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Von der Ambivalenz des Schweigens

 Schweigen ist etwas sehr ambivalentes, kann intensiver sein als jegliches Wort. Was steckt dahinter? Warum hat Schweigen so eine große Macht?

Jedes Ding hat irgendwie zwei Seiten. Aber besonders interessant finde ich diese Ambivalenz beim Schweigen. Ich habe vor Kurzem in einem Buch über die verschiedenen Aspekte des Schweigens gelesen. Schweigen kann so widersprüchlich sein, so unterschiedliche Gesichter annehmen. Schweigen ist per se nicht fragwürdig oder negativ. Es kommt immer auf die Situation, den Kontext, an.

Was bedeutet Schweigen eigentlich? Ich schweige, wenn ich nichts sage, also keine verbalen Laute von mir gebe. Wenn Stille herrscht und ich in Gedanken bin. Es fallen keine Laute und auch keine Worte oder gar Sätze. Meine Stimme ist im Schlummermodus.

Schweigen ist quasi die Abwesenheit von Sprechen oder generell verbalen Signalen. Schweigen ist, wenn niemand redet, alle verstummen.

Wenn ich allein bin, schweige ich ohnehin. Mit mir selbst zu sprechen, wäre auch wirklich sehr seltsam, auch wenn ich das ab und zu auch mal mache. Da bin ich ohnehin auch eher in Gedanken. Das heißt, dass ich zwar äußerlich schweige, aber eigentlich in meinen Gedanken bin und quasi gedanklich mit mir selbst rede. Denken kann man auch als eine Art Kommunikation betrachten, als Reden mit mir selbst, nur nicht laut.

Interessant wird es dagegen, wenn wir uns das Schweigen anschauen, was im sozialen passiert. Wenn wir mit anderen Menschen zusammen sind. Dann gewinnt das Schweigen erst diese sehr widersprüchlichen Dimensionen.

Peinliche Stille und Gedankenkarussell

Ich finde Schweigen an sich, wenn ich mit anderen Menschen zusammen bin, recht unangenehm. Ich kann nicht mal genau benennen, warum das so ist. Wenn ich in der Mittagspause mit meinen Kollegen zusammen sitze, jeder mit Essen beschäftigt und niemand etwas sagt. Das ist extrem seltsam und ungewohnt. Weil es quasi schon eine Art ungeschriebenes Gesetz ist, dass Menschen miteinander reden, vor allem wenn sie in Gruppen sind. Ausnahmen sind vielleicht, wenn man mit etwas beschäftigt ist, beispielsweise arbeitet. Dann ist jeder konzentriert in seinen Aufgaben. Oder wenn man eben einem Vortrag zuhört. Klar schweigt man, wenn man nicht der Vortragende ist. Und natürlich schweigen so gut wie alle, wenn wir allesamt meditieren. Aber das sind andere Situation, die Schweigen erfordern.

Doch in solch eigentlich geselligen Runden wie der Mittagspause gilt eigentlich die Norm: Es wird natürlich geredet. Es darf nicht still sein. Wenn es still ist, ist etwas nicht Ordnung. Wenn wir dann kollektiv schweigen, herrscht eine unerträgliche Spannung in der Luft, eine komische Atmosphäre. Kollektives Schweigen in Situationen, in denen eigentlich gesprochen werden sollte, werden als unangemessen und unerträglich empfunden. Es mag Leute geben, die diese Stille genießen. Die lieber weniger reden, mehr zuhören. Die am liebsten gar nicht beim Mittag essen reden. Aber die meisten anderen Menschen wollen diese Pause nutzen, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Doch was ist, wenn eben doch keiner etwas zu sagen hat?

Wir können es nur schwer ertragen, für eine längere Zeit mit anderen zusammen zu sein, ohne etwas zu sagen. Wir haben den Impuls, etwas zu sagen, um das Schweigen zu brechen. Es ist vielen unangenehm. Ich glaube, die meisten kommen generell auch einfach mit Stille nicht klar. Wir sind es nicht gewohnt, dass es so still ist. Miteinander reden bedeutet auch, dass die Stimmung wieder lockerer wird, man lacht miteinander, verbindet sich mit den anderen. Doch das Schweigen, auch wenn es kollektiv passiert, scheint eine unsichtbare Mauer zwischen uns hochzuziehen.

