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Warum es okay ist, nicht sofort zu antworten und auf Antworten zu warten


Die Kommunikation auf Instant-Messengern wie Whatsapp und Co – eine an sich praktische Sache, die aber oftmals auch zu Verwirrungen, verletzten Gefühlen, Enttäuschungen führen kann. Die ständige Verfügbarkeit, die Möglichkeit, jederzeit und überall zu antworten kann ein Fluch und Segen zugleich sein. Was von beiden es ist, entscheiden am Ende nur wir selbst.

Wer kennt es nicht? Man hatte ein tolles Date mit einem super attraktiven Mann. An sich hatte man das Gefühl, dass es gut lief. Und wartet schon gespannt auf eine Rückmeldung am nächsten Tag a lá „Es war super schön mit dir. Lass uns gern nochmal treffen!“ Doch die Stunden vergehen und auch die Tage – es kommt immer noch keine Antwort. Gespannt schielt man immer wieder aufs Handy. Oder lässt am besten gleich alles sein, was man machen könnte. Stattdessen sitzt man vorm Handy, starrt es unentwegt kann. Doch je länger die Wartezeit dauert, desto größer wird die Frustration. Und damit nimmt auch das böse Kopfkino seinen Lauf, Zweifel kommen auf: Warum meldet er sich denn nicht mehr? Fand er das Treffen doch nicht so schön? Lag es an mir? Habe ich etwas falsch gemacht? Ach der datet bestimmt parallel noch irgendwelche anderen Weiber. So ein Arschloch! Wie kann er es wagen, mich solange warten zu lassen! Dem schreibe ich ganz bestimmt nicht, ich habe auch noch ein bisschen Stolz! Soll er den ersten Schritt machen...

Solche Gedanken kommen der einen oder anderen sicherlich bekannt vor, oder? Und selbst wenn man dann mit dem heißen Date oder auch überhaupt anderen Leuten, ist da immer so eine gewisse Erwartungshaltung dabei, vor allem wenn man selbst jemand ist, der ständig am Schreiben ist und andere nicht lange warten lässt. Da ist die Erwartung: Der andere muss mir gefälligst auch schnell zurückschreiben, mache ich doch auch! Gleichberechtigung also! Und wenn der andere sich einfach Zeit lässt und dann viel später zurückschreibt, geht beinahe die Welt unter...


Schlechtes Gewissen beim späten Antworten

Ich kenne das von mir nur zu gut. Ich bin eigentlich jemand, der anderen sehr zuverlässig und regelmäßig schreibt. Ich will andere einfach nicht lange warten lassen. Und das trifft nicht nur auf kurze Nachrichten zwischendurch zu, auch auf längere „Romane“, wie ich sie gerne mal verfasse. Sobald ich von Nachrichten bombardiert werde, merke ich aber, dass da so ein kleiner Stress aufkommt und der Glaubenssatz: „Du musst denen jetzt oder so schnell wie möglich antworten“. Sollte ich das mal doch nicht tun, fühle ich mich ein wenig schlecht.

Aber warum denn eigentlich? Weil ich glaube, dass es ungerecht wäre, den anderen länger warten zu lassen. Als ob es ein Zwang wäre, sofort zu antworten, weil ich es ja rein theoretisch könnte. Ich stelle dann gedanklich den anderen über mich und meine eigene Zeit. Anderen zu antworten, erscheint mir wichtiger, als die Zeit für mich oder andere Dinge zu nutzen.

Die Frage ist doch: Würde es denn auffallen, wenn ich mir etwas mehr Zeit lassen würde? Wartet denn der andere sehnlichst auf eine Antwort? Oder ist es nicht eher so, dass er selbst genug zu tun hat und nicht mal merken würde, wenn ich doch paar Stunden oder Tage später antworte.

Ich kenne das ja auch von mir. Wenn ich eine Nachricht verschickt habe, denke ich nicht viel darüber nach, was, wann und wie mir der andere zurückschreibt. Das ist dann abgeschlossen und wird erst wieder Thema, wenn die Antwort reinkommt. Dabei fällt mir nicht mal auf, wen n der andere viel später zurückschreibt. Ich freue mich dann einfach über die Nachricht und gut ist.

Es kommt aber eben immer darauf an, wem ich schreibe und was der Inhalt der Nachricht ist. Geht es beispielsweise um etwas Wichtiges oder darum, einen Termin fürs Treffen zu vereinbaren, achte ich schon mehr darauf, wie schnell die Antwort kommt. Denn ich will die Antwort ja dringend haben, um beispielsweise planen zu können und ein Thema endlich abzuhaken, was mir wichtig wäre.


Wenn keine Nachricht das Kopfkino auslöst

Und dann ist es auch abhängig von der Person, mit der ich schreibe. Bei normalen oder lockeren Freunden ist es mir persönlich meist nicht super wichtig, dass sie schnell antworten. Die können sich ruhig Zeit lassen. Aber wenn es mein Mann und eine bestimmte andere Person ist, dann will ich am liebsten sofort eine Antwort haben. Und da warte ich auch tatsächlich richtig darauf, dass fix was zurückkommt. Es geht um Herzensmenschen, mit denen ich besonders verbunden bin. Und scheinbar suche ich da irgendwie auch nach Bestätigung, in der Art und Weise wie und was sie zurückschreiben.

Und gerade bei solchen Menschen merke ich, wie abhängig ich von der digitalen Kommunikation bin. Was sie mit mir anstellt. Wie sehr ich eben diese Bestätigung brauche. Und zwar schnell. Sollte die Nachricht dann doch verspätet kommen, fange ich auch immer wieder mein Kopfkino an, was von Ängsten und (Selbst)Zweifeln geprägt sind.

Ich achte genau darauf, wie schnell der andere antwortet und WAS er vor allem schreibt. Ich lege gefühlt jedes Wort auf eine Goldwaage, analysiere jeden Satz und jedes Emoji. Fange an, mir etwas da hinein zu reimen und alles zu interpretieren, obwohl da vielleicht gar nichts ist.

Aber ganz besonders macht es mir dann zu schaffen, wenn der andere meine Nachricht gelesen hat, aber gefühlt ewig braucht, bis er mal antwortet. Wenn ich dann auch genau weiß, dass derjenige online war, aber mir NICHT geschrieben hat. Dann geht es erst richtig los mit dem fiesen Kopfkino, wie schon eingangs beschrieben.

Ich fange an, Fehler bei mir zu suchen, beginne zu zweifeln, ob er der andere mich mag, ob ich ihm wichtig bin. Ich erfinde mir irgendwelche Erklärungen, warum er ausgerechnet mir jetzt nicht antwortet, sondern erst Stunden später. Und während ich warte und warte, kann ich meist meine Gedankenspirale nicht mehr unterbrechen, immer wieder schweife ich wieder zurück und quäle mich selbst. Ich durchlebe eine Achterbahn der Gefühle von Enttäuschung, über Verletzung, Traurigkeit bis hin zu Wut auf den anderen. Ich bin dann tatsächlich beleidigt, weil keine Antwort kommt und räche mich dann, indem ich entweder die Nachricht ignoriere oder eben auch total spät antworte.


Ich bin beleidigt wegen meiner eigenen Gedanken

Und wahrscheinlich macht sich der andere auch gar keinen Kopf darüber. Er ignoriert mich nicht bewusst, sondern hat vielleicht ganz eigene Gründe, warum er nicht sofort schreibt. Ich unterstelle dann meist, dass er bewusst nicht antwortet, um mich irgendwie zappeln zu lassen. Aber meist stimmt das gar nicht.

Aber das muss nicht an mir liegen. Sowieso muss es nicht an mir liegen, aber in meinen Gedanken dreht sich dann alles um mich. Das Problem liegt gar nicht beim anderen, sondern allein bei mir.

Ich bin enttäuscht, wenn die Antwort ausbleibt oder für meinen Geschmack verspätet kommt. Und enttäuscht kann man nur sein, wenn man Erwartungen hat. Die Erwartung, dass der andere mir bitte sofort antwortet oder bitte schneller, weil ich einfach ungeduldig bin. Doch andere können zwar darauf Rücksicht nehmen, müssen es aber nicht. Es gibt keine Pflicht, Erwartungen zu erfüllen. Und im Endeffekt bin ich selbst für meine Erwartungen und Enttäuschungen verantwortlich. Ich bin für meine Gedanken und Gefühle verantwortlich und auch wie ich etwas wahrnehme und interpretiere.

Wir sind doch meist beim Schreiben beleidigt wegen unserer eigenen Gedanken, wie der Autor Michael Nast von dem Bestseller „Generation Beziehungsunfähig“ mal sinngemäß geschrieben hat. Und es stimmt. So wie andere ihre Nachrichten vermitteln wollen, so kommen sie meist nicht an. Sprache ist vielschichtig und nicht eindeutig. Und unsere eigene subjektive Wahrnehmung und Annahmen wie Interpretationen können die wahren Botschaften von Nachrichten auch mal verzerren oder verfälschen.


Warum es nicht immer an mir liegt, dass jemand nicht antwortet

Vielleicht hat er tatsächlich keine Lust gerade, zu schreiben. Oder er hat eben gerade keine Zeit, er ist zu beschäftigt, hat einen vollen Kopf. Oder er will sich einfach die Zeit nehmen und in Ruhe antworten. Oder er hat sich vorgenommen, später zu schreiben und es eben dann doch vergessen. Weil er eben nicht immerzu nur an die Nachrichten denken. Vielleicht ist er auch einfach erschlagen von Nachrichten und braucht auch da eine Auszeit. Es soll auch Leute geben, die nicht dauer-online sind. Leute, die sich bestimmte Zeitfenster offen halten, um zu antworten. Oder Leute, die keine Push-Up-Nachrichten erhalten, sobald eine neue Nachricht reinkommt.

Und oftmals ist es auch einfach so: Wir wollen nicht sofort antworten, aus welchen Gründen auch immer. Und dann priorisieren wir und sagen uns: Ich antworte später darauf.

Mir geht es da so wie allen anderen auch. Auch wenn es diesen Zwang in mir gibt, schnell zu antworten, tue ich es oftmals nicht. Nur dann, wenn die Antwort wirklich dringend gebraucht wird oder fix geschrieben ist. Meist überfliege ich nur die Nachrichten und entscheide dann, ob ich sofort zurückschreibe oder eben auch nicht. Ich priorisiere also auch. Was total normal und wichtig ist. Schließlich habe ich nur begrenzt Zeit und genug anderes zu tun.

Manchmal habe ich dann auch einfach keine Lust zu antworten, dann stauen sich die Nachrichten. Ich fühle mich dann schon etwas schlecht, nicht weil ich die Leute warten lasse. Sondern weil ich immer im Hinterkopf habe, dass ich noch antworten sollte. Es sind offene Dinge, die mich noch beschäftigen. Und ich mag es nicht, wenn Dinge offen sind. Ich erledige lieber immer gleich sofort. Das gibt mir eine gewisse Befriedigung, weil ich weiß: So, die Nachricht ist versendet, mein Part ist erledigt. Die Sache ist abgeschlossen und muss mich nicht länger beschäftigen. Das hinterlässt einfach ein besseres Gefühl, als wenn ich wieder einmal die Messenger-App aufmache und sehe, wie viele Nachrichten noch auf mich warten.

Ich kenne es selbst aber sehr gut, dass es Momente gibt, in denen ich einfach nicht antworten will, einfach keine Motivation habe. Oder ich stehe unter Stress oder bin anderweitig beschäftigt. Dann denke ich mir: Antworten geht auch später. Meist markiere ich die Nachrichten dann als „ungelesen“, um sie nicht zu vergessen. Sehr selten verdränge ich Nachrichten wirklich, sodass ich sie vergesse. Und noch seltener antworte ich gar nicht. Das kommt eigentlich so gut wie nie vor.


Raus dem Kopfkino!

Was hilft also, wenn man mal wieder im Gedankenkarussell gefangen ist, wenn jemand die Nachricht gelesen, aber nicht geantwortet hat?

Erst einmal tief einatmen und bloß nicht hyperventilieren. Leichter gesagt als getan. Sich erstmal bewusst zu machen, dass man wieder mal in einem Film gefangen ist und diese Gedanken anzunehmen und inne zu halten. Was denke ich da gerade? Sind es Gedanken oder sind es wirklich Tatsachen? Die eigenen Gedanken zu stoppen und zu hinterfragen: Stimmt das wirklich, dass ich dem anderen nicht wichtig bin oder er mich nicht mag? Einzusehen, dass es lächerlich ist, alles auf die Goldwaage zu legen und die Beziehung oder Freundschaft durch die unpersönliche, missverständliche und gar nicht so wichtige digitale Kommunikation zu definieren. Und sich zu fragen, warum man denn so etwas denkt. Es ist meist nicht mal die fehlende Nachricht selbst, sondern eben die Art und Weise, wie ich damit umgehe. Ich bin es, die sich mal wieder Gedanken macht, obwohl es keinen Grund dazu gibt. Die eigenen Muster, Glaubenssätze und Ängste zu entdecken und sich damit zu befassen.

Das alles nicht so wichtig zu nehmen und zu versuchen, einen entspannteren Umgang damit zu entwickeln. Es ist vollkommen okay, wenn die Antwort erst nach paar Stunden kommt. Ich bin nicht von der Nachricht abhängig, ich bin eigenständig und habe auch mein eigenes Leben.

Auch mal versuchen, die Perspektive zu wechseln und Empathie zu entwickeln, kann helfen. Vielleicht ist der andere auch gerade einfach zu beschäftigt oder hat Stress. Oder die Flut an Nachrichten überrollt ihn und er braucht eine Auszeit. Und es ist auch okay, dass der andere vielleicht mal keine Lust hat, zu schreiben. Das muss nicht mit mir zusammenhängen oder irgendetwas darüber aussagen, was ich dem anderen bedeute oder welche Beziehung wir zueinander haben.

Ganz wichtig: Einfach akzeptieren, dass es so ist, wie es ist. Es ist eben so, dass da keine Nachricht kommt oder der andere einfach später schreibt. Ich kann es nicht ändern. Und mich darüber zu ärgern, ändert auch nichts an der Tatsache. Damit mache ich es mir nur schwerer, indem ich damit hadere. Damit quäle ich mich selbst. Muss das denn sein?

Ich kann flehen und betteln und Druck machen, wie ich will. Der andere muss mir nicht gleich oder innerhalb einer bestimmten Zeit schreiben. Er allein entscheidet, wann und wie er zurückschreibt. Es ist eine Sache, die nicht in meiner Macht liegt und das ist gut so. Wie fände ich es, wenn mir jemand vorschreibt, wann ich zu antworten hätte? Das würde doch keinen Spaß mehr machen, sondern nur noch Zwang sein.

Wenn mir alles wieder zu Kopf steigt und ich merke, dass ich wieder einmal in der Gedankenspirale gefangen bin – dann schalte ich alles aus, gehe offline und widme mich meinem echten Leben. Da draußen, da spielt sich das Leben ab. Digitale Kommunikation schön und gut, aber es ist eben auch nur ein Mittel zum Zweck, sollte mich und mein Leben nicht kontrollieren, sondern eigentlich erleichtern und auch bereichern. Doch das wahre Leben und die echten Treffen und persönlichen Gespräche wird diese Form der Kommunikation nicht ersetzen.


Das Leben ist doch zu kurz, um sich ständig Gedanken zu machen, sich ständig zu ärgern. Es ist doch eigentlich total banal, wann jemand antwortet, nicht wahr? Ich plädiere dafür: Lasst die Leute doch schreiben, wann sie wollen. Wir sind alle frei und das ist doch toll. Es gibt eben auch noch ein echtes Leben, was uns fordert. Macht euch los vom Zwang, ständig erreichbar zu sein und ständig zu antworten. Macht euch frei von den der Erwartungshaltung, dass die Antwort sofort kommen sollte. Einfach mal loslassen, weniger Sorgen machen. Das ist leichter gesagt als getan, aber ich arbeite daran, das endlich auch mal zu leben.


Zum Weiterlesen:

https://www.vice.com/de/article/8gb84b/freundschaften-muessen-unbeantwortete-whatsapp-nachrichten-aushalten-928

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