Direkt zum Hauptbereich

Die Fallstricke der Alltagspsychologie





Wir tun es alle. Und das ständig. Wir psychologisieren unsere Mitmenschen und deren Verhalten. Und merken dabei nicht, dass wir nicht selten mal auf der falschen Spur sind.


Menschen sind soziale Wesen. Wir sind auf andere angewiesen. Und um so gut wie möglich miteinander zu leben, haben wir eigene subjektive Annahmen entwickelt oder erworben, um das Verhalten anderer vorherzusehen, andere Menschen einschätzen zu können. Um besser mit anderen zurechtzukommen, gut auf sie zu reagieren und gut zu handeln.


Sind wir wirklich alle gute Menschenkenner*innen?

Man könnte vielleicht auch von einer guten Menschenkenntnis sprechen. Wenn andere sagen, dass sie ein gutes Gefühl bei anderen haben und bei anderen eher nicht. Diese Intuition ist höchst subjektiv, resultiert auf den unzähligen Erfahrungswerten im bisherigen Leben. Manche mögen eine gute Intuition haben. Aber können wir wirklich darauf bauen, wenn es darum geht, andere Menschen zu durchschauen? Und ist es wirklich so einfach, einem Gefühl oder ganz persönlichen Erfahrungen oder subjektiven Annahmen zu vertrauen?

Das alles hat viel mit der sogenannten Küchenpsychologie zu tun, die auch gerne mal als Laien- oder Alltagspsychologie bezeichnet wird. Also Psychologie für alle Menschen, nicht nur diejenigen, die Psychologie wissenschaftlich studiert haben und diese praktizieren.

Recherchiert man im Internet, findet man beispielsweise folgende Definition: Wikipedia bezeichnet die Alltagspsychologie als „Gesamtheit von Begriffen der Umgangssprache, allgemein verbreiteten Vorstellungen und gewöhnlichen Erklärungsweisen, die traditionell und gewohnheitsmäßig verwendet werden, um Handeln, Verhalten und sonstige Reaktionen von sich und anderen im Zusammenhang mit ´inneren Vorgängen´ geistiger und emotionaler Art sprachlich darzustellen, in der eigenen Vorstellung nachzuvollziehen sowie zu erklären oder vorherzusagen.“

Ich habe es so verstanden, dass Alltagspsychologie das Beobachten, Wahrnehmen, Vorhersehen sowie Erklären von Verhalten und Persönlichkeit anderer Menschen ist, auf Grundlage subjektiver Annahmen sowie persönlichen Erfahrungswerten.


Was Alltagspsychologie von echter Psychologie unterscheidet

Alltagspsychologie wird von wissenschaftlicher Psychologie abgegrenzt und gleichzeitig auch irgendwie abgewertet, als die mindere Psychologie, die eigentlich keine ist. Denn sie ist fehlerhaft, wird von kognitiven Verzerrungen und Fehlschlüssen geprägt. Sie mag einfacher sein und schneller befriedigen, als wenn wir wissenschaftlich vorgehen würden. Aber einfach ist eben nicht immer besser.

Wissenschaftliche Psychologie beruht nicht auf subjektiven Annahmen oder Erfahrungen, sondern auf objektiven Fakten, die geprüft worden sind. Vermutungen oder auch Hypothesen werden aufgestellt, aber nach objektiven Kriterien in Experimenten und Studien geprüft. Es werden wirklich möglichst objektive Belege gesucht und gefunden, entweder für eine Hypothese oder gegen eine.

Bei der Alltagspsychologie sieht das aber ganz anders aus. Dort haben sich einige Annahmen, Klischees, Vorurteile hartnäckig gehalten, die unreflektiert einfach so übernommen und auch weiter verbreitet werden. Eine Kostprobe gefällig?

Mädchen sind eher sprachbegabt, können kein Mathe. Bei Jungs ist das eher andersherum.

Frauen reden mehr als Männer.

Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus. Beide Geschlechter sind also total unterschiedlich.