Zusammen zu schweigen wird als peinlich empfunden. Vielleicht fragt man sich, warum es plötzlich so ruhig geworden ist. Was denken bloß die anderen über einen? Hat man etwas blödes gesagt? Sind die anderen nicht an einem interessiert? Hat man vielleicht Angst, dass man keine wirklichen Gesprächsthemen hat?

Um diese Gedanken loszuwerden, die auch unangenehme Gefühle auslösen können, weil wir uns verrückt deswegen machen, plappern wir drauflos. Statt die Stille zuzulassen, flüchten wir davor. Bloß nicht stumm bleiben und sich weiter mit den eigenen Gedanken und Gefühlen auseinandersetzen.

Unerträgliche Stille als Spiegel eigener Sorgen

Ich sehe mich meist in der Pflicht, das Schweigen zu brechen, indem ich eine Frage stelle oder etwas von mir erzähle. Besonders dann, wenn ich beispielsweise mit einer anderen Person zusammen bin. Da ist es mir auch besonders peinlich und unangenehm, wenn Stille herrscht. Es gibt dann nicht wie in der Gruppe mehrere Leute, die ja einfach etwas sagen könnten. Nein, dann sind es nur wir zwei, an denen das Gespräch hängt. Und dann sehe ich mich dafür verantwortlich das Gespräch am Laufen zu halten. Bloß nicht nichts sagen. Ich suche fieberhaft nach Themen, die ich anschneiden oder Fragen, die ich stellen kann. Bloß um diese peinliche Stille nicht zu erleben.

Die wäre vielleicht gar nicht so peinlich, wenn wir beide damit fein wären. Sind wir aber nicht. Kann sein, dass der andere die Stille genießt. Aber ich jedenfalls nichts. Und da sehe ich das Problem: Es ist nicht die Stille, die problematisch ist, sondern, was sie mit mir macht und in mir auslöst. Und wie ich sie interpretiere. Ich deute das Schweigen als negativ. Wir haben uns nichts zu sagen. Haben keinen Gesprächsstoff mehr. Die Person findet mich bestimmt langweilig und will lieber schweigen als mit mir zu reden. Darum fängt sie auch kein anderes Thema an, spricht nicht, fragt nichts. Ich beziehe das automatisch auf mich. Und glaube, dass ich versagt habe, das Gespräch am Laufen zu halten. Dabei bin ich ja nicht Alleinunterhalterin. Zu einem Gespräch gehören immer zwei dazu.

Schweigen und Stille konfrontieren mich mit meinen eigenen Ängsten, meinen eigenen Unzulänglichkeiten. Sich damit auseinanderzusetzen, kann enorm helfen, solche Situationen mit Gelassenheit zu sehen.


Gemeinsam schweigen können als Verbundenheit

Nicht immer muss Schweigen negativ sein. Es kommt immer auf die Situation und die Personen an, mit denen man zusammen ist. Ich schweige beispielsweise gerne mal, wenn ich mit meinem Freund zusammen bin. Wenn wir einfach nur nebeneinander liegen, miteinander kuscheln, uns dabei tief in die Augen sehen, uns berühren und küssen. Das ist eine andere Form von Schweigen.

Schweigen kann auch als die intimste Form der Kommunikation betrachtet werden. Weil man einfach nicht mit jedem schweigen kann. Meist nur mit den Personen, die einem ganz nah sind. Dann ist Schweigen weder peinlich noch unangenehm, sondern ein Zeichen wahrerer Intimität. Zusammen schweigen können ist ein Zeichen von starker Verbundenheit.

Durch das ständige Miteinandereden wollen wir uns vergewissern, dass wir miteinander verbunden sind. Wenn dann aber das Reden aufhört und das Schweigen anfängt, verlieren wir den Bezug, werden unsicher, woran wir bei der anderen Person sind.

