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Ich bin nicht der Corona-Virus!



Wie so viele andere asiatisch aussehende Menschen kriege ich vermehrt Rassismus im Alltag zu spüren. Wie das passiert und wie ich  Alltagsrassismus als Viet-Deutsche erlebe, erfahrt ihr in dem Beitrag.


Eigentlich hatte ich mir nicht viele Gedanken um den Corona-Virus gemacht. Mal wieder ein Dauerbrenner in den Medien, der Massenhysterie auslöst. Dass es mich in irgendeiner Weise mal doch betreffen sollte, hätte ich nicht gedacht. Und dann passierte dieser Zwischenfall: Ich warte auf den Fahrstuhl in einem Hochhaus. Zwei Männer steigen aus, grüßen mich ganz gewohnt. Doch der eine belässt es nicht dabei. Schaut mich noch einmal an und sagt mir fast ins Gesicht: „Corona-Virus“ und lacht dabei noch dreckig. Ich stehe da, bin überrumpelt, wie so oft, wenn ich dumme Sprüche bezüglich meiner Herkunft bekomme. Ich weiß jedes Mal aufs Neue nicht, wie ich darauf reagieren soll. Aber diese Art von dummen Spruch habe ich tatsächlich bisher noch nie gehört.

Ich bin nicht das Virus

Es war nur ein dummer Spruch und trotzdem hat er mich so dermaßen aufgeregt, wie es wohl so vielen asiatisch aussehenden Menschen in Deutschland und in der Welt geht. Das Corona-Virus greift um sich, im wahrsten Sinne des Wortes. Doch es führt auch dazu, dass die Diskriminierung gegenüber asiatisch aussehenden Menschen offensichtlicher zu Tage tritt.

Obwohl dieser Spruch hätte an mir abprallen können, hat er mich doch echt aufgewühlt. Ich begann darüber nachzudenken, zu verstehen, warum Leute so etwas machen, setzte mich generell mehr mit Rassismus im Alltag auseinander. Derjenige hat sich wahrscheinlich nicht viel gedacht. Was aber keinesfalls eine Entschuldigung für seinen dummen, unnötigen Kommentar sein soll.

Er hat gesehen, dass ich asiatisch aussehe, und ohne darüber nachzudenken, sofort an Corona-Virus gedacht und es natürlich auch rausgehauen. Wie sinnvoll das ist, darüber kann man gerne streiten. Als ob ich, obwohl ich nicht mal wirkliche Asiatin, sondern Deutsche bin, der Virus in Person wäre. Was total bescheuert ist. Wie ihr sicherlich in den Medien verfolgen konntet, geht es vielen anderen ja auch so. Und viele andere asiatisch aussehende Menschen kämpfen gegen diese Diskriminierung. „Ich bin nicht das Virus!“

Gut, der Virus hängt eng mit China zusammen, aber da merkt man wieder wie Übertreibung und Hysterie sich gleich in der ganzen Gesellschaft ausbreiten. Nicht alle Chinesen und schon gar nicht alle Asiaten haben etwas mit dem Virus zu tun. Es ist einfach so übertrieben, gleich alle über einen Kamm zu scheren. Das Verallgemeinerung hoch zehn!

Zumal es einfach nur herabwürdigend ist, Menschen auf diesen Virus zu reduzieren. Denn so wirkte es auf mich, als mir der Typ „Corona-Virus“ entgegen knallte. Als ob ich das Virus selbst wäre und man sich vor mir in Acht nehmen müsste. Wie eine fiese Krankheit, die andere Leute leiden lassen.


Alle Asiaten sehen doch gleich aus

Und noch etwas wird auch deutlich an dieser Diskriminierung: Alle Asiaten sehen aus wie Chinesen und sind deswegen auch Chinesen. Falsch gedacht! Die größte Gruppe an asiatischstämmigen Menschen sind die Vietnamesen! Und obwohl wir Vietnamesen immer als Vorzeige-Migranten angesehen und in den Medien gelobt werden, wissen die wenigsten etwas über uns. Wenn Leute raten, woher ich komme, sagen sie meist zuerst China, Japan, Korea und Vietnam wird meist gar nicht genannt und vergessen.

