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Wer bin ich?


Es gibt eine Frage, auf die ich immer noch nicht so die passende Antwort habe. Ich stelle sie mir immer öfter mal und jedes Mal lässt sie mich verwirrt zurück. Sie löst so viele Gedanken aus, so viele mögliche Antworten und doch habe ich das Gefühl, dass keine so wirklich passt. Die Rede ist von der Frage „Wer bin ich?“

Wer bin ich eigentlich? Oder auch anders formuliert: Was für ein Mensch bin ich? Seit einiger Zeit spukt mir diese Frage durch den Kopf. Jedes Mal versuche ich, Antworten dafür zu finden. Aber es fällt mir jedes Mal so schwer. Vielleicht weil die Frage so viele Bedeutungsebenen hat, zu komplex ist. Ich glaube, dass es vermutlich vielen von uns so geht.


Ich bin mein Job

Würde man andere Menschen fragen, wer sie sind, würden viele vielleicht beispielsweise so etwas antworten: Ich bin Anwalt/Arzt/Angestellter/Sonstiges. Ich bin Mutter/Vater. Ich bin extrovertiert oder introvertiert. Ich bin leidenschaftlicher Gärtner, Sammler, Fußballfan oder Veganer. Und und und. Das sind nur einige wenige, zufällig ausgewählte Beispiele. So unterschiedlich wie wir alle sind, so unterschiedlich würden die Antworten auf die Frage „Wer bin ich?“ ausfallen.

Es ist schon interessant: Auf die Frage wird meist mit dem eigenem Beruf oder der sozialen Rolle geantwortet. Oder eben mit bestimmten Eigenschaften oder Dingen, die einen ausmachen. Während ersteres ja eher etwas mit dem Status oder mit den Familienverhältnissen zu tun hat, bezieht sich das zweite mehr auf eigene Hobbys, Interessen und die Persönlichkeit.

Mir stellt sich jetzt die Frage: Warum definieren wir uns in erster Linie über so „äußerliche“ Dinge, wenn uns auf die Frage nach unserem Ich eben der Beruf oder die soziale Rolle einfallen. Machen sie uns als Menschen wirklich aus? Was sagt das über uns als Individuum aus? Ich kann verstehen, warum man vielleicht auch den Job nennt, weil wir damit den Großteil unserer Lebenszeit verbringen. Aber es gibt so viele andere Menschen auf der Welt, die eben auch denselben Beruf ausüben. Würden wir ausfallen oder kündigen, würde sich ganz sicher ein Ersatz für uns finden lassen. Ich denke, dass die meisten von uns in Berufswelt doch meist eher nur das kleine Zahnrädchen in dem großen System sind.

Anders sieht es natürlich mit der Rolle als Mutter oder Vater aus. Ganz sicher ist das etwas, was zu uns persönlich gehört. Einige von uns sind nun mal die leiblichen Eltern von ihren Kindern. Die wird es nicht ein zweites Mal geben. Auch wenn wir mal sterben sollten oder wenn die Kinder andere Eltern haben sollten – die leiblichen Eltern sind unersetzlich, etwas ganz Besonderes.

Und trotzdem ist das nicht unbedingt etwas, was uns wirklich einzigartig macht. Denn es gibt so viele Menschen auf der Welt, die eben Eltern sind. Das macht uns jetzt nicht unbedingt zu etwas Besonderem. Für die eigenen Kinder schon, aber an sich wäre das meiner Ansicht nach keine wirkliche Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“

Genauso ließe sich das vielleicht auch auf die Antworten übertragen, die auf unsere Hobbys und Interessen zielen. Um auf die Beispiele von vorhin zu kommen: Es gibt ganz sicher noch viele weitere Veganer oder Fußballfans. Das ist auch nichts, was uns als Individuum ausmacht.Sie gehören ganz sicher zu uns, wie der Beruf oder die Rolle in der Familie, keine Frage. Aber das allein macht uns eben nicht einzigartig.


Wer bin ich ohne meine Arbeit?

Beim Job kann es außerdem passieren, dass wir ihn verlieren, gekündigt werden, oder den Job wechseln oder berufsunfähig werden oder einfach in Rente gehen. Was sind wir dann? Damit würde ein Teil unserer Identität verloren gehen. Manche identifizieren sich über ihre Arbeit, weil sie vielleicht mehr als nur zum Broterwerb dient. Sie ist Erfüllung und Berufung zugleich. Und dann kann es wirklich hart sein, wenn man den Job nicht mehr hat. Wer sind wir dann, wenn wir nicht mehr Anwalt, Arzt, Künstler oder Beamter sind? Sind wir dann etwas?


Was macht uns so einzigartig?

Vielleicht sollten wir uns fragen, worauf die Frage „Wer bin ich?“ wirklich abzielt. Das „Ich“ steht natürlich im Fokus, insofern geht es also um uns als Individuum. Anders formuliert: Was macht mich zu einem einzigartigen Menschen? Was macht mich so unvergleichbar?

Wenn der Job und auch meinetwegen die Familie oder andere Beziehungen wegfallen: Was bleibt dann übrig? Wer bin ich, wenn ich das alles nicht habe? Wer bin ich überhaupt, wenn ich gar nichts mehr habe? Wenn wir eben die „äußerlichen“ Dinge, unseren Job, unsere Beziehungen, unseren Status, unser Eigentum streichen würden, kämen wir vielleicht dem wahren Kern unseres Ichs näher. Das wäre meine These.

Die Frage nach dem Ich ist schwer zu beantworten. Weil sie auch zu viele Antworten möglich macht. Weil es vielleicht auch einfach keine richtige Antwort gibt. Während man zu fast allen Fragen eindeutige Antworten finden und im Internet recherchieren kann, ist das bei der Frage nach dem Ich nicht so.

Tatsächlich kann die Frage uns niemand beantworten, außer wir selbst. Und es gibt auch kein Richtig oder Falsch. Denn wir ändern uns. Waren wir früher mal introvertiert, können wir heute extrovertiert sein. Das bedeutet nicht, dass es falsch ist, dass wir introvertiert waren. Nein, es war ein früheres Ich, was genauso echt ist, wie unser heutiges.

Nur wir selbst können herausfinden, wer wir eigentlich sind. Doch sich selbst zu finden, herauszufinden, wer man ist, das ist alles andere als leicht. Dazu muss man auch bereit sein. Bereit sein, sich ebenso seinen tiefen Abgründen zu stellen.


Bloß nicht mit sich beschäftigen

Die Frage überfordert auch, weil viele von uns vielleicht gar nicht mal wissen, wer sie sind.Weil sie sich bisher nicht damit befasst haben. Ihnen fehlen die Antworten dazu. Sie sind von sich überzeugt, dass sie ein guter Angestellter sind oder eben eine liebevoller Mutter. Sie gehen in diesen Rollen auf, aber eigentlich sind es im Endeffekt auch nur berufliche oder soziale Rollen. Sie opfern sich für ihre Familien und für ihren Job auf, dass sie gar nicht nach sich selbst fragen. Sie kümmern sich vielleicht gar nicht darum, was sie wollen, was sie brauchen. Wenn Menschen also auf die Frage „Wer bin ich?“ mit den Rollen, die sie innehaben, beantworten, dann haben sie sich noch gar nicht so sehr mit der Frage beschäftigt. Und vielleicht auch gar nicht so sehr mit sich selbst. Wahrscheinlich ging es bisher nur darum, die anderen glücklich zu machen, Erwartungen zu erfüllen, für andere da zu sein, aber eben nicht für sich selbst. Das Ich spielte vielleicht bisher keine so wirkliche Rolle. Hauptsache nur funktionieren, nicht so viel über sich selbst nachdenken. Der Blick ist bei solchen Menschen immer auf andere und auf das Äußere gerichtet. Das Innenleben wird weiter weggeschoben.

Die Erkenntnis kommt meist erst zu spät, wenn eben die Rollen abhanden kommen, wenn es keine Rolle mehr zu spielen gibt. Und plötzlich ist da eine innere Leere, keine Ablenkung mehr vom eigenen Seelenleben. Dann erst gelangt man zu sich selbst und fragt sich: Wer bin ich eigentlich? Überhaupt die Frage zu stellen, erfordert viel Mut. Viele trauen sich das womöglich nicht, suchen so schnell wie möglich nach der nächsten Funktion und Rolle, die sie erfüllen können. Bloß nicht mit sich selbst beschäftigen.


Das Ich als Puzzle des Lebens

Die Frage „Wer bin ich?“ zu beantworten, kann eine Lebensaufgabe sein. Zum einen, weil wir uns während unseres Lebens immer wieder verändern. Wir werden nie dieselben sein, wir verändern uns ständig, ohne, dass wir es überhaupt merken. Das Ich vor fünf Jahren ist nicht mehr dasselbe wie mein heutiges Ich. Doch auch das frühere Ich gehört zu mir.

Zum anderen wird uns die Frage nach unserem Ich ein Leben lang begleiten, weil wir einfach so viel Zeit brauchen, um unser Ich zu finden.

Ich habe in dem Zusammenhang immer folgendes Bild vor Augen: Jeder von uns ist ein Puzzle. Unsere Lebensaufgabe ist es, unser Ich, das Puzzle, zusammenzufügen. Das kann sehr lange dauern, weil gewisse Puzzleteile einfach noch nicht da sind oder versteckt sind oder manche einfach nicht passen und durch andere ausgetauscht werden müssen. Nach und nach fügen wir immer mehr Teile unseres Ichs zusammen. Manchmal wird das Puzzle auch wieder durcheinander gebracht, durch Krisen oder andere einschneidende Ereignisse. Oder einfach durchs Leben. Und dann gilt es, wieder neu anzufangen. Bis unser Ich, unser Lebenspuzzle, irgendwann einfach vollständig ist. Mag sein, dass wir es schaffen, mag aber auch sein, dass einige Stellen doch frei bleiben. Aber das ist okay, denn wir sind alle unperfekt und das ist gut so.

Die Suche nach dem Ich ist ein lebenslanger Prozess, insofern können sich die Antworten also auch immer wieder ändern.

Es ist also total okay, wenn wir zweifeln, wenn wir keine Antwort auf diese Frage finden. Oder wenn wir viele mögliche Antworten haben, aber nicht sicher sind, ob sie richtig ist. Es gibt vielleicht wirklich keine richtige oder falsche Antwort in dem Zusammenhang. Wenn sich die Antwort für mich selbst stimmig anfühlt, wenn ich merke, dass ich mich damit gut fühle, dann kann das durchaus eine gute Antwort auf die Frage „Wer bin ich“ sein.

Vielleicht reicht es auch zu sagen: Ich bin ich. Punkt. Das kann man genauso stehen lassen.

Ich selbst bin auch nicht sicher, wer ich wirklich bin. Vielleicht ist es auch nicht möglich, diese Frage wirklich zu beantworten. Weil wir alle so facettenreich sind und darum wahrscheinlich auch so viele verschiedene Antworten zusammenkommen würden. Es gibt nicht die EINE richtige Antwort, vielleicht sind es auch alle möglichen Antworten, die uns einfallen, und unser Ich ausmachen?

Spontan würden mir sehr viele Dinge einfallen, die ich bin: Ich bin emphatisch, eine gute Zuhörerin, eine gute Freundin, hilfsbereit, eine Leseratte, sportlich, neugierig, kreativ, ruhig, introvertiert, aber auch mal extrovertiert, abenteuerlustig, witzig, tiefsinnig …

Das nur mal ein kleiner Einblick, die Liste ließe sich natürlich fortsetzen. Mir fallen auf die Frage „Wer bin ich?“ meist persönlichen Eigenschaften ein, aber auch Dinge, die mich interessieren und die ich gern mache. Ich definiere mich also weniger über die äußeren Dinge oder Beziehungen, mehr über meine inneren Werte. Jedenfalls fühlen sich für mich alle Dinge, die ich aufgezählt habe, stimmig an.

Die vielen kleinen Facetten machen uns zu dem einzigartigen Menschen, der wir sind.

Abschließend lässt sich also sagen: Die Frage „Wer bin ich?“ ist eine Frage, die sich nicht ohne weiteres beantworten lässt. Sie braucht viel Zeit für Selbstfindung, viel Geduld. Sie zu beantworten kann sehr herausfordern, aber auch viele neue Erkenntnisse bringen. Die Antworten dafür zu finden, kann auch eine echte Lebensaufgabe sein. Und tatsächlich gibt es darauf vielleicht nicht mal die richtigen Antworten. Mag eine Antwort für einen Moment stimmig sein, kann sie sich Monate oder Jahre später nicht mehr richtig anfühlen. Weil wir uns ja stetig verändern. Und somit verändern sich auch unsere Antworten. Darum lohnt es sich, die Frage immer wieder zu stellen. Um so immer wieder noch mehr über sich selbst herauszufinden.

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