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Wie mir Daddy Issues die Augen öffneten

 
Ich dachte, ich hätte mit meiner Vergangenheit abgeschlossen. Ich dachte, ich hätte alles längst hinter mich gelassen. Die Vergangenheit tangiert mich nicht mehr. Wie falsch ich doch lag.

 
Die Vergangenheit lässt sich nicht einfach so vergessen, selbst wenn ich mich noch so sehr auf die Gegenwart fokussiere. Es bleibt immer etwas, Ballast, den man mitnimmt, egal, wo man ist und egal, mit wem man zusammen ist. Das ist mir in letzter Zeit noch schmerzlicher bewusst geworden als ohnehin.

Es ist nicht so, als ob das eine total neue Erkenntnis wäre. Im Gegenteil: Sie wird mir immer bewusst, wenn es mal wieder nicht so gut in meinen Beziehungen läuft. Und trotzdem ich das weiß, ändert sich an meinem Verhalten nichts.

Was ist mein Problem?


Warum ich meine Impulse nicht unter Kontrolle habe

Ich werde in Beziehungen immer wieder zu einem Monster. Immer dann, wenn mein Partner nicht meine Erwartungen erfüllt, nicht auf meine Bedürfnisse eingeht. Ein ganz aktuelles Thema ist die Häufigkeit beim Sex. Ich möchte mehr, mein Freund dagegen weniger. Es ist auch gerade eine stressige Zeit. Wir sind vor Kurzem erst umgezogen und es gibt einige offene Probleme mit der alten Wohnung. Alles nicht so leicht. Kein Wunder, dass seine Libido darunter leidet.

Doch statt ihn irgendwie in dieser schwierigen Zeit beizustehen, mache ich ihm selbst Druck. Und das mag ich selbst nicht an mir. Ich erwarte trotzdem, dass er meine Bedürfnisse erfüllt. Und sehe dabei nicht, wie krass ich dabei Druck auf ihn ausübe und total egoistisch agiere. Also ich weiß, dass es nicht okay ist und ich das lassen sollte. Dass ich lieber verständnisvoller sein und ihn unterstützen sollte. Und dass meine Bedürfnisse eben auch mal weiter hinten stehen sollte.

Aber obwohl ich es weiß, fällt es mir enorm schwer, mein eigenes Verhalten zu ändern. Wegzukommen vom Meckern und Jammern und Betteln. Ich spüre Unzufriedenheit, Wut und Enttäuschung und vielleicht fühle ich mich auch verletzt und von ihm abgelehnt.

Weil Sex mir derzeit irgendwie total viel bedeutet. Weil ich über Sex besondere enge Nähe und Verbundenheit zu meinem Partner aufbaue. Und wenn das fehlt, fühlt es sich an, als wäre etwas nicht in Ordnung in unserer Beziehung. Als würde ich ihn verlieren, vor allem eben emotional. Also klammere ich noch mehr, suche mehr seine Nähe, die ihn einengt.

Was steckt hinter dem Bedürfnis nach Sex?

Ich habe mich schon oft gefragt, was wirklich dahinter steckt. Dass ich so überaus emotional auf diese Thema reagiere. Dass ich daraus jedes Mal ein Drama mache, wenn er keinen Bock auf Sex mit mir hat. Was verbirgt sich dahinter? Ich glaube, dass ich es immer wieder auch unbewusst auf mich beziehe. Dass ich eben mit dem Sex mein Bedürfnis nach intensiver Nähe versuche zu stillen. Aber es in den Momenten nicht klappt. Dass ich mir dadurch auch Bestätigung und Liebe erhoffe. Ich lasse andere Intimitäten wie normales Kuscheln dann nicht zu. Das ist auch schön, aber so gar nicht intensiv. Ich sehne mich nach der Intensität und Tiefe, die ich beim Sex und danach erlebe.

Bestätigung ist übrigens ein gutes Stichwort. Und wenn ich mal genauer darüber nachdenke ist es das, worum es sich im Endeffekt immer bei mir in Beziehungen dreht. Ich will Bestätigung, ich will, dass er mir ständig zeigt, dass er mich begehrt, mich liebt, mich braucht – ich will, dass er mir beweist, wie wichtig ich ihm bin. Warum? Weil ich es selbst nicht glaube. Weil es etwas ist, woran ich wahrscheinlich tief in meinem Inneren sehr zweifel. Weil ich mir die Bestätigung selbst nicht geben kann.

