Direkt zum Hauptbereich

„Nein, verdammt, ich will keinen Alkohol trinken, verstehst du das denn nicht?“


„Wie, du trinkst keinen Alkohol?“ Ein Satz, den ich viel zu oft zu hören kriege. Und jedes Mal muss ich  mich aufs Neue erklären. Doch damit ist jetzt endlich Schluss! Ich will mich nicht mehr rechtfertigen müssen!



Ich bin ja generell nicht so der Partymensch, war ich nie, und werde ich auch niemals sein. Von Natur eben ziemlich schüchtern und introvertiert, war es für mich als Jugendliche echt nicht leicht, überhaupt Zugang zu sogenannten Cliquen zu bekommen. Wenn hatte ich nur wenige Freunde, die allesamt mit mir auf einer Wellenlänge waren. 

Während andere Wochenende für Wochenende feiern gingen, blieb ich entweder allein Zuhause, verschanzte mich in meinem Zimmer, tauchte in digitale Welten ab oder traf mich eben ganz entspannt mit meinen Freund. Abends weggehen, kam für mich niemals in Frage. Ich gebe es zu: In meinem ganzen bisherigen Leben war ich auch noch nie in einem Club oder in der Disko. Peinlich oder nicht, das ist hier die Frage. Wenn ich das jemandem erzähle, ernte ich von Überraschung bis Skepsis oder kleinen Schmunzlern. Ein bisschen schäme ich mich dann dafür, doch auf der anderen Seite fühle ich mich dann auch ein wenig stolz, weil ich dadurch aus der Masse hervorsteche. Komische Sache.

Als kleine stille Maus beneidete ich meine Schulkameraden schon sehr. Es ging gar nicht darum, dass ich auch gerne auf Partys gehen wollte. Es ging um etwas Tieferliegendes. Ich hatte das Gefühl, den Anschluss verpasst zu haben, nirgendwo so wirklich dazu zu gehören. Auf der einen Seite fühlte ich mich besonders, weil anders, auf der anderen Seite sehnte ich mich aber auch danach, irgendwie zur Masse dazuzugehören. Doch aus dem Neid wurde irgendwann dann auch Abneigung, sodass ich gar keine Lust mehr hatte, irgendwie feiern zu gehen. Mit wem denn auch? Fast alle meine Freunde tickten so wie ich, da wäre keiner freiwillig mit mir feiern gegangen.

Partys sind das eine, Alkohol ist das andere. Klar gehört beides natürlich fast untrennbar zusammen. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das erste Mal überhaupt Alkohol probiert hatte. Ist schon etwas länger her, irgendwann als junger Teenie. Bier schmeckte mir absolut gar nicht, harte Sachen waren einfach nur abscheulich. Das einzige was ich trinken konnte, waren diese Mix-Getränke aus Alkohol und irgendeiner Limonade. Becks oder V+, wie das Zeug eben hieß. Das hat wenigstens noch etwas geschmeckt, den Alkohol habe ich kaum gemerkt. 

Wenn ich schon nicht richtig dazugehöre, weil ich auf keinen Partys herumtanze, dann wollte ich wenigstens mal trinken, um irgendwie dazuzugehören. Damals fand ich es noch sehr cool, dass ich auch mal was getrunken hatte. Ganz schön erbärmlich oder. Die Gelegenheiten dazu waren rar. Eigentlich habe ich nur zu bestimmten Anlässen wie Geburtstagen oder irgendwelchen Feiern etwas getrunken. Natürlich alles in Maßen. Zumindest meistens.

An das erste Mal, als ich so richtig betrunken war, kann ich mich noch erinnern. Damals war ich bei einer guten Freundin Zuhause. Wir hatten einen Geburtstag zu feiern und haben uns dazu auch noch Wodka oder Korn besorgt mit den üblichen leichten Alkoholsachen und das Ganze dann schön miteinander gemischt. Es schmeckte wirklich ekelhaft, ich fragte mich, wieso man sich so etwas überhaupt antun kann? Und trotzdem trank ich das Zeug, weil ich dachte, das gehört dazu und wir haben dann mehr Spaß miteinander. Und irgendwann merkte ich, wie ich nur noch taumelte, mich vor Lachen und Grinsen nicht mehr einkriegen konnte und nur noch durch die Gegend wankte. Wir beide Arm in Arm zogen um die Häuser, bis wir uns irgendwo an einem Wohnblock hinfläzten. 

