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Lasst uns mehr gendern!


Geschlechtergerechte Sprache – kurz Gendern – ist in aller Munde. Immer mehr tun es. Die Debatte darum, inwiefern es notwendig sein sollte, zu gendern, zieht ihre Kreise. Auch ich setze mich immer mehr damit auseinander. Und bemerke, dass das Spuren hinterlässt...

Dass es Gendern gibt, wusste ich schon länger. Doch wenn ich ganz ehrlich bin, hat es mich nicht wirklich interessiert. Obwohl ich doch eigentlich zu der betroffenen Zielgruppe, den Frauen, gehöre, die sprachlich benachteiligt werden. Ich habe mir schlichtweg einfach keine Gedanken darum gemacht.

Mir war schon klar, dass in vielen Personen- und Berufsbezeichnungen wie Bäcker, Lehrer, Arbeiter und mehr Frauen das generische Maskulinum dominierend war. Generisch meint, dass das Maskulinum als Oberbegriff genutzt wird: Eine Personengruppe, die natürlicherweise aus mehreren Geschlechtern besteht, wird männlich bezeichnet.

Da kann es 99 Sängerinnen und einen Sänger geben und trotzdem sind es am Ende 100 Sänger. Weil das eben so ist und schon immer war, also bleibt man dabei. Ganz schön unfair oder? Man stelle sich vor, es wäre anders herum und das generische Femininum existiere. Ich kann mir schon vorstellen, wie groß der Aufschrei wäre: Um Gottes Willen! Das ist doch Benachteiligung der Männer, geht gar nicht!

Nur mit gemeint, aber nicht angesprochen

Mit dem generischen Maskulinum waren zwar schon irgendwo auch die Frauen mitgemeint, aber eben nicht angesprochen. Das waren damit nur die Männer. Könnte man doch denken, dass es nicht so schlimm wäre, wir wissen doch, dass nicht nur Männer gemein sind. DOCH das führt dazu, sagen die Gender-Befürworter, dass wir immer nur Männer in unseren Köpfen haben, wenn wir an diese Personen- und Berufsgruppen denken. Und das spricht eben nicht gerade für Gleichberechtigung, oder?

Mit der Gender-Bewegung kam und kommt Veränderung in die Sprache. Und das gefällt vielen nicht. Vor allem denjenigen nicht, die konservativ sind, sich nicht gern auf Veränderungen einlassen, vielleicht auch gar kein Interesse an Gleichberechtigung haben. Menschen, die denken, dass es ja die reinste Sprachverhunzerei wäre. Für viele ist es auch eben einfach zu unübersichtlich und darum zu kompliziert. Man müsse sich damit ja erst einmal intensiver beschäftigen. Und das kostet Zeit und Nerven.

Andere sehen darin wieder einen der vielen Trends, den alle mitmachen. Es sei total hip, total open-minded, schick und intellektuell, zu gendern. Und ich gebe zu: Es sind vor allem eher die gebildeteren Menschen, Studierende oder Personal an den Unis oder eben auch Jugendverbände, die vorwiegend gendern. Auch wenn Gendern zunehmend Einzug in alle mögliche Bereichen des Lebens findet.


Warum ich lange Zeit einfach nicht gegendert habe

Mir persönlich war es lange Zeit einfach egal. Muss ich ehrlich sagen. Ich habe mich damit aber auch nicht beschäftigt. Und es hat mich wenig interessiert. Ich dachte mir, das ist doch total okay so, wie es ist. Ich gehörte auch zu der Sorte Mensch, die sich gegen Veränderungen wehrte. Obwohl ich wusste, wie wichtig es doch war und dass es einen großen Unterschied macht, zu gendern, sträubte ich mich dagegen.

Wir sind eben alle auch Gewohnheitstiere und ich umso mehr. Mir war das zu umständlich. Zumal es zu viele verschiedene Varianten gibt, zu gendern. Jeder kann das so machen, wie er will. Es gibt keine einheitliche Regelung. Da wirklich durchzublicken, ist schon nicht leicht. Aber das dann auch noch in die eigene Sprache – schriftlich wie mündlich – zu integrieren, ist noch mal eine Hürde.

