Vielleicht
kennt ihr das. Ein Freund, von dem ihr länger schon nichts gehört
habt, schreibt euch an und fragt: „Wie geht es dir so? Wie läuft
es bei dir?“ Eigentlich geht es euch nicht gut und im Leben läuft
nichts so wie ihr es wollt. Und trotzdem antwortet ihr nur: „Mir
geht es ganz okay.“ Was steckt dahinter, dass wir bei solch einer
harmlosen Frage doch nicht immer mit der Wahrheit rausrücken?
Nun
behaupte ich mal, dass die meisten von uns gedankenlos die Frage „Wie
geht es dir?“ stellen, ohne über die Folgen nachzudenken. Ich
glaube, dass wir meist eine positive Antwort erwarten. Mit dieser
können wir weitaus besser klarkommen, als wenn uns dann plötzlich
jemand seine ganze Leidensgeschichte erzählt. „Wie geht es dir?“
ist inzwischen doch eigentlich eine Höflichkeitsfloskel geworden.
Aber richtiges Interesse an dem Wohlergehen des anderen, steckt nicht
immer dabei. Die Frage ist für mich so beliebig, so unpersönlich
und eigentlich auch eher oberflächlich. Wir stellen sie meist eher
am Anfang eines Gesprächs als eine Art Ice Breaker. Damit das
Gespräch überhaupt in Gang kommt. Aber so wirklich wissen wollen
wir doch eigentlich nicht, wenn es dem anderen mies geht. Seien wir
ehrlich. Es wäre doch eher unglaublich unangenehm, wenn wir dann von
einer Welle von Sorgen, Ängsten und Problemen überrollt werden
würden.
Eine ganz banale Frage
Und
erinnert euch mal an die Situationen zurück, in denen ihr die Frage
gestellt habt oder gestellt bekommen habt. Wie habt ihr da meist
geantwortet: In den meisten Fällen doch eher mit „Ganz gut.“
Oder ihr habt nicht wirklich über eurer Wohlbefinden gesprochen,
sondern eher darüber, was gerade in eurem Leben passiert, welche
Veränderungen es gibt, was euch beschäftigt, wie der Job, die
Familie, die Liebe und all eure Vorhaben laufen. Die Frage zielt
eigentlich gar nicht wirklich darauf ab, zu erfragen, wie es dem
anderen gefühlsmäßig und gesundheitlich geht. Es geht vielmehr
darum zu erfahren, was dem anderen im Leben los ist. Über das
Fühlen, die Zufriedenheit, unseren psychischen und gesundheitlichen
Zustand, darüber wollen wir oftmals gar nicht reden oder etwas
wissen. „Wie geht es dir?“ ist eigentlich nur eine
Small-Talk-Einstiegsfrage. Meist bleiben wir an der Oberfläche und
wollen als Fragesteller gar nicht so tief rein.
Und
diejenigen, die darauf antworten, wissen meist auch, dass der andere
nicht wirklich wissen will, wie es einem geht. Und darum antworten
wir schon fast automatisch mit „Geht so“ und „bei mir ist alles
okay“, obwohl es in den meisten Fällen nicht stimmt. Bei Freunden
und engen Vertrauen sieht das vielleicht noch anders aus. Da öffnen
wir uns vielleicht doch ein wenig mehr. Aber auch da gibt es
Hindernisse, wie folgende:
Mit
dem Thema Lügen und Wahrheit hatte ich mich vor einiger Zeit bereits
befasst. Und entdeckt, dass wir meist nicht mal böse Absichten
haben, wenn wir etwas flunkern. Im Gegenteil: Wir wollen keinen
Stress mit anderen haben, niemanden verletzen, Peinlichkeiten
vermeiden, aber vor allem eins: Wir wollen uns damit selbst schützen.
Und
so ist es sehr wahrscheinlich auch bei dem gerade erwähnten
Beispiel: Obwohl es uns nicht gut geht, sagen wir nicht die Wahrheit.
Wir gaukeln dem anderen heile Welt vor und das aus verschiedenen
Gründen.
Einerseits
ist es uns vielleicht unangenehm oder nicht recht, gerade die
Wahrheit zu sagen. Wir müssten dann weit ausholen, müssten uns mit
unseren Baustellen im Leben befassen. Wir müssten uns erst einmal
damit selbst beschäftigen, bevor wir das anderen mitteilen. Und für
manche ist es auch einfach nur anstrengend den ganzen Kram noch
einmal mit jemand anderen durchzukauen.
Vielleicht
wollen wir der Wahrheit auch nicht ins Auge sehen. Vielleicht glauben
wir, wenn wir nicht darüber sprechen, dass es das Problem gar nicht
gibt, wir können es dadurch besser verdrängen, wenn wir vorgeben,
dass alles in Ordnung ist. Gute Mine zum bösen Spiel machen. Wenn
wir oft genug uns einreden, dass alles okay ist, wird das vielleicht
Wirklichkeit. Wir sind vielleicht noch nicht bereit uns mit der
harten Realität zu befassen und wollen es also lieber nicht
wahrhaben, sondern lieber einen auf Friede, Freude, Eierkuchen
machen.
Öfter
mal ist es auch einfach nur Bequemlichkeit. Das Thema ist leichter
abgehakt, wir müssen über das Unangenehme nicht schreiben oder
reden. Das könnte uns zusätzlich belasten. Manche haben einfach
keine Lust, dann von anderen über ihre Probleme und Sorgen
ausgefragt zu werden. Und manche wollen sich auch nicht anderen
anvertrauen, weil sie meinen, solch persönliche Dinge haben
niemanden zu interessieren.