Da saßen wir, sprachen auf einmal total ernst, was uns auf dem Herzen lag. Nicht umsonst heißt es, dass der Alkohol auch die Zunge lockerte. Alles kam raus, am Ende heulten wir beide glaube ich miteinander und fühlten uns hundeelend. Und dann wurde mir plötzlich schlecht und ich musste mich übergeben. Super Geburtstag! Gott sei dank vielleicht, denn danach war ich wieder nüchtern. Ich hatte das Zeug einfach nicht vertragen. Das war schon mächtig eklig, danach diesen Nachgeschmack zu haben.

Das kam glücklicherweise nur selten mal vor. An einem anderen Geburtstag hatte ich auch etwas zu viel getrunken und hing dann wieder über der Kloschlüssel. Währenddessen tätschelte mir mein Freund den Rücken und stand bei mir. Das war echt super lieb von ihm. Aber ich fühlte mich trotzdem echt dreckig. Seit diesem Mal habe ich mir fest geschworen, nie wieder so viel Alkohol zu trinken. Nie wieder deswegen kotzen müssen.

Und bis heute konnte ich diesen Schwur mir gegenüber auch sehr gut einhalten. Seitdem habe ich, wenn ich trank, wirklich alles in Maßen gehalten. Vielleicht maximal ein Schlückchen oder Gläschen Sekt oder eine Flasche Bier. Mehr nicht.  Mein Alkoholkonsum war bisher immer gering geblieben und ich bin verdammt stolz auf mich. 

Generell kann ich es eigentlich gut vermeiden, weil ich nicht auf Partys gehe und in Bars auch nur ein Wasser oder irgendein anderes Getränk bestelle. Da schaut mich auch keiner doof an, wenn ich das mache.

Seit einiger Zeit trinke ich eigentlich gar keinen Alkohol mehr. Zumindest versuche ich es, tunlichst zu vermeiden. Doch das stellt mich immer wieder vor Herausforderungen im Alltag. Immer wieder muss ich für meine Grenzen stehen und mich dafür rechtfertigen. In letzter Zeit kam mir das oft vor.

Als ich München mit anderen Volontären der Zeitung gewesen bin, wegen Weiterbildungsseminaren, saßen wir öfter mal unten im Keller unseres Wohnheims oder aßen auswärts in Restaurants. Gaststätten oder Biergärten. Und da wurde öfter mal ganz viel Alkohol bestellt. Schließlich sind wir ja in München, da muss man doch das tolle Bier so oft wie es geht schmecken! War zumindest das Motto meiner Kollegen. Die meisten gingen damit, es war schon fast wie ein Gruppenzwang. Nur wenige wehrten sich dagegen. Und ich war eine von ihnen.

Das fiel den anderen natürlich auf, dass ich so gut wie keinen Alkohol trank. 
Jedenfalls schien ich mit meinem Alkoholverzicht irgendwie immer wieder anzuecken. Wenn ich keinen Alkohol bestellte, bohrten die anderen natürlich ungeniert nach: „Warum trinkst du keinen Alkohol?“ Die Frage höre ich mittlerweile fast so oft wie die Fragen „Woher kommst du?“ oder „Bist du hier geboren worden?“ „Was ist dein Vor- und Nachname?“ Fragen, die mich inzwischen echt nerven, aber an die ich mich einfach gewöhnen muss.

Ich versuche ruhig zu bleiben, nett zu antworten, eigentlich meinen es die anderen nicht abwertend, sie sind einfach neugierig. Für mich gibt es einfach viele Gründe, die dagegen sprechen. Zum einen: Es schmeckt mir halt nicht, also das normale Bier. Und selbst diese Mischgetränke sind nicht wirklich besser als normale Getränke. Warum sollte ich mein Geld für etwas ausgeben, was mir gar nicht schmeckt? Zum anderen ist es mir auch einfach zu teuer und es ist mir einfach nicht wert, mein Geld dafür hinzulegen. Da kaufe ich mir lieber bessere Sachen für, die ich brauche oder spar das Geld. So einfach ist das. 

Zum anderen: Ich vertrage Alkohol einfach nicht. Meine bisherigen Abstürze nach nur wenig Alkohol haben mir das bewiesen. Okay, es klingt danach, als wäre das Klischee erfüllt: Asiaten vertragen einfach keinen Alkohol. Und leider trifft es doch auch auf mich zu. Auch meine Mutter kann wenig trinken und taumelt umher. Wahrscheinlich fehlt Asiaten wohl wirklich so eine Art Enzym, was den Alkohol verarbeiten kann, ist so meine Vermutung. Okay, ich muss natürlich nicht übertreiben. Ein wenig Alkohol wäre vielleicht okay, aber ich weiß, selbst das reicht aus, um mich schon wieder anders werden zu lassen. An sich eigentlich ein Gefühl, was sich gut anfühlt, aber andererseits fühle ich mich so seltsam und als würde ich die Kontrolle über mich verlieren. Und das will ich gar nicht.

