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Wie mir das Kranksein die Augen geöffnet hat


Erholung gönnen, wenn ich es am meisten brauche. Einfach mal alle viere gerade lassen. Einfach mal nichts tun. Einfach mal wirklich loslassen. Alles Dinge, die mir echt verdammt schwerfallen. Aber jetzt habe ich keine andere Wahl. Jetzt bin ich an meine Grenzen gekommen, jetzt muss ich endlich auf meinen Körper. Denn wenn ich das nicht tue, wird sich das noch richtig arg rächen. 

Ich hatte schon immer ein Problem damit, mir selbst Ruhe zu gönnen. Gerade dann, wenn ich mal wieder erkältet war. Ach, das bisschen Husten und Schnupfen und Halsweh! Das bringt doch niemanden um. Solange es mir nicht richtig dreckig ging, machte ich trotzdem fröhlich weiter Sport. Als ob nie etwas wäre. Als ob ich Superwoman wäre, die so etwas wie Erholung gar nicht braucht. Als ob ich eine Maschine wäre, die komme, was wolle, immer funktionsbereit sein müsste.

Erkältungen waren dabei Dinge, bei denen ich dachte, dass sie mir nichts anhaben könnten. Mein Körper ist stärker als dieser dumme harmlose Infekt. Wird schon nichts passieren, wenn ich einfach weiter mache. Dass ich es meinem Körper damit nur schwerer gemacht habe, sich wirklich zu erholen, war mir dabei nie bewusst. Ich setzte aus Naivität und sinnloser Disziplin aus Selbstoptimierungswahn meine eigene Gesundheit aufs Spiel. Wie blöd kann man nur sein?

Erst neulich bin ich leicht erkältet auf eine Ferienfreizeit gefahren. Warum? Weil ich dachte, dass es schon nicht so schlimm werden würde. Andere Menschen machen es uns vor. Schleppen sich krank zu Arbeit, obwohl es viel besser wäre, einfach mal zu Hause zu bleiben und sich ordentlich auszukurieren. Ich bin ein Opfer dieses wirklich toxischen Verhaltens. Für die Arbeit, um anderen einen Gefallen zu tun, mache ich mich selbst kaputt. Aber mich selbst als Opfer dieses Systems darzustellen, greift zu kurz. Ich habe ja immer noch die Wahl, mich auch dagegen zu entscheiden. Für meine Gesundheit, für mein Wohlergehen. Niemand zwingt mich, einfach weiterzumachen, wenn es wäre, einfach mal innezuhalten.

 

Das Hamsterrad in meinem Kopf

Das Hamsterrad dreht sich unaufhörlich weiter. Und das Schlimmste: Ich bin der Grund dafür. Ich bin diejenige, die immer weiterläuft, obwohl ich jederzeit anhalten und aussteigen könnte. Ich mache mir damit mein eigenes Gefängnis, was eigentlich nur in meinem Kopf existiert.

Anderes Beispiel: Ich bin noch immer erkältet. Trotzdem will ich joggen gehen und tue es auch. Jeder andere vernünftige Mensch würde den Kopf über dieses Verhalten schütteln. Wie kann man nur so unachtsam mit seinem eigenen Körper sein? Seiner eigenen Gesundheit? Scheiß auf meine sportlichen Ziele! Scheiß auf den Kaloriendefizit und die Diät, die dahintersteckt. Das Allerwichtigste ist doch, dass ich meinem Körper Ruhe gönne, damit er wieder vollkommen fit ist.

Und doch liegt zwischen dem, von dem ich denke, dass es besser wäre und das, was ich dann schlussendlich tue, ein großer Graben. Stattdessen nehme ich das nicht ernst. Habe den Kämpfergeist in mir, der sagt: Durchhalten, weitermachen, bis zum Schluss! Bis gar nichts mehr geht. Aufgeben ist etwas für Schwächlinge. Ich bin doch viel stärker, ich lasse mich doch durch eine harmlose Erkältung nicht herunterziehen.

Obwohl ich bei anderen Menschen so verständnisvoll bin, wenn sie sagen, sie brauchen eine Pause, wenn sie sich krankmelden und ein schlechtes Gewissen haben, weil Arbeit liegenbleibt. Obwohl ich das total nachvollziehen kann und dann immer sage: „Ach mach dir keinen Kopf, du kannst ja nichts dafür. Wer krank ist, ist krank. Wieder gesund werden, ist das Wichtigste. Alles andere ist zweitrangig. Obwohl ich das zu anderen sage, lebe ich das nicht wirklich. Bei mir setze ich andere Maßstäbe. Für mich gilt dieses Verständnis nicht. Bei mir ist das anders.