Das fängt schon beim Schreiben an. Es gibt ja so viele verschiedene Formen. Neben dem Gendersternchen *, zählen dazu auch noch die Form mit dem Unterstrich_ oder die mit dem Doppelpunkt. Das sind alles nicht gerade sprachbarrierefreie Varianten, da sie eben Sonderzeichen verwenden. Dann gäbe es noch die Variante, bei der die weibliche und männliche Form genutzt wird wie bei Lehrerinnen und Lehrer. Da wo es möglich wäre, könnte auch eine neutrale Form stehen wie beispielsweise Lehrerschaft, Studierende oder Teilnehmende. Das schließt dann auch diejenigen mit ein, die sich eben keinem Geschlecht zugehörig empfinden.

Stichwort Queerness: Wie können wir all diejenigen ansprechen, die eben divers, queer, nicht-binär sind? Die sich keinem Geschlecht wirklich zugehörig fühlen? Zumindest werden die drei Geschlechter männlich, weiblich und divers abgefragt bzw. mit angegeben, wenn es um Geschlechter geht. Aber wie ist es denn nun bei der Anrede, wenn wir keine geschlechtsneutrale Form wie bei den Studierenden und Teilnehmenden haben? Da dachte ich mir, dass auch das Geschlecht einfach weggelassen werden kann. Statt „Sehr geehrte Damen und Herren“ lieber so etwas zu schreiben wie „Sehr geehrte Anwesende“ oder eben kurz und knapp „Guten Abend/Tag!“ Das macht es doch eigentlich viel bequemer, wenn die Anreden so kurz wie möglich gehalten werden. Und ist es denn unbedingt notwendig, immer wieder auf das Geschlecht aufmerksam zu machen?


Gendern aus Gruppenzwang?

Ich war einfach bis vor wenigen Monaten zu faul, zu bequem, mich dem Thema anzunähern. Was ja schon etwas traurig ist, wenn mensch bedenkt, dass ich ja zur der benachteiligten Personengruppe gehört. Aber wenn ich einmal damit anfangen, dann dachte ich mir, muss ich es auch richtig machen.

Ich wurde gewissermaßen indirekt gezwungen. Es war der Gruppenzwang, dem ich mich unterworfen habe. In meinem neuen Job gehört Gendern einfach zur Tagesordnung. Es ist einfach selbstverständlich. Bei uns gilt im übrigen das Gendersternchen. Und es wird wirklich durchgängig gegendert, sowohl schriftlich als auch mündlich. Das war für mich echt eine riesige Umstellung. Anfangs habe ich mich innerlich dagegen gewehrt, weil das so anders war. Doch dann begann ich, mich dafür zu öffnen. Erkannte, welch positives Potenzial dahinter steckte. Gewissermaßen wollte ich aber auch nicht das schwarze Schaf sein, sondern eben dazu gehören. War also teilweise freiwillig, aber auch unfreiwillig.

Beim Schreiben zu gendern, fiel mir doch sehr einfach. Doch mündlich zu gendern war wirklich eine Herausforderung. Immer wieder verfiel ich in alte Muster oder war einfach auch zu faul, die weibliche und männliche zu nennen oder eben diese Pause zu lassen, wenn das Gendersternchen kommt. An sich keine komplizierte Sache, aber eben schwierig, weil ich es sonst anders gewöhnt war.

Da gehört sicherlich eine gehörige Portion Motivation und Durchhaltevermögen dazu, das wirklich im Alltag umzusetzen. Sich nicht unterkriegen zu lassen, es immer und immer wieder zu probieren und nicht damit aufzuhören. Immer wieder innezuhalten, wenn das alte Muster zurückschlägt.

Und zwar nicht nur im beruflichen Kontext. Ich wollte nicht, dass es einfach nur meine Berufssprache ist, sondern wirklich Zugang zu meinem kompletten Sprachschatz findet. Weil ich es zunehmend einfach besser und wichtig fand. Und siehe da: Nach wenigen Wochen fiel mir das doch immer leichter und ich gendere schriftlich wie mündlich, ohne viel darüber nachzudenken.