Egoshooter-Spiele machen aggressiv.

Ohne Fleiß kein Preis.

Gegensätze ziehen sich an.

Gleich und gleich gesellt sich gern.


Das sind nur einige Beispiele aus der Alltagspsychologie, die als wahr gegeben und nicht hinterfragt werden. Aber es gibt für diese Hypothesen keine wirklichen wissenschaftlichen Belege. Sie stimmen nicht unbedingt. Dafür existieren umso mehr Studien, die das Gegenteil beweisen. Schaut man sich auch die letzten beiden Volksweisheiten an, sieht man, dass sie sich schon ziemlich widersprechen. Wie kann das sein? Vermutlich, weil sie tatsächlich auf persönlichen Erfahrungen beruhen, man Beispiele für die eine These, aber gleichzeitig auch Beispiele für die andere These gefunden hat. Oftmals liegt die Wahrheit aber doch nicht eindeutig auf der einen oder anderen Seite, sondern irgendwo dazwischen. Die Realität ist eben viel komplexer, als wir uns oftmals vorstellen (wollen).


Suche nach Einfachheit, Orientierung und Sicherheit

Alltagspsychologie ist nicht per se schlecht, sie hat ihre Berechtigung und gehört einfach auch zu unserem menschlichen Dasein dazu. Menschen tendieren in vielen alltäglichen Situationen dazu, schnell zu analysieren oder vorschnell Entschlüsse zu fassen und Urteile zu bilden.

Und wie anfangs schon erwähnt: Wir psychologisieren eben sehr gern als soziale Wesen, sind ständig dabei, auch teilweise unbewusst. Das lässt sich nur schwer abstellen. Menschen wollen sich, aber auch andere Menschen verstehen. Und da wir eben sehr schlecht in die Köpfe anderer schauen können, ziehen wir eben von den äußeren Indizien, die wir haben, eigene Schlussfolgerungen. Dass wir dabei aber oftmals vieles nicht sehen, nicht alle Faktoren berücksichtigen, das erkennen wir meist nicht.

Alltagspsychologie macht so vieles bequem. Anstatt sorgfältig zu analysieren, zu recherchieren, Argumente für und gegen zu finden und dann abzuwägen, nehmen wir einfach eine Abkürzung. Das spart Zeit und Energie, die wir für andere vermeintlich wichtigere Dinge nutzen können.

Alltagspsychologie bietet uns etwas sehr Grundlegendes: Einfache Antworten auf komplexe Fragen, denen wir sonst ohnmächtig gegenüber stehen. Diese Antworten stillen unsere Neugier. Und gleichzeitig finden wir in der Alltagspsychologie Orientierung in einer so komplexen Welt. Wir brauchen Gewissheit und Sicherheit. Die einfachen Annahmen aus der Alltagspsychologie geben uns genau das. Außerdem brauchen wir eben unsere schnellen Erkenntnisse, um auch möglichst schnell und gut Entscheidungen zu treffen.

An sich steckt dahinter also ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Das ist per se nicht gut oder schlecht, das kann man einfach so wertungsfrei stehen lassen. Wichtig wäre nur, das auch so zu erkennen und zu realisieren, warum wir so ticken, wie wir ticken.

Vielleicht haben wir mal irgendwie etwas gelesen, aus einer Ratgeberlektüre oder haben etwas aus der Populärpsychologie aufgeschnappt und dann einfach unreflektiert angenommen. Und nicht nur das: Wir wollen ja auch vor anderen gut da stehen und mit unserem Wissen glänzen. Ohne zu reflektieren, verbreiten wir genau diese eigentlich nicht wissenschaftlich belegten Annahmen. Weil man das öfter gehört hat oder es viele andere Menschen auch glauben und bestätigen. Wir erliegen damit kognitiven Denkfehlern, gehen davon aus: Weil die Mehrheit davon ausgeht, muss es ja auch stimmen. Doch die Vergangenheit lehrt uns, dass das ein Trugschluss ist. Auch viele Menschen können sich irren. Nicht immer sollten wir von einer Schwarmintelligenz ausgehen. Vor Massendummheit sind wir nicht gefeit.


