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Die traurige Wahrheit hinter dem Lächeln


Ich bin bekannt dafür, immer zu lächeln. Das gehört inzwischen schon zu mir dazu. Leute kennen mich gar nicht mehr ohne. Doch nur weil ich lächle, heißt das nicht, dass es mir immer gut geht. Ein Blick hinter die Fassade zeigt, dass Lächeln so vieles bedeuten kann, aber eben nicht immer nur Freude und Glück...


Mir wurde es als Kind schon immer eingetrichtert: Du sollst lächeln. Sobald ich mal ein wenig wütend, traurig, enttäuscht oder verletzt war und ich das auch zur Schau stellte, kam immer der Spruch: „Jetzt zieh doch nicht so ein Gesicht, lächle lieber!“ Und ich verstand: Negative Gefühle auszudrücken, ist in der Gesellschaft nicht erwünscht. Das sorgt nur für Irritation, reißt die Stimmung der anderen im Keller. Also besser gute Miene zum bösen Spiel. Niemand will sehen, wie es dir eigentlich wirklich geht. Behalte deine negativen Gefühle für dich, setze lieber eine lächelnde Maske auf, das kommt besser an.


Bloß keine negativen Gefühle zeigen

Als ob die Gesellschaft negative Gefühle gar nicht erst aufkommen lassen will. Das passt gerade auch zu den vielen Ratgebern, die sich mit Positiver Psychologie befassen. Und immer diese Lebensberater, die einem weiß machen wollen, dass man doch immer positiv sein sollte, dann wird schon alles gut werden. Negative Gefühle sollte man lieber nur für sich behalten, das ist Intimbereich, geht niemanden etwas an. Das hat man gefälligst mit sich selbst zu klären. Niemand soll damit belastet werden. Und vielleicht will es auch keiner wirklich wissen, wenn es einem nicht gut geht. Wie wenn jemand danach fragt, wie es uns geht und wir darauf gefälligst antworten sollen: „Mir geht es gut und dir?“ Wie es einem dann wirklich geht, das interessiert niemanden, weil es eben nur eine Höflichkeitsfloskel ist.

Sollte man eben nicht lächeln oder wenigstens etwas erfreut aussehen, kommen Fragen auf. Mitmenschen fühlen sich vielleicht unangenehm berührt, wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Wer kennt das nicht? Es gibt immer Menschen, die einfach rauslassen, was in ihnen brodelt. Ob nun durch Wutausbrüche oder auch Weinkrämpfe. Und immer stehen die Leute dann plötzlich peinlich berührt daneben und wissen nicht so recht, wie sie nun damit umgehen sollen. Und auch diese Menschen fangen dann vielleicht an, leicht zu lächeln, um ihre Unsicherheit zu überspielen.


Mit dem Lächeln anderen gefallen

Ich habe eine ganz besondere Beziehung zum Lächeln. Seit ich denken kann, bin ich nur am lächeln. Für mich bedeutet Lächeln nicht einfach nur ein Ausdruck von Freude und Glück. Es hat für mich wie für viele andere auch eine enorme soziale Bedeutung. Mit dem Lächeln möchte ich mit anderen in Kontakt kommen, ich möchte damit Nähe herstellen. Aber ganz besonders will ich, dass andere mich mögen. Lächelnde Menschen kommen doch besser an als die Miesepeter, die nur selten glücklich aussehen. Wer lächelt, gewinnt die Menschen für sich. Zumindest dachte ich das immer. Ich lächle nach wie vor nur, um anderen zu gefallen. Ich denke mir immer: Wenn du lächelst, müssen dich die anderen mögen. Du siehst halt einfach dann sehr sympathisch aus. Ich mache das also nur für die anderen.

So richtig bewusst geworden, ist mir das erst, nachdem mich mein Mann darauf hingewiesen hat. Er meinte, ich sei ständig nur am Lächeln, vor allem bei Familientreffen. Und er setzte gleich hinzu: Es wird teilweise etwas aufgesetzt, ein bisschen erzwungen, nicht natürlich, eben übertrieben. Er fand es befremdlich. Er meinte, dass dieses viele Lächeln auch etwas abschreckend wirken kann, nicht so vertrauenswürdig. Wer so viel lächelt, muss doch etwas zu verbergen haben. Dass man mit dem Dauergrinsen schwer einschätzen könnte, was in mir vorgeht und was für ein Mensch ich eigentlich sei. Er hat mein Lächeln als Maske entlarvt.

