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Ich bin socially awkward - Na und?


In letzter Zeit ringe ich mal wieder mit mir selbst. Mit mir und meiner Schüchternheit. Dabei ist es ein Problem, was mich schon lange begleitet. Und einfach eine Sache der Einstellung.

Alles fing damit an, dass ich meinem Freund offenbarte, dass ich das Gefühl hatte, nicht so wirklich Anschluss zu seinen Freunden zu bekommen. Nicht, dass sie unsympathisch wären, im Gegenteil: Das sind alles sehr ordentliche Leute, gebildet und reflektiert und ganz sicher auch sehr interessant. Doch mein Problem liegt darin, wenn wir in der Gruppe zusammen waren: Denn dann brachte ich kaum mal ein Wort heraus, beteiligte mich nie an Gesprächen oder Diskussionen. Wieder mal ein altes Problem.

Ich hatte es bisher noch nie, dass ich in den Freundeskreis meines Partners integriert werden sollte. Mein erster Freund hatte selbst nicht wirklich eine Clique, nur paar wenige Freunde, mit denen wir uns aber nicht zusammen trafen.

Und nun stand ich vor der Mammutaufgabe, mich in eine schon sehr lange bestehende Gruppe mit eigener Dynamik zu integrieren. Und kam an meine Grenzen. Irgendetwas hielt mich immer davon ab, etwas zu sagen. Vielleicht mein innerer Kritiker, der mich zurechtwies und meinte, dass ich doch nichts ordentliches beitragen könnte. Und bevor ich etwas falsches sage, halte ich lieber die Klappe. Das ist ein bisschen so wie auf Arbeit, nur da ist es in letzter Zeit schon viel besser geworden.


Socially Awkward

Dann musste ich an den Begriff „Socially Awkward“ denken, was so viel wie „sozial unbeholfen oder merkwürdig“ bedeutet. Den Begriff kannte ich schon länger, habe mich aber in letzter Zeit wieder intensiver damit beschäftigt.

Ich merke es, dass ich sozial doch etwas unbeholfen bin, in einigen Situationen immer wieder. Beispiele gefällig? Sobald ich merke, dass ein Nachbar im Hausflur herumläuft, gehe ich nicht vor die Tür. Stattdessen warte ich, bis ich wieder allein im Flur bin. Ich sehe auf der Straße einen Bekannten und versuche den Blickkontakt zu vermeiden, damit ich den anderen ja nicht grüßen muss. Wenn ich dreimal etwas nicht verstanden habe, frage ich nicht noch einmal nach, sondern tue so, als wäre nichts. Ich muss in sozialen Situationen immer viel lächeln, was vielleicht etwas erzwungen und gar nicht natürlich aussieht.

In Small Talks mit Leuten, die ich nicht oder nicht gut kenne, endet das Gespräch sehr schnell in einem unangenehmen Schweigen, was ich sehr schlecht aushalten kann. Ich bin generell beim Telefonieren überaus angespannt und gar nicht locker und verspreche mich gerne mal. Ich schiebe Telefonieren auf Arbeit ganz gern auf, bis ich allein im Bürozimmer bin. Ich finde es unangenehm, zu signalisieren, dass ich gehen muss, wenn Leute noch mitten im Gespräch sind. Das sind nur ein paar Beispiele.

Vielleicht erkennt sich ja der eine oder andere in diesen Situationen wieder? Wenn ja, wäre das ja beruhigend, denn das würde ja zeigen, dass wir alle irgendwie mal socially awkward sind.

Aber zurück zum Gruppenproblem.

Dass ich mich mit den Freunden meines Partners nicht so verstehe, liegt nicht unbedingt daran, dass wir nicht zueinander passen. Vielmehr liegt es daran, dass wir einfach keine Gelegenheiten haben, um uns wirklich kennenzulernen. Oder besser gesagt: Ich habe bisher nicht die Initiative ergriffen, um sie näher an mich heranzulassen. Für mich ergab sich noch keine passende Gelegenheit, zu zeigen, wie ich wirklich bin. Weil ich in Gruppensituation einfach dicht mache. Wie stumm bin. Als ob ich unsichtbar wäre.