Manche
Menschen wollen auch einfach niemandem Sorgen bereiten. Sie fürchten,
anderen damit zur Last zu fallen. Meist sind es Menschen, die
Probleme lieber einmal mit sich selbst klären, bevor sie anderen
davon erzählen.
Dann
wären da noch die Menschen, die keine Schwäche zeigen wollen, sie
wollen nach außen hin ihr Gesicht wahren, wollen sich nichts
anmerken lassen, was ihre harte Schale zum Bröckeln bringt. Ich
denke, dass es meist bei Männern der Fall ist, sie wollen den Harten
markieren und sich nicht blamieren. Und meist wollen sie auch nicht
über Probleme reden, weil das auch etwas emotionales ist. Und viele
Männer scheuen sich vielleicht davor.
Ein
weitere Grund, der mir einfällt ist, dass manche Menschen auch
einfach nicht gern über Probleme und eben Gefühle und Sorgen reden
wollen. Einfach auch, weil sie es nicht können oder auch nie gelernt
haben. In der eigenen Familie wurde das nie gemacht, sie wissen
nicht, wie sie dies in Kontakt mit anderen besprechen können, haben
dadurch große Hemmungen und Ängste.
Manch
andere haben vielleicht mit ernsthaften psychischen Problemen zu tun
und schämen sich dafür. Nach wie vor scheint es ein Unding zu sein,
über Dinge, die die Psyche betreffen, zu reden. Es besteht noch
immer ein Stigma, das wir so leicht nicht loswerden können. Oftmals
hemmt uns das, uns anderen mitzuteilen und ihnen davon zu reden.
Dabei wäre Reden wahrscheinlich der erste Schritt zur Besserung.
Wenn wir uns öffnen, dann machen wir uns auch recht verletzlich. Wir
fürchten uns vor negativen Reaktionen, dass der unsere uns nicht
akzeptiert, uns deswegen abwertet.
Manch
andere Menschen wollen aber auch einfach nicht über Negatives reden,
weil es dann wieder hochkommen und sie überwältigen würden. Sie
sind noch nicht bereit zu reden, weil sie Angst haben, dass sie das
nicht bewältigen könnten.
Ihr
seht also, es gibt viele Gründe, warum wir nicht zugeben können und
wollen, dass es uns im Moment schlecht geht und wir mit Problemen zu
kämpfen haben. Oder warum wir eben schon ganz automatisch lügen und
es uns gar nicht schwer fällt.
Nehmen
wir mal an, wir sagen folgendes: „Mir geht es gerade richtig
beschissen. Mein Leben geht den Bach herunter. Ich habe jede Menge
Probleme...“ Wie würde der andere darauf reagieren? Er wäre super
geschockt, weil er mit so viel Ehrlichkeit nicht gerechnet hätte und
fragt dann schockiert, was los sei und warum das so ist. Eigentlich
sollte das „Wie geht es dir“ nur eine Floskel zum Einstieg sein
und nicht richtig zum Deep Talk führen. Die Erwartungen wurden
gebrochen. Und nun muss der andere Kummerkasten spielen, was er
eigentlich nicht vorhatte. Dabei hatte er sich selbst in die Scheiße
geritten, selbst Schuld, wenn man so eine Frage stellt. Es gibt eben
auch Leute, die ehrlich darauf antworten und damit muss man eben doch
auch mal rechnen.
Warum
wir nicht über psychische Probleme reden
Noch
mal zurück zum Thema, dass wir eigentlich nicht gern über
Psychisches reden. Über gesundheitliche Dinge können wir dagegen
viel reden, vor allem ältere Menschen haben da absolut keine Scheu,
lang und breit über Darmprobleme und mehr zu reden. Aber über
psychische Dinge schweigen wir lieber. Wenn es uns körperlich nicht
geht, überlegen wir nicht lange und gehen bei den kleinsten Sachen
zum Arzt. Doch wenn es uns seelisch nicht gut geht, wir unter
Burn-Out, Stress, Depressionen oder anderen seelischen Sorgen leiden,
zögern wir das hinaus. Zum Psychologen, Therapeuten und Psychiater
zu gehen, ist nach wie vor etwas, was stigmatisiert ist. Das machen
doch nur die schweren Fälle, aber nicht normale Menschen wie wir!
Glauben viele. Und so tragen sie ihr emotionales Gepäck mit sich,
ohne etwas dagegen zu machen, bis es irgendwann nicht mehr geht.
Emotionale
und psychische Sachen sind immer noch Tabu-Thema, es wird darüber
nicht geredet. Zu groß ist die Angst, dass man dadurch ausgegrenzt
und abgewertet wird. Dabei sind psychische Probleme genauso schlimm
wie gesundheitliche. Wenn man nichts unternimmt, können sie uns auch
zugrunde richten. Sie können genauso unsere Lebensqualität mindern
und uns unglücklich machen. Viele denken sich, dass sich solche
Probleme eher wieder einrenken, dass man sich nicht so haben soll und
sich lieber zusammenreißen soll. Psychische Probleme werden
unterschätzt, während körperliche Probleme eher überschätzt
werden. Beides ist nicht gut. Aber auch psychische Probleme können
schwer werden und sind unbedingt ernstzunehmen. Auch über diese
sollten wir reden. Tolle Möglichkeiten ergeben sich in
Selbsthilfegruppen, die auch viele psychische Probleme und
Erkrankungen abdecken.
Es
wäre schön, wenn wir uns öfter mal in Zukunft trauen, uns
verletzlich zu machen und auch darüber reden, wenn es uns nicht gut
geht und das Leben nicht läuft. Das ist nicht leicht, erfordert sehr
viel Mut und Überwindung. Aber es wäre ein Versuch wert, um die
Maske mal fallenzulassen und richtig authentisch zu sein.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen