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Muss die Zeit denn immer wie im Flug vergehen?


Zeit ist schon etwas seltsames, mal geht sie rasend schnell vorbei, manchmal zieht sie sich sehr. Wie wir das Zeitvergehen empfinden, hängt nicht nur von unserer jeweiligen Stimmung und unserem inneren Zustand ab, sondern auch von dem, was wir erleben und wie alt wir sind. Doch wir spielen dabei auch immer eine aktive Rolle.


Gefühlt jedes Mal kriege ich diese Sätze beim Telefonieren mit meiner Mutter zu hören: „Die Zeit vergeht irgendwie immer total schnell. Ich habe das Gefühl, dass ich viel weniger schaffe als früher. Es habe irgendwie viel weniger Zeit als früher.“ Wer kennt diese Sätze nicht und wer hat sie nicht mindestens einmal besonders von älteren Menschen oder den eigenen Eltern gehört? Ich denke, das ist so eine Alterssache. Die Zeit vergeht subjektiv nämlich laut Forschung tatsächlich schneller, wenn man älter wird.


Je älter man wird, desto weniger passiert auch

Woran das liegt? Ich habe mich ein wenig mal in das Thema reingelesen und einige interessante Sachen herausgefunden. Ein wichtiger Grund ist vor allem, dass wir mit dem Alter immer weniger neue, einprägsame Dinge erleben. Mit dem Alter probieren wir weniger neue Dinge aus. Wir haben eben auch schon sehr viel erlebt, erste Male werden immer weniger, das Leben berechenbarer. Die großen Überraschungen bleiben eher aus. Es ist nicht mehr wie in der Kindheit und Jugend ein großes Auf und Ab der Gefühle. Stattdessen kehrt Ruhe in den Alltag ein, vor allem wenn dann die Kinder erwachsen geworden sind und das Haus verlassen. Plötzlich wird das Leben richtig still.

Vor allem ältere Menschen brauchen dann ihre Routinen, die sich mit den Jahren gefestigt haben. Hat sich eben so bewährt. Und wenn man gut damit fährt, warum nicht einfach so weitermachen? Routinen sind ja an sich nichts Schlechtes, sie geben Sicherheit und Halt, Orientierung im Leben. Aber je mehr Routinen unseren Alltag bestimmen, desto weniger spannend wird es eben im Leben. Routinen wiederholen sich, das ist klar.

Und weil sie teilweise nicht bewusst wahrgenommen und im Gedächtnis abgespeichert werden, erinnern wir uns nicht mehr daran. Wenn uns jemand fragt, was wir denn so gemacht haben, antworten vor allem die Älteren eher, dass nicht viel passiert ist. Im Alter wird alles ruhiger und dann passiert eben weniger, weil man das vielleicht auch nicht braucht, man will sich lieber zur Ruhe setzen. Die wilden Jahre sind ja schließlich vorbei und wurden genug ausgelebt. Ruhephasen und Routinen sind so Dinge, die sich das Gehirn eben nicht merkt. Und daraus folgt, dass wir immer weniger Erinnerungen abspeichern. Rückblickend werden dann die Wochen, Monate und Jahre dann immer weiter komprimiert, weil ja nichts Besonderes passiert ist. Die Zeit wird rückblickend gerafft, sodass wir glauben, dass sie davonfliegt.

Oder nehmen wir doch auch mal das Leben von Erwachsenen, die bereits angekommen sind. Sie haben Haus, Kinder, einen sicheren Job. Sie arbeiten tagein und tagaus. Anders noch als in der Jugend- und Studienzeit hat man dann gefühlt wirklich weniger Zeit, weil Job und Familie eben doch sehr vereinnahmen. Hinzu kommt, dass viele dann tatsächlich zu viel arbeiten und kaum mehr Zeit für Hobbys, Freunde oder besondere Aktivitäten haben. Irgendwann vermischt sich das alles auch zu einer Art Routine. Es kommt einen vor, als würde man nur arbeiten, schlafen, essen, sich um die Familie kümmern. Da bleibt kaum mehr Zeit für Überraschungen, Spontanität, Neues und Abenteuer.

Viele schalten dann auf Autopilot, sie funktionieren nur, leben nicht mehr bewusst im Augenblick, weil sie von einem Termin zum nächsten rennen, ihre To-Do-Liste abhaken. Sie nehmen sich keine Zeit mehr für sich und um mal über ihr Leben zu reflektieren. Gelegentlich lassen wir uns auch Zeit rauben, wenn wir wieder mal Überstunden schieben sollen oder etwas tun sollen, worauf wir gar keine Lust haben. Und dann arbeiten sie sich im Hamsterrad des Lebens und der Gesellschaft kaputt und fragen sich: Wo ist nur die Zeit geblieben? Wir sind nicht mehr Herr über die Zeit, im Gegenteil, die Zeit hat uns in den Händen. Dann wundern wir uns, warum uns die Zeit einfach so davonrast. Dieses Gefühl entsteht immer dann, wenn wir glauben, keinen Einfluss darüber zu haben. Wenn wir unser Leben eigentlich nicht mehr bewusst leben und gestalten. Dann fühlen wir uns als Opfer der Zeit.

Ich muss gestehen, dass ich dieses Phänomen auch selbst kenne. Was ich zwischen 2012 und 2015 gemacht habe, daran erinnere ich mich leider kaum. Dabei hätte das eine aufregende Zeit sein müssen. Ich zog 2012 in eine neue Stadt, lebte dann mit meinem ersten Freund zusammen, fing an zu studieren. Anfangs war das auch eine ereignisreiche und spannende Zeit, in der viel Neues passierteDoch Ende 2012 zog ich mich immer mehr in meine eigenen vier Wände mit meinem Freund zurück. Ich verließ das Haus nur für die Uni und fürs Einkaufen, stattdessen verbrachte ich viel Zeit im Internet und einem MMORPG. Also einem Spiel, bei dem ich mit vielen anderen im Internet zusammen spiele. Das wurde dann mein neues Leben.

Ein halbes Jahr später hörte ich mit dem intensiven Zocken auf, aber mein Leben blieb trotzdem langweilig. Ich hatte immer noch keine Freunde, unternahm nichts, verbrachte immer noch viel Zeit Zuhause. Und da passierte eben auch nicht viel. Und da war immer diese Unzufriedenheit mit meinem Leben. Diese Monotonie strengte mich auch an, die Einsamkeit laugte mich aus. Rückblickend kann ich echt nicht mehr sagen, was da in den drei Jahren bis 2015 wirklich passiert ist. Nicht viel. Und warum? Weil ich mich verkroch, ich nur von einem Tag zum nächsten lebte. Weil ich irgendwie in meinem eigenen Hamsterrad gefangen war, Opfer der Umstände war, passiv war. Ich konnte schon in jungen Jahren miterleben, wie einem die Zeit einen und man sich ohnmächtig fühlt, weil man glaubt, nichts dagegen tun zu können.


Woran wir uns am meisten erinnern

Das Gegenteil von der gefühlt rasenden Zeit ist jene, in der uns die Zeit ewig vorzukommen scheint.

Menschen erinnern sich vorwiegend an ihre ersten 25 Lebensjahre. Warum? Weil in den ersten Lebensjahren einfach das Meiste passiert und diese Zeit vor allem von ersten Malen geprägt ist. Das erste Mal in die Schule kommen, erstes Mal lesen und schreiben lernen, erste Freundschaften knüpfen, das erste Mal Verliebtsein, erste sexuelle Erfahrungen, der erste Liebeskummer und die erste Trennung, der Schulabschluss, erstes Mal von Zuhause ausziehen, erste eigene Wohnung, vielleicht Umzug in eine neue Stadt, auf eigenen Beinen stehen, erste Berufserfahrungen – überhaupt erstmal erwachsen werden.

Gerade die Pubertät und Schulzeit ist ja eine Zeit, an die sich vor allem die älteren Menschen gerne zurückerinnern. Da ist eine Achterbahn der Gefühle, man lernt sich selbst kennen, findet heraus, wer man ist, was man will, knüpft Beziehungen, macht jede Menge neue Erfahrungen, wächst innerlich immer mehr.

Jeder von uns erinnert sich vielleicht auch noch an die Zeit als Kind. Da schien alles irgendwie gefühlt ewig anzudauern. So viel Neues zu erleben. Man staunte über so viele Dinge, selbst über Kleinigkeiten. Es gab so viel in der Welt zu entdecken und zu erkunden. So viel Neues zu erleben. Und so fühlte es sich immer so an, als würde die Zeit als Kind nur sehr langsam vergehen, eben weil so viele neue Eindrücke und Erlebnisse unsere Zeit als Kind füllten. Das Leben war damals noch wie ein großes Abenteuer voller Überraschungen.


Zeitwahrnehmung ist sehr subjektiv

Interessant finde ich im übrigen, wie sich unsere Zeitwahrnehmung in der Gegenwart deutlich von unserem rückblickenden Zeitempfinden unterscheidet.

Wenn wir viel Spaß haben, mit etwas beschäftigt sind, sehr vertieft in einer Sache sind – dann vergeht die Zeit ja wie im Flug. Gerade dann, wenn es schön wird, geht sie so schnell vorbei. Dabei wünscht man sich eigentlich eher in solchen Momenten, die Zeit möge einfach langsamer vergehen oder gar still stehen, was ja nicht gehen kann.

Doch wenn wir uns langweilen, auf etwas warten oder mit etwas beschäftigt sind, was uns gar keinen Spaß macht – dann vergeht die Zeit gefühlt gar nicht. Und da wünsche wir uns natürlich, sie würde schneller vorbei sein, weil es für uns einfach quälend ist.

Komisch, oder? Ich erkläre mir das damit, dass wir in schönen Momenten nicht so sehr auf die Uhr schauen. Wir leben im Augenblick, sind mit anderen Dingen beschäftigt und schon vergeht die Zeit schneller. Doch je mehr wir uns auf das Vergehen der Zeit konzentrieren, desto träger scheint sie zu vergehen. Die Zeit verlangsamt sich subjektiv gesehen.

Dabei vergeht objektiv die Zeit ja immer gleich schnell. Jede Minute hat eben immer 60 Sekunden. Und jede Stunde 60 Minuten. Das ist aber eben ein Indiz, dass eben viele persönliche Faktoren, wie wir uns fühlen, was wir gerade machen mit reinspielen, wie wir die Zeit wahrnehmen. Die Zeit vergeht subjektiv meistens so, wie wir es eben nicht gern hätte.


Eigene Zeitwahrnehmung entschleunigen

Nun stellt sich mir die Frage: Können wir etwas dagegen tun, damit uns die Zeit im Alter nicht immer so gefühlt schnell vergeht? Oder sind wir dem hoffnungslos ausgeliefert? Ich denke eher nicht.

Wichtig ist erst einmal zu begreifen, dass wir durchaus selbst Einfluss darauf haben, wie wir unsere Zeit nutzen. Klar, unsere Lebenszeit läuft erbarmungslos ab. Aber das heißt nicht, dass wir nur passiv mit ansehen müssen, bis wir irgendwann mal das Zeitliche segnen. Bis dahin können wir unser Leben selbst gestalten und bestimmen, womit wir Zeit verbringen und wie wir unsere Zeit verbringen.


Achtsam den Moment leben

Ein wichtiger Schritt ist ja, einfach mal wirklich bewusst und achtsam zu leben. Also wirklich im Augenblick zu sein und nicht wieder an etwas anderes denken und tausend Dinge gleichzeitig tun. Wir verlassen mal das Hamsterrad und schalten den Autopiloten aus. Was passiert dann? Dann kommen vermutlich viel Unruhe und zu viele Gedanken und Sorgen auf. Die gilt es wahrzunehmen und einfach anzunehmen. Sie sind da, sie gehören zu mir, aber ich unterliege ihnen nicht. Ich kann mich ihrer Kontrolle entziehen und bewusst anders denken, fühlen und handeln. Das kostet viel Kraft und Überwindung, weil es eben festgefahrene Muster sind, die da immer wieder abgespielt werden.

Wenn wir dazu Abstand gewinnen, erlangen wir wieder auch mehr Kontrolle über unser Leben. Wir lassen den Moment auf uns wirken, fühlen in uns hinein, was da ist, sind ganz bei uns. Wir nehmen wahr, was sich in uns und außerhalb abspielt. Wir fokussieren uns auf unsere Sinne und all die Reize und Regungen. Erst dann sind wir wirklich präsent. Am besten geht das beim Meditieren. Aber auch mal eine Minute inne halten kann schon sichtlich entspannen.

Und dann lasst und vor allem die Augenblicke richtig genießen, die uns Freude, Glück, Zufriedenheit und Spaß bringen. Lasst uns nicht an Morgen denken und Angst haben, dass der Augenblick vergeht. Ja, er wird vergehen, schneller als wir denken. Aber genau in diesem Augenblick spielt sich unser Leben ab. Das ist Leben pur! Und nicht das Denken an die Zukunft oder das Versinken in der Vergangenheit.


Kinder als Vorbild

Vielleicht könnten wir uns mal Kinder als Vorbild nehmen. Gehen wir mit offenen Augen und mit offenem Herzen in die Welt, lasst uns alles genau beobachten, die Welt aus anderen Perspektiven, mit viel Neugier betrachten. Kinder genießen die Gegenwart, ohne sich Gedanken an das Morgen zu machen. Sie sind so unbeschwert und voller Freude, sie lachen einfach und haben Spaß. Das sollten wir auch als Erwachsene öfter tun.

Generell gilt es, die eigenen Routinen mal zu hinterfragen. Wie gut tun sie mir wirklich? Und könnte ich auch die Routinen mal durchbrechen? Aus dem Gefängnis rauskommen? Wenn das Leben wirklich nur noch aus Routinen besteht, wird es langweilig und erfüllt auch nicht mehr. Wir brauchen aber auch mal Platz für Spontanität, für Abwechslung, Abenteuer und Neues.


Etwas Neues wagen

Ich beispielsweise haben mir diesen Monat vorgenommen, täglich etwas Neues zu probieren oder zu lernen. Das macht Spaß und bringt auch mal Abwechslung in meinen doch meist eher monotonen Alltag. Es muss natürlich nicht jeden Tag sein. Vielleicht reicht einmal die Woche oder sogar 1 im Monat. Mal etwas neues Kochen, woanders hingehen, neue Leute kennenlernen, etwas Neues lernen oder mal einen Kurztrip in eine Stadt machen, in der man noch nie war.

Was gibt es, was ich schon mal tun wollte, aber bis nie getan habe? Die Komfortzone zu verlassen, hilft uns, den Alltag mal hinter uns zu lassen, etwas Neues zu erleben, Neues über uns zu erfahren. Und jenseits der Komfortzone fängt doch das eigentlich spaßige Leben an.

Selbst als Erwachsene und im Alter gibt es so viele Dinge, die wir noch nicht gemacht, gelernt und erlebt haben. Wir müssen nur den Mut haben, uns auf das Neue und Unbekannte einzulassen. Das ist sicherlich nicht einfach, als junger Mensch oder als Kind konnten wir das besser. Aber das muss nicht heißen, dass wir es nicht jetzt auch noch können.

Und auch mal Veränderungen zulassen. Sie bringen meiner Ansicht nach immer etwas Positives, sie lassen uns innerlich wachsen.


Auch Akzeptanz ist eine Entscheidung

Vielleicht ist das ja tatsächlich so, dass wir mit dem Alter gefühlt weniger Zeit haben. Das hat dann aber wahrscheinlich viel damit zu tun, dass wir es ruhiger und langsamer angehen lassen. Jetzt könnten wir versuchen, alles schneller zu machen, um mehr zu schaffen. Aber muss das denn sein? Das ganze Leben haben wir uns einen abgemüht, viel zu leisten, immer zu funktionieren. Dann könnten wir im Alter wirklich mal einen Gang runterschalten, oder? Was bleibt dann also?

Einfach akzeptieren. Es ist, wie es ist. Wenn wir nicht unbedingt wieder in Hektik verfallen, sollten wir das einfach mal hinnehmen, dass es im Alter eben nicht mehr so schnell gehen kann. Und das ist doch total in Ordnung. Dann ist es eben so und die Zeit vergeht eben schneller. Aber dann nehme ich das auch an und kämpfe nicht mehr dagegen an. Akzeptieren heißt nicht, dass ich es gut heiße, aber ich nehme es an, wie es ist. Das ist nicht mit Resignation zu verwechseln. Akzeptieren ist etwas Aktives, eine Entscheidung mit etwas zu leben, was man vielleicht nicht mehr ändern kann.


Je mehr wir etwas erleben, desto mehr wir dem Alltag auch mal entkommen und Neues erleben, desto reicher wird auch unser Leben. Desto mehr passiert und desto mehr Erinnerungen schaffen wir auch. Und am Ende kommt es ja doch auf die Erinnerungen an, denn sie machen unser Leben aus. Wir haben es in der Hand, intensive Erinnerungen zu schaffen, unser Leben zu gestalten. Wir können Einfluss auf die Wahrnehmung unsere Zeit nehmen. Dazu müssen wir nur selbst erkennen, dass wir die Hauptakteure in dem Film namens Leben sind.

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