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Warum wir Langeweile vermeiden und sie doch brauchen


Manchmal gibt es so Momente, da weiß ich nicht, was ich tun soll. Da habe ich so gar keine Lust auf irgendetwas. Doch ich will unbedingt etwas tun. Bloß nicht nichts tun, sich langweilen – das wäre ein Grauen. So geht es nicht nur mir, sondern auch vielen anderen. Aber warum fällt uns das so schwer, Langeweile mal zuzulassen und einfach mal nichts zu tun? Und warum ist es auch mal wichtig, Langeweile auszuhalten?


Langeweile – etwas, was wir heutzutage eigentlich gar nicht wirklich kennen. Sobald mal der Moment der Ruhe und Stille kommt, sobald wir mal fünf Minuten Pause haben oder sobald wir mal warten müssen – was machen wir damit? Selten kosten wir diese Momente aus, diese Momente, in denen wir ganz im Hier und Jetzt sein können.

Was tun wir stattdessen? Oftmals wird dann das Smartphone gezückt. Schnell mal die paar Minuten Pause nutzen, um zu schauen, was man verpasst hat. Schnell mal ungelesene Nachrichten öffnen und beantworten. Schnell mal schauen, was sich so in der Welt verändert hat. Statt im echten Leben zu bleiben, zieht es uns in die digitale Welt, in der wir ganz leicht abtauchen und aus der wir vielleicht erst nach vielen Minuten oder gar Stunden wieder in das wirkliche Leben zurückkommen.


Gedanklich immer woanders – nur nicht im Augenblick

Ganz häufig sind wir gedanklich nicht wirklich in der Gegenwart. Da wird darüber nachgedacht, was als nächstes ansteht. Da wird die To-Do-Liste begutachtet und neue Aufgaben gefunden, die man doch noch zu erledigen hat. Pläne werden für die Zukunft geschmiedet. Oder man denkt an das, was passiert ist, reist durch die eigenen Erinnerungen. Doch von der Gegenwart selbst merken wir nicht viel, weil wir mental einfach immer irgendwie woanders sind. Ob in der Zukunft, Vergangenheit oder einfach in den Weiten des Internets. Wir sind gedanklich ständig unterwegs, auf Reisen, sind rastlos, innerlich getrieben. Selten halten wir wirklich mal still und ruhen, viel zu selten sind wir mal wirklich achtsam, im Hier und Jetzt und schon gar nicht bei uns selbst.

Langeweile – das ist so ein Fremdwort für uns geworden. Denn es gibt immer etwas zu tun, immer etwas zu erledigen. Langeweile gibt es eigentlich nicht. Nicht, wenn wir das Smartphone haben, mit dem wir uns ablenken können. Eine Ablenkung nach der nächsten. Da kann keine Langweile aufkommen. Im Internet surfen, Nachrichten checken, auf Social Media unterwegs sein, kommentieren, liken, irgendetwas posten und und und. Wo bleibt da noch Zeit für Langeweile?


Darum wollen wir keine Langeweile spüren

Das ist das letzte, was wir wollen, uns langweilen. Mit Langeweile verbinden wir eigentlich so gut wie nichts Positives. Das ist etwas, was einen runterzieht, demotiviert. Ich kenne es noch aus der Kindheit und Jugend. Langeweile kam immer dann auf, wenn ich etwas gemacht habe, aber irgendwie doch keine Lust darauf hatte. Dann suchte ich mir schnell mal das nächste, was mir auch keinen Spaß machte. Nachdem ich alles Mögliche ausprobiert hatte und trotzdem keine Freude dran hatte, war einfach nur viel Frust da. Frust, weil ich gerne etwas machen will, aber zu nichts Lust hatte. Weil ich nicht wusste, was ich tun sollte und was ich dagegen machen kann. Gegen dieses diffuse Gefühl von Demotivation. Sich zu nichts aufraffen können. Irgendwie wollte ich die Zeit rumkriegen, damit sie sich nicht mehr so quälend lang anfühlt. Ich hasste dieses Gefühl, nicht zu wissen, was ich machen sollte. Nicht zu wissen, womit ich mir die Zeit vertreiben kann. Das Nichtstun fühlte sich für mich belastend an, das wollte ich nicht.