Ich bin stark, ich kann alles schaffen

Weil ich insgeheim den Glaubenssatz habe, dass ich alles schaffen kann. Weil ich denke, dass ich unverwundbar bin. Weil ich ach so stark bin. Weil ich es allen beweisen will? Wie stark ich bin? „Ich muss stark sein! Ich muss stark bleiben!“ Woher kommt dieser an auf den ersten Blick so vorbildliche Glaubenssatz, der aber übertrieben umgesetzt einfach nur toxisch ist?

Ich muss tief graben, tiefer in meiner Kindheit herumwühlen. Da sitzt die Wurzel allen Übels. Ich musste schon von klein auf mit so vielen Widrigkeiten klarkommen. Musste stark bleiben, anderen zeigen, dass ich stark bin. Habe mir selten etwas anmerken lassen. Ich musste früh lernen, auf eigenen Beinen zu stehen und dass ich mich am Ende nur auf mich selbst verlassen kann, weil es sonst niemanden gab, der für mich da war. Ich war allein und nur ich konnte mich aus der ganzen Misere retten, sonst niemand. Und vielleicht ist daraus auch dieser Glaubenssatz geboren, dass ich standhaft bleiben muss, dass ich mich durchbeißen muss. Dass ich weiterkämpfen muss, bis zum Schluss.

„Du musst stark sein.“ Damit du nicht an allem zerbrichst, was dir widerfährt. Meine innere Stärke war es, die mir Halt gab. An die ich mich klammerte, um das alles von damals zu ertragen.

Es ist wie ein Fluch. Obwohl ich jetzt ein anderer Mensch bin. Obwohl ich ein anderes und besseres Leben führe. Trotzdem verfolgt mich dieser Glaubenssatz.

Und das ist auch nicht der einzige. „Du musst dich verbessern, du bist nicht gut genug. Du musst mehr leisten. Nur dann bist du auch wertvoll.“

Jetzt macht auch alles Sinn. Darum fällt es mir so schwer, im Urlaub auch mal zu entspannen, einfach mal nichts zu tun. Meine Pläne loszulassen und mal nichts zu leisten. Darum kann ich nicht auf meinen täglichen Sport verzichten. Darum fällt es mir so schwer, einfach mal krankzumachen und nicht zu arbeiten. Weil ich dann nichts mehr vorzeigen kann. Weil ich nicht produktiv bin, keine Leistung vorweise. Und daraus ziehe ich den Schluss, dass ich nutzlos bin. Ich definiere mich noch heute über das, was ich leiste und nicht das, was ich eigentlich bin.


Wenn der Körper wirklich streikt

Gleiches Dilemma, andere Situation: Als ich gerade bouldern war und abspringen wollte, bin ich richtig ungünstig auf der Matte gelandet und mit dem linken Fuß umgeknickt. Ein stechender starker Schmerz, ich muss mich setzen, Schuhe ausziehen, mein Fußgelenk halten. Es tut saumäßig weh. Sehr wahrscheinlich Bänderriss. Na, ganz große Klasse! Was ist das Erste, was mir durch den Kopf geht? Ich muss mich ausruhen, Pause machen, auf Sport verzichten. Scheiße! Ein echter Weltuntergang. Aber es kommt noch schlimmer. Gehen jeglicher Art geht einfach nicht mehr. Jeder Schritt tut saumäßig weh. Ich schaffe es nicht mal, den linken Fuß ordentlich aufzusetzen. Gehen kann man das nicht mal mehr nennen, höchstens humpeln. Ich brauche Krücken. Muss das Bein hochlagern, kühlen, im Bett bleiben. Ein Horrorszenario für jemanden wie mich, der Bewegung wie die Luft zum Atmen braucht. Das, was sonst so selbstverständlich für mich war, so ohne Probleme verlief, darauf muss ich jetzt für mindestens eine Woche und wenn es ganz hart kommt, mehrere Wochen verzichten. Wie soll ich das nur aushalten?

Noch schlimmer: So kann ich auf keinen Fall zu Arbeit gehen. Ich muss mich krankschreiben lassen.