Warum immer alle zuerst an China denken, wenn sie Asiaten sehen, verstehe ich absolut. Ich kann schon nachvollziehen, weswegen für Europäer Asiaten alle gleich aussehen. Wir sind eben nicht an asiatische Gesichter gewöhnt und können demnach Gesichter anderer Kulturen außer unserer eigenen nicht gut voneinander unterscheiden. Weil wir uns mehr auf die einheitlichen Gesichtszüge konzentrieren und die Eigenheiten nicht wahrnehmen können. Das ist sogar wissenschaftlich erwiesen.

Okay, Leute können nichts dagegen tun, wenn sie Asiaten nicht voneinander trennen können. Aber sie können sehr wohl etwas dagegen tun, alle in einen Topf zu stecken. Es gibt vereinzelt Leute, die nach der Herkunft fragen, was mal nett, mal einfach nur nervig sein kann, wenn man sich so wie ich damit sein Leben lang herumplagen muss. Aber es gibt leider auch genug Leute, die nicht mal sich mit dem Individuum befassen, sondern gleich mit Vorurteilen und rassistischen Bemerkungen kommen.

Glücklicherweise blieb es bisher bei diesem einen Kommentar. Ich habe ansonsten nichts anderes im Alltag gemerkt, als das übliche. Dass ich komisch angeschaut werde oder dumme rassistische Sprüche abbekomme, ist weiterhin so, war auch nie anders, obwohl ich mein Leben lang hier lebe.

Immer dieser dumme Ching Chang Chong-Spruch

Ich kann die Male gar nicht zählen, so oft wurde ich eigentlich immer wieder wegen meines Aussehens und meiner Herkunft diskriminiert. Mein damals bester Freund (da war er es noch nicht) konnte wohl meinen Namen nicht aussprechen oder fand es besonders lustig mich mit „Ching chang chong“. Das ist eigentlich DER rassistische Spruch schlechthin, den gefühlt jeder Asiate oder asiatisch aussehende Mensch in Deutschland gehört hat. Weil mein damals noch nicht bester Freund ständig damit betitelte, bekam ich irgendwann einen Heulkrampf, weil mich diese Beleidigung und Diskriminierung einfach fertig machte. Komischerweise wurden wir dann doch beste Freund. Bis heute halte ich ihm das aber immer vor.

Und leider passiert es immer wieder, dass vor allem eine Gruppe von Jungs mir diese dumme Beleidigung entgegen schmettert. Und natürlich wird darüber gelacht. Leider schaffe ich es nie, etwas darauf zu entgegen, mehr als einen fiesen Blick kriege ich nicht hin. Und das macht mich jedes Mal so sprachlos und machtlos. Ich kann nichts dagegen tun. Diese Leute denken, es ist so witzig, wenn man jemanden wegen seiner Herkunft oder seines Aussehens aufzieht. Eben weil ich anders aussehe. Dabei ist „Ching chang chong“ nicht einmal eine wirkliche Sprache. Keiner versteht es, es hat keine Bedeutung. Es ist einfach nur dumm und dient nur dazu, um asiatisch aussehende Menschen zu diskriminieren und sich über sie lustig zu machen. „Haha, du bist so anders als wir und das ist total lustig!“ Es ist beleidigend hoch zehn. Ich finde es unter aller Sau, jemanden, der eben eigentlich Deutsch ist, so zu behandeln. Ich gebe mir Mühe, mich zu integrieren, trotz meines Anderssein. Ich spreche gut Deutsch, sehe mich als Deutsche. Und dann kommen sogenannte Bio-Deutsche, sprechen nicht mal ordentlich mit mir Deutsch und verwehren mir jede Chance, mein Deutschsein zu beweisen. Sie sprechen mir die Fähigkeit ab, deutsch zu sprechen und deutsch zu sein. Als ob ich der deutschen Sprache nicht mächtig wäre und als ob ich diesen Kauderwelsch der null Sinn macht, verstehen würde.