Das Wort Langeweile sagt schon alles – die Zeit fühlt sich an, als würde sie nur sehr langsam vergehen. Als ob sie sich wie ein Kaugummi ziehen würde. Das Gefühl kommt immer dann, wenn wir etwas tun, was uns wenig Spaß macht, wo wir so gar nicht in den Flow kommen. Dinge, die unangenehm und unschön sind, die wir am liebsten schnell hinter uns bringen wollen. Diese Dinge ziehen sich in die Länge.

Und Langeweile erinnert uns an solche Dinge und Situationen. Wir wollen Langeweile schnell überwinden, einfach fix ins Tun kommen. In etwas versinken und uns darin verlieren, nicht mehr spüren, wie die Zeit vergeht.


Immer beschäftigt sein ist „in“

In uns allen steckt dieser Drang, ständig etwas zu tun, beschäftigt zu sein. Das ist heute richtig trendy. „Ich bin gerade beschäftigt“ ist der Leitspruch unserer Leistungsgesellschaft. Immer etwas machen, egal, was es ist und ob es wirklich sinnvoll ist. Wer beschäftigt ist, ist gefragt, ist aktiv, produktiv. Denkt man. Aber das stimmt natürlich nicht immer.

Selbst während der Pandemie-Zeit bestimmte dieses Denken unser Handeln. Bloß nicht nur zu Hause rumsitzen und nichts tun. Das wäre ja reine Zeitverschwendung! Endlich mehr Zeit, das zu tun, wozu man nicht kommt. Endlich mal Zeit für neue Hobbys, kreativ sein, sich mal ausprobieren, Experimente wagen. Eigentlich sollte diese Zeit doch entschleunigend wirken. Doch das Gegenteil war bei vielen der Fall. Die Lücken, die sich auftaten, mussten anderweitig gestopft werden. Als ob das ständige Tun einem Halt gab, damit man sich nicht verlieren konnte. Damit man nicht am Ende die große Leere, die sonst immer versteckt war, spüren konnte.

Zeit ist Geld, auch so ein Leitspruch unserer Gesellschaft. Wir haben nicht viel Zeit, also müssen wir die Zeit so gut wie es geht nutzen. Sollten wir mal mehr Zeit haben, muss noch mehr in den ohnehin engen Zeitplan reingequetscht werden, komme was wolle. Auch wenn es bedeutet, dass wir am Ende überfordert sind, unter Burn-Out leiden. Egal, einfach weitermachen, weiter funktionieren. Darum darf Langeweile auch nicht aufkommen. Das würde ja bedeuten, dass man zu viel Zeit hat, die man nicht effizient für etwas Sinnvolles nutzt.


Bloß keine Zeitverschwendung

Damit verbunden: immer wieder produktiv sein. So geht es mir, wenn ich Urlaub oder Freizeit habe. Es ist nicht die Entspannung, die an erster Stelle steht. Nein, ich will unbedingt immer etwas Sinnvolles schaffen. Irgendetwas verbessern, mich weiterentwickeln, etwas Produktives tun. Für mich ist die Zeit gut genutzt, wenn ich das erreicht habe. Langeweile würde genau das Gegenteil bedeuten. Nichts tun, nichts Sinnvolles leisten und schaffen, Zeitverschwendung. Langeweile ist doch nur etwas für Faulenzer. Und so eine Person will ich nicht sein. Es fällt mir verdammt schwer, auch einfach mal alle Viere gerade sein zu lassen. Einfach mal nichts zu planen, nichts zu tun. Ja, ich sehe es als verschwendete Zeit an. Zeit, die ich stattdessen für etwas Besseres nutzen könnte.

Und dann noch die ständige Reizüberflutung durch das Smartphone. Kein Wunder, dass uns Langeweile und das Nichtstun so schwer fällt. Wir kommen damit nicht klar, uns mal auf die Stille zu fokussieren. Es ist zu ruhig, zu entspannt, keine wirklichen Reize da, die uns triggern. Neue Reize sind es, die wir brauchen. Dabei könnte gerade das Nichts tun helfen, mal runterzukommen, das überreizte Gemüt und Gehirn mal neu zu starten.