Kognitive Denkfehler verzerren unsere Wahrnehmung

Außerdem vergessen wir, dass wir die Wirklichkeit nicht so wahrnehmen, wie sie komplex ist. Wir nehmen selektiv wahr. Und so ist es bei Annahmen aus der Alltagspsychologie. Wir neigen eher dazu nach Belegen zu suchen, die unsere Hypothesen bestätigen. Kein Mensch möchte freiwillig bewusst nach Beweisen suchen, die seine eigene Annahme in Frage stellt.

Genau das ist es aber, was wissenschaftliche Psychologie von der Alltagspsychologie unterscheidet. Es geht nicht darum, eine Hypothese oder Theorie vehement zu bestätigen. Es geht darum, sie zu prüfen, ob sie wirklich stimmt oder nicht. Und das kommt in der Alltagspsychologie nicht vor.

Stellt euch doch mal vor, wir würden bewusst nach Fakten und Argumenten suchen, die unsere Annahme widerlegen. So wie es sein sollte. Machen die wenigsten, nicht wahr? Weil es anstrengend ist. Und außerdem wollen wir das ja nicht. Die wirkliche Wahrheit finden. Wir wollen an UNSERER Wahrheit festhalten. Und sehen und lesen nur das, was wir wollen. Und nicht das, was wirklich ist. Denn alles, was gegen unsere Hypothese oder Theorie verstößt, wird als störend empfunden. Das bringt uns aus dem Gleichgewicht, stößt auf innere Widerstände und löst ein unschönes Gefühl der Dissonanz aus. Und das wollen wir unbewusst und bewusst verhindern und verdrängen am besten all das, was nicht in unseren Frame reinpasst.

Am liebsten wäre es Alltagspsycholog*innen, wenn ihre Hypothesen schnell bestätigt werden. Dann wird schnell mal aus der Hypothese die Wirklichkeit. Obwohl das doch sehr fragwürdig ist.

Übrigens schließen wir ja generell gerne von uns auf andere. Was bei mir zutrifft, muss bei anderen genauso sein. Und vergessen dabei, dass alle Menschen einfach total individuell sind und vieles, was wir tun, einfach nicht vorhersehbar ist. Denn Menschen agieren hin und wieder einfach mal irrational.


Rein in die Schublade

Im Übrigen muss ich mir dabei auch selbst an die Nase fassen. Ich will auf keinen Fall behaupten, dass ich der Alltagspsychologie nicht erliege. Ich glaube, das trifft auf kaum jemanden zu, selbst Psycholog*innen sind da sicherlich nicht immer immun dagegen. Besonders die Tatsache, dass wir öfter mal von uns auf andere schließen, trifft bei mir schmerzhaft zu.

Immer dann, wenn ich meinen eigenen Interpretationen erliege und denke, dass mich andere nicht liebenswert finden. Dann suche ich beispielsweise Belege dafür, ob nun in der Wirklichkeit oder auch in Chats, dass meine Hypothese einfach stimmen muss. Anstatt auch andere Gegenbelege zu suchen oder Theorien zuzulassen. Ich merke innerlich immer wieder, dass es da große Widerstände gibt, meine persönlichen und emotionalen Muster zu durchbrechen und andere alternative Theorien zuzulassen. Das ist schon echt krass.

Und wir alle sind schnell darin, Schubladen zu öffnen und Menschen einfach so reinzuwerfen und die Schublade schnell zuzumachen. Dagegen fällt es uns sehr schwer, die geschlossene Schublade mühselig wieder zu öffnen und Menschen entweder in eine andere Schublade zu stecken oder einfach außerhalb dieser Schubladen zu lassen. Das geht auch, fällt uns aber schwer. Wir denken so gut wie immer in Schubladen und Kategorien, meist schon unbewusst oder sobald wir jemanden auf der Straße sehen. Wir kennen die Person nicht, aber haben gleich ein Urteil gefällt und wissen, ob uns die Person sympathisch ist oder eben nicht. Weil uns das Bauchgefühl etwas vermittelt, was auch wiederum Nährboden für Alltagspsychologie ist.