Doch wenn ich mit meinem Freund oder einem guten Freund schweige, ist das etwas anderes. Ich weiß, dass wir nicht reden müssen und trotzdem gut miteinander sind, dass wir die Stille zusammen genießen können. Manchmal sind solche Momente sogar noch tiefer als jene, in denen wir uns tausend Dinge zu erzählen haben. Wir brauchen keine Worte mehr, wir schweigen und genießen.

Wenn ich mit meinem Freund intime Momente teile, reden wir nicht miteinander. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht miteinander kommunizieren. Wir machen das bloß nicht verbal, sondern durch Körpersprache. Indem wir uns gegenseitig berühren, uns ansehen, miteinander kuscheln, schaffen wir so Vertrautheit und Nähe, die durch Worte allein nie möglich wäre.

Mal miteinander zu schweigen ist wichtig für eine gute Kommunikation. Wo wären wir, wenn wir alle durcheinander reden würden und niemand zuhören würde? Nur wer schweigt, kann wirklich zuhören, sich vollkommen auf das einlassen, was jemand anderes sagt. Darüber nachdenken, zwischen den Zeilen lesen, interpretieren und sich in das Gegenüber hineinversetzen. Das geht nur, wenn wir selbst verstummen.

Deswegen heißt es auch so oft „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“ Weil wir durch das Schweigen uns selbst zurücknehmen, eine andere Person als wichtiger betrachten, ihr Aufmerksamkeit schenken und zuhören. Das ist auch wichtig, um seinen eigenen Horizont zu erweitern, Informationen zu bekommen, sich inspirieren zu lassen, etwas zu lernen.

Nur wer schweigt, kann auch aktiv zuhören und dann entsprechend ordentlich antworten. Im Schweigen steckt so viel Potenzial für ein liebevolles Miteinander.

Liebesentzug und Bestrafung

Doch Schweigen kann darauf hindeuten, dass etwas nicht in Ordnung ist. „Wir hatten uns nichts mehr zu sagen“. Das hört man oft von Paaren, die sich mit den Jahren auseinandergelebt haben. Die nur noch nebeneinander her lebten, aber nicht zusammen. Und dementsprechend auch nicht miteinander redeten.

Schweigen über Probleme, unerfüllte Bedürfnisse, kann Gift für eine Beziehung sein. Genauso auch, wenn man im Streit plötzlich aufhört, miteinander zu reden. Ich kenne das von mir selbst zu gut. Ich bin dann trotzig und wütend und will, dass mein Partner das auch merkt. Er soll sich schlecht fühlten. Und deswegen strafe ich ihn mit Schweigen, ignoriere ihn regelrecht. Das nennt man auch Liebesentzug. Wenn man dem anderen gegenüber emotional kälter wird, ihn ignoriert und anschweigt, entzieht man sich ihm, bestraft ihn mit Schweigen.

Das kann schon sehr schmerzhaft sein, wenn man einfach nicht mehr zu der Person hervordringt, jegliche Annäherungsversuche scheitern. Man verliert den Bezug zueinander, distanziert sich dabei immer mehr voneinander.

Ähnlich kann man das übrigens auch beim Dating sehen. Schweigen als Möglichkeit, vor Problemen zu fliehen, erkennen wir beim Ghosting. Wenn eine Person eine andere datet und dann plötzlich wortlos wie ein Geist verschwindet, ohne Hinweis darauf, was dahinter steckt. Man einfach so abtaucht und nicht mehr auf Nachrichten antwortet, die Person überall blockiert. Auch das kann sehr zermürbend sein.

Ähnlich wie bei der Funkstille. Was haben Funkstille und Ghosting miteinander zu tun? Man bricht einfach den Kontakt zueinander ab, spricht nicht mehr miteinander, unterbindet jegliche Form der Annäherung. Die Beziehung ist zu ende, ohne, dass man sie offiziell beendet hat. Es ist einfacher wortlos alles zu beenden, als sich im Streit erklären zu müssen und das durchzusetzen. Viele entziehen sich der Konfrontation, weil sie noch unangenehmer ist. Aber plötzliche Schweigen führt dazu, dass man auf so viele Fragen keine Antworten mehr bekommt. Die Betroffenen wissen nicht, was los ist, ihre Gedanken drehen sich im Kreis. Sie kommen nicht zur Ruhe. Das Schweigen löst keine Probleme, im Gegenteil. Es schafft noch mehr. Nur nicht auf Seiten der Schweigenden.