Zum dritten schadet es doch meiner Gesundheit. Gut in Maßen nicht, aber ich weiß, was Alkohol alles anrichten kann. Ich habe jahrelang mit einem Alkoholiker als Stiefvater gelebt und bin dadurch wahrscheinlich auch ein gebrandtes Kind. Ich habe miterlebt, wie sehr es einen Menschen zerstören kann und dessen Leben. Wie es Beziehungen auseinanderreißt. Wie es mich selbst psychisch kaputt macht. Wahrscheinlich bin ich davon traumatisiert und habe eine schlechte Beziehung zum Alkohol.  Die, die sich ständig die Birne wegsaufen, schaden sich und ihrer Gesundheit. Und ganz ehrlich: Das brauche und will ich nicht.

Und dann stelle ich auch immer wieder in Frage, warum sollte ich überhaupt trinken. Das ist doch einfach mal meine freie Entscheidung und sollte auch jedem selbst überlassen sein. Es scheint so, als ob es das normalste auf der Welt sei zu trinken. 

Alkohol trinken oder nicht – das ist doch Geschmackssache. Ich muss doch auch niemanden dafür abwerten, wenn er nicht gern Gemüse isst oder etwas anderes trinkt. Warum ist das nur so ein großes Problem, wenn ich keinen Alkohol konsumiere?

Mit der Frage, warum ich nicht trinke, wird mir suggeriert, dass es irgendwie nicht normal ist, keinen Alkohol zu trinken. Im Umkehrschluss heißt das: Trinken ist heutzutage die Norm. Ich könnte doch auch mal die anderen fragen: Warum trinkst du? Nenne mir doch bitte gute Gründe, warum ich diesen Mist reinhauen sollte? Warum sollte ich so viel Kohle aus dem Fenster werfen, für Zeug, was mir überhaupt nicht gut tut? 

Die Leute sagen dann so etwas wie, na das gehört doch dazu, das hebt die Stimmung, dann fühlst du dich besser und es macht Spaß. Und was weiß ich alles noch. Aber das ist es mir nicht wert. Ich kann doch auch ohne Alkohol Spaß haben. Es klingt ja doch etwas erbärmlich, dass man sich extra noch etwas hineinschütten muss, um happy zu sein. Geht es denn nicht auch mal ohne? Warum ist das so wichtig? Andere wiederum behaupten, es fördert die Gemeinschaft, es schweißt zusammen, wenn man zusammen trinkt. Meinetwegen. Aber es reicht doch auch, einfach zusammen zu sein und miteinander Spaß zu haben. Da muss doch kein Alkohol dabei sein, finde ich.

Einmal wurde ich sogar dann doch genötigt, etwas zu trinken, was ich total mies fand. Meine Kollegen und ich saßen im Zug, die anderen hatten sich Bier bestellt, ich war die einzige ohne. Und dann bestellte irgendwer dann doch eins für mich. Dabei hatte ich extra gesagt, dass ich nicht trinke. „Ach komm schon, Lan, trink doch mal was, wir sind schließlich hier nicht zum Lernen in München, sondern um das Leben zu feiern.“ Na und? Muss denn dann unbedingt Bier dabei sein, fragte ich gedanklich. Es fielen dumme Sprüche und auch so etwas wie „Wir werden wir das schon antrainieren, ordentlich zu trinken!“ Nein? Das werdet ihr schön bleiben lassen.

Am Ende habe ich mich dazu überreden lassen, das Bier zu trinken. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie es extra für mich gekauft hatten. Und irgendwie wollte ich auch nicht nein sagen und wieder als Außenseiter dastehen. Aber ich fand es einfach nur dreist, dass sie mir das so aufgedrückt haben, obwohl ich nicht wollte. Stellt euch doch vor, irgendwer zwingt euch, etwas zu trinken oder zu essen, was ihr nicht wollt. Das würde keiner toll finden. Aber bei Alkohol ist das normal. Manche können es einfach nicht akzeptieren oder verstehen. Dabei ist das doch auch alles Geschmackssache und meine Angelegenheit.