Von Fidschi zu Schlitzi

Weitere vergleichbare Fälle gefällig? Dann kommen manchmal auch so Beleidigungen wie „Schlitzauge“, „Schlitzi“ oder „Fidschi“. Und natürlich immer mit einem dämlichen Lachen begleitet, als ob Andersartigkeit immer lustig ist und diskriminiert werden sollte. Auch diese Beleidigungen zielen nur auf mein Äußeres, auf sogenannte typische Merkmale von Asiaten. Weil diese meist eben mandelförmige Augen haben. Aber „Fidschi“ ergibt so überhaupt gar keinen Sinn, denn Asiaten sind nicht alle Fidschi. Aber da merkt man mal, wie wenig Bildung solche Menschen auch haben. Eigentlich müsste ich drüber stehen. Mir fällt übrigens ein, dass der Vater des Freundes meiner Mutter generell alle Asiaten vor allem Vietnamesen immer nur als Fidschi bezeichnet. Ich will nicht mutmaßen, aber vielleicht war das früher in der DDR so, dass man Asiaten so nannte? Auch wieder total irreführend und falsch und vor allem diskriminierend. Und da wird Alltagsrassismus besonders deutlich.

Was ist eigentlich Alltagsrassismus? Laut Wikipedia ist das ein Begriff, der die soziale Praxis und Denkschemata einer größeren sozialen Gruppe dann als rassistisch bewertet, wenn diese ein "Wir" konstruiert und die Andersartigkeit der eigenen Normalität gegenüberstellt. Das hat zur Folge, dass diese dann ausgeschlossen werden. Das ist eine mögliche Definition.

Auf idaev.de habe ich noch folgende Definition gefunden: Alltagsrassismus zeigt sich auch, wenn rassistisches Wissen und bestimmte Bilder sowie Vorstellungen bewusst oder unbewusst zeigen. Dazu gehören auch neutrale wie positive oder neugierige Fragen Gerade das Nebeneinander von "süßen und bitteren Worten" sind für Alltagsrassismus typisch. Die Gruppe, die Alltagsrassismus praktizieren grenzen sich also von demjenigen, der anders ist ab, indem sie sich selbst als homogenes "Wir" ansehen. Der andere gehört nicht dazu, weil er andere Merkmale hat wie beispielsweise eben ein ausländisches Aussehen, einen ande klingenden Namen oder eine andere Herkunft hat. Alltagsrassismus ist durch Regelmäßigkeit geprägt. Das heißt er beeinflusst das Selbstbild der Betroffenen, meist eher negativ.


Alltagsrassismus mit vielen Facetten

Alltagsrassismus hat viele Gesichter. Das zeigt sich also bereits bei der Frage nach der eigenen Herkunft. Aber eben auch durch rassistische Rufe, die mit in die Schublade des anderen stecken. Oder das dumme Gelächter, wenn jemand meinen Namen öffentlich laut sagte und vielleicht auch sogar falsch betonte. Das war für mich einfach sehr sehr peinlich.


Woher kommst du?

Ich finde auch, dass sich bereits in der eigentlich harmlosen Frage "Woher kommst du?" schon ein wenig Rassismus widerspiegelt. Denn die Frage suggeriert ja indirekt, dass der Fragesteller mich nicht als Deutsche auffasst, sondern als jemand Fremdes. Obwohl ich eindeutig hier geboren wurde. Nur weil ich eben nicht deutsch, sondern asiatisch aussehe und auch einen asiatischen Namen habe. Aber mit dieser Frage wird eben deutlich: Du siehst nicht deutsch aus, du musst von woanders sein. Du bist anders, du gehörst nicht zu uns. Denn Bio-Deutsche würde man nicht nach ihrer Herkunft befragen, die müssen sich damit nicht quälen. Da wird höchstens noch gefragt, woher sie in Deutschland kommen.

Sicher meinen es viele nicht böse und ich versuche nett meine Wurzeln zu erklären. Aber irgendwann reicht es auch mal, ich habe das schon 26 Jahre gemacht und bin es langsam auch leid, meinen Stammbaum immer und immer wieder zu erzählen. Und wenn dann noch Fragen kommen, die irgendetwas mit meiner Herkunft zu tun haben, verdrehe ich innerlich die Augen. Ich bin Deutsche! Nur weil ich asiatische Wurzeln habe, bin ich doch kein Experte was Vietnam betrifft. Dann sollen sie doch bitte jemanden fragen, der vielleicht richtig Vietnamese ist. Gott, wie ich das manchmal hasse.