Und das war erst einmal ein kleiner Schock für mich. Ich dachte immer, es ist total okay, dass ich so viel lächle, den Leuten gefällt es, es kommt gut an. Dass mein Lächeln aber nun doch ganz anders ankommt, ließ mich aus allen Wolken fallen.

Ich mache es nicht bewusst, es passiert ganz automatisch, sobald ich mit Menschen zusammen bin, die ich kaum oder nicht so gut kenne. Je besser ich jemanden kenne, je vertrauter mir jemand ist, desto weniger habe ich dieses Dauergrinsen auf den Lippen. Dann bin ich mehr ich selbst, mache mir weniger Gedanken, wie ich auf den anderen wirke. Setze weniger dieses spezielle Lächeln ein.

Manchmal merke ich selbst, dass ich etwas zu viel lächle. Dann immer, wenn meine Mundwinkel anfangen, komisch herumzuzucken. Ich merke, wie meine Gesichtszüge sich verselbstständigen oder mein Lächeln auch anfängt, zu erstarren. Das kennt jeder von uns, beispielsweise wenn wir für ein Gruppenfoto länger lächeln müssen. Wie schlimm muss es erst für jemanden sein, dessen Job es ist, täglich freundlich zu sein und ständig zu lächeln?


Lächeln, wenn man sich schämt

Das ständige Lächeln hat auch etwas mit meiner früheren sozialen Phobie zu tun. Von ihr ist nur noch eine mehr oder weniger starke Schüchternheit übrig geblieben. Es gibt immer mal Situationen, in denen ich merke, dass ich schüchtern bin. Und automatisch fange ich dabei an zu lächeln. Beispielsweise in solch unangenehmen Vorstellungsrunden, die ich total hasse. Ich lächle dann sehr viel, gestikuliere viel. Ich denke, dass man mir anmerkt, dass ich aufgeregt bin. Aber durch das Lächeln versuche ich, das etwas abzuschwächen. Ob mir das wirklich gelingt? Ich weiß es nicht.

Jedenfalls ist bei mir immer noch die Angst vor Ablehnung vorhanden. Darum versuche ich möglichst, anderen zu gefallen. Andere sollen mich nicht ablehnen, sondern mich mögen. Und dann kommt eben immer das Lächeln ins Spiel. Um anderen zu gefallen, setze ich ganz vermehrt mein Lächeln ein. Was ja erst einmal nicht falsch ist. Menschen, die viel lächeln, wirken doch gleich viel sympathischer und freundlicher. Bedenklich daran ist nur, dass ich es leider ziemlich übertreibe und dass ich es überbewerte, wenn mich andere nicht anlächeln. Dann denke ich immer sofort: Oh Gott, der schaut mich ziemlich doof oder ernst an. Was habe ich falsch gemacht? Ich lächle doch, ich bin nett, warum dann diese Reaktion? Und ich fange sofort an, den Fehler bei mir zu suchen.



Zu viel lächeln kann eben doch unheimlich sein

Dabei merke ich selbst nicht, dass meine Art zu lächeln und auch die Häufigkeit einfach nicht im normalen Bereich liegt. „Normale“ Menschen ohne diesen Tick, lächeln eben nicht immer. Sie lächeln wirklich nur, wenn etwas lustig war, sie sich gut fühlen, zufrieden und glücklich sind. Sie lächeln nicht, weil sie denken, dass es sein muss und um anderen zu gefallen. Das ist der große Unterschied zwischen mir und den anderen. Ich konnte lange Zeit nicht verstehen, wie man nicht öfter lächeln kann. Beispielsweise hatte ich mich auch darüber aufgeregt, dass manche Verkäufer und Kassierer so gar nicht nett waren und nicht lächelten. Für mich total unverständlich, schließlich sollte man gerade im Servicebereich den Kunden freundlich behandeln, oder?

Lächeln hat für mich auch etwas eben mit Freundlichkeit und eben Höflichkeit zu tun. Ich will meinem Gegenüber eben ein gutes Gefühl vermitteln. Er soll sich in meiner Gegenwart wohl fühlen. Das will ich durch das Lächeln erreichen. Für mich bedeutet: Wer nicht lächelt, ist nicht freundlich und dadurch auch unhöflich.


Wenn das Lächeln nur Fassade ist

Lächeln ist tatsächlich so eine Maske für mich geworden. Wenn ich lächle, schaffe ich Distanz zu mir und den anderen Menschen. Das klingt erst einmal komisch, weil doch das Lächeln eher eine Verbindung zum anderen schafft. Aber es schafft auch Distanz, insofern ich meine wahren Gefühle und Gedanken nicht offenbare. Ich lasse sie nicht in mein Innerstes sehen. Aus Angst, mich verletzlich zu machen und abgelehnt zu werden.

Wie schon vorhin erwähnt, lächle ich auch, wenn ich nervös bin, Angst vor etwas habe, wie in vielen sozialen Situationen. Ich versuche, mich dann immer damit abzulenken. Andere sollen nicht merken, wie es mir eigentlich damit geht.

Ich lächle, damit andere sich auch keine Sorgen machen. Ich versuche stark zu sein, meine Emotionen unter Kontrolle zu haben. Man könnte auch sagen: Ich versuche, mein Gesicht zu wahren. Jegliche Gefühlsausbrüche sollen vermieden werden. Weil das so nicht gut ankommt. Was sollen die anderen dann nur von mir denken?

Wenn mich jemand in eine peinliche Situation bringt, mich etwas peinliches fragt und dann noch auf eine Antwort drängt: Ich lächle. Auch wieder, um die Scham irgendwie zu verdrängen. Um mir keine Blöße zu geben und zu zeigen, ich habe die Situation irgendwie noch unter Kontrolle. Aber in Wahrheit würde ich dann in Grund und Boden versinken.

Am meisten merke ich, wie meine Fassade zu bröckeln beginnt, wenn es einen dummen Spruch von jemanden gibt. Ob auf der Straße oder von Bekannten oder Kollegen. Besonders wenn wieder dieser blöde Spruch „Ching-chang-chong“ oder ein dämliches „Konnichiwa“ von jemandem kommt, bin ich erstmal wie erstarrt. Ich weiß dann nicht, wie ich damit umgehen soll. Mein erster Impuls: ein gequältes, ungläubiges Lächeln. Meist bleibt es auch dabei, obwohl ich innerlich vor Wut koche und am liebsten einen blöden Spruch zurückdonnern will. Aber es will mir einfach nicht über die Lippen. Stattdessen bleibe ich stumm. Oftmals lächle ich dann weiter etwas gequält, auch wieder um meine eigene Verletzlichkeit nicht zur Schau zu stellen.


Lächle doch mal wieder!

Weine ich dann doch einmal, versuche ich mich doch zusammenzureißen, mich nicht komplett in der Trauer zu verlieren. Aber nur, wenn andere mit dabei sind. Dann kommt aber auch irgendwann früher oder später der Spruch: „Jetzt komm, weine nicht mehr. Lächle mal wieder etwas.“ Und dann mache ich das auch den anderen zuliebe, weil ich ihnen durch mein Weinen eben nicht zur Last fallen will. Obwohl mir eigentlich immer noch nur zum Heulen zuliebe wäre. Und das zeigt mir wieder, was die meisten denken und erwarten: Weinen ist schon bis zu einem bestimmten Maß okay. Aber irgendwann musst du auch mal aufhören. Sei stark und hör mir dem Weinen auf. Du hast es selbst in der Hand. Mit einem Lächeln ist wieder alles gut.

Von wegen! Ich habe es satt, dass mir die Leute vorschreiben, wann ich zu lächeln habe und wann nicht. Wenn ich keinen Bock habe, zu lächeln, dann mache ich es auch nicht! Ich will verdammt noch mal meine wahren Gefühle zeigen, ohne dafür verurteilt zu werden. Wieso fällt es mir und vielen anderen heutzutage so schwer, Gefühle zu zeigen? Warum sind wir so beschämt, warum haben wir nur so viel Angst davor, obwohl diese Gefühle das normalste auf der Welt sind? Warum ist es nur so peinlich, zu weinen und Wut zu zeigen? Warum lassen wir diese Gefühle nicht einfach raus? Wieso versuchen wir nur alles, um das zu verhindern?

Stattdessen tun wir alle einen auf total happy, obwohl wir es nicht sind, in Situationen, in denen es besser wäre, einfach mal ehrlich zu sein, sich alles zu sagen und die Gefühle rauszulassen. Stattdessen herrscht großes Schweigen und mehr oder weniger gequältes Lächeln, um zu verbergen, was wirklich vorgeht. Eben gute Miene zum bösen Spiel machen.

Besonders von Frauen wird immer verlangt, zu lächeln, die müssen immer eine positive Ausstrahlung haben. Die müssen anderen gefallen. Und wehe eine Frau lächelt mal nicht, wird das gleich irgendwie kritisiert und verlangt, dass sie doch mehr lächeln solle, weil es einfach schöner aussieht. Doch keiner fragt danach, ob den Frauen nach Lächeln zu mute ist.


Wahre Gefühle hinter dem Lächeln

Ich weiß, dass ich von vielen für meine positive Ausstrahlung sehr geschätzt werde. Ich werde als Sonnenschein bezeichnet, mit einem ansteckenden Lächeln. Das ist auch etwas, was ich an mir selbst mag und ich freue mich immer wieder, wenn mich jemand dafür lobt. Das ist auch ein Teil von mir, es ist auch gar nicht immer gespielt. Ich bin wirklich eine sehr positive Person, die einfach auch gerne lacht und andere gerne zum Lächeln bringt.

Doch ich bin eben nicht immer so. Es gibt Momente, wo ich einfach nur zickig bin, mich ständig aufregen könnte, wo ich eben doch sehr enttäuscht oder auch traurig bin. In diesen Momenten setze ich doch ein mehr oder weniger gequältes Lächeln ein, um andere nicht sehen zu lassen, wie es mir wirklich geht. Es ist auch vor allem ein Selbstschutz. Ich will nicht, dass andere mich sehen, wenn es mir nicht gut geht. Sie sollen diese Seite nicht von mir sehen. Aber warum denn nicht? Weil ich Angst vor Ablehnung habe, weil ich mich fürchte, anderen zur Last zu fallen. Ich will auch nicht, dass das Bild, was andere von mir haben, kaputt geht. Und so lächle ich und niemand weiß, was wirklich dahinter steckt.

Wahre Gefühle nicht zu zeigen und stattdessen wegzulächeln – das ist ein gesellschaftliches Problem. Aber vor allem ist es für mich auch ein sehr persönliches, an das ich arbeiten will. Das ständige Lächeln hindert mich danach, wirklich authentisch zu sein. Ich muss lernen, dass es okay ist, wenn ich nicht immer lächle. Dass ich deswegen nicht gleich total unsympathisch rüber komme. Dass mich andere deswegen nicht weniger mögen. Dass ich nur lächeln sollte, wenn mir auch wirklich danach ist.

Ich habe verlernt, auf meine eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu schauen, habe die Verbindung zu mir verloren, weil ich immer nur nach außen geschaut habe. Was könnten die anderen von mir denken? Mögen sie mich? Wie bewerten sie mich? Das alles spielt keine Rolle, wenn ich mit mir selbst nicht im Reinen bin.

Wichtiger ist doch, dass ich in Verbindung mit mir bleibe. Dass ich vor allem mich selbst mögen, lieben und schätzen kann. Ich will nicht mehr Everybody´s Darling sein, werde ich auch nie sein. Es reicht auch, sich selbst zu genügen und nur zu lächeln, wenn man es auch wirklich will.

Vielleicht ist es schon ein wichtiger Schritt, wenn ich mir bewusst mache, wann ich wirklich den Drang habe zu lächeln und wann ich es nur für andere tue. Dann inne zu halten, abzuwägen und dann zu entscheiden, ob ich lächle oder nicht. Ja, das wäre schon mal ein wichtiger Schritt in Richtung Authentizität.

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