Nun hätten seine Freunde ja auch irgendwie merken können, dass ich da nicht richtig in den Gesprächen integriert bin. Haben sie natürlich nicht, weil sie mit sich selbst und ihren Themen zu beschäftigt waren. Oder mein Freund hätte was machen können. Und mir vor allem auch Verständnis entgegenbringen können. Manchmal glaube ich, dass es ihm einfach auch an Empathie fehlt, weil er das von sich selbst nicht kennt. Nur weil er sich gut in Gruppen integrieren kann, bedeutet das nicht, dass es für alle anderen auch einfach ist.

Ich weiß, am Ende liegt es doch an mir und ich muss die Verantwortung dafür tragen. Aber ein wenig Hilfe hätte nicht geschadet. Es ist doch unfair! Warum muss gerade die schüchterne Person auf die nicht schüchternen Menschen zugehen, damit es klappt? Kann es nicht auch mal andersherum laufen?


Sollte ich mich selbst labeln?

Ich habe mit meinem Freund ausgiebig darüber geredet. Er fand es schade, dass seine Clique und ich uns wahrscheinlich nicht wirklich anfreunden werden. Daraufhin meinte ich, dass ich eben socially awkward bin und es mir leid täte, was totaler Bullshit ist. Da gibt es nichts, wofür ich mich entschuldigen müsste. Und er bestätigte das. Und wisst ihr, was seltsam war? Es ärgerte mich, dass er das so hinnahm und mir nicht widersprach. Irgendwie triggerte mich das enorm, wodurch ich dann echt sauer war. Aber warum?

Es ist ja so, dass ich tatsächlich socially awkward bin. Ich habe es von mir auch selbst gesagt und er hat es nur bestätigt. Vielleicht wollte ich das aber auch gar nicht bestätigt haben. Ich wollte lieber das Gegenteil sein. Und das Gegenteil hören und war deswegen enttäuscht, weil es nicht passierte.

Aber eigentlich war ich nur sauer, über meine eigene Feststellung. Die Frage ist: Bin ich es wirklich? Und sollte ich mir selbst dieses Label geben?

Indem ich das tue, halte ich mich ja selbst gefangen und versuche doch gar nicht, mich anderweitig zu verändern oder anders damit umzugehen. Ich tue es dann mit der Rechtfertigung ab, dass ich eben socially awkward bin und gut ist es. Was bringt es mir, wenn ich das von mir selbst denke? Ich verpasse mir selbst das Label und verhalte mich entsprechend.


Was bedeutet das überhaupt?

Dieser Begriff ist doch so schwammig und auch irgendwie wertend. Damit verpasse ich mir selbst einen negativen Stempel, der nicht sein sollte.

Socially awkward sind Menschen, die eben nicht der Norm entsprechen, die soziale Codes nicht erkennen, irgendwie aus der Reihe tanzen. Da wird das Bild erzeugt, dass es eine Gruppe von Menschen gibt, die sich gut anpassen können und andere nicht. Letztere stehen außen vor.

Aber passt das wirklich zu mir? Ich finde, dass ich mich durchaus sozial gut anpassen und verhalten kann. Ich falle nicht negativ auf. Man könnte unter dem Begriff socially awkward eher die Menschen dazu zählen, die einfach unangenehm auffallen, aus verschiedenen Gründen. Menschen, die narzisstisch sind, die nur über sich reden und immer im Mittelpunkt stehen wollen. Die einfach grob sind und gar nicht empathisch, kein Taktgefühl haben, sich über Dinge lustig machen, die gar nicht witzig sind. Das sind Menschen, die nicht merken, dass sie einfach anecken.