Ist das, was ich sehe und wahrnehme, wirklich so?

In dem Zusammenhang fällt mir eine interessante Übung ein, die ich beruflichen Kontext erlebt habe: Eine Gruppe von Menschen sollte sich in zwei unterschiedliche unterteilen. Die eine Gruppe sollte ein Gefühl wie Freude, Angst oder Wut wortlos darstellen, allein durch Gestik und Mimik. Die andere Gruppe dagegen sollte sich die „Schauspieler*innen“ anschauen und beschreiben, was sie sehen. Und was kam? Statt zu beschreiben, wurden gleich Schlussfolgerungen gezogen: „Sie hat eindeutig Angst.“ Es fiel den Teilnehmenden der Übung sichtlich schwer, Bewertungen oder Interpretationen sein zu lassen und einfach nur zu beobachten und zu beschreiben.

Wir sind sehr schnell darin, Beobachtungen mit Bewertungen und Analysen zu verknüpfen. Dabei würde es uns gut tun, auch einfach mal wertungsfrei zu bleiben und nur zu schauen, was ist. Und dann zu fragen: Ja, warum schaut die Person denn jetzt so traurig oder ängstlich. Ist das, was ich sehe, wirklich wahr? Geht es der Person wirklich nicht gut oder sieht es nur so aus? Reflektieren und Nachfragen können Wunder bewirken.

Genau da sehe ich auch bei mir noch sehr viel Verbesserungspotenzial, vor allem was die digitale Kommunikation betrifft, bei der man ja auch viele Hinweise einfach nicht hat, um sein Gegenüber wirklich zu verstehen. Da sind Missverständnisse vorprogrammiert. Doch das wirklich Tückische ist die riesige Leerstelle, die Platz für Interpretationen aller Art lässt. Darin bin ich eine echte Meisterin. Es ist mein eigenes Denken, was die Leerstellen füllt und das nicht im positiven Sinne. Habe ich mich einmal in eine bestimmte Richtung versteift, fällt es schwer, auch mal nach links oder rechts zu schauen. Obwohl ich weiß, dass ich einen Tunnelblick habe, bin ich emotional so drin gefangen, dass ich kaum damit aufhören kann. Stichwort Konditionierung. Wenn man das über Jahre so macht, kann man damit nicht so leicht aufhören. Aber es wäre schon möglich und sollte keine Ausrede sein, es nicht mal zu versuchen und immer wieder dranzubleiben.


Sind wirklich eine Generation Beziehungsunfähig?

Wir labeln Menschen vorschnell und stecken sie in Schubladen. Und nutzen dann auch noch psychologische Begriffe, die so nicht wirklich passen oder stimmen.

Wie oft haben wir in letzter Zeit schon davon gelesen, dass diverse Menschen einfach toxisch sind. Nicht nur Menschen. Es gibt so vieles, was toxisch ist und was wir vermeiden sollten, toxische Freundschaften, toxische Liebesbeziehungen und auch die toxische Positivität. Doch was bedeutet toxisch eigentlich? Ja, genau, giftig. Wir übertragen die eigentliche Bedeutung auf eine metaphorische Ebene. Andere Menschen sind giftig und schaden uns.

Seitdem der Autor Michael Nast seinen Bestseller „Generation Beziehungsunfähig“ rausgebracht hat, herrscht in der Öffentlichkeit das Bild von einer Generation, die nicht in der Lage ist, stabile und langfristige Beziehungen einzugehen. Die Medien haben das weiterverbreitet, Populärpsychologen reproduzieren diese Annahme und Theorie dahinter. Doch stimmt es wirklich? Es ist krass, wie hohe Wellen Nasts Buch geschlagen hat, auch wenn ich es inzwischen etwas kritischer sehe. Und das obwohl ich ein sehr großer Fan von Michael Nast bin.