Zumindest was den beruflichen Kontext betrifft. Im Privaten versuche ich es auch, oftmals klappt es. Aber das hängt auch immer von den Menschen ab, mit denen ich spreche. Ich passe mich meinen Mitmenschen leider zu sehr an. Sind es dann doch eher die älteren oder auch meine Mama, die zwar gut Deutsch spricht, aber darüber sehr stolpern würde, lasse ich es sein. Das ist keine gute Ausrede und eigentlich müsste ich es gerade bei den Menschen durchziehen, die noch nicht gendern, nicht mal wissen, was das ist. Einfach damit es präsenter wird in deren Köpfen. Damit es auch jene Menschen nachdenklich macht, die sich noch nie eine Platte darum gemacht haben. Vielleicht bringt das ja etwas. Einen Versuch wäre es wert.


Sprache ist geprägt vom männlichen Geschlecht

Mir war bisher nicht einmal bewusst, wie sehr unsere Sprache vom Männlichen geprägt ist. Das wird mir gerade beim Schreiben wieder klar. Wenn ich unter anderem Sätze schreibe, in denen „man“ vorkommt. Darüber habe ich nie nachgedacht, weil es eben so drin ist. Weil wir das jahrelang so praktiziert haben, „man“ zu sagen oder zu schreiben, wenn wir allgemeiner sprechen. Dass damit aber eben indirekt eher das Männliche wieder und wieder in unserer Sprache und damit in unserem Denken hervorgehoben wird und das weibliche Geschlecht zu kurz kommt – das war mir bis vor Kurzem gar nicht so klar.

Oder das Pronomen „jemand“, wo ja auch wieder „man“ also „Mann“ drin steckt. Stattdessen lässt sich daraus gendergerecht „jemensch“ machen. Oder es wird „ich“ oder „wir“ genutzt. Mensch sttat man klingt erst mal total abgefahren und gewöhnlich. Ich gebe zu, dass ich immer wieder darüber stolpere. Es ist halt total ungewohnt für mich, weil wir alle so sprechen, nicht wahr? Wir haben das alle unser Leben lang praktiziert und nie hinterfragt. Warum auch? Es gab keinen Grund dazu. Doch das ist jetzt anders.


Manchmal ist weniger eben mehr

Gendern geht noch viel viel weiter. Richtig kompliziert wird es tatsächlich bei der persönlichen Anrede „Sehr geehrte Frau sowieso“. Nicht alle wollen unbedingt geschlechtsspezifisch angesprochen werden, sondern neutral.

Für mich eine ebenfalls sehr ungewohnte Sache, wobei das bei mir aufgrund meiner asiatischen Wurzeln immer wieder vorkam, unfreiwillig. Viele waren nicht mit meinem nicht deutsch klingenden Namen vertraut und wussten daher nicht, ob ich nun männlich, weiblich oder eben divers bin. Und dann wurde ich eben mit vollständigem Namen angesprochen. Oder der Name wurde einfach weggelassen und es wurde nur „Guten Tag“ oder „Hallo“ geschrieben. Für mich war es immer ein Hinweis: Die Person weiß nicht, welchen Geschlechts ich bin und will nicht in ein Fettnäpfchen treten. Öfter mal wurde ins Blaue geraten und ich wurde zu einem Herrn Sowieso. Mich hat das jetzt nicht sonderlich genervt oder gestört, aber richtig schön war das natürlich auch nicht. Denn wer ein wenig recherchiert, sich ein wenig Mühe macht und mit asiatischen Namen auseinandersetzt, wird leicht herausfinden, wie er/sie mich ansprechen kann. Aber dafür haben die meisten eben keine Zeit.

Heute denke ich mir: Ist ja eigentlich gar nicht mal so übel. Es passt eben sehr gut zur gendergerechten Sprache. Viele haben kein Pronomen oder wollen eben nicht geschlechtspezifisch angesprochen werden. Und wenn mensch eben nicht ins Fettnäpfchen treten will, ist mensch auf der sicheren Seite, einfach nur den Namen oder gar keinen Namen zu nennen. Was ich früher immer nervig fand, empfinde ich heute als überraschend angenehm. Schon komisch, wie sich alles ändern kann.


