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Overthinking – wenn das Gedankenkarussell nicht aufhören will, sich zu drehen


Manchmal braucht es nur ein paar Worte, eine Geste oder auch einfach das Fehlen einer Antwort – und schon geht es los mit dem Gedankenkarussell. Da wird jede Kleinigkeit genau auf die goldene Waage gelegt, hundertmal durchdacht, gedreht und gewendet und überanalysiert. Das Gedankenkarussell dreht und dreht sich, es ist wie ein Teufelskreis, aus dem ich schwer herauskomme. Mir wird manchmal ganz schwindelig dabei. Ich merke, dass es mir nicht gut tut, diesen negativen Gedanken nachzugehen. Doch es fällt so schwer, sie loszulassen...


Ich bin generell jemand, der viel nachdenkt. Vieles spielt sich in meinem Kopf ab, von denen die meisten gar keine Ahnung haben. Vielleicht ist das auch besser so. Das führt dazu, dass ich mich mit meinen Gedanken allein gelassen fühle. Ich fühle mich ihnen schutzlos ausgeliefert.

Meist komme ich mit dem ganzen Denken und Reflektieren ganz gut zurecht. Nicht aber, wenn es um eine bestimmte Person geht. Diese Person geht mir nicht aus dem Kopf. Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass sich meine Gedanken nur um sie drehen. Als wäre sie mein Lebensmittelpunkt, ob gewollt oder nicht. Je mehr ich versuche, nicht an sie zu denken, desto schwerer wird es. Denn mein Verstand fokussiert sich ja dann erst recht nur auf diesen Menschen.

An sich ist es schön, an diese Person zu denken. Ich genieße die Verliebtheit und die Sehnsucht, die dieser Mensch in mir auslöst. Wenn man eben so verliebt ist, ist es total normal, dass man nur an diese eine Person denken muss.

Doch gleichzeitig mischt sich dann auch etwas Nachdenklichkeit und Traurigkeit mit hinein. Weil die Person ganz sicher nicht so sehr an mich denkt, wie ich an sie. Ich kann es nicht genau wissen, aber ich vermute es stark. Zumal die Person mir das auch immer wieder indirekt zu verstehen gibt. Und das tut weh. Mir ist klar, dass man nicht dasselbe füreinander empfinden kann. Dass Liebe unterschiedlich sein kann. Und nur weil man weniger an die Person denkt und sie weniger vermisst, das nicht bedeuten muss, dass man weniger liebt.

Und doch ist da die Stimme in meinem Kopf, die sagt: Vielleicht bist du eben doch nicht so liebenswert. Und vielleicht liebt er dich doch nicht so sehr, wie du dachtest. Nicht so sehr, wie du ihn.

Diese Stimme oder diese Gedanken tauchen immer dann auf, wenn Funkstille zwischen uns herrscht. Oder wenn eine Antwort nicht schnell genug kommt. Oder nicht so, wie ich es mir erhofft habe. Dann geht es mit dem Gedankenkarussell los, das sich erst langsam, aber dann unaufhaltsam immer schneller dreht. So schnell, dass ich die Kontrolle darüber verliere.

Dann wird jedes einzelne Wort interpretiert, auch alles, was nicht gesagt, getan oder geschrieben wurde.


Jedes digitale Wort genau analysieren

Die digitale Kommunikation macht das Ganze noch einmal komplizierter. Da steht ja auch alles geschrieben, sodass man sich etwas immer wieder durchlesen kann. Und je länger ich über all das Geschriebene nachdenke, desto schwerer fällt es mir, davon abzulassen.

Da kommen Gedanken auf wie: Warum schreibt er denn nicht, obwohl er meine Nachricht doch schon längst gelesen hat? Warum braucht er so lange? Bin ich ihm nicht wichtig genug? Nerve ich ihn gerade? Liebt er mich etwa nicht mehr? Wieso hat er denn plötzlich kein Herz-Emoji verwendet? Warum hat er das denn so geschrieben? Was hat das alles zu bedeuten?

Ich interpretiere so viel in alles hinein, schreibe den Nachrichten so viel Bedeutung zu, dass ich den Blick für das Wesentliche total verliere. Und so verliere ich mich auch in meinen eigenen negativen Gedanken. Ich gehe automatisch davon aus, dass alles, was er schreibt und tut irgendwie mit mir zusammenhängt. Und immer in einem negativen Zusammenhang. Ich stelle dann immer wieder seine Gefühle für mich und unsere Beziehung wegen solcher Kleinigkeiten in Frage. Total bescheuert, das weiß ich. Und obwohl ich das weiß, glaube ich tatsächlich an die negativen Gedanken. Sie sind so laut und so präsent, ich komme gegen sie nicht an.

Dabei vergesse ich, dass sich eben nicht immer alles um mich dreht. Warum und wann er schreibt, muss nichts mit mir zu tun haben. Wieso nehme ich mich selbst immer nur so viel wichtiger als ich bin?

Paradox an der ganzen Geschichte ist ja, dass hinter all diesem Gedankenkarussell mein niedriges Selbstwertgefühl steckt. Es sehnt sich nach ständiger Bestätigung, sucht deswegen immer wieder auch im Geschriebenen danach. Wird es nicht fündig, ist das gleich ein Beleg dafür, dass ich nicht genug bin oder nicht geliebt werde.

Auch wenn ich rational weiß, dass das eine mit dem anderen nicht unbedingt etwas zu tun haben – die Gedankenmaschinerie läuft erbarmungslos weiter. Ich möchte so gern dagegen ankämpfen, aber ich fühle mich von meinen negativen Gedanken, die Ärger, Wut, Enttäuschung, Traurigkeit auslösen so überrollt, dass ich einfach nicht dagegen ankomme. Ich werde getriggert und ab da übernehmen meine Gefühle die Kontrolle. In solch emotionalen Momenten, habe ich gelesen, wird der rationale Verstand einfach blockiert. Das ist einfach so. Nicht, dass es eine Rechtfertigung für mein danach sehr toxisches Verhalten sein soll. Aber dadurch lerne ich mich selbst etwas besser zu verstehen.


Das Gesagte nicht loslassen können

Doch nicht nur das Geschriebene hallt noch lange in meinem Kopf nach. Es sind Gesprächsfetzen, die in meinem Kopf auftauchen. Einfach so, ohne, dass ich es will. Sehr oft denke ich über das nach, was wir so miteinander besprochen haben. Und dann bleiben meine Gedanken automatisch an bestimmten Aussagen hängen, die ich wieder überinterpretiere. In den Momenten, in denen wir darüber reden, denke ich mir nicht viel dabei. Mir wird immer erst die wirkliche Bedeutung bestimmter Aussagen oder deren Folgen klar, wenn ich einige Zeit später darüber reflektiere. Und dann fange ich an, zu hinterfragen. Was meinte er denn genau damit? Was hat das zu bedeuten? Oder meinte er das etwa ganz anders als ich es verstanden habe?

Ein Beispiel gefällig? Er hat gesagt, dass er mehr Freiraum braucht. An sich eine vollkommen legitime Aussage. Jeder Mensch ist ja auch anders, jeder hat ein anderes Distanz- und Nähebedürfnis. Doch was macht mein Gehirn? Es wandelt die Aussage um in ein „Er mag es also nicht, viel Zeit mit mir zu verbringen, das ist ihm zu viel. Weil er mich nicht genug liebt oder ich ihm einfach zu nervig bin. Wenn man in jemanden richtig verliebt ist, dann will man doch so viel Zeit wie möglich miteinander verbringen. Ergo, ist er nicht richtig in mich verliebt und ich bin wieder die Dumme, die so viel Liebe in die Beziehung reinsteckt...“ Und so geht das weiter.

Ihr seht: Ich beziehe sein Bedürfnis nach Freiraum wieder auf mich. Aus seiner Aussage ziehe ich sofort Schlussfolgerungen über unsere Beziehung und seine Gefühle für mich. Gleichzeitig projiziere ich meine eigenen Glaubenssätze „Wer verliebt ist, will viel mit der anderen Person zusammen sein“ auf ihn beziehungsweise übertrage das, was auf mich zutrifft auf ihn. Das muss ja schließlich auch für ihn gelten, nicht wahr? Und vergesse dabei, dass wir eben alle Individuen sind und eben andere Bedürfnisse haben.

Über Gesagtes noch einmal nachzudenken, ist ja an sich nicht schlecht. Es braucht ja auch Zeit, das alles zu verarbeiten. Doch bei mir läuft das nur darauf hinaus, dass ich interpretiere und interpretiere. Und so viele eigene Deutungen mit einbringe, dass es am Ende nur meine eigenen negativen Gedanken sind, die mich wieder schlecht fühlen lassen. Ich überlagere seine Aussagen mit meinen (negativen) Deutungen. Vieles, was er so nicht meinte, kommt bei mir aber verzerrt und anders an, weil meine eigenen Interpretationen da mitmischen. Wieder lassen sie mich zweifeln, an mir, an ihm, an unserer Beziehung. Das Gedankenkarussell entwickelt ein Eigenleben, das sich schwer stoppen lässt. Und da ich mit ihm in solchen Momenten nicht über meine Gedanken rede, bleibe ich damit hoffnungslos allein.

Und selbst wenn er mir immer wieder sagen würde, dass das alles nicht der Wahrheit entspricht: Solange ich daran glaube, bleibt es für mich auch wahr. Solange ich ihm nicht vertraue und mich nicht von meinen eigenen Gedanken löse, solange werde ich auch nicht glauben, was er sagt. Solange ich meine eigenen Gedanken nicht hinterfrage, wird sich nichts an meinem Gedankenkarussell ändern.

Darum gilt: Nicht die Realität so anpassen, dass es mit den Gedanken stimmt. Sondern andersherum, nämlich an den eigenen Gedanken arbeiten.

Das Gedankenkarussell könnte man auch einfach als „Overthinking“ bezeichnen. Sprich das extreme Nachdenken oder Grübeln über etwas. Man denkt nicht nur einfach über etwas nach. Sondern man zerdenkt es sozusagen. So sehr, dass es einen kaputt macht, dass es einem schlecht geht und einen überhaupt nicht weiterbringt. Grübeln wäre tatsächlich die passende deutsche Bezeichnung dafür. Wenn wir über etwas grübeln, denken wir ständig dasselbe, ohne, dass etwas Sinnvolles bei raus kommt. Es ist nicht Sinn und Zweck des Grübelns zum Ende zu kommen. Wir halten einfach nur an dem Negativen so lange fest, bis wir wahnsinnig werden.

Wie sinnvoll ist dieses Grübeln über das, was wir besprechen oder was er schreibt wirklich? Sicherlich kann es gut sein, über etwas zu reflektieren. Aber es kommt eben auf das Wie an.

Es tut mir augenscheinlich nicht gut, wie ich über einzelne Gespräche und Nachrichten nachdenke, weil ich mich selbst damit abwerte, aber gleichzeitig auch die Beziehung in Frage stelle. Mit dem Grübeln schaffe ich selbst Probleme, wo vorher keine waren.

Ich verfalle immer wieder in ein Muster, das getriggert wird und in dem ich gefangen bin. Einmal ausgelöst, verselbstständigt sich das Grübeln. Vermutlich habe ich das schon sehr lange in mir, dieses Muster. Dagegen anzukämpfen, fällt schwer, weil ich jahrelang darauf konditioniert war. Was jahrelang schon so war, lässt sich nicht so leicht wieder ändern. Doch das darf und kann keine Ausrede sein, es nicht zu versuchen.


Raus aus der Gedankenspirale!

Was also dagegen tun?

Wichtig wäre zunächst einmal, überhaupt zu erkennen, dass ich wieder im Gedankenkarussell bin. Das ist nicht immer leicht, weil das Muster eben so unbewusst und schnell abläuft. Doch etwas zu ändern, geht nur, wenn ich es auch erkenne. Dazu müsste ich natürlich achtsam genug sein und auch eine gewisse Distanz zu meinen Gedanken einnehmen.

In dem Moment, in dem ich mich beim Grübeln ertappe, darf ich die Gedanken nicht einfach so weiterlaufen lassen. Dieser Moment ist entscheidend, dazwischen zu gehen und dem Ganzen ein Ende zu setzen. Stichwort: Gedankenstopp. Wenn ich merke, dass das Grübeln wieder anfängt, sage oder denke ich laut „STOPP“ und bringe mich selbst aus dem Karussell raus. Hoffentlich. Es sind die Gedanken, die in uns Gefühle auslösen, die uns nicht immer guttun.

Der Gedankenstopp ermöglicht es uns, innezuhalten. Raus aus den eigenen destruktiven Gedanken zu kommen. Als nächstes könnten wir die Gedanken erstmal so stehen lassen, ohne sie zu bewerten. Sie akzeptieren, statt sie zu verurteilen. Hinter Gedanken steckt ja meist auch noch etwas anderes. Vielleicht ein Wunsch oder ein Bedürfnis, was nicht erfüllt wird? Woher kommt dieser Gedanke und was macht er mit mir? Ich lade meine Gedanken liebevoll zu einem Dialog ein, ohne mich von ihnen mitreißen zu lassen.

Sollte das Grübeln wieder Überhand nehmen, grenzt man sich wieder von den Gedanken ab und hinterfragt sie: Ist das wirklich so? Wie sicher kann ich mir sein, dass das stimmt? Wie wahr sind meine Gedanken? Was könnte meine Gedanken widerlegen? Erkennen, dass die Gedanken eben nur Gedanken sind, aber nicht die Realität abbilden.

Das alles hat den Sinn, aus dem ganzen Grübeln rauszukommen und eine andere Perspektive einzunehmen. Statt also wieder dem Muster zu verfallen und ständig weiter negativ zu denken, könnte ich mich fragen: Gibt es vielleicht auch einen anderen Grund, warum er gerade nicht schreibt oder nicht so schreibt, wie ich es gern hätte? Gibt es vielleicht auch einen anderen Grund, warum er das gesagt hat? Und dann fange ich an, die Dinge aufzuzählen. Je mehr ich das tue, desto mehr lasse ich meine ursprünglich destruktiven Gedanken los. Ich fange an meinen eigenen Horizont zu weiten, versuche mich, in die andere Person hineinzuversetzen. Und vor allem lerne ich dabei, wohlwollender zu werden.

Vom Kopf raus in den Körper und den Fokus auf das Äußere legen: Die Gedanken loslassen. Überhaupt den Fokus weg von den Gedanken auf etwas anderes bringen. Meditation könnte dabei helfen. Ziel ist nicht, die Gedanken abzustellen, sondern sie einfach wahrzunehmen und dabei ziehen zu lassen. Den Gedanken nicht zu folgen, sie einfach nur zu beobachten und sie nicht zu bewerten. Den Gedanken nicht so viel Raum und Bedeutung geben. Und gleichzeitig konzentriere ich mich auf das Hier und Jetzt, auf mich, meinen Körper und meine Umgebung. Das lässt wenig Spielraum, weiter zu grübeln, wenn man es richtig macht.

Ich denke ohnehin, dass Ablenkung mit das Beste ist, was das Grübeln stoppen kann. Das bedeutet nicht, dass ich diese Gedanken verdränge. Im Idealfall habe ich mich damit schon ausreichend auseinandergesetzt. Und dann tut es gut, einfach mal etwas anderes zu machen. Eben nicht mehr so viel darüber nachzudenken. Mir persönlich hilft es dann sehr, Dingen nachzugehen, die meine vollste Konzentration brauchen. Beispielsweise Sport treiben, mich mit Freunden zu treffen. Vor allem in Gesprächen bin ich so vertieft im Zuhören und Reden, dass ich automatisch keine Zeit habe, über etwas anderes nachzudenken. Ich habe dann auch einfach nicht die geistigen Kapazitäten dafür. Und das tut dann auch immer sehr gut. Oder ich widme mich einem Hobby, bei dem ich vollkommen im Flow versinke. Flow bedeutet, dass ich in der Tätigkeit aufgehe, alles um mich herum vergesse, nicht viel nachdenke und nicht merke, dass die Zeit vergeht.


Dinge zu kennen, die gegen das Grübeln helfen und diese Dinge auch wirklich umzusetzen– das sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Doch wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Am Ende hängt es auch von der eigenen Einstellung und dem Leidensdruck ab. Wie sehr belastet das Overthinking mich und die Beziehung? Wie sehr will ich etwas daran ändern? Mich belastet es schon eine ganze Weile und ich will unbedingt an mir und diesem Gedankenkarussell arbeiten. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Das braucht Zeit, ist ein langwieriger Prozess, bei dem Rückfälle wohl auch dazu gehören. Doch sich davon nicht entmutigen zu lassen und kontinuierlich dranzubleiben, wird sich lohnen. In kleinen Schritten will ich endlich raus aus dem Overthinking. Nicht mehr länger das Opfer sein, sondern wieder die Kontrolle über meine Gedanken bekommen.

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