Aber schauen wir uns doch mal seine Grundlage an. Er ist weder Paarpsychologe oder hat irgendetwas in der Richtung Psychologie studiert oder gemacht. Er ist ein Autor, der viele Liebesbeziehungen erlebt hat, viel in der Datingwelt unterwegs war und noch ist. Also ein Experte für dieses Thema? Nicht unbedingt. Zumal sein Buch nicht mal wirklich als ein Fach- oder Sachbuch gelten kann. Denn all das, worüber er schreibt, fußt allein auf seinen Erfahrungen und denen seiner Bekannten, Freunde und der Familie. Sein Buch ist eine Zusammenfassung ganz persönlicher Beobachtungen und Erfahrungen, niedergeschrieben in Kolumnen. Es sind verallgemeinernde Feststellungen, die auf persönlichen Erfahrungen und Annahmen beruhen. Von jeglichen wissenschaftlichen Studien oder Stimmen anderer Autor*innen keine Spur. Das Buch ist durch und durch einfach sehr persönlich geschrieben und damit sind auch die ganzen Annahmen und Erkenntnisse höchst subjektiv.


Sind alle außer mir gestört?

Doch warum ist das Buch trotzdem so ein Bestseller? Vielleicht weil es einfach viele Menschen gibt, die der Alltagspsychologie erliegen und sich in persönlichen Erfahrungen einfach wiederfinden und bestätigt fühlen.

Siehe Michael Nast: Alle Frauen mit denen er zu tun hatte waren gestört seien Erfahrungen - aber lag es wirklich an den Frauen? Oder hat er nicht auch einen Anteil daran?

Ich fand es bemerkenswert, dass Michael Nast in seinen Büchern immer wieder von Frauen spricht, mit denen er zusammen war oder die er gedatet hat und diese gleichzeitig als allesamt „gestört“ bezeichnet hat. Da frage ich mich: Stimmt das wirklich? Waren diese Frauen wirklich so? Wir haben nur seine Perspektive. Vielleicht übertreibt er maßlos. Aber vielleicht lag es nicht unbedingt an den Frauen, sondern auch an ihm selbst? Mag sein, dass er vielleicht ein Magnet für gestörte Frauen ist. Vielleicht ist das auch einfach sein eigener Spiegel, in den er mal selbst schauen sollte. Und statt anderen die Schuld zuzuschieben, auch mal bei sich selbst zu schauen.

Und nicht von sich auf andere zu schließen. Nur weil er vielleicht Probleme hat, Beziehungen langfristig zu führen, muss damit nicht die komplette jüngere Generation auch beziehungsunfähig sein.

Denn beziehungsunfähig sind die wenigsten von uns. Auch das ist wieder eher ein psychisches Problem. Vielleicht sollte man eher von bindungsphobisch oder bindungsängstlich sprechen. Aber ob das nun wirklich auf unsere junge Generation zutrifft? Ich weiß ja nicht. Michael Nast ist nun auch nicht unbedingt jemand, der zur jungen Generation gehört.


Psychologische Begriff leichtfertig verwendet

Wir verwenden psychologische Begriffe sehr umgangssprachlich. Schnell wird jemand, der gerne nur auf sich schaut, mal zum Narzissten. Dabei ist Narzissmus eine psychische Erkrankung, die behandelt werden sollte. Viele der Menschen, die wir leichtfertig als narzisstisch betiteln, sind es eigentlich nicht. Mag sein, dass sie narzisstische Züge tragen. Aber kennen wir die Personen wirklich? Sind wir nicht etwas vorschnell und reduzieren Menschen auf ein paar Persönlichkeitsmerkmale, ohne das große Ganze zu sehen? Und vergessen dabei, dass der Mensch einfach viel komplexer ist? Diagnosen zu stellen, sollte ausgebildeten Therapeut*innen vorbehalten sein. Wir dürfen uns nicht anmaßen, so etwas zu tun.