Wenn Schweigen bedeutsamer ist als tausend Worte

In manchen Situationen brauchen wir keinen Trost, keine Worte oder gut gemeinten Ratschläge. Manchmal reicht es einfach, wenn jemand da ist, schweigt und nur zuhört. Das bloße Dasein, auch wenn es schweigend passiert, kann heilsamer sein, mehr Trost geben als viel zu sagen. Das habe ich bei meiner Arbeit als ehrenamtliche Sterbebegleiterin gemerkt. Es kommt nicht darauf an, immer die richtigen Worte zu wählen oder überhaupt etwas zu sagen. Einfach da zu sein, zu schweigen und so Trost zu geben, kann wertvoller sein. Das war für mich auch eine krasse Umstellung. Versuche ich sonst immer etwas zu sagen, um zu trösten. Da die Stille und das Schweigen auszuhalten, ist nicht immer so leicht.

Schweigen kann mehr Wertschätzung ausdrücken, eben weil das Reden so allgegenwärtig und selbstverständlich ist. Wir legen eine Schweigeminute ein, um den Toten zu gedenken, als eine Wertschätzung. Für ein paar Sekunden bis einer Minute halten wir inne, pausieren das, was wir so alltäglich machen. Diese eine Minute, in der niemand etwas sagt, absolute Stille herrscht, gewinnt so an großer Bedeutung, hat so eine starke Wirkung, setzt ein Zeichen. Es ist eine Minute, in der wir ruhen, in uns gehen, unser Mitgefühl und unsere Trauer den Toten verdeutlichen, die wir damit ehren und wertschätzen.


Von Lügen und Drohungen

Doch Schweigen hat auch noch andere negative Facetten. Wenn wir etwas verschweigen, dann lügen wir nicht direkt, aber wir verheimlichen einen Teil der Wahrheit oder die ganze Wahrheit. Aus welchen Gründen auch immer. Und damit hat Schweigen auch wiederum eine negative Konnotation. Es wäre in dem Falle besser, das Schweigen zu brechen.

Und dann hätten wir noch den Spruch „jemanden zum schweigen zu bringen“. Ganz krass könnte es bedeuten, dass jemand getötet wird, um die Wahrheit nicht zu verraten. Aber es bedeutet auch, dass wir jemanden mit Drohungen oder Gewalt mundtot machen. Denjenigen dazu bringen, nicht das zu erzählen, was einen selbst in Gefahr bringen könnte. Oder man sagt oder tut etwas, mit dem man tatsächlich jemanden dazu bringt, nichts mehr zu sagen. Die Person steht dann einfach wortlos da, weiß nicht mehr, was sie sagen soll.


Schweigen für den Genuss

Manchmal müssen wir aber in gewissen Situationen auch einfach schweigen, weil wir uns sonst mit dem Reden zu sehr ablenken würden. Ich möchte, wenn ich ein Buch lese oder im Theater bin, einen Film schaue oder ein Konzert höre, mich vollkommen darauf konzentrieren. Auch wenn ich mit anderen Menschen zusammen bin. Da will ich am liebsten nicht mehr reden, sondern schweigen, um in den Flow zu kommen, um zu genießen. Beim Tanzen muss ich auch nicht unbedingt reden. Da geht Kommunikation auch wunderbar ohne Worte.

Ich glaube, dass Schweigen ein wichtiger Teil unserer Kommunikation ist, ambivalent sein kann, aber auch eine große Chance, um einfach mal im Alltag innezuhalten und zu reflektieren. Und das Schweigen auch als Chance zu sehen, sich mit sich eigenen Sorgen und Problemen auseinanderzusetzen.

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