Und jetzt wird es langsam sehr sehr unangenehm. Je tiefer ich in diese Problem und in meine Schattenanteile eintauche, desto mehr stoße ich auf etwas, wovor ich lieber meine Augen verschließen würde.

Die ewige Suche nach Bestätigung

Die Suche nach Bestätigung zieht sich wie ein roter Faden durch meine Beziehung. Ich meine, es ist irgendwo auch etwas normales in jeder Beziehung. Dass man sich danach sehnt. Aber nicht in dem Maße. Das nimmt bei mir überhand. Es ist nicht nur beim Thema Sex so, auch wenn das Problem dann am krassesten wird.

Es zeigt sich in allen Bereichen der Beziehung. Wenn wir länger nicht zusammen sind und nur miteinander schreiben. Und er länger nichts von sich hören lässt, obwohl er doch offensichtlich die Chance hätte zu schreiben. Ich beziehe das wieder auf mich und denke mir, dass er keinen Bock auf mich hat und mir deswegen nicht schreibt. Ich sehne mich nach Bestätigung, die er mir gibt, in dem er mir seine Aufmerksamkeit schenkt.

Ich will mich immer wieder vergewissern, dass er mich liebt. Frage ständig danach, ob er das noch tut.

Ich will von ihm Komplimente hören – wie toll und schön er mich findet. Wieder die Sucht nach Bestätigung.

Warum will ich ständig Bestätigung haben? Weil ganz offensichtlich mein Selbstwertgefühl nicht stabil genug ist. Weil ich an mir zweifel, weil ich an der Beziehung zweifel. Weil ich tief in meinem Inneren immer noch davon ausgehe: Er liebt mich doch gar nicht. Wie könnte er mich denn lieben, wenn er weiß, wie ich wirklich bin. Denn ich bin doch gar nicht liebenswert.

Ich bin nicht liebenswert. Das ist ein Glaubenssatz, der mich hart trifft, der echt weh tut. Aber ich trage ihn gefühlt seit meiner Kindheit in mir.

Ich bin nicht liebenswert“

Und er scheint mich zu leiten. Bei Streitigkeiten in der Beziehung ist es ein ständiges Ringen zwischen diesem Glaubenssatz und meinem Bedürfnis nach Bestätigung. Ständig diese Ambivalenz. Einerseits halte ich an dem Glaubenssatz, nicht liebenswert zu sein, fest, aber gleichzeitig will ich diesen Glaubenssatz schwächen, mein Selbstwertgefühl stärken, indem ich nach Bestätigung suche. Das artet aber in einem Teufelskreis aus, bei dem ich mich dann gefühlt wieder selbst sabotiere, nur um wieder bei der Bestätigung des Glaubenssatz zu landen. Ich verhalte mich dann unglaublich egoistisch und verletze meinen Partner, teste Grenzen aus, belaste unsere Beziehung – und dann kommen meine Schattenanteile zum Vorschein und bestätigen, dass ich eben doch nicht liebenswert bin. Genau in solchen Momenten werte ich mich wieder selbst ab und verinnerliche den Glaubenssatz umso mehr.

Ich blende komplett aus, dass es nur ein Teil von mir ist und ich so viel mehr bin als das. Dass ich Fehler und Macken wie jeder andere Mensch auch habe. Aber genauso und sogar mehr gute Seiten an mir habe. All das sieht mein innerer Kritiker nicht.

Ein ewiger Kampf zwischen Selbstsabotage und Selbstbestätigung.


Fehlendes Selbstwertgefühl als Wurzel allen Übels

Was hat das mit meiner Vergangenheit zu tun? Ganz viel. Denn ich glaube so langsam, dass ich es nicht allein schaffe, diese Ambivalenzen aufzulösen. Ich habe schon alles Mögliche versucht, um mein Selbstwertgefühl zu stärken. Ich habe an mir gearbeitet, ich habe vieles geschafft, worauf ich stolz sein kann. Ich weiß, was meine guten Seiten sind. Ich helfe anderen Menschen und blühe dabei komplett auf. Ich bin an sich zufrieden mit mir. Aber ich schaffe es trotzdem nicht, diesen Glaubenssatz ein und für alle Mal zu überwinden.

Es ist so, als hätte er sich in mir eingebrannt. Als käme ich davon nicht mehr los. Zumindest nicht ohne Hilfe. Und da wird mir bewusst, dass ich es versäumt habe, meine Vergangenheit wirklich aufzuarbeiten.