Du sprichst aber gut Deutsch!

Oder das vermeintliche Kompliment „Du kannst aber gut Deutsch!“ Ehm ja, ich wurde hier geboren, und jeder andere Bio-Deutsche spricht genauso gut Deutsch wie ich. Das ist eben so. Das Kompliment impliziert, dass ich als nichtdeutsch aussehende Person gar nicht gut deutsch können kann. Schließlich sehe ich nicht Deutsch aus.

Das ist so dämlich, es gibt nämlich doch heutzutage vor allem nicht mehr die typischen Arier, blond, hellhäutig und mit blauen Augen. Das ist doch total die veraltete Vorstellung. Deutsche müssen nicht unbedingt europäisch aussehen und einen deutschen Namen tragen. In welchem Jahrhundert leben die Leute? Schon mal auch etwas von Deutschen mit Migrationshintergrund gehört? Und wenn die Leute merken, dass ich gut Deutsch kann, sollte man doch automatisch auf die Idee kommen: „Ah sie wurde bestimmt hier geboren!“ Obwohl unsere Gesellschaft multikultureller denn je geworden ist, gibt es immer noch diese Abgrenzung zwischen den richtigen Deutschen und denen, die eben doch die ausländischen Wurzeln haben. Ja, ich und viele andere sind leider anders, aber vor allem, weil die Gesellschaft uns diese Andersartigkeit zuschreibt und uns nicht die Chance gibt, mal so wie die anderen zu sein. Wir werden immer wieder in Situationen gesteckt, in denen uns klar wird, dass wir niemals so sein können wie die Bio-Deutschen, also die ohne jeglichen Migrationshintergrund.


Weder Deutsch noch Vietnamesisch

Und das ist eben der Grund, warum ich mich noch heute in einer sozialen Identitätskrise befinde. Ich kann nicht genau zuordnen, wohin ich gehöre. Eigentlich sehe ich mich als Deutsche. Ich wurde hier geboren, bin zur Schule gegangen, hab mein Leben in Deutschland verbracht. Ich kann sehr gut deutsch, hatte eigentlich nur mit Deutschen etwas zu tun. Ich habe mich scheinbar perfekt integriert. Und trotzdem kommen immer wieder solche Situationen, in denen ich mich anders fühle. Ich bin nicht wirklich Deutsche und werde es nie sein. Eben durch rassistische Äußerungen, Herkunftsfragen und durch die Blicke, die mein asiatisches Aussehen anziehen.

Und gleichermaßen bin ich keine wirkliche Vietnamesin. Ich fühle mich viel weniger vietnamesisch. Und dadurch in Vietnam auch verloren und nicht zugehörig. Da ich nicht einmal wirklich vietnamesisch kann, ist die Barriere zu meinen Wurzeln noch viel größer. Ich bin weder richtig vietnamesisch, noch richtig deutsch.

Was bin ich also dann? Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es egal ist. Ich kann aus beiden Kulturen etwas haben. Ich bin mehr als nur meine Herkunft, ich bin schließlich wie jeder andere Mensch ein komplexes Wesen. Auch wenn ich noch immer damit hadere: Inzwischen versuche ich auch Vorteile daraus zu ziehen, irgendwie zwischen zwei Nationalitäten zu hängen, von jedem etwas zu haben. Es macht mich irgendwie auch stolz und besonders, weil ich eben ohnehin speziell bin und dadurch spezieller werde. Öfter mal habe ich mit dieser Andersartigkeit zu kämpfen, doch manchmal bin ich auch froh darüber und ein wenig stolz.
Ich bin eine Banane, außen gelb (wie man Asiaten auch immer als gelbhäutig bezeichnen kann) und innen weiß (wie eben die weißen Deutschen). Komischer Vergleich, aber irgendwie auch zutreffend.

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