Oh Nein! Als ob es das Schlimmste auf der Welt wäre, einfach mal kranzumachen. Ihr müsst wissen, dass das bei mir super selten vorkommt. Erkältungen habe ich sonst so durchgestanden, bin trotzdem zur Arbeit gegangen. Seitdem ich ein Jahr im neuen Job bin, war ich nur ein einziges Mal krank. Als ich Corona hatte. Ich hätte arbeiten können, aber mein Chef ließ mich nicht, obwohl es mir eigentlich ganz gut ging.

Und jetzt liege ich mit kaputtem Fuß zu Hause und frage mich, was ich tun soll. Die Schmerzen sind nicht so schlimm, es ist nur unangenehm, solange ich den Fuß nicht großartig bewege. Laufen kann ich nicht, aber arbeiten. Ich habe meinem Chef schon angeboten, im Homeoffice zu arbeiten. An sich geht es mir ja auch gut, ich wäre rein geistig in der Lage, zu arbeiten.


Wer krank ist, ist krank

Ich kann mir allerdings schon vorstellen, was mir mein Chef sagen wird: Wer krank ist, ist krank. Erhol dich mal lieber. Das, was ich wahrscheinlich auch jedem anderen sagen würde. Doch ich kann das nur schwer hinnehmen. Ja, gut, ich bin verletzt, aber ich bin jetzt nicht so ausgeknockt, dass ich gar nichts mehr machen kann. Ich liege nicht mit Fieber oder lebensbedrohlicher Verletzung oder Krankheit im Bett und kann nichts tun. Ich kann außer Laufen all das auch, was ich sonst machen würde, wenn ich auf Arbeit wäre. Es spricht also nichts dagegen, von zu Hause zu arbeiten.

Als ob man nur krank zu Hause bleiben dürfte, wenn es einen echt hart erwischt hat. Aber wer krank ist, dessen Körper arbeitet hart an der Genesung. Die Energie, die ich in Arbeit stecken würde, würde mir langfristig fehlen, um meinem Körper die Ruhe zu gönnen, die er braucht.

Gleichfalls wenn ich erkältet bin. Das, was sich da in meinem Körper abspielt, das merke ich ja anscheinend nicht wirklich und unterschätze, wie anstrengend das sein kann. Ich belächel das nur, wenn Leute sich wegen jeder Kleinigkeiten krankschreiben lassen. Was für Schwächlinge das sind. Da muss man einfach härter im Nehmen werden. Das ist das Leben!

Kranksein ist nie schön, am liebsten würde ich komplett darauf verzichten. Aber für mich ist es, so blöd wie es scheint, auch eine sehr wertvolle Lektion. Nämlich die, dass ich nicht einfach so weitermachen kann wie bisher. Dass ich meinen Körper nicht weiter drillen kann. Ich muss nicht stark sein. Ich darf schwach sein. Ich darf und sollte vor allem meinem Körper Ruhe gönnen. Ich bin jetzt an dem Punkt, an dem ich schlichtweg einfach keine Wahl habe. Mein Körper will mir damit etwas sagen. Dass ich unbedingt auf ihn und seine Bedürfnisse hören sollte. Dass es Zeit ist, endlich mal wieder innezuhalten, aus dem Hamsterkäfig zu kommen. Auf das zu schauen, was wirklich wichtig im Leben ist.

Und das ist nicht der verletzte Stolz. Die Erfolge nach dem Durchhalten. Ein eiserner Wille. Große Leistungen. Nein, das alles zählt nicht. Was wichtig ist, ist, dass ich auf meinen Körper, mein Wohlbefinden und meine Gesundheit achte. Sie ist das Kostbarste, was wir haben. Alles, was wir haben. Denn wenn das alles nicht ist, dann haben wir nichts. Dann bringt uns kein Geld der Welt etwas. Denn Gesundheit ist unbezahlbar. Wir merken das nur immer dann, wenn wir sie gerade vermissen. So ist das mit den Dingen, die wirklich bedeutsam sind.


