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Der Zwang, immer alles zu planen

Ständig der Blick auf die Armbanduhr. Ständig alles aufschreiben. Jedes noch so kleine Detail, jeder noch so kleine Zwischenfall, alles muss dokumentiert und analysiert werden. Meine Hand greift automatisch zu meinem Handy mit meinen Notizen, wo alles drin steht: Wie mein Tag auszusehen hat, wie ich mein Leben leben will. Und doch ist auch mein Kopf voll mit Plänen. Denn: Ich muss alles unter Kontrolle haben. Und vergesse dabei vor allem eines: Es kommt doch immer irgendwie anders, als man denkt.


Ich muss alles genau planen. Das ist inzwischen schon so eine Art Macke und vielleicht sogar Sucht geworden. Kein Tag vergeht mehr, ohne, dass ich mein Handy zücke und mir genau aufschreibe, was ich am Tag alles machen will.

Das ist ja an sich nicht schlimm. Planen ist doch das halbe Leben, heißt es so schön.


Pläne sind ja eigentlich ganz sinnvoll

Ja, Pläne sind total wichtig, sagen sie uns allen. Du musst doch eine Ahnung haben, was du mit deinem Leben machen willst. Du musst doch wissen, was du mal werden willst und wo die Reise hingehen soll. Das haben sie uns von klein auf eingetrichtert. Wer keinen Plan hat, wird orientierungslos im Leben herumschwimmen, wird zum Spielball des Lebens. Stattdessen sollten wir selbst unser Leben in die Hand nehmen, das Leben bezwingen.

Pläne sind total sinnvoll und wichtig, das will ich auch nicht bestreiten. Sie geben mir das Gefühl, den Überblick zu behalten. Sie motivieren mich, an meinen Zielen zu arbeiten. Jeden Tag, Schritt für Schritt. Sie geben mir Orientierung, sind der Kompass in meinem Leben, das leider inzwischen so unübersichtlich und unberechenbar geworden ist. Pläne geben mir Sicherheit, scheinbare Sicherheit. Mit ihnen habe ich das Gefühl, ein Stück weit das Unvorhersehbare zu vermindern. Dadurch wird mein Leben kontrollierbar, vorhersehbarer eben. Ich kriege Macht über mich selbst und mein Leben. Ich habe das Gefühl, Einfluss nehmen zu können. Mit einem Plan im Leben weiß ich ungefähr, wo die Reise hingehen soll. Ich kann mich mehr darauf konzentrieren, was mir wichtig ist. Außerdem kann ich so viel besser meine Zeit sinnvoll nutzen, indem ich all das eliminiere, was eben nicht auf meinem Plan steht. Das ist dann also nicht wichtig.

Pläne sind also eigentlich ganz cool, wichtig und sinnvoll. Das haben wir alle verstanden, oder? Alles schön und gut.

Doch es kommt aber darauf an, wie wir Pläne schmieden und unser Umgang damit. Und da muss ich gestehen: Wie ich plane, ist nicht mehr gesund.


Ständig dieser Blick auf die Uhr

Es geht nicht mal mehr nur um das reine Planen. Es ist viel mehr und hat einfach zu große Kreise gezogen. Da ist meine Armbanduhr, total praktisch, um jederzeit die Uhrzeit im Blick zu haben. Leider viel zu oft. Mein Blick wandert gefühlt mindestens jede Stunde mehrmals dahin. Manchmal bleibt sie auch einfach nur auf den Uhrzeigern ruhen, die sich gefühlt total langsam bewegen.

Damit einhergeht, dass ich gedanklich immer an meinen Plänen bin. Ja, ich plane meine Tage immer genau voraus. Aber anstatt nur einmal oder zweimal draufzuschauen, bin ich gefühlt jede Stunde dabei, meinen Plan zu verfolgen und notwendigerweise zu aktualisieren. Und dabei geht es um jedes kleinste Detail.

Ich notiere nicht nur, was ich zu welcher Tageszeit mache, sondern auch die genau Uhrzeit oder überhaupt die Zeit, die ich für verschiedene Dinge brauche. Mein ganzer Tag ist durchgetaktet von morgens bis abends. Eine Tätigkeit reiht sich der nächsten an. Keine Luft für unvorhergesehene Dinge, für Pausen, für Zwischenfälle. Alles vollgepackt.

Und sobald ich für etwas länger brauche oder eben doch schneller fertig bin, zücke ich sofort das Handy und aktualisiere den Plan. Fast so als hätte ich Angst, dass etwas schlimmes passiert, wenn ich das nicht tue. Es ist inzwischen schon so tief in mir drin, dass ich es nur schwer abschalten kann. Ich fühle mich manchmal gar nicht mehr wie ein Mensch, sondern mehr wie eine Maschine, die einfach zu funktionieren hat. Das klingt wahnsinnig verrückt, zwanghaft und anstrengend – und das ist es leider auch.


Wenn die Zeit einen im Griff hat

Ich weiß gar nicht, wann es angefangen hat, dass ich so krampfhaft alles festhalten muss, was ich tue und wie lange ich es tue. Ich vermute mal, irgendwann im Studium. Da habe ich angefangen, mich genau an meinem Stundenplan zu orientieren. Und irgendwann galt das nicht nur der Studienzeit, sondern meinem ganzen Leben.

Und so begann die Ära, in der die Zeit mein Leben bestimmte. Ich glaubte, dass ich alles im Griff habe. Aber in Wahrheit hat mich die Zeit im Griff, doch ich merke das nicht oder will es mir nicht eingestehen.

Aber was soll das alles bezwecken? Es gibt mir eben Sicherheit, weil ich weiß, was auf mich zukommt. Ich habe meine Aufgaben und all das, was ich am Tag schaffen und machen will, genau vor Augen. Meine To-Do-Liste strukturiert mir den Tag. Und ich erhoffe mir davon, dass ich zufrieden bin, wenn ich sie am Ende des Tages abgearbeitet habe. Aber so richtig befriedigend ist es leider nicht. Wieder ein Tag vergangen, der fast nach Plan verlief. Nicht der Rede wert, inzwischen total selbstverständlich für mich geworden.


Bloß keine Zeit verlieren!

Ich kriege das Gefühl, mit diesem Verhalten meine Zeit sinnvoll zu nutzen. Ich lasse bewusst keinen Freiraum, damit ich bloß keine dummen und sinnlosen Sachen tue. Bloß keine Zeit für Langeweile und Muße. Immer am arbeiten, tun und machen. Immer produktiv sein. Das ist meine Devise. Ich will eben immer funktionieren. Und wenn ich dann doch länger brauche als gedacht, ärgere ich mich. Mist, schon wieder nicht nach Zeit geschafft.

Doch was bringt es mir, alles in Rekordzeit zu schaffen? Kriege ich dafür Anerkennung oder einen Preis? Wohl kaum. Ich tue das für mich selbst. Und trotzdem fühlt es sich so an, als wäre ich irgendwie fremdbestimmt. Fremdbestimmt von eigenen Plänen, die ich mal gemacht habe. Aber was sagt mir mein Innerstes? Wenn ich mal doch keine Lust habe, etwas zu tun. Dann ziehe ich es eben trotzdem durch. So war der Plan. Ich kann doch nicht davon abweichen, kann mir es nicht erlauben, einfach faul und bequem zu sein und zu tun, worauf ich gerade Bock habe.

Da ist die Angst, dass ich ansonsten einfach nur vor mich hinlebe, ohne Sinn und Verstand. Ich will nicht zu den Menschen werden, die keine Ziele und Orientierung haben. Die gar nicht wissen, was sie im Leben wollen. Sie nichts damit anfangen können. Die nichts erreichen und schaffen.

Ich bin stolz darauf, dass ich immer einen Plan habe, dass ich weiß, was ich in den nächsten Wochen mache. Ich bin froh, dass ich Ziele habe. Und dass ich mich nicht meiner Bequemlichkeit und meinen Launen hingebe, wie andere. Ich bin ehrgeizig, zielstrebig und vor allem habe ich Durchhaltevermögen. Was ich mir vornehme, das ziehe ich auch durch. Ich kann leisten, selbst wenn mir nicht danach ist. Eine Stärke, von der viele träumen können. Aber für welchen Preis?


Stress raubt mir die Nerven

Ich setze mich damit ständig unter Druck. Das stresst mich ungemein, ich stehe ständig unter Strom, kann gar nicht mehr entspannen. Pausen gönne ich mir auch nicht, weil das bedeuten würde, zu schwächeln und weniger zu leisten.

Seit Jahren versuche ich, weniger Stress zu haben. Ich habe es mit Meditation, Yoga, spazieren gehen, Sport und anderen Entspannungstechniken probiert. Das brachte alles nur vorübergehend Erleichterung. Aber so richtig geholfen, hat es nie gegen den Stress. Weil der nämlich tief in mir drinnen steckt, in meinem Denken. Solange ich daran nichts ändere, mich nicht mehr ständig unter Druck setze, solange wird der Stress da bleiben.

Ich wünschte, ich könnte einfach mal wieder unbeschwert sein, einfach mal wieder loslassen, die Dinge auf mich zukommen lassen. So wie in der Kindheit, in der Zeit keine Rolle gespielt hat. Einfach mal in den Tag hineinleben, tun, worauf ich gerade Lust habe, Überraschungen und Abenteuer erleben. Wie herrlich wäre das doch!


Immer weiter im Hamsterrad

Du musst, du musst, du musst. Auch wenn du nicht willst. Es ist fast so, als wäre da eine strenge Stimme in meinem Kopf, die mir befiehlt, was ich zu tun habe. Das kindliche und unbeschwerte Ich bekommt gar keinen Freiraum, darf sich nicht austoben. Stattdessen ist da immer diese erwachsene Vernunftstimme, die es nicht zulässt, dass ich einfach mal nichts tue.

Zu gern würde ich die Schuld der Gesellschaft zuschieben. Die hat mich doch erst dazu gemacht. Da geht auch immer nur darum, zu leisten, immer mehr, immer weiter, immer schneller. Bloß nicht schlapp machen im Hamsterrad, sonst kommst du unter die Räder. Sonst hängen dich alle ab und du bleibst auf der Strecke.

Doch die Wahrheit ist: Ich bin selbst daran schuld. Es ist viel leichter, anderen den schwarzen Peter zuzuschieben. Gewiss, die Gesellschaft hat ihren Anteil an dem Problem. Doch am Ende bin ich doch für mich selbst verantwortlich. Am Ende kommt es auf mich an, wie ich mit dem Druck umgehe. Ob ich mich ihm beuge oder ob ich ihn ins Leere laufen lasse und endlich aus dem mir auferlegten Gefängnis ausbreche.


Nichtstun ist verschwendete Zeit

Das widerstrebt mir sehr. Einfach mal nur zu sitzen und nichts zu tun. Einfach nur zu sein. Ich glaube, da steckt noch tief in mir drin der Glaubenssatz: Du musst etwas leisten, du musst etwas tun, damit du wertvoll bist. Sonst bist du nichts, sonst ist das Leben auch nichts wert. Klingt drastisch und übertrieben, aber ich glaube, das ist wohl der Grund schlechthin für dieses zwanghafte Verhalten.

Ich will es mir nicht eingestehen, dass es nicht normal ist. Aber ich weiß ganz genau, dass es das nicht ist. Es wäre doch so viel entspannter, wenn ich diesen Zwang einfach mal hinter mich lassen könnte. Aber nicht umsonst handelt es sich um einen Zwang. Es ist wie mit Routinen. Sie abzuschütteln, kostet wahnsinnig viel Kraft und Überwindung. Dann ziehe ich es lieber vor, beim Bekannten zu bleiben, auch wenn es mir gar nicht mehr gut tut. Schon echt verrückt.

Sicherheit und Kontrolle, beides Dinge, die eine große Rolle in meinem Leben spielen. Ich halte zu krampfhaft an Plänen fest, dass ich vergesse, wirklich den Moment zu leben. Meine Gedanken drehen sich vermutlich den Großteil des Tages darum, was passieren wird und was ich machen werde. Dabei verpasse ich, welches Geschenk mir das Leben mit jeden einzelnen Moment macht.


Es kommt eben doch anders als gedacht

Und oftmals bringt es nichts, an Plänen festzuhalten. Es kommt eben doch wieder anders als gedacht. Was nun? Alles wieder hinwerfen, was ich mir mühsam erarbeitet habe? Ich sträube mich zu sehr dagegen, meine Pläne zu ändern. Bin total unflexibel, wenn etwas spontan kommt. Ich ärgere mich, wenn es nicht so läuft, wie ich es mir erdacht habe. Und dann noch die Unzufriedenheit mit mir selbst. Das Leben ist in Wahrheit gar nicht so planbar, wie sie es uns allen einreden wollen. Sicherheit – das ist doch nur eine Illusion. Damit wir nicht verrückt werden. Es gibt keine absolute Sicherheit, nicht einmal mit Plänen. Denn die können ja umgeworfen und wieder geändert werden. Nur Veränderung gepaart mit Zufällen – das ist die einzige Konstante im Leben. Und vor dem Unbekannten und dem Ungewissen, davor habe ich Angst. Darum plane ich immer alles im Detail, um meine Angst irgendwie zu überwinden. Doch statt immer dagegen anzukämpfen, wäre es wohl doch ratsamer, damit zu leben.


Überraschungen machen das Leben doch gerade so toll

Aber das Ungewisse hat doch auch seinen Reiz. Gerade die Dinge, mit denen wir nicht rechnen, sind am Ende am wertvollsten und bereichern uns sehr. Viele schöne Dinge können wir gar nicht wirklich planen, sie passieren einfach. Das Verliebtsein, besondere Begegnungen, Abenteuer. Was wäre das für ein Leben, wenn wir von vornherein wüssten, was auf uns zukommt? Ganz schön langweilig, oder? Wenn wir eine Geschichte erfahren, ein Buch lesen oder einen Film schauen, dann wissen wir ja auch nicht, was auf uns zukommt. Aber das macht ja den Reiz aus. Nicht zu wissen, was am Ende rauskommt. Das weckt unsere Neugierde, das erzeugt Spannung, lässt uns nicht los. Und genauso könnte ich auch das Leben mehr wie eine Geschichte betrachten, die viele interessante Wendungen und Überraschungen bereit hält, ein großes Abenteuer, dessen Ende ich nicht weiß. Aber nicht schlimm, that´s life!


Das alles weiß ich auch, aber es will trotzdem nicht in meinen Kopf. Ich kämpfe gegen den Zwang, alles zu planen, an, aber verliere am Ende doch wieder. Aber vielleicht ist es schon mal ein erster Schritt, dass ich merke, dass das so nicht weitergehen kann und ich etwas ändern muss. Und wenn ich das nächste Mal wieder alles planen will, dann halte ich inne und lasse es einfach mal sein. Mal sehen, was dann passiert...

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