Das habe ich nie getan. Ich habe das Kapitel einfach so, wie es war, geschlossen und mich auf neue Lebenskapitel konzentriert. Das ist ja an sich nicht schlecht. Ewig in der Vergangenheit zu verharren, kann auch nicht zielführend sein. Aber das, was früher passiert ist, hat offensichtlich viel mit meinem Bindungsverhalten zu tun. Und da kommt mein Stiefvater ins Spiel, der mich bereits schon anderweitig negativ geprägt hat. Ich glaube, dass er maßgeblich auch mit Schuld daran war, dass ich eine soziale Phobie entwickelt habe.

Das, was die Phobie mit meinem toxischen Beziehungsmustern gemein hat, ist das geringe Selbstwertgefühl. Das ist die Wurzel allen Übels.

Ich will es nicht wahrhaben, wollte, dass mein Stiefvater keine Rolle mehr in meinem Leben spielt. Aber das tut er nach wie, auch wenn er schon längst nicht mehr auf Erden weilt.

Wenn die Vergangenheit einen einholt: Daddy Issues und Vaterkomplex

Ich glaube, dass ich unter Daddy Issues oder unter einem Vaterkomplex leide. Habe mich in der letzten Zeit intensiv damit beschäftigt und da trifft leider einiges auf mich zu.

Was sind Daddy Issues? Oftmals sehr abwertend wird das toxische und instabile Bindungsverhalten von Frauen bezeichnet, die Probleme mit ihrem Vater hatten. Entweder war er nie da oder wenn er da war, hat er sich verletzend verhalten. Die Beziehung zum Vater war negativ geprägt. Und da unsere Beziehung zu unseren Eltern auch unser späteres Bindungsverhalten prägen, überträgt sich diese nicht gesunde Beziehung auch auf alle weiteren. Dann suchen sich Frauen vielleicht Männer aus, die ihren Vätern ähnlich sind. Sie picken sich die älteren Männer aus, die entweder so sind wie ihre Väter oder das komplette Gegenteil. Weil sie Sicherheit und Geborgenheit bei ihrem Vater nicht erlebt haben. Dann haben einige Frauen auch generell Probleme in Beziehungen mit Männern, fangen an zu klammern, sind extrem eifersüchtig und sehnen sich ständig nach Bestätigung – vor allem auch durch viel Sex.

Und spätestens als ich das gelesen habe, wurde mir klar, dass auch ich unter einem Vaterkomplex leide. Mein aktueller Freund ist nur 5 Jahre älter als ich, aber von der Art her sehr viel erwachsener. Wenn ich mit ihm zusammen bin, vor allem in seinen Armen liege, fühle ich mich – so blöd wie es klingt – wie ein kleines Mädchen. Total sicher und geborgen. Ich werde ganz verletzlich und fühle mich sehr wohl. Es ist ein Gefühl, was ich bisher noch bei keinem anderen Mann hatte. Gefühlt werde ich wieder in einen regressiven Zustand versetzt, in dem ich wieder das kleine Mädchen von damals bin. Und so verhalte ich mich tatsächlich manchmal auch. Mein Partner hat so etwas unglaublich beschützendes, strahlt so viel Sicherheit aus, dass ich automatisch in dieses Muster verfalle. Er ist meine starke Schulter zum Anlehnen. Er liebt mich wie ich bin, anders als mein Stiefvater. Weil ich mich bei ihm wie ein kleines Mädchen fühle, wird eventuell der Vaterkomplex noch mehr getriggert. Das wäre meine Vermutung.

Wie die Beziehung zum Vater spätere Beziehungen prägt

Doch zurück zu meinem Stiefvater. Unsere Beziehung war sehr ambivalent, nicht einfach. Er gab mir immer das Gefühl, nicht genug zu sein, nicht liebenswert. Ich konnte es ihm nie recht machen. Dadurch entwickelte ich Minderwertigkeitsgefühle, fühlte mich so falsch. Auf der einen Seite hasste ich ihn dafür und dass er mir ständig das Gefühl gab, dass ich etwas nicht richtig gemacht habe.

Gleichzeitig sorgte ich mich auch für ihn, wenn er betrunken mal wieder weinte und beteuerte, dass er sich besser will. Dann bekam ich Mitleid und unsere Rollen verkehrten sich. Ich war plötzlich diejenige, die ihn tröstete und versuchte zu retten. Es war insgesamt ein sehr kompliziertes Verhältnis. Ständig widersprüchliche Gefühle, mit denen ich zu tun hatte. Einerseits fühlte ich mich hilflos, emotional ständig terrorisiert. Und dann wieder in die Helfer*innenrolle gedrängt. Verantwortlich dafür, dass es ihm besser ging. Vielleicht auch in der Hoffnung, dass er mir endlich die Anerkennung gibt, nach der ich mich die Jahre gesehnt habe.

Wie lässt sich das jetzt auf mein Bindungsverhalten übertragen? Ich habe unbewusst immer noch das Gefühl, nicht genug zu sein, habe Angst abgelehnt und verletzt zu werden. Ich glaube, dass sich möglicherweise ein Trauma bei mir manifestiert hat. Ganz sicher bin ich mir nicht. Um das Gefühl, nicht liebenswert zu sein, loszuwerden, dränge ich nach Bestätigung und Anerkennung. Versuche also damit meinen Selbstwert zu steigern. Ich suche in Beziehungen das, was ich all die Jahre nie von meinem Stiefvater bekommen habe: Anerkennung, Bestätigung, Wertschätzung, Liebe und Geborgenheit.

Mein unbewusstes Muster, das daran festhält, dass ich minderwertig bin, kommt in Streitsituationen immer ins Spiel und will mich sabotieren. Daraus entstehen dann immer wieder Dramen oder so widersprüchliches Verhalten. Einerseits suche ich dann nach Liebe, aber gleichzeitig distanziere ich mich von meinem Partner, in dem ich mich selbst abwerte und immer wieder Trennung ins Spiel werfe. Und so Dinge sage wie: „Es wäre besser, wenn du dich von mir trennen würdet. Ohne mich ginge es dir besser. Du hast jemand anderes verdient.“ Insgeheim hoffe ich dann aber doch, dass er meine Zweifel zerstreut und mir das Gegenteil sagt.


Ich brauche Hilfe

Wie komme ich nur aus diesem Dilemma heraus? Erkenntnis ist der erste Schritt. Offensichtlich fällt es mir schwer, gegen meine unterbewussten Muster anzukämpfen. Vielleicht komme ich einfach auch allein nicht da ran. Obwohl ich mir die Muster bewusst gemacht habe. Vielleicht schaffe ich es nicht allein. Und vielleicht brauche ich doch therapeutische Hilfe. Vielleicht ist das alles auch nur ein Symptom und das Problem ist ein viel größeres.

All die Jahre wollte ich das nicht wahrhaben, dachte, ich komme klar. War stolz darauf, keine Therapie gebraucht zu haben. Aber vielleicht war es ein Fehlschluss. Vielleicht brauche ich doch ein Therapie, vielleicht geht es nicht mehr ohne. Sich das einzugestehen, das ist verdammt hart für mich. Dachte ich, dass ich doch alles auch allein schaffen kann und keine Hilfe brauche. Ich bin doch diejenige, die anderen immer hilft. Ich brauche keine Hilfe. Ich will mir nicht helfen lassen, es allein hinkriegen. Wahrscheinlich auch wieder ein inneres Muster von mir. Es geht vor allem um die Beziehung, aber vor allem auch um mich selbst.

Es ist mein geringes Selbstwertgefühl, was Hilfe braucht.

Ich habe Angst davor, in meiner Vergangenheit zu wühlen. Habe Angst, was ich da noch vorfinden werde. Angst vor dem Unbekannten. Angst, dass mich meine Vergangenheit noch mehr einholt. Ich spüre ganz starke Widerstände, weswegen ich wahrscheinlich all die Jahre keine Therapie beginnen wollte. Aber ich glaube, dass ich nicht länger die Augen davor verschließen kann. Dass ich akzeptieren muss, dass ich doch nicht mehr allein weiterkomme.

Deswegen werde ich wohl eine Therapie starten oder mir zumindest einen Therapieplatz suchen. Es kann Wochen und gar Monate dauern. Das ist das, was ich mir fürs nächste Jahr vorgenommen habe. Ich will nicht mehr länger Opfer meiner Vergangenheit und meiner Muster sein. Ich will das alles kontrollieren lernen, will mich bessern, meine Impulse besser im Griff haben. Ich will nicht mehr länger deswegen streiten und ständig auf der Suche nach Bestätigung sein. Ich will mich selbst akzeptieren und lieben lernen. Und das geht wohl nicht auf eigene Faust.

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