Das wären für mich die Menschen, die wirklich socially awkward sind. Menschen, denen es selbst nicht bewusst ist, weil sie nicht über ihr Verhalten reflektieren.

Doch Menschen wie ich, die introvertiert und schüchtern sind, wir sind uns darüber bewusst und denken darüber nach, wie wir auf andere wirken. Versuchen, uns irgendwie anzupassen, irgendwie dazu zu gehören.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger denke ich, dass dieses Label wirklich zu mir passt. Es fällt mir leicht, auf fremde Menschen zuzugehen, mit ihnen Smalltalk zu führen. Neue Kontakte finden und Freundschaften schließen ist für mich auch kein großes Problem. Ich habe meine eigenen Gruppen und fühle mich in diesen wohl. Freunde würden von mir auch sagen, dass ich eine offene Person bin.

Das alles trifft aber nicht zu, wenn ich mit mir nicht vertrauten Menschen in Gruppen zusammen bin. Aber auch das ist normal. Keiner wird sich immer gleich verhalten. Wir Menschen passen uns an den Kontext an und je nachdem, mit wem wir agieren, sind wir auch entsprechend anders drauf.


Die eigene Merkwürdigkeit und Scham annehmen

Vielleicht sollte ich, wenn ich schon von mir selbst sage, dass ich socially awkward bin, lieber sagen, dass ich es nur in bestimmten Situationen bin. So wie jeder von uns sich mal socially awkward fühlt, was total normal ist.

Und ich will damit auch nicht mehr länger eine Wertung vornehmen. Ich will es als Teil meiner Persönlichkeit annehmen und auch das Gute darin sehen. Akzeptanz ist das richtige Wort.

Indem ich mir selbst das Label socially awkward verpasse, rede ich mir selbst ein, jemand anders sein zu müssen, damit ich nicht mehr sozial unbeholfen bin. Aber das ist vollkommener Käse! Dann ist es eben so, who cares! Es ist okay, dass ich mich in bestimmten Situationen einfach merkwürdig fühle. Das sind Situationen, in denen ich mich außerhalb meiner sozialen Komfortzone bewege. Dieses Gefühl gehört dazu und ich versuche es auszuhalten und anzunehmen.

Und ich sollte es eben anerkennen, dass ich mich so weit entwickelt habe. Es ist nicht leicht, mit anderen zu interagieren, wenn man unter einer sozialen Phobie leidet. Es ist viel besser geworden, aber ja, ein Stück Schüchternheit ist geblieben. Aber davon lasse ich mich nicht unterkriegen, dafür bin ich einfach viel zu weit gekommen. Im Job erlebe ich immer wieder Situationen, in denen ich über mich selbst hinauswachse. Und das ist doch etwas total Tolles, worauf ich stolz sein kann. Ich sollte meine eigenen Erfolge schätzen und feiern und weniger auf dem herumreiten, was vielleicht noch eine Baustelle für mich ist.


Jeder ist mal socially awkward

Mich hat es im übrigen sehr beruhigt, dass es auch anderen so geht wie mir, wenn sie in fremde Gruppen kommen. Es sind die wenigsten Menschen, denen es total leicht fällt, es sei denn, es sind total extrovertierte Menschen. Ich bin also nicht so komisch, wie gedacht, sondern ticke eben doch wie viele andere Menschen auch. Selbst extrovertierte Menschen kommen auch mal in soziale Situationen, in denen sie sich unwohl fühlen.

Dafür gibt es viele Situationen, in denen ich viel selbstbewusster als manch andere extrovertierten Menschen bin.