Immer wieder diese Aufforderungen: „Ach komm schon, trink doch mal ein bisschen“ oder „Wenigstens dieses Mal“ oder „Mach doch mal eine Ausnahme“ - Nein, verdammt, ich will einfach nichts trinken, warum versteht denn das keiner? Nein heißt eindeutig nein und damit Schluss mit der Diskussion. Ich habe dieses ewige Hin- und Her und das sich Rechtfertigen müssen einfach nur satt. Meine Meinung scheint niemanden zu interessieren, stattdessen scheint es wie ein ungesprochenes Gesetz zu sein, zu trinken, egal bei welcher Gelegenheit.

Doch mittlerweile bleibe ich eisern. Es fällt mir nicht leicht, nein zu sagen. Ich möchte es allen Recht machen, will nicht negativ auffallen und abgelehnt werden. Insgeheim will ich so sehr dazugehören und gemocht werden. Ich will nicht noch mehr anders sein, sondern mehr wie die anderen. Aber ich will mir auch treu bleiben und mich nicht für andere verbiegen. Ganz schön verdreht oder? Wenn wieder mal eine Feier ansteht, dann sage ich auch hart „Nein, ich trinke keinen Alkohol“. Dann geht das ganze Spiel wieder von vorne los. Ich merke, dass ich anders bin, dass es komisch herüber kommt und mich einige deswegen seltsam beäugen. 

Alkohol scheint gerne mal zwischen mir und den anderen zu stehen und vertieft den Abgrund zwischen uns noch mehr. Als ob es nicht schwer genug wäre, die Verbindung zu anderen zu haben. Alkohol ist das eine. Doch es stehen noch mehr Sachen zwischen mir und dem Rest. Ich bin Veganerin und die meisten nicht, auch wieder eine Sache, bei der ich immer wieder Diskussionen und nervige Fragen ertragen muss. Ich bin nicht hier geboren worden, sehe eben nicht Deutsch aus. Auch wieder etwas, was mich von anderen abgrenzt. Und dann kommen noch viele weitere Sachen dazu. Ich bin schüchtern, der Rest meist ziemlich extrovertiert. In Gesprächen halte ich mich zurück und beobachte nur, während die anderen aktiv sind und mitreden. 

Doch so ist es eben. Ich bin anders, aber ich fühle mich deswegen nicht schlecht. Ich bin eben ich und ich will mir selbst treu bleiben. Und deswegen werde ich auch zukünftig, zu dem, was ich mache, auch stehen und mich dafür nicht erklären müssen. Dann müssen die anderen mit dem „Nein“ zurecht kommen, ihr Problem. Ich bleibe konsequent dabei. Ich trinke keinen Alkohol und das ist gut so. Darauf bin ich stolz. 

Darum mein Appell an all die anderen, denen es auch so geht wie mir. Es ist okay, dass ihr nicht alles mitmacht, was die anderen tun. Wenn ihr nicht wollt, dann bleibt hart, steht dazu. Ihr seid mutig, wenn ihr es schafft, Nein zu sein. Ihr könnt stolz auf euch sein. Es ist super wichtig, dass wir dazu stehen und dass wir unsere Grenzen wissen. Wir dürfen uns nicht von der Meinung anderer manipulieren lassen. Es ist nicht falsch, dass wir anders ticken als die anderen. Das macht uns besonders. Und wir bleiben uns selbst damit treu.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Von der Seele geschrieben: Ich will mehr Sex als mein Partner

Eigentlich ist es ja meist so: Man(n) will immer mehr als die Frau. Doch viel häufiger als man denkt, ist das Gegenteil der Fall. So wie bei mir und meinem Freund. Dass das auch für mich als Frau nicht leicht ist, glauben die wenigsten. Doch was steckt dahinter?

Was würde ich tun, wenn ich unsichtbar wäre?

Gedankenexperimente sind echt interessant. Ich mag solche Gedankenspiele nach dem Muster „Was wäre wenn,...?“ Das fördert die Kreativität und bereitet Laune. Dieses Mal frage ich mich, was ich machen würde, wenn ich einen Ring bekäme, der mich unsichtbar macht. Würde ich dann jegliche Moral vergessen und Dinge tun, die ich nicht tun würde und die eigentlich auch nicht gut sind?

In Erinnerungen versunken – wie mich die Nostalgie immer wieder fesselt

Es passiert nicht oft, aber immer mal wieder: Meine Gedanken driften in die Vergangenheit ab. Für nur einige Momente scheint die Welt still zu stehen. Mein Körper in der Gegenwart existent, aber meine Gedanken befinden sich auf Zeitreise mit meinen Gefühlen. Es sind Momente, in denen ich aus der Gegenwart flüchten kann, in jene Zeiten, nach denen ich mich manchmal sehne. Obwohl ich weiß, dass es nicht unbedingt bessere Zeiten waren. Warum nur?