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Warum das "Main-Character"-Syndrom problematisch sein kann

 Sind wir nicht alle die Hauptrollen in unserem Leben? Könnte man meinen. Und nicht wenige nehmen das etwas zu ernst und sehen sich selbst nur als einzigen Hauptcharakter, während alle anderen nur Nebenrollen spielen. Was steckt hinter dem Main Character Syndrom? Und was hat das mit sozialer Phobie zu tun?

 Sei die Hauptrolle in deinem eigenen Film. Das ist erst einmal nicht verwerflich und ein guter Tipp. Zu oft stellen wir die anderen eher über unsere Bedürfnisse und vernachlässigen uns selbst. Alles ist wichtiger als wir selbst. Und gesunder Egoismus kann auch nicht schaden, solange alles im Rahmen ist. Natürlich sind wir auch irgendwo der wichtigste Mensch in unserem Leben, der Mensch, der uns ewig begleiten und niemals verlassen wird. Die Beziehung zu sich selbst zu pflegen und sich selbst anzunehmen und zu fördern – alles richtig und wichtig.

Doch wer sich selbst zu ernst und wichtig nimmt, kann auch auf den falschen Weg geraten. Und da wären wir schon beim Begriff „Main Character“-Syndrom.



Was steckt dahinter?

Eigentlich steckt schon alles im Begriff. Es geht um den Effekt, sich selbst als Hauptfigur in dem eigenen Leben zu sehen und entsprechend zu handeln. Doch das kann teilweise echt übertriebene Ausmaße annehmen. Wenn man von sich denkt, dass man in einer Art Film spielt und sich so sehr in Szene setzt, dass es schon fast lächerlich ist. Selbstbewusstsein schön und gut, aber beim Main Character Syndrom geht es noch um mehr, was auch toxische Züge annehmen kann. Kein Wunder, dass es vor allem durch Social Media weiter getragen wurde.

Der Begriff suggeriert, dass es sich um etwas nicht ganz so gesundes handelt, darum auch der Zusatz „Syndrom“. Etwas, woran man leidet bzw. was auch nicht unbedingt einen negativen Effekt auf einen selbst und die eigene Mitwelt hat.

Dabei geht es um Selbstdarstellung, die narzisstische Züge annimmt. Man stellt sich so sehr in den Vordergrund und wertet alle anderen eher als Statist*innen ab. Selbst kleine Dinge im Leben werden so übertrieben inszeniert, wie in einem Film.

Sich selbst als Hauptdarsteller im eigenen Leben zu sehen, ist an sich nicht kritisch. Problematisch wird es eben nur dann, wenn man nur noch sich sieht und sich allzu egoistisch verhält und selbst darstellt und wiederum andere Menschen komplett ausblendet.

Und wenn andere Menschen nur dafür „benutzt“ werden, um selbst gut dazustehen oder um sich gut zu fühlen. All das kann sehr problematisch werden.

Das Toxische hinter dem Syndrom

Das Ding ist, dass es nicht nur um Selbstdarstellung geht. Das ist das weniger problematische. Es sind eher die Verhaltensweisen und Denkmuster hinter dem Syndrom, die sich im Miteinander zeigen und die schwierig werden können.

Wann leidet man unter einem Main Character Syndrom?

Wenn sich alles nur um einen selbst und die eigenen Probleme dreht. Das merkt man vor allem bei denjenigen, die die ganze Zeit nur über sich reden und kaum den anderen Fragen. Oder sobald derjenige etwas erzählt, das Ruder wieder an sich reißen und auf sich lenken müssen. Solche Menschen neigen dazu, ausladend über sich, ihre Probleme, aber auch, was sie toll können, zu reden oder ihr Wissen ungefragt weiterzugeben.

Kritik können sie sehr schlecht annehmen und suchen dann eher die Probleme bei den anderen.

Menschen mit Hauptdarsteller-Syndrom erwarten, dass andere ihnen zu Diensten stehen. Dass sie jederzeit verfügbar sind, um zu helfen oder für sie da zu sein. Schließlich sind sie natürlich wichtiger als alles andere.

Alles nur Show

Was ich im Zuge meiner Recherchen zum Main-Character-Syndrom überlegt habe, war: Leiden Menschen mit Schüchternheit oder sozialer Phobie teilweise auch an diesem Syndrom? Nur, dass es in dem Fall nicht dazu kommt, dass sie sich selbst als toll empfinden und aufwerten. Bei Sozialphobiker*innen geht es in die negative Richtung.

