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Veränderungen lassen sich nicht erzwingen



Vor kurzem hatte ich bereits darüber geschrieben, dass ich zwanghaft planen muss. Doch das scheint wohl nicht der einzige Zwang bei mir zu sein. Ein Gespräch mit einem Freund öffnete mir die Augen...


Seit ich vor einigen Jahren angefangen habe, mir für jedes Jahr Ziele zu setzen, ist da eine Unruhe in mir. Das Streben danach, immer etwas zu schaffen. Meine Erfolge des vergangenen Jahres nochmal zu toppen. Immer weiter, immer schneller, immer besser.

Ziele sind ja per se nicht schlecht. Sie geben uns Halt, Orientierung. Motivieren uns, noch besser zu werden, uns weiterzuentwickeln. Ohne Ziele würden wir nur so vor uns herumdümpeln, in den Tag hineinleben. Und am Ende vielleicht auch einfach zu viel Zeit verschwenden und frustriert sein.

Doch man kann es übertreiben. Besonders wenn man sich nur noch darauf fixiert, einen Erfolg nach dem nächsten einzuheimsen. Ohne mal wirklich zu würdigen, was man selbst geschafft habe. Und so geht es mir schon seit Jahren. Die letzten Jahre waren toll, voller Erfolge und bereichernder Erlebnisse. Besonders 2019 war das Jahr der Höhepunkte für mich. Doch dann kam Corona. Das brachte mein ganzes Kartenhaus mit Zielen zum Einsturz. Trotzdem schaffte ich es, 2020 einiges zu erleben, zu lernen und erreichte auch einiges.


Es muss besser werden

Doch dieses Jahr ist irgendwie anders. Obwohl es gerade doch bergauf geht? Ich habe mir so viel vorgenommen. Ich wollte dieses Jahr so viel auf die Beine stellen, so viel in meinem Leben ändern. Voller Tatendrang startete ich ins Jahr. Mit dem Wunsch, etwas an meinem Leben zu verbessern. Ich hatte meine Ziele so sehr vor Augen, dass ich alles drumherum einfach nicht mehr wahrnahm. Das, was ich bereits schon erreicht hatte, das was alles schon gut lief. Nein, das war und ist einfach nicht gut genug. Das muss noch besser werden.

Doch halt, stopp! Warum MUSS es denn jetzt besser werden? Warum MUSS ich denn jetzt noch etwas ändern? Und vor allem MUSS das denn wirklich sein? Dieser innere Kritiker in mir treibt mich schon seit Jahren an. Fand ich es anfangs ganz gut, weil ich mich so gut durchgebissen habe, hinterfrage ich langsam, dass ich dieser Stimme unreflektiert folge. Seit wann lasse ich mich so sehr von Selbstzwängen leiten?

Ich schrieb bereits von dem unbändigen Verlangen nach Veränderung und Verbesserung. Ein Stück weit habe ich mich von einem guten Freund inspirieren lassen. Mit ihm kann ich sehr gut Deep Talk führen, also über Dinge reden, die mich beschäftigen, Gedanken, Gefühle, Probleme. Ihm kann ich meine verletzliche Seite, Schwächen und Muster offenbaren. Zumindest besser als anderen Freunden. Mit ihm lässt sich einfach sehr gut reden und er setzt mir immer wieder einen Spiegel vor. Nicht immer schön, manchmal sehr unangenehm, weil er etwas anspricht, was ich nicht so gern sehen und akzeptieren will. Doch gerade das liebe ich an unseren Gesprächen. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, ist authentisch und ehrlich, sagt mir, was ihm auffällt. Das alles tut er nur mir zuliebe, weil er will, dass ich mich auch mehr reflektiere und weiter entwickle. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Besagter Freund hat immer etwas Neues zu erzählen, wenn wir uns einmal im Monat sehen. Er ist schon paar Jahre älter als ich und wenn ich mit ihm rede, kann ich förmlich die Lebensweisheit spüren. Er erzählt mir dann davon, woran er arbeitet, vor allem auch an sich selbst. Er setzt sich mit seinen Schattenanteilen auseinander, will noch bewusster, reflektierter werden als er ohnehin ist. Und er hat große Ziele, will die Welt zu einem besseren Ort machen, eine Gemeinschaft gründen und damit auch anderen Menschen helfen, mehr zu sich selbst zu finden. Jedes Mal hat er dann doch wieder andere Projekte, an denen er arbeitet. In all den Jahren, seitdem ich ihn kenne, hat er so einiges geschafft, so viele Veränderungen durchgemacht oder besser gesagt, selbst auch angestoßen. Einfach weil er nicht auf der Stelle treten will. Er will sich stetig verändern, ein noch besserer Mensch werden, ein noch erfüllteres Leben führen. Ich bin jedes Mal so inspiriert von dem, was er macht und wie er ist. Er löst in mir den Wunsch aus, selbst ein besserer Mensch zu werden, noch mehr an mir zu arbeiten.

Und ich glaube, dass er meinen Wunsch nach Selbstoptimierung und Veränderung indirekt sehr geprägt hat. Insofern hat er also eigentlich einen guten Einfluss auf mich, keine Frage.

Doch was mich nachdenklich stimmt, ist, wie das ganze Ganze jetzt aus den Fugen gerät. Dieser Wunsch nach Veränderung hat ein Eigenleben entwickelt, dem ich lange erlegen war.

In diesem Jahr merke ich das erst einmal bewusst, wenn ich so meine Glaubenssätze durchgehe: Du musst noch mehr schaffen. Du musst deine Ziele erreichen. Du bist dein Leben gestalten. Du musst etwas verändern.


Immer wieder dieses MUSS

Immer wieder auch dieses MUSS. Woher kommt denn das nur? Es scheint tief in mir verankert zu sein, hat sicher auch etwas mit meiner Kindheit zu tun. Damals fühlte ich mich auch fremdbestimmt, immer nur die Erwartungen der anderen sollten erfüllt werden. Was ich wollte, das spielte keine Rolle.

Jedenfalls hat sich mit der Zeit ein richtiger Zwang zur Selbstoptimierung und Veränderung entwickelt. Und das setzt mich innerlich immer wieder unter Druck. Eine stete Unruhe ist da, wenn ich an das Jahr und das, was ich bisher gemacht habe denke. Viel war das bisher nicht, denke ich. Was hat sich dieses Jahr schon verändert? Äußerlich nicht viel. Meine Lebenssituation ist fast gleich geblieben.

Ich hatte mir Anfang des Jahres so viel vorgenommen: einen neuen Job finden, in eine schönere Eigentumswohnung ziehen, endlich mal ein soziales Projekt starten. Was habe ich davon bisher geschafft? Nur das soziale Projekt. Immerhin. Doch von dem anderen habe ich bisher nichts geschafft. Ist das denn so schlimm? Das Jahr geht ja noch einige Zeit weiter. Wieso muss ich mich unter Druck setzen? Wieso müssen immer alle Ziele erreicht werden, damit ich endlich mal zufrieden bin? Reicht nicht auch mal das, was ich jetzt habe und was jetzt ist?

NEIN, sagt der innere Kritiker. Das reicht mir nicht, da geht noch mehr. Warum hält er nicht einfach mal die Klappe? Will er, dass ich mir einen abmühe, bis ich irgendwann nicht mehr kann? Es scheint tatsächlich eine gewisse Selbstfolterung zu sein.

Anders gefragt: Was passiert, wenn ich besagte Ziele dieses Jahr nicht erreiche? Nichts. Keine Bestrafung, keine negativen Folgen. Alles bleibt eben so wie ist es ist. Bestrafung genug? Oder vielleicht auch ein Segen?


Angst vor dem Ungewissen

Immer wieder schaute ich danach, was kann ich in meinem Leben ändern? Immer habe ich nur im Außen gesucht, anstatt die Antworten mal in mir selbst zu finden. Habe mir die Ziele einfach nur aufgeschrieben, um Ziele zu haben. Etwas woran ich festhalten kann. Es klingt lächerlich, aber ja, so war es tatsächlich. Ich brauchte die Ziele der Ziele wegen. Um einen Grund zu haben, weiterzumachen. Aus Angst, dass ich die Kontrolle über mein Leben verliere, keine Orientierung mehr habe. Kontrollverlust macht mir nämlich schon Angst. Und ich will es vermeiden, wieder das Ich zu werden, was ich noch vor sechs Jahren war. Das Ich, das nichts mit sich anfangen konnte, keine Motivation hatte, in Depressionen versank. Gewissermaßen als eine Art Selbstschutz habe ich mir jährlich Ziele gesetzt, um niemals wieder Stillstand zu erfahren.

Es ist der Stillstand, der mir Angst macht. Leben heißt Bewegung und Veränderung. Stillstand ist der Tod. Und das will ich eben einfach nicht. Ich will doch leben. Aber so wie wir alle Veränderung brauchen, brauchen wir auch Zeiten der Ruhe und des Stillstandes.

Ich war so vertieft darin, immer nur zu agieren, zu funktionieren, dass ich mich niemals ernsthaft fragte: Will ich das auch wirklich? Will ich diese Veränderung? Warum will ich denn etwas verändern? Was ist meine Motivation?


Noch nicht bereit für Veränderungen

Darauf hat mich mein guter Freund gebracht. Ich habe ihm von meiner kleinen Krise erzählt, er hörte mir aufmerksam zu und sagte: „Vielleicht willst du die Veränderung gar nicht so sehr. Wenn du etwas in deinem Leben wirklich etwas verändern willst, dann würdest du das auch schaffen. Und vielleicht ist jetzt auch einfach nicht der richtige Zeitpunkt? Nur etwas zu verändern der Veränderung willen kann es doch auch nicht sein.“

Das hat gesessen. Auf die Erkenntnis wäre ich niemals gekommen. Ich war so auf meine Ziele und auf mein Streben nach Veränderung fixiert, dass ich beides nie hinterfragte. Ich habe nie nach dem Warum gefragt. Warum will ich etwas verändern? Will ich es auch wirklich? Oder bin ich nicht eigentlich ganz zufrieden, so wie es jetzt ist?

Und da fing ich an, mal in mich zu gehen. Will ich wirklich einen neuen Job? An sich schon, ich weiß, dass mich dieser aktuelle Job einfach nicht erfüllt. Aber der Job hat auch viele gute Seiten, ich bin routiniert, komme gut mit den Aufgaben und den Kollegen klar. Es ist kein Job, vor dem ich unbedingt flüchten muss, aber auch nicht meine Erfüllung. Mittelmäßig eben. Es gibt auch Phasen, wo ich ganz zufrieden damit bin. Zumindest momentan tut mir der Job meist doch gut. Wozu also verändern? Wenn es mir jetzt gerade ganz gut damit geht, dann ist es doch okay, in der Komfortzone zu bleiben.

Gegen dieses Wort habe ich eine gewisse Abneigung entwickelt, obwohl ich es selbst gern verwende. Aber eben nur um zu sagen: Raus aus der Komfortzone, rein ins Leben. Komfortzone ist für mich eher negativ behaftet, als etwas, was überwunden werden muss. Bloß nicht zu lange drin bleiben, das wahre Leben spielt sich draußen ab. Da ist das Neue, das Aufregende, die Veränderung. Da muss ich hin. Schon wieder das MUSS. Aber muss die Komfortzone immer überwunden werden? Es ist doch auch mal total in Ordnung, drinnen zu bleiben und sie zu genießen. Es kommt auf die Balance an, mal draußen, mal wieder in der Komfortzone.

Jedenfalls fühle ich mich in meinem Job gerade so wohl, es ist meine Komfortzone. Zu kündigen und einen neuen Job anzufangen, das liegt außerhalb der Komfortzone, das wäre eine harte Veränderung und macht mir Angst. Doch mit Gewalt und viel Unbehagen unterdrücke ich die Angst und suche nach neuen Jobs, gehe zu Bewerbungsgesprächen, auf die ich kaum Lust habe.

Weil ich mir denke, das Unbehagen ist doch ein gutes Zeichen, denn daran muss ich arbeiten. Aber habe ich vielleicht meine innere Stimme einfach ignoriert? Hätte ich mehr darauf achten sollen, was sie mir damit sagen will? „Ich bin noch nicht bereit, meine Komfortzone zu verlassen. Gib mir bitte noch etwas Zeit. Der richtige Zeitpunkt wird kommen.“ Vielleicht wollte sie mir das sagen. Und damit hat mein guter Freund vielleicht auch recht: Ich bin für einen Jobwechsel noch nicht bereit und ich habe vielleicht auch noch nicht das richtige Jobangebot gefunden, auf das ich mich bewerben will.

Bei der Wohnungssuche das gleiche Dilemma: Ich mag unsere Wohnung eigentlich, finde die Umgebung, die Natur und den See sehr schön. Ich habe mich hier gut eingerichtet, wir leben auch schon seit acht Jahren hier. Es ist unser Zuhause geworden, vielleicht könnte es ordentlicher und schicker eingerichtet sein. Aber ich mag es einfach.

Trotzdem suchen wir eine neue Wohnung, die wir uns kaufen können, wo wir später mit Kind auch leben können. Dafür wäre unsere Wohnung zu klein. Einerseits freue ich mich darauf, in eine ganz neue Wohnung einzuziehen und sie komplett nach unseren Vorstellungen einzurichten. Doch andererseits will ich nur ungern ausziehen, mich von unserer aktuellen Wohnung trennen. Sie ist auch meine Komfortzone geworden. Ähnlich wie der Job kein Traum, aber eben trotzdem gut genug, um zu bleiben.


Zwischen Komfortzone und Veränderung

Ich bin da wirklich sehr hin- und her gerissen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was richtig oder falsch ist, was ich tun soll. Soll ich in meiner Komfortzone bleiben? Oder soll ich auf Teufel kommt raus, etwas verändern? Es könnte alles beim Alten bleiben, ich würde mich weiterhin wohl in meiner Komfortzone fühlen, aber das sollte doch nicht so sein, oder?

Nur, weil ich eben diesen Glaubenssatz habe, dass die Komfortzone schlecht ist und ich sie unbedingt verlassen sollte. Nur deswegen. Aber warum nicht mal hinterfragen? Die Komfortzone verlassen ist kein MUSS. Ich darf und ich kann, wenn ich will. Aber wenn ich mich gerade so wohl fühle und nicht raus will, warum sollte ich mich dann zwingen?

Selbstoptimierung gegen Zufriedenheit. Zwei Gegensätze, die sich eigentlich ausschließen müssten. Aber das Leben ist nicht immer nur Schwarz und Weiß. Es gibt so viel dazwischen. Es muss nicht immer ein Entweder-Oder sein, warum nicht ein Sowohl-als-auch?

Muss es denn immer ein BESSER sein, reicht nicht einfach auch ein GUT? Gut genug?

Ich war immer so beschäftigt mit meinem Überaktionismus, dass ich mich nicht mit dem befasste, was ich tief in mir drinnen wirklich wollte. Einfach nur Veränderung der Veränderung willen. Das kann es doch auch nicht sein. Für den Moment denke ich mir: Es muss nicht sein. Ich darf mich und mein Leben verändern, aber es ist kein Muss. Und wenn ich dieses Jahr etwas an meinem Job oder meinem Zuhause ändere, dann soll es nicht aus einem Zwang heraus passieren. Sondern weil ich es auch wirklich will. Die Veränderung kann nicht einfach so von außen erzwungen werden. Ich sollte es auch wirklich wollen. Veränderung kommt von innen heraus. Und nur dann, wenn ich mit ganzem Herzen dabei bin und auch dahinter stehe.


Es ist gut so wie es jetzt ist

Und momentan denke ich mir: Ich bin zufrieden, mit dem, was ist. Klar, es könnte besser werden. Es könnte immer besser sein. Aber wenn ich jetzt weiter in diesem Hamsterrad der Selbstoptimierung renne, dann werde ich nie zu einem Ende kommen. Selbstoptimierung okay, aber eben nur in Maßen. Und so, dass ich das unter Kontrolle habe.

Zufriedenheit ist auch total wichtig. Ich darf mir selbst erlauben, einfach mal mit mir und meinem Leben zufrieden zu sein. Es ist auch total in Ordnung, wenn dieses Jahr nicht so viel passiert. Wenn ich mal nicht meine Ziele erreiche. Es ist deswegen kein schlechtes Jahr und auch kein schlechtes Leben. Mir geht es doch gut und ich bin gerade sehr zufrieden, mit dem, was ich habe und was ist. Ich freue mich über das, was ich schon erreicht habe. Das ist auch toll. Warum also jetzt aus Zwang einfach nur etwas verändern, damit sich etwas verändert? Das ist doch bescheuert, nicht Sinn der Sache.

Veränderungen zu erzwingen, bringt mich nicht weiter, fühlt sich nicht gut an. Wenn ich bereit bin für Veränderungen, dann werde ich es merken. Vielleicht wird es auch ein Zeichen in meinem Leben geben? Diese Aufbruchstimmung in mir. Und dann will ich ganz aufmerksam in mich gehen und meiner inneren Stimme folgen. Und mich dann auch fragen: Bin ich jetzt wirklich bereit und will ich etwas verändern?



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