Wenn ich an einem Infostand auf der Straße fremde Leute ansprechen muss. Wenn ich auf der Bühne stehe und Theater spiele. Wenn ich in der Karaoke-Bar das Mikrofon in der Hand halte und mit voller Leidenschaft Lieder singe. Wenn ich wild tanze und alle schauen auf mich. Dann ist es mir total egal, was andere von mir denken. Denn dann bin ich ganz bei mir. Und vor allem bin ich dann ganz selbstbewusst und gehe vollkommen in der Situation auf. Und ich weiß auch, dass das Dinge sind, bei denen ich einfach gut bin. Ich möchte der Welt meine Stärken zeigen, zeigen wer ich wirklich bin. Für mich sind diese Dinge einfach ideale Möglichkeiten, um mich selbst auszudrücken. Auch wenn ich im Fokus der Aufmerksamkeit stehe.

Doch Situationen in der Gruppe sind definitiv nicht meins. Und das ist überhaupt nicht schlimm. Denn ich weiß, dass das kein Makel ist.

Ich muss nicht wie andere wild drauflos reden, nur um irgendwie dazu zu gehören. Ich muss nicht noch etwas Krasses und Tolles erzählen, um eins draufzusetzen. Wozu auch? Um mich zu profilieren? Ich brauche nicht Teil einer Community zu sein, die sich nur dadurch definiert, wie lautstark sie ihre eigene Meinung rausposaunen kann. Wer am lautesten ist, gewinnt. Nur um den anderen zu beweisen, wie viel ich weiß? Nein, danke! Meine Stärken bestehen nicht im Lautsein und auch nicht darin, selbstbewusst in der Gruppe etwas rauszuhauen.


Lasst uns aufhören, unser Ruhigsein zu verurteilen

Das Problem für viele ruhige Menschen ist doch, dass ihnen die extrovertierte Gesellschaft vermittelt, sich anzupassen, anders zu sein, als sie sind. Und das ist total verkehrt: Denn es ist total okay, ruhig zu sein. In der Ruhe liegt die Kraft und Tiefe. Es ist unfair, dass nur die lautesten gehört werden, aber die ruhigen einfach vergessen werden. Schließlich sind sie auch wichtig und ohne all die introvertierten Menschen wären wir heute gar nicht so weit wie wir jetzt sind.

Meine Stärke besteht darin, mich in den leisen Tönen zu üben. Ich gehe erst auf, wenn ich etwas tue, was mir liegt. Meine Stärken sind das Zuhören, das Beobachten und Einfühlen, das Gespräch zu zweit. Darin bin ich gut.

Ich muss mir von niemanden einreden lassen, dass ich socially awkward bin, nur weil ich nicht laut in Gruppen mit diskutiere. Das war nie mein Ding und wird es nie sein. Darum bin ich noch lange nicht merkwürdig. Und vielleicht liegt es auch einfach darin, dass ich mich in der Gruppe einfach mit den Menschen nicht gut verstehe, weil ich mich nur Menschen öffne, mit denen ich auf einer Wellenlänge bin. Dann bin ich sozial eben anspruchsvoll und das ist auch total okay. Vielleicht brauche ich auch einfach länger Zeit, um mich in einer Gruppe wohlzufühlen. Wer weiß das schon.


Akzeptanz statt Anpassung

Wenn ich nicht das Bedürfnis habe, mich an einem Gespräch zu beteiligen, dann ist das total okay. Ich muss nicht überall mitspielen, etwas tun, was mir widerstrebt, nur um irgendwie gut dazu stehen. Lieber bleibe ich mir selbst treue und schweige und beobachte, wenn ich mich damit besser fühle. Und wenn ich etwas zu sagen habe, und das wirklich will und mich nicht gezwungen fühle, dann tue ich das auch.

Ich sollte mir selbst den Druck nehmen, jemand sein zu wollen, der ich nicht bin. Und mich lieber zu akzeptieren, wie ich bin. Ich will aufhören, mich selbst dafür zu verurteilen, dass ich nicht so ticke wie andere. Und aufhören mich selbst zu labeln, denn das wird meinem komplexen Ich als ganzem nicht gerecht. Denn jeder Mensch ist etwas ganz besonderes.

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