Immer präsent sein auf Arbeit

Gewissermaßen ist vielleicht doch auch die Gesellschaft bisschen mit Schuld an den eigenen toxischen Glaubenssätzen. Uns wird von klein auf eingetrichtert, dass wir diszipliniert sein müssen, dass wir mit viel Fleiß alles schaffen können. Dass wir viel arbeiten müssen, um viel Geld zu verdienen, um glücklich zu sein. Nur, wer arbeitet, der ist auch jemand. Alle anderen werden herabgewürdigt, sind nicht wertvoll für unsere Gesellschaft. Kranksein hat immer ein gewisses Stigma an sich, auch wenn niemand etwas dafür kann. Aber warum schleppen sich dann so viele Menschen krank zur Arbeit, anstatt sich zu Hause auszuruhen? Weil es irgendwie doch von anderen erwartet wird, dass man weitermacht.

Kranksein wird als Schwäche gesehen. Eine Schwäche, die sein darf. Eine Schwäche, die sich viele aber nicht eingestehen wollen. Doch dass man damit nicht nur sich gefährdet, sondern auch die Kolleg*innen, ist den meisten nicht bewusst. Und dass auch die Arbeitsleistung darunter leidet und man sich langfristig noch mehr schadet – auch daran denken die wenigsten.

Wenn Corona für positive Entwicklungen gesorgt hat, dann für diese: Die Menschen achten mehr auf ihre Gesundheit und lassen sich eher krankschreiben, bleiben eher zu Hause. Das war vor Corona leider nicht so üblich. Doch mit Corona hat sich das gesellschaftliche Bewusstsein geändert.

Und ich hoffe auch, dass es bei mir mit dem Bänderriss einen inneren Wandel gibt.


Annehmen, was ist

Es ist frustrierend, es bedeutet Verzicht und es nervt mich enorm. Ich bin krank und kann dagegen nichts weiter tun, außer ruhig zu bleiben, mich zu schonen und Geduld zu haben. Die Zeit wird es heilen. Aber es nützt einfach nichts, wenn ich mich darüber aufrege. Dadurch wird es auch nicht besser. Diese Kranksein öffnet mir die Augen: Es liegt nicht an dem Kranksein, sondern daran, wie ich dazu stehe und damit umgehe.

Ich kann mich weiter ärgern und mir das vor Augen führen, was ich dadurch verliere. Ich kann keinen Sport machen, geschweige denn normal laufen oder tanzen. Ich bin so eingeschränkt im Alltag, dass ich ständig Hilfe bei vielen Dingen brauche. Ich fühle mich irgendwie hilflos.

Das ist alles nicht schön und mein Frust ist mehr als verständlich.

Aber so ist nun mal die Situation und ich kann sie nicht ändern. Aber ich kann meine Sichtweise darauf verändern. Ich kann das Kranksein akzeptieren und einen gelasseneren Umgang lernen. Sehen, was es für mich bedeutet. Wenn ich mir keine Erholung könne, dann wird es nicht besser. Dann wird sich das hinziehen. Vielleicht habe diese Zwangspause auch einfach gebraucht. Um endlich mal aufzuwachen, all diese irrsinnigen Glaubenssätze mal wirklich zu hinterfragen und mich darauf zu konzentrieren, was wirklich wichtig ist: gesund werden, alles dafür tun, damit es mir körperlich besser geht.

Geduld und Gelassenheit lernen, geduldig und verständnisvoll mit mir umzugehen. Meinen Körper mehr zu achten, liebevoller zu behandeln, mich nicht mehr wie eine Maschine zu fühlen. Denn ich bin ein Mensch, der auch mal schwach sein kann, Schwäche zeigen kann. Mir Zeit geben, um zu heilen – äußerlich wie innerlich. Die Ruhe und Entspannung zuzulassen und auch mal wertzuschätzen. Meinen Impuls nach ständiger Bewegung zu hinterfragen, auch mal Stillsein auszuhalten.

Das Schlimmste ist ja, dass ich gerade nichts tun kann. Sonst habe ich alles unter Kontrolle oder versuche, alles zu kontrollieren. Doch das hat mich jetzt so aus der Bahn geworfen, meinen Alltag umgekrempelt, dass ich mich echt orientierungslos fühle. Ich muss die Kontrolle wieder zurückerlangen. Zum Teil geht das auch, aber nicht alles liegt in meiner Macht. Das ist auch etwas, bei dem ich momentan bin, das zuzulassen und zu lernen. Die Kontrolle mal abgeben, mich treiben lassen.

Gesundheit und die Möglichkeit, mich zu bewegen und Sport zu machen, nicht mehr als selbstverständlich zu sehen. Mich darauf zu freuen, wenn ich das alles wieder habe. Das ist eine wichtige Lektion, die ich echt gebraucht habe.

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