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Warum wir Wurzeln und Flügel brauchen


Wurzeln und Flügel – sie stehen als Sinnbilder für Bedürfnisse, die wir gleichermaßen brauchen. Auch wenn sie sich krass voneinander unterscheiden. Mal zieht es uns mehr zu dem einen, mal zu dem anderen. Ein ständiges Wechselspiel, so wie das Leben auch ein ständiger Wandel ist. Müssen wir uns denn für eines von beiden entscheiden? Schließt das eine das andere aus? Oder können wir beides nicht miteinander vereinen?

Viel zu oft stecken wir so vieles in Schubladen. Dann dominiert das Entweder-Oder-Denken. Dann existiert nur Schwarz oder Weiß, wie im Märchen. Was uns als Kinder anfangs hilft, im Leben zurechtzukommen, weil vieles damit einfacher wird, kann im Laufe unseres Lebens das Denken stark einschränken. Denn das Leben ist doch viel, viel komplexer als dass es sich in Schwarz oder Weiß reinpressen lässt. Das Leben ist so bunt, so bunt wie der Regenbogen. Oftmals gibt es auch nicht mal ein Richtig oder Falsch, ein Gut oder Schlecht. Es sind die vielen Zwischentöne und Farben, die unser Leben so vielseitig und bereichernd machen.

Darum plädiere ich dazu: Lasst uns mehr an das Sowohl-als-auch denken. Es können mehrere Dinge nebeneinander stehen, ohne sich gegenseitig auszuschließen. Gegensätze können sich ergänzen und müssen sich nicht ausschließen. Und so ist das auch bei den Wurzeln und Flügeln.

Beide sind Metaphern für Grundbedürfnisse, die so vielseitig sein können. Man kann in beiden so vieles hineininterpretieren. Das bleibt jedem selbst überlassen, was er damit verbindet. Was assoziiere ich damit?

Wurzeln haben für mich etwas von Sicherheit, sie geben Halt, Orientierung, Standfestigkeit. Wurzeln sind das, was uns Stabilität im Leben bringt. Und das kann so vieles sein: finanzielle Sicherheit, ein eigenes Zuhause, in dem wir uns wohlfühlen, ein Job, den wir mögen, Beziehungen, unsere eigene Integrität, geliebte Routinen. Wurzeln können auch die Komfortzone sein, eben der Bereich, in dem wir uns sicher und wohl fühlen. Für mich haben Wurzeln auch immer etwas von Zuhause, einem Ort, an dem ich mich niederlassen will. Hier will ich leben, hier ist meine Heimat. Ein Gefühl von angekommen sein. Hier kann ich Wurzeln schlagen, sagt man ja so schön.

Und dann wären da noch die Flügel. Flügel sind ein Sinnbild für Freiheit. Vögel können mit ihren Flügeln weit weg fliegen, sind unabhängig, nicht gebunden. Und darum stehen Flügel auch für Unabhängigkeit, vielleicht auch Ungebundenheit. Irgendwie hat es auch etwas von Rastlosigkeit, es zieht mich woanders hin, an einen anderen Ort. Das erweckt die Entdeckerlust in mir, ich will auf Reisen gehen, Abenteuer erleben. Mit den Flügeln ist es mir möglich. Mit Flügeln kann ich mich selbst entfalten. Ich verlasse das vertraute Nest, lasse meine Wurzeln hinter mir, um etwas Neues zu erfahren und zu erleben. Flügel helfen, die eigene Komfortzone zu verlassen. Und darum verbinde ich damit auch ein Stück weit Veränderung.

Mal mehr Wurzeln, mal mehr Flügel

Im Laufe unseres Leben schwanken wir zwischen Wurzeln und Flügeln. Anfangs wachsen wir wohlbehütet auf in unserem Zuhause, unserer Familie. Eben das vertraute Nest, unser Zuhause und unsere Familie stehen für unsere Wurzeln. Doch irgendwann kapseln wir uns davon ab, ziehen aus, ziehen weg, leben woanders unser eigenes Leben. Doch das bedeutet nicht, dass die Wurzeln keine Rolle mehr spielen. Immer wieder zieht es uns dorthin zurück. Den Kontakt zu unseren Wurzeln verlieren wir nie. Das sind der Ort und die Menschen, die am Anfang unserer langen Lebensreise stehen. Die uns so wichtig geworden sind, die wir niemals missen wollen.

Doch irgendwann spielen eben die Flügel eine größere Rolle. Es fängt eigentlich schon recht früh an, vielleicht schon in der Pubertät. Wo wir lernen, langsam mit unseren eigenen Flügeln zu fliegen. Anfangs noch holprig, vielleicht stürzen wir bei unseren ersten Flugversuchen sogar ab. Das kann ganz schön demotivieren. Doch wie junge Vögel sind wir irgendwann bereit und stark genug, wirklich zu fliegen und unser eigenes Leben zu führen.

Und dann fliegen wir umher, genießen unsere Unabhängigkeit, entfalten uns, gehen auf Reisen, wir probieren verschiedene Dinge aus. Das ist Phase der Selbstfindung – wir finden heraus, wer wir sind, was wir wirklich wollen. Viele ziehen dann von einem Ort zum nächsten, reisen um die Welt. Wir treffen verschiedene Menschen, gehen Beziehungen ein, die wieder enden. Aber kein Problem, wir sind ja nicht auf der Suche nach etwas Festes, bloß keine Wurzeln, wir wollen nicht, dass uns jemand am Fliegen behindert. Wollen nicht, dass uns jemand die Flügel stutzt. Wir genießen diese Freiheit, die ist halt total cool. Und auch nicht irgendwie festlegen, weder in der Liebe, noch im Beruf. Unverbindlichkeit ist viel besser, passt auch besser zum freiheitsliebenden Lebensstil. Nicht zu viele Gedanken an die Zukunft verschwenden, lieber immer viel herum experimentieren, Neues ausprobieren, den Moment genießen.

Bis wir dann vielleicht mit Ende 20 und Anfang 30 doch merken, dass wir gerne auch mal Sicherheit haben wollen. Endlich mal einen Job finden, bei dem ich bleiben will, der mich vollkommen erfüllt. Damit ich vielleicht endlich auch mal finanziell gut aufgestellt bin. Endlich mal jemanden finden, der bei mir bleibt, mit dem ich zusammen sein will, mit dem ich mir eine Zukunft vorstellen kann. Mit dem ich vielleicht eine Familie gründen kann. Endlich mal den Ort finden, der mich hält, der mich daran hindert, jedes Mal wieder auszubrechen, wo ich meine Wurzeln schlagen kann. Nach den wilden Jahren der 20er sehnen sich viele dann doch mal nach einem stabilen Leben, das nicht ständig von Veränderungen umgeworfen wird. Endlich mal richtig ankommen, das ist es, wonach sich dann nicht alle, aber doch eben viele sehnen. Dann sind die Flügel vielleicht genug genutzt worden, brauchen mal eine Pause. Und die Wurzeln melden sich zurück, wollen sich ausbreiten, endlich mal Halt, Sicherheit und Stabilität finden.


Sicherheit für Freiheit

Das Paradoxe ist ja oftmals: Wir brauchen Sicherheit, um wirklich auszubrechen. Wenn wir nicht dieses Sichere haben, nichts, worauf wir uns beziehen können, nichts, was uns Halt gibt, fühlen wir uns leer und orientierungslos. Ohne beispielsweise Geld können wir vielleicht nicht unsere Freiheit ausleben, weil uns eben die finanziellen Mittel fehlen, um sich selbstständig zu machen. Fehlende Sicherheit kann auch die Freiheit einschränken. Es mag sehr widersprüchlich klingen, aber wenn man genau drüber nachdenkt, ergibt das viel Sinn. Erst wenn wir uns sicher fühlen, wenn wir stabile Grundlagen, sichere Beziehungen, vielleicht auch genug Geld haben – erst dann sind wir auch bereit, Risiken einzugehen. Natürlich gibt es auch Menschen, die nichts davon haben und trotzdem etwas wagen. Aber das sind dann doch die wenigen unter uns, die so mutig sind.

Auch wenn wir uns irgendwann mal niederlassen, Wurzeln geschlagen haben: Unsere Flügel erwachen immer wieder von Neuem, weil Veränderungen einfach zum Leben dazu gehören. Der Wunsch danach, immer mal wieder aus dem Gewohntem, aus Routinen, wieder herauszubrechen, kommt immer mal wieder auf. Sei es durch äußere Umstände, durch andere Menschen, die uns berühren oder aus eigenem Antrieb – die Flügel werden niemals aufhören, zu schlagen. Und das ist auch gut so.

Nichts von beidem ist gut oder schlecht, beide haben ihre Berechtigung. Während einige mehr Sicherheit und Routinen brauchen, zieht es andere mehr zu Abenteuern und zur Freiheit. Und das ist total in Ordnung. Ich denke aber, dass in jedem von uns beides steckt. Mehr oder weniger stark ausgeprägt.


Was ich brauche

Ich habe mich eher als sicherheitsliebender Mensch gesehen. Immer alles genau geplant, immer meine festen Routinen gehabt, die mir Halt geben. Selbst mein Job ist zwar manchmal eher weniger anspruchslos und voll mit Routinen, aber das macht mir nicht viel aus. Im Gegenteil: Ich empfinde das als sehr angenehm und will gar nicht aus diesen Routinen ausbrechen. Es ist eben die geliebte Komfortzone, in der ich mich gerne bewege.

Doch manchmal fühlt es sich für mich nicht richtig an, in dieser zu verbleiben. Ich möchte ausbrechen, weg vom Stillstand, hin zur Veränderung und Entwicklung. Und dann nehme ich mir selbst vor, negative Gewohnheiten abzulegen, neue Leute kennenzulernen, neue Orte zu entdecken, einfach etwas Neues auszuprobieren. Ich will weg vom Alltag, hin zu Abenteuern. Ich will mal etwas anderes erleben, brauchen neue Impulse für meine Entwicklung. Das geht eben nicht, wenn ich in der Komfortzone drinnen stecke. Das geht nur, wenn ich sie verlasse. Doch dazu gehört eben auch viel Mut und Selbstvertrauen dazu.

Doch ich fühle mich jedes Mal berauscht, wenn ich meine Flügel eingesetzt habe, wenn ich mutig war und etwas gewagt habe. Genauso freue ich mich auch, wieder in meine Komfortzone zu kommen. Ich habe beides sehr zu schätzen gelernt und weiß inzwischen, dass ich beides brauche, um glücklich zu sein. Ich brauche meine Familie, Freunde, meine liebsten Menschen, meine Routinen, meinen Job und mein Zuhause, um mich sicher zu fühlen. Gleichfalls brauche ich aber auch immer wieder neue Impulse, immer wieder etwas Neues und auch Veränderungen im Leben. Es ist eben ein ständiger Wandel, alles ist im Fluss. Dinge und Menschen kommen und gehen. Doch manches bleibt eben auch.


Alles ist im Fluss

Ich denke, es ist okay, wenn wir mal zu dem einen und mal zum anderen tendieren. Und es ist auch mal okay, länger in Sicherheit zu leben oder länger umher zu reisen und die Freiheit zu genießen. Ich denke nur, dass es vielleicht etwas problematisch wird, wenn wir uns zu sehr an eines von beiden festhalten. Also gar keine Chance mehr zulassen, uns mit dem anderen zu befassen. Alles unternehmen, um jeglicher Stabilität und Verbindlichkeit zu entkommen. Alles tun, um bloß keine Sicherheit zu verlieren. Das könnte uns in beiden Fällen im Leben einschränken und uns unglücklich machen.

Wie immer im Leben, gilt es hier, die Balance zu finden, die goldene Mitte. Es muss keine perfekte Mitte sein, wie geschrieben, mal zieht es uns mehr zu einer, mal mehr zur anderen Seite. Doch wir brauchen beides, sowohl unsere Wurzeln als auch unsere Flügel.

Wichtig ist, dass wir uns wohl damit fühlen, dass es sich für uns richtig anfühlt. Immer mal wieder in uns selbst gehen und uns fragen: Was brauche ich gerade im Moment? Wohin zieht es mich mehr?

Die Balance zu schaffen, ist nicht immer leicht. Manchmal fühlt es sich wie ein Drahtseilakt an, jede Bewegung fühlt sich an, als würden wir fallen. Aber warum haben wir nur so große Angst davor, einfach mal zu fallen? Das gehört ja auch mal zum Leben dazu. Wenn wir fallen, können wir auch wieder aufstehen. Und manchmal brauchen wir auch mal einen Sturz, um uns wieder neu zu orientieren. Um herauszufinden, ob wir jetzt mehr unsere Wurzeln oder Flügel brauchen.

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