Genauso schnell sind wir darin, Menschen als schizophren abzustempeln. Dabei haben wir eigentlich nicht Schizophrenie im eigentlichen und psychologischen Sinne im Kopf. Wir beschreiben damit Menschen, die einfach widersprüchliches Verhalten zeigen. Aber es klingt eben total hip und reflektiert, wenn wir schizophren sagen. Dass das nicht unbedingt gut ist und dadurch auch die Stigmatisierung dieses Krankheitsbildes verstärkt, haben wir nicht im Blick.

Interessant fand ich seit einiger Zeit auch, dass das Wort „Trigger“ bzw. „triggern“ häufig umgangssprachlich verwendet wird. Immer dann, wenn etwas in uns etwas auslöst und meist eher im negativen Sinne. Das mache ich leider auch viel zu oft. Etwas triggert mich, es wühlt mich auf, ich reagiere allergisch dagegen, ich werde dadurch schnell aggressiv oder verletzt. Triggern kommt aber eigentlich eher aus dem Trauma-Kontext. Wenn Menschen wirklich schlimme Dinge erlebt haben, beispielsweise Kriegserlebnisse, sexueller Missbrauch oder körperliche und emotionale Gewalt. Dann gibt es vielleicht Situationen oder kleine Sachen, die einen triggern und eben genau diese schlimmen Emotionen auslösen, die sie mit diesen Erinnerungen verbinden. Wir gehen leichtfertig mit so Begriffen für schlimme Erfahrungen oder Krankheitsbilder um. Auch eine Seite der Alltagspsychologie.

Was können wir nun tun, um weniger der Alltagspsychologie zu unterliegen? Fakt ist, dass wir es nicht verhindern können, immer wieder in dieses Denken zu verfallen. Aber wir können lernen, achtsamer zu sein und selbstkritischer damit umzugehen. Indem wir unsere persönlichen Muster nicht mehr hinnehmen und sofort analysieren und interpretieren und urteilen. Wir können unsere Muster erkennen und hinterfragen. Das wäre ein Anfang. Wir können versuchen, weniger zu bewerten und dafür mehr zu beobachten und uns Zeit lassen. Und auch mal Unsicherheit zulassen und wie Wissenschaftlicher*innen vorgehen und uns fragen: Stimmt das wirklich? Was spricht dafür? Was dagegen? Welche Faktoren habe ich noch nicht berücksichtigt? Sich mal Zeit nehmen und mal gründlicher forschen, mehrere Theorien und Perspektiven zulassen. Mal wirklich nachdenken. Das wäre definitiv schon mal ein guter Schritt in die richtige Richtung.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Von der Seele geschrieben: Ich will mehr Sex als mein Partner

Eigentlich ist es ja meist so: Man(n) will immer mehr als die Frau. Doch viel häufiger als man denkt, ist das Gegenteil der Fall. So wie bei mir und meinem Freund. Dass das auch für mich als Frau nicht leicht ist, glauben die wenigsten. Doch was steckt dahinter?

In Erinnerungen versunken – wie mich die Nostalgie immer wieder fesselt

Es passiert nicht oft, aber immer mal wieder: Meine Gedanken driften in die Vergangenheit ab. Für nur einige Momente scheint die Welt still zu stehen. Mein Körper in der Gegenwart existent, aber meine Gedanken befinden sich auf Zeitreise mit meinen Gefühlen. Es sind Momente, in denen ich aus der Gegenwart flüchten kann, in jene Zeiten, nach denen ich mich manchmal sehne. Obwohl ich weiß, dass es nicht unbedingt bessere Zeiten waren. Warum nur?

Von der alten zur neuen Liebe: Wird jetzt alles besser?

Neue Liebe, neues Glück? Warum bei einer neuen Liebe nicht unbedingt alles ganz anders und besser wird als bei der letzten, doch so viel Chancen mit sich bringt.