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Treue in der Beziehung ist mehr als nur sexuelle Exklusivität

Dieser wunderbare Artikel https://www.lottafrei.de/treue-neu-definieren/ von Lotta hat mich dazu inspiriert, unsere gängige Vorstellung von Treue zu hinterfragen und neu zu definieren.


Wo fängt Untreue eigentlich an?

Fragt man unterschiedliche Menschen da nach, wo bei ihnen Fremdgehen anfängt, kriegt man ganz unterschiedliche Antworten: Wenn der andere Sex mit jemand anderen hat. Wenn der Partner fremdküsst. Wenn man sich fremdverliebt. Wenn man bereits beim Sex mit dem Partner an jemand anderen denkt. Wenn der Partner beim Liebhaber übernachtet oder beide im Ehebett schlafen, obwohl man das in der offenen Beziehung strikt ausgeklammert hat. Oder man mit anderen schlafen darf, aber eben nur paar Mal und dann doch eine längere Liebschaft hat. Fremdgehen kommt also nicht nur in monogamen, auch in offenen Beziehungen vor.

Und was man daran auch sehen kann: Untreue kann so unterschiedlich sein. Wann Untreue anfängt, hängt maßgeblich von den eigenen Vorstellungen und Grenzen ab. Wenn wir also nicht genau definieren können, was Untreue ist, wie sieht es dann bitte erst mit Treue an? Da haben die meisten von uns im Kopf: Es muss sich um sexuelle Treue handeln. Wir dürfen mit anderen nicht intim werden.

Aber was ist dann mit den emotionalen Affären, bei denen es nicht über Körperlichkeiten geht? Da geht es nur um Gefühle beziehungsweise um eine Nähe, die eigentlich nicht mehr gesund ist. Die Grenzen überschreitet, wenn wir dem anderen Dinge von uns preisgeben, die selbst der eigene Partner nicht kennt. Und an gerade den emotionalen Affären erkennt man: Treue beziehungsweise Untreue hat nicht immer was mit Zärtlichkeiten und Sex zu tun. Aber der Reihe nach.

Lotta schreibt gegen Ende ihres Textes:

Sexuelle Treue gilt in den meisten Beziehungen als oberstes Gebot. Sie zu verletzen, bedeutet nicht selten das konsequente Beziehungs-Aus. Gleichzeitig aber wird Sex als so geringwertig eingestuft, dass man dafür doch nicht ‘durch fremde Betten hüpfen’ muss, und sich gefälligst zu beherrschen hat.“

Und sie hat damit durchaus Recht. In vielen Beziehungen läuft es so ab, dass man einerseits Sex als minderwertig, als triebhaft, etwas, wo man sich kontrollieren muss bezeichnet. Etwas, wofür es sich eigentlich nicht einmal lohnt, seine Beziehung oder Ehe aufs Spiel zu setzen. Doch gleichzeitig stehen und fallen damit viele Beziehung, auch welche, die schon einiges mehr und schlimmeres, wie ich finde, überstanden haben. Als ob die sexuelle Treue das Nonplusultra wäre oder das Totschlagargument, mit dem jede Beziehung ein Ende haben muss. Wer einmal betrügt und fremdgeht, dem kann nicht verziehen werden, dann muss die Beziehung nachhaltig geschädigt sein und kann nicht gerettet werden.


Die vielen Facetten von Treue

Interessant fand ich bei einer kurzen Recherche, dass Treue an sich auch zwischen individuellen Menschen nicht unbedingt Exklusivitätsanspruch bedeutet. Nur allein in der Liebe und bei Beziehungen schwingt dieser Anspruch mit bei. Bei allen anderen Beziehungen, ob bei Freunden oder bei der Familie, gibt es dieses Prinzip "Alles nur mit einem für immer" nicht. Und gerade Freundschaften sind es, die doch meist im Leben oftmals länger halten als so manche Beziehung. Es ist absolut kein Problem, wenn wir mit verschiedenen Menschen befreundet sind, wenn wir unsere Eltern und Geschwister lieben. Alles kein Problem. Aber wir dürfen ja bloß nicht in monogamen Beziehungen mit anderen Menschen schlafen oder uns überhaupt in andere verlieben und uns von ihnen angezogen fühlen. Dann würde wir unser Treueversprechen brechen, unseren Partner hintergehen und betrügen.


Mehr als nur sexuelle Exklusivität

Schaue ich mir mal auch die Definitionen und Umschreibungen beim Duden an, zeigen sich noch andere Facetten der Treue, die auch stark mit den Punkten korrespondieren, die Lotta angeführt hat.

Treu sein bedeutet, zuverlässig sein und beständig in der Gesinnung einem anderen gegenüber. So wie es früher bei den Rittern war, die ihrem Herren treu ergeben waren, für ihn sogar ihr Leben ließen.

Treue kann auch, dass wir an einer Beziehung unerschüttlich festhalten, egal was kommt. Treusein bedeutet auch Beständigkeit, dass wir an unserer Bindung zu unserem Partner festhalten und uns dafür einsetzen, dass die Liebe erhalten bleibt.

Lotta schreibt in ihrem Artikel noch über mehr Werte, die Treue ausmachen.

Da wäre auch die Ehrlichkeit zu nennen. Wir lügen unseren Partner nicht an, sagen ihm die Wahrheit und sind ehrlich miteinander. Es gibt nichts, wofür wir uns schämen, nichts was wir verheimlichen müssen.

Gleichermaßen zeigen wir uns verletzlich, wir zeigen unser wahres Ich mit all seinen Schwächen, Ängsten und Abgründen. Wir können aber darauf bauen, dass unser Partner uns so nimmt wie wir sind. Verletzlichkeit schenkt der Beziehung ganz viel Nähe.

Und dann wäre noch Comittment zu nennen. Also die Fähigkeit, sich auf diesen einen Partner festzulegen, sich für ihn und ein Leben mit ihm zu entscheiden. Mit dieser Person will ich eine gemeinsame Zukunft planen, Kinder haben und vielleicht auch noch alt werden. In guten wie in schlechten Zeiten halten wir zusammen, sind füreinander da.

Nicht zu vergessen, bedeutet für mich Treue auch, dass ich den anderen Partner respektiere, dass ich ihn schätze, mich für ihn auch verantwortlich fühle, mich um ihn kümmere und sorge. Ich will, dass es dem Partner gut geht. Ich liebe ihn und zeige ihm meine Liebe, sei es durch Worte, Taten und Aufmerksamkeiten.


Doppelmoral beim Sex

Und da kommen wir eigentlich zu dem entscheidenden Punkt: Die Sexualität nimmt in der Beziehung und Liebe eine besondere und sehr wichtige, abgrenzende Funktion ein. Sie ist es, die Freundschaft von Liebe abgrenzt. Doch Liebe, finde ich, ist doch so viel mehr als nur Sex und Zärtlichkeiten. Natürlich will ich auf keinen Fall sagen, dass Sex und alles Körperliche weniger wichtig ist. Nein, das sind entscheidende Dinge, die eben auch Beziehungen ausmachen. Aber wenn wir uns beispielsweise offene und polygame Beziehungen ansehen, in denen es erlaubt ist, mit anderen sexuell zu verkehren, wo bleibt dann eben diese Treue? Was definiert dann meine Beziehung und meine Liebe zu meinem Partner? Dann kann es nicht mehr nur die sexuelle Exklusivität sein, die mich an meinen Partner bindet.


Schutz vor dem Verlassen werden?

Sexuelle Treue - das ist doch eigentlich ein Verbot, mit anderen zu schlafen. Aus Angst, man könnte sich dann in jemand anderen verlieben und den Partner verlassen. Als eine Schutz vor dem Scheitern der Beziehung. Als wäre die sexuelle Treue ein Anker, an dem man sich festhalten könnte, als könnte das eine Garantie sein, dass die Beziehung ewig halten würde. Genauso irrsinnig finde ich es, wenn Leute sagen, dass man den Partner nicht mehr liebt, weil man ihn betrogen hat. Das wäre zu einseitig, dahinter stecken noch viel mehr Gründe. Aber es muss nicht immer die fehlende Liebe sein.

Auch da wieder der Glaubenssatz: Der Partner muss alle meine Bedürfnisse erfüllen, dann brauche ich gar nicht fremdzugehen. Aber nein, der Partner kann und muss nicht die eierlegende Wollmilchsau sein. Niemand kann diesem Ideal je entsprechen. Warum sonst haben wir auch so viele verschiedene Freunde, mit denen wir unterschiedliche Bedürfnisse befriedigen? Wieso muss es in der Beziehung also immer nur der Eine sein? Kann doch sein, dass es sexuelle Vorlieben gibt, die der andere nicht teilt. Warum sich dann also einfach selbst einschränken und nicht mit einem anderen diese Vorlieben ausleben? Es gibt bestimmte Dinge, die mir mein Partner eben nicht geben kann. Sei es, weil er es nicht mag, nicht kann oder weil es eben nicht geht. Leidenschaft und Verliebtheit -- das sind Dinge, die in einer Langzeitbeziehung flöten gehen. Und die ich mir vielleicht durch meinen Liebhaber wieder geben kann. Was ist daran so verkehrt, wenn ich dadurch glücklicher bin? Ich weiß, dass es sehr überspitzt ist.

Doch auch wenn wir den Partner nicht betrügen würden, es gäbe keine Garantie, dass man nicht irgendwann doch wieder auseinandergeht, aus anderen Gründen eben. Oder man verliebt sich eben trotzdem in jemand anderen, auch wenn man monogam lebt. Kommt alles vor.


Wenn der Fremdsex die eigene Beziehung und Liebe zum Partner verstärkt

Ich bin ja der Ansicht: Wer auch mit anderen Menschen Sex hat und dann trotzdem mit seinem Partner zusammen ist, der ist ihm wirklich treu ergeben. Man hat natürlich die Vergleichsmöglichkeiten, aber erkennt vielleicht auch dadurch, wie toll der eigene Partner ist, was man an ihm hat und dass ihn einfach keiner, nicht mal der beste Liebhaber, ersetzen kann. Ja, es gibt viele Versuchungen, man könnte sich verlieben, wenn man mit anderen schläft. Und es ist vollkommen normal, dass Gefühle dabei entstehen könnten. Sich darauf zu einigen, sich nicht zu verlieben -- das halte ich für irrsinnig. Man kann das doch sowieso nicht steuern. Man hätte die Wahl, könnte mit dem bezaubernden Freund und Liebhaber eine neue Beziehung starten. Und wenn die alte Beziehung ohnehin nicht mehr gut läuft, man den anderen nicht mehr liebt, ist das Fremdschlafen im Endeffekt nur noch ein Antreiber für einen Neubeginn.

Doch wenn die Beziehung gut läuft, Liebe da ist, man mit niemand anderen zusammen sein will. Dann kann auch der beste Sex mit jemand anderen nichts daran ändern. Man bleibt eben doch mit dem einen Partner zusammen. Weil man glücklich in der Beziehung ist. Da kann auch der Fremdsex nichts dran ändern.

Ich denke jedoch, dass die meisten sexuelle Treue, diesen Exklusivitätsanspruch als Gesetz in Beziehungen gegeben sein. Unantastbar. Eine Regel, an die sich alle zu halten haben. So muss es in Beziehungen funktionieren. Wenn wir dran festhalten, ohne es zu hinterfragen, dann laufen wir Gefahr, damit unglücklich zu werden. Und wie oft kommt Fremdgehen vor? Viel zu oft. Obwohl sich doch alle Treue wünschen, aber doch nicht selbst erfüllen können? Schon paradox. Ja, die Exklusivität in Beziehungen erleichtert vieles, man muss sich keine Gedanken machen, muss nicht drüber reden, diskutieren, es erspart viel Stress.

Aber: Es verhindert eben auch echte Kommunikation über die eigenen Bedürfnisse. Es mag sein, dass es Menschen gibt, die eben treu sind und es sein können und wollen. Andere haben keine Wahl, sind sozusagen treu, weil es keine anderen Alternativen und Versuchungen gibt. Und wieder andere fühlen sich gefangen in diesem Monogamie-Korsett. So unterschiedlich wie wir Menschen sind, sind auch unsere Bedürfnisse und es gibt eben Menschen, die gerne vielen Menschen nah sein wollen, die sich sexuell ausleben wollen, aber gleichzeitig mit ihrem Partner zusammen sein wollen. Und darum denke ich, muss Monogamie nicht für alle eine Lösung sein. Sie kann funktionieren, aber nicht für alle.


Was sexuelle Treue mit Eifersucht zu tun hat

Mit der sexuellen Exklusivität ist generell das Gefühl von Eifersucht stark verbunden. Und vielleicht auch ein gewisser Besitzanspruch. Und wenn wir schon alle möglichen Aktivitäten auch mit anderen machen können, dann sollte doch wenigstens der Sex eben exklusiv sein. Der Beweis, dass mein Partner nur mich begehrt und liebt. Wenn er nur mich lieben würde, würde er nicht mit anderen schlafen wollen oder mich betrügen.

Und da haben wir den Salat: Wir beziehen immer alles uns. Wenn der Partner uns betrügt, sich fremdverliebt, Sex mit anderen will -- Wir denken, wir wären nicht genug, der andere liebt uns doch nicht so sehr. Und da kommt die Eifersucht ins Spiel, da kommen Selbstzweifel, Zweifel an der Beziehung und der Liebe des anderen für uns.

Die sexuelle Exklusivität soll uns davor schützen, dass der andere uns betrügt, jemand anderen begehrt oder sich verliebt. Im Endeffekt schützen wir damit vor allem aber auch uns und unser Ego.


Wie sexuelle Exklusivität unser Selbstwertgefühl schützt

Ich bin der Ansicht, wer eifersüchtig ist, der will den Partner irgendwo für sich haben, der hat vielleicht auch Angst, nicht auszureichen, den anderen zu verlieren. Und damit weist uns Eifersucht auf eine wichtige innere Baustelle hin: Ein geringes Selbstwertgefühl und Verlustängste. Je stärker wir uns fühlen, je selbstbewusster und wertvoller, desto weniger Angst haben wir davor, den anderen zu verlieren. Desto weniger eifersüchtig sind wir. Wir müssten uns nicht mehr vergleichen. Nicht mehr alles auf uns beziehen.

Eifersucht kann auch in offenen und polygamen Beziehungen auftreten, mal mehr, mal weniger. Aber indem wir eben die Treue neu definieren, uns überhaupt mit unseren Bedürfnissen, Gefühlen und der Eifersucht auseinandersetzen, können wir als Menschen und in der Beziehung wachsen.


Darum sehe ich da auch eine große Chance darin, Treue zu überdenken und zu reflektieren. Also lasst uns mal das Gebot der sexuellen Treue mal hinterfragen: Passt das wirklich zu mir und zu unserer Beziehung? Wie sieht das mein Partner? Entspricht das unseren Bedürfnissen und Vorstellungen einer erfüllten Beziehung? Was ist für uns überhaupt Treue? Und wo fängt man uns Untreue, nicht nur im sexuellen Sinne an?

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