Vielleicht ist es auch das Streben nach Zugehörigkeit, das Streben nach Anerkennung. Wenn nach einem Wochenende auf Arbeit gefragt wird: Was hast du so am Wochenende gemacht? Dann will man ungern zugeben, dass man nichts getan hat. Sehr unangenehm. Ist doch viel toller, zu sagen, dass man viele spannende Dinge erlebt hat und die anderen darüber staunen. Das macht einen spannend. Und man kann Geschichten erzählen. Das geht weniger gut, wenn man nur zu Hause gesessen und vor sich hingeträumt hat, nicht wahr? Tun um des Tuns Willen.


Langeweile auch mal aushalten können

Dabei kann es uns durchaus mal guttun, nichts zu tun, Langeweile mal zuzulassen. Nicht immerzu die Zeit mit Dingen vertreiben, auf die wir eigentlich keine Lust haben. Nicht etwas tun, nur damit wir etwas tun und nicht rumsitzen.

Es ist wie immer alles eine Sache der Einstellung. Langeweile muss nicht negativ bewertet werden. Oftmals steckt auch etwas dahinter, was wir ergründen sollten. Ein erster Schritt wäre, die Langeweile zu akzeptieren. Sie zuzulassen und sie nicht auf Teufel komm raus zu überwinden. Statt den Fokus auf das Äußere zu lenken und schnell nach neuen Tätigkeiten zu schauen, Fokus nach innen: Warum spüren wir gerade Langeweile? Was genau fühle ich wirklich? Welche Gefühle stecken wirklich in mir? Woher kommt das?

Raus aus dem Hamsterrad und Aktivismus und rein in die Leere und Stille. Das macht vielen erst einmal Angst. Manche haben es verlernt, diese ruhigen Momente wirklich auszuhalten. Ich gehöre auch dazu. Mal einfach nichts zu tun. Wirklich mal im Hier und Jetzt sein, wahrnehmen, was gerade ist und was in mir ist. Auf die eigenen Gefühle und Gedanken achten.

Und vielleicht einfach wirklich nichts tun, sich entspannen oder aus dem Fenster schauen. Oder einfach nur die Decke oder Wand anstarren. Alles erlaubt. Wir brauchen diese Momente, um Kraft zu tanken, um runterzukommen, um uns neu zu orientieren. Viel zu selten nehmen wir uns Zeit für solche Momente, die doch gerade im hektischen Alltag so wichtig sind. Vielleicht auch einfach mal Zeit nehmen, um darüber nachzudenken, was einen beschäftigt. Was ist gerade in meinem Leben los? Bin ich glücklich? Was fehlt mir gerade? Was will ich gerne ändern? Wenn wir nur ständig im Autopiloten unterwegs sind, bleibt kaum Zeit mal übers Leben zu reflektieren.

Sich von dem Glaubenssatz lösen, dass beschäftigt sein immer gut ist. Dass es auch mal gut tut, nichts zu tun. Dass wir nicht immer jederzeit etwas Sinnvolles und Produktives tun müssen. Dass Zeit gut nutzen auch bedeuten kann, sie ziehen zu lassen und sie nicht immer vollzupacken mit dutzenden Sachen. Dass es auch mal gut sein kann und sich gut anfühlt, die Zeit einfach so verstreichen zu lassen, ohne aktiv zu sein. Sich einfach mal treiben lassen und entspannen. Denn Anspannung, die wir sehr oft im Leben haben, braucht auch immer Entspannung. Zwei Pole, die sich gegenseitig ergänzen.

Es wird immer wieder Momente geben, in denen wir uns langweilen. Das ist nicht schlecht. Es kommt also darauf an, wie wir damit umgehen. Wie wäre es, wenn wir das nächste Mal nicht sofort das Smartphone nehmen, wenn wir irgendwo warten? Sondern einfach den Fokus auf die Gegenwart legen, in uns gehen, wahrnehmen, was in uns und außerhalb passiert?

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