Die Sache mit den Pronomen

Stichwort Pronomen. Da fehlt mir der komplette Überblick und da muss ich tatsächlich auch kapitulieren. Ich habe erst vor Kurzem herausgefunden, dass es zig verschiedene Pronomen gibt und dass mensch erstmal die Person näher kennenlernen muss, um das richtige Pronomen herauszufinden. Sehr individuell. Richtig kompliziert wird es, wenn mensch die Pronomen auch noch deklinieren muss. Und ja, das ist echt ein großer Aufwand, alle Pronomen zu kennen und deren Deklinationsformen. Muss aber nicht sein. Es reicht oftmals einfach nur der Name. Auch so, kann mensch es sich einfacher machen.

Schaut gern mal in diese Liste rein, wenn ihr auch unsicher seid oder noch gar keinen Plan habt: https://nibi.space/pronomen

Übrigens eine echt sehr empfehlenswerte Wiki für alle, die sich für nicht-binäre Identität, Diversität und überhaupt für das Thema Queer und Gender interessiert.

Wer sich mehr mit Gendern befassen will oder nicht immer weiß, wie es richtig geht, findet hier ein super Wörterbuch: https://geschicktgendern.de


Gendern für mehr Offenheit und Akzeptanz in der Gesellschaft

Ich kann diejenigen verstehen, die sich gegen Gendern aussprechen. Ja, es bedeutet eine große Umstellung. Und das fällt vielen nicht leicht. Es bedeutet nicht nur eine Umstellung, sondern ein fundamentales Umdenken, Reflexion der eigenen Sprache. Sicherlich stolpert mensch über Gendersternchen, Unterschriche, Doppelpunkte. Oder Texte werden immer länger, weil beide Geschlechter vorkommen. Aber das ist alles, finde ich, eine Sache der Routine. Irgendwann wird es eben „normal“ sein und dann werden wir uns nicht mehr daran stören.

Als ich anfing, mich beruflich mit gendergerechter und genderneutraler Sprache zu befassen, habe ich mich gleichzeitig auch mehr mit Themen wie Queerness, Diversität, sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität befasst.

Indem ich nun bewusst gendere, mache ich mir gleichzeitig auch mehr den Kopf, wie ich andere Menschen anspreche und gleichzeitig auch so, dass es eben passt. Da spielen Fragen mit rein wie: Welches Pronomen wird bevorzugt? Welches Geschlecht hat diese Person? Wie soll ich ihn/sie ansprechen? Und was bedeutet das auch generell für mich und meine eigene Sprache?

Ich merke definitiv, dass ich sehr viel bewusster spreche, vor allem in Bezug auf meine Mitmenschen. Ich mache mir mehr Gedanken, wie ich Menschen anspreche und wie ich spreche und schreibe, dass sich auch alle mit angesprochen fühlen. Ich reflektiere viel mehr darüber, an welchen Stellen in der deutschen Sprache das weibliche Geschlecht, aber eben auch alle anderen zu kurz kommen.

Im sozialen Miteinander sollten wir uns von Heteronormativität endgültig verabschieden. Die Zeiten sind schon längst vorbei, gab es vermutlich eigentlich nie. Weg von der Vorstellung, dass Heteronormativität normal ist. Was ist schon bitte normal? Heteronormativität hat Geschlechter und Identitäten normiert, vorgegeben, was normal ist. Alles andere, wie Homosexualität, Bisexualität oder eben die queeren Geschlechtsidentitäten, weichen laut der Vorstellung der Heteronormativität von der Norm ab. Aber es gab nie so etwas wie Normalität. So unterschiedlich und divers wir alle sind, so sind es auch unsere sexuellen Vorlieben und Identitäten.

Die ganze Gender- und Queer-Bewegung zeigt uns doch, wie divers unsere Gesellschaft ist und welch großen Bedarf wir alle haben, in der Sprache, im Denken und auch im Handeln offener zu werden.

Ich denke, dass wir alle mehr über die Art und Weise wie wir sprechen, welche Worte, Pronomen und Anreden wir verwenden, reflektieren sollten. Sprache hat großen Einfluss auf unser Denken und Handeln und schlussendlich auch auf unsere Welt. Sprache formt unsere Realität. Jede/r von uns hat Einfluss darauf, wie offen, divers und integrativ unsere Gesellschaft und Welt werden kann. Und das fängt schon bei einem Wort an.


Thank you for the picture, Alexander Grey

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