Ich denke mir, dass Menschen mit Hauptdarsteller-Syndrom sich zu sehr darauf fokussieren, wie sie auf andere wirken, der Fokus liegt auf sich selbst. Sie denken, dass alle Welt auf sie schaut, sie die volle Aufmerksamkeit haben. Sie wollen Anerkennung und Bestätigung, gesagt bekommen, wie toll und wichtig sie sind. Sie fühlen sich gut, wenn sie sich in den Vordergrund drängen und spielen eine Show. Und das ist wohl das mit markanteste an dem Syndrom. Sie inszenieren eine Show, tun so, als wären sie wirklich Hauptfiguren in einem Film und merken dabei nicht, wie lächerlich das rüberkommt. Das alles ist nicht natürlich, sondern gekünstelt hoch zehn.

 

Warum auch schüchterne Menschen unter dem Main-Character-Syndrom leiden

Wo gibt es da Parallelen zu Sozialphobiker*innen? Augenscheinlich nicht viele, aber eine wesentliche: Auch schüchterne Menschen glauben, dass alle Leute sie beobachten und sich auf sie konzentrieren. Das führt jedoch eher zu einem negativen Druck, bloß nichts falsch zu machen. Sie sind zu sehr damit beschäftigt, darüber nachzudenken, wie sie auf andere wirken, anstatt sich auf sich selbst zu fokussieren.

Ich kenne das von mir. In der Öffentlichkeit denke ich auch immer, dass alle mich genau beobachten und mich bewerten. Es fühlt sich an, als wäre ich auf einer Bühne und das Licht ist auf mich gerichtet, während alle anderen im Publikum sind und von mir etwas tolles erwarten und mich aber kritisch bewerten.

Es ist schon paradox, dass es gerade die Schüchternen mit Defiziten im Selbstbewusstsein sind, die sich selbst als zu wichtig sehnen. Das ist sehr widersprüchlich, hat aber eben auch viel mit dem geringen Selbstwertgefühl zu tun und der Angst, bewertet zu werden.

Aber genau genommen, nehmen sich Schüchterne zu wichtig. Niemand beachtet uns wirklich, weil alle mit sich beschäftigt sind. Und wenn doch, dann denken die meisten tatsächlich nichts. Sie beobachten, aber analysieren und bewerten nicht. Das alles passiert nur in unseren Köpfen. Wir machen uns zu viele Gedanken darüber, wie wir auf andere wirken und was andere von uns denken. Nehmen uns zu wichtig und ändern unser Leben danach, wie es wohl die meisten tun würden.

Und da zeigt sich, dass es nicht immer ein Geschenk ist, wenn man sich selbst zu wichtig nimmt. Oder sich zu sehr darauf konzentriert, was andere von einem halten. Denn wenn wir uns davon lösen können, uns selbst wichtig nehmen, aber die Bestätigung nicht im außen suchen – dann brauchen wir das alles auch nicht mehr, die ganze Show und Selbstinszenierung. Dann können wir die Bestätigung aus uns selbst schöpfen.

Menschen mit Main-Character-Syndrom sind insofern etwas zu bemitleiden, weil sie eben die Anerkennung immer im außen suchen. Sie müssen Shows abliefern, zeigen, wie toll und wichtig sie sind. Vielleicht weil sie es sonst nicht glauben? Weil sie durch ihre Shows von anderen bestätigt haben wollen, dass es stimmt?

Ein Phänomen unserer Zeit

Das Main-Character-Syndrom passt perfekt in unsere Zeit, in der wir sehr viel in Social Media unterwegs sind, uns selbst inszenieren und vor allem auch ständig selbstoptimieren. Das wollen wir natürlich auch nach außen tragen und dafür gelobt werden. Die Suche nach Anerkennung ist etwas total menschliches.

Nur driften gerade Menschen mit Hauptdarsteller-Syndrom etwas von der Realität ab. Es ist so, als wären sie in ihrer eigenen Welt und haben die Verbindung zu der echten verloren. Das kann auf Dauer ziemlich einsam machen, wenn sich dann nach und nach Menschen von einem abwenden, weil sie davon genervt sind, das Zusammensein anstrengend wird.

Durch die Selbstinszenierung schaffen wir ohnehin irgendwo auch eine Art zweites Leben, was geschminkt und gekünstelt ist, nichts mit unserer Wirklichkeit zu tun hat. Wir driften da zunehmend in eine Parallelwelt, in der alles besser und toller ist, man sich selbst vergleicht und unzufrieden mit sich und seinem Leben wird. Dabei vergessen wir, dass nicht alles auf Social Media echt ist, vieles davon ist tatsächlich geschönt und fake.

Und auch die Videos oder Posts, die Leute mit Hauptdarsteller-Syndrom erstellen, sind auch nicht realitätsnah.


Wir sollten uns weniger wichtig nehmen

Irgendwie leiden wir alle an dem Hauptdarsteller-Syndrom, mehr oder weniger. Aber an sich ist es ja nicht verkehrt, sich auf sich zu konzentrieren und sich selbst wichtig zu nehmen.

Ich lebe mein Hauptdarