden
sprechen. Wir gehen bei den Gesprächen, die ich bisher erlebt habe,
immer sehr in die Tiefe. Das ist meistens sehr befreiend und wir
entdecken durch die anderen, die uns einen Spiegel vorsetzen, andere
Sichtweisen auf uns selbst.
Neulich
war es auch bei mir so. Ich öffnete mich zum ersten Mal richtig.
Sonst habe ich schon gewisse Hemmungen, etwas von mir zu erzählen.
Aufgrund meiner Schüchternheit, habe ich Angst davor, abgelehnt zu
werden. Daher halte ich mich meist eher im Hintergrund. Doch ich
offenbarte mich und sprach darüber, wie es mir momentan geht.
Ich
erzählte von meinem doch recht stressigen Job, bei dem es ständig
um Termine ging. Ich habe immer einen Zeitdruck im Nacken, ob ich
will oder nicht. Doch das ist nicht alles, auch in meiner Freizeit
stelle ich hohe Ansprüche an mich selbst. Ich will möglichst viel
vom Leben haben, viel erleben, viel machen, viele Erfahrungen
sammeln. Doch es bleibt ja nur begrenzt viel Zeit. Und die gilt es
eben so gut wie es geht zu nutzen. Kaum bin ich Zuhause, schon muss
ich wieder los, vor allem ist das in der Woche der Fall. Ich habe
fast jeden Abend etwas vor – ganz anders als noch vor einigen
Jahren. Da war ich Zuhause und blieb auch. Ich verbrachte den
Großteil meiner Zeit allein, las Bücher, spielte Spiele, schaute
Filme oder Serien und surfte im Internet. Doch seit einigen Monaten
ist das anders.
Der
Fokus hat sich nach außen verlagert, ich bin in der Woche öfter
unterwegs. Das hat auch meinen Alltag komplett auf den Kopf gestellt.
Einmal gehe ich zum Deep Talk bei Move Meta, den anderen Tag treffe
ich mich mit unserer Umweltschutzgruppe Greenpeace, um anstehende
Aktionen zu planen. Dann besuche ich einen Zumba-Kurs und nicht
zuletzt gehe ich zum Treffen meiner Selbsthilfegruppe für soziale
Phobie. Die Abende sind so gut wie voll und wenn sie es nicht sein
sollten, bleiben Zuhause immer noch genug Dinge zu tun. Meine
To-Do-Liste ist voll mit Dingen, die erledigt werden sollten.
Doch
wie hängt das alles, der ganze Stress und die vielen Dinge, die ich
tue, mit meiner Gefühlswelt zusammen? Um mal den Bogen wieder zum
Anfang zu schlagen. Ganz ehrlich: Ich habe mir darüber nie Gedanken
gemacht. Ein Mädchen fragte mich beim Deep Talk: „Ich weiß gar
nicht, was du dabei fühlst. Du sprichst immer nur vom Kopf heraus.
Doch was fühlst du bei all dem?!“
Was
habe ich gefühlt, als ich mich morgens zum Sport machen aufgerafft
habe, obwohl ich mich müde fühlte und Kopfschmerzen hatte? Was
fühle ich bei all den Dingen, die ich tue?
Auf
die Frage war ich einfach nicht vorbereitet. Dementsprechend wusste
ich nicht, was ich sagen sollte. Ja, was fühle ich denn? Ich ging in
mich und fand: Nichts. Irgendwie war es in meinem Inneren leer. Ist
das wirklich nichts? Ich konnte es nicht fassen.
Im
weiteren Verlauf des Gesprächs durchschaute mich das Mädchen, das
übrigens auch Psychologie studiert, und erkannte, dass ich sehr oft
„man“ sage, statt „ich“ und immerzu nur von „Nutzen“
redete. Doch über meine Gefühle konnte oder wollte ich unbewusst
nicht reden. Es ging immer nur darum, zu funktionieren, wie eine
Maschine, ohne jegliche Gefühle.
Diese
Erkenntnis überrumpelte mich total. Niemals hätte ich damit
gerechnet, dass ich wegen meinem Perfektionismus und Arbeitseifer
meine Gefühle ausblende. Wie gesagt, ich habe mich immer für sehr
emotional gehalten. Und das bin ich auch. Vor allem wenn es um das
Zwischenmenschliche geht. Wenn ich mit meinem Freund zu tun habe,
erlebe ich immer wieder eine riesige Palette an Emotionen, Gefühle,
von denen ich sonst nie etwas mitbekomme. Ich bin glücklich,
traurig, enttäuscht, sauer, verletzt, zufrieden, eifersüchtig,
gereizt und noch so vieles mehr. Mein Freund weckt in mir diese
Gefühle. Oder ist das falsch zu sagen, weil jeder für seine Gefühle
selbst verantwortlich ist. Denn diese Emotionen sind ja auch immer
Reaktionen auf etwas oder jemanden.
Das
ist ja jetzt aber auch nicht der Punkt. Ich will nicht bestreiten,
dass ich Gefühle habe. An Emotionen mangelt es mir sicherlich nicht.
Es ist etwas anderes. Ich bin ansonsten in all meiner Routine und
Arbeit täglich nicht mit mir in Verbindung, deswegen fehlt mir der
Bezug zu meinen Emotionen.
Wenn
es also um Tätigkeiten geht, also um arbeiten, Haushalt machen,
Sport machen und Ähnlichem, Dinge, die manchmal auch wie automatisch
laufen. Dann blende ich meine Emotionen aus. Das ist für mich von
Vorteil, denn wenn ich keine Lust auf etwas habe oder mich nicht
Stimmung fühle, kann ich das einfach ignorieren. Ich mache es
einfach. Andere Leute würden dann vielleicht aufgeben.
Die
wichtige und interessante Frage ist doch aber, warum ist das so? Und
ist es denn eigentlich schlimm? Anscheinend bin ich in der Hinsicht
ein ganz rationaler Mensch. Ich will mich bei der Arbeit eben nicht
von meinen Emotionen leiten lassen. Ich will die Dinge erledigen und
dann stehen mir Emotionen einfach im Weg.
„Ich
muss funktionieren.“ Das steckt einfach dahinter, wenn ich meine
Emotionen ausblende. Ich gehe inzwischen nicht mehr nach Lust oder
Unlust, sondern mache die Sachen, ohne viel darüber nachzudenken.
Denn wenn ich immer danach ginge, etwas zu tun, worauf ich Bock habe,
würde ich doch nicht meine Sachen erledigt bekommen. Das ist
anstrengend.
Ist
das falsch, Gefühle dann einfach auszublenden? Zumindest klang das
so, als mir die Psychologiestudentin das sagte. Aber ich finde es
nicht schlimm, sondern eher gut, weil ich diszipliniert genug bin und
mich nicht immer nur von meinen Emotionen leiten lasse.
Es
ist aber generell wohl besser, beides im Einklang zu haben, sowohl
das Denken als auch das Fühlen. Wir brauchen schließlich beides im
Leben.
Doch
es ging bei dem Gespräch um mehr. Dass ich sehr schwer in der Lage
bin, überhaupt über meine Gefühle zu sprechen. Das zeigte, wie
stark das Rationale doch bei mir vorhanden ist. Doch beim Deep Talk
geht es immer um die Frage: „Wie fühlst du dich und wie fühle ich
mich?“ Die Emotionen sind wichtiger, das Denken kann auch an
zweiter Stelle stehen.
Warum
fällt es mir schwer, meine Gefühle zu offenbaren? Zum einen
sicherlich, weil ich schüchtern bin. Würde ich meine Emotionen
zeigen und darüber sprechen, würde mich mich verletzlich machen.
Ich brauche meine Zeit, bis ich mich öffne und auch meine tiefsten
Gefühle zeige. Es ist die Angst vor Verletzung, aber auch vor
Ablehnung. Was ist, wenn die anderen meine Emotionen nicht annehmen
und mich deswegen nicht akzeptieren?
Aus
dem Nichts heraus, über meine Gefühle zu sprechen, ist schwer. Ich
öffne mich sonst nur engen Freunden, meiner Familie und meinem
Freund. Deswegen fällt es mir so schwer darüber zu sprechen mit
Leuten, die ich doch nicht so gut kenne. Eine zusätzliche Hürde ist
auch, dass wir eben eine Gruppe sind. Innerhalb von Gruppen ist es
noch schwerer für mich. Es ist mir auch irgendwie peinlich, davon zu
erzählen, ich möchte ungern im Fokus stehen, mich lieber
verstecken.
Ich
habe in meiner Familie wohl auch nicht so oft von Gefühlen
gesprochen, habe sie immer für mich behalten, viele Jahre trug ich
die Emotionen bei mir ohne sie jemanden zu teilen. Und heutzutage
sprechen andere Leute auch seltener darüber wie sie sich fühlen.
Und ich muss gestehen, dass auch ich weniger oft dran denke. Es geht
bei mir immer nur darum, was ich denke und mache. Aber nicht, was ich
fühle.
Aber
dafür bin ich ja nicht bei Move Meta, ich bin da, um mich zu öffnen,
um mich weiter zu entwickeln und offener zu werden. Genau da wo die
Angst ist, da muss ich hin. Ich will meine Emotionen zeigen und sie
anderen mitteilen.
Was
kann dabei helfen? Ich denke es ist wichtig, zunächst die Emotionen
zu fühlen und zu akzeptieren. Es hilft, die Hand auf die Brust zu
legen und zu spüren. Stille und Ruhe braucht es dafür, um in sich
zu gehen. Und danach die Emotionen richtig zu fühlen, sich in den
Körper hineinzufinden.
Und
wenn man etwas spürt, es auch aussprechen für sich oder vor anderen
und dabei immer wieder fühlen. Dabei ehrlich zu sich zu sein,
unabhängig davon wie gut oder schlecht man sich fühlt oder ob es
schön oder nicht ist.
Auch
auf die eigene Wortwahl achten, das habe ich gemerkt. Nicht ständig
das unbestimmte „Man“ verwenden, sondern „ich“. Um mich geht
es schließlich. Ich führe derzeit auch ein Gefühltstagebuch, in
dem ich am Ende des Tages notiere, wie ich mich gefühlt habe. Ich
mache das auch mal zwischendurch, in allen möglichen Situationen,
weil dann die Emotionen noch präsent sind. Das hilft mir ungemein
mehr auf meine Gefühle zu achten. „Wie fühle ich mich gerade? Was
bewegt mich?“
Ich
hoffe, dass ich auf diese Weise und mit dem Deep Talk mehr zu mir
selbst und meinen Gefühlen kommen kann. Schließlich ist es doch
eine tolle Sache, die Gefühle zuzulassen und sie auch mit anderen zu
teilen. Gefühle sind das, was wir nicht ändern können, sie sind
ehrlich und echt. Was wir denken und machen, können wir auch
manipulieren. Doch Gefühle entstehen ganz spontan und lassen sich
nicht einfach so verändern. Sie machen uns zu authentischen
Menschen. Dabei dürfen wir uns aber nicht mit den Gefühlen
identifizieren. Wir sind nicht unsere Gefühle, aber wir können sie
annehmen und betrachten als Teil von uns.
Ein
Blick auf die Gefühle und wir verstehen uns auch selbst und warum
wir so denken und handeln. Viel zu oft werden Gefühle nicht bewusst
und beeinflussen uns ja doch irgendwie. Deswegen möchte ich in
Zukunft mehr auf meine Gefühle achten und sie auch unbedingt mit
anderen teilen. Was gibt es Intimeres und Persönliches, als Gefühle
mit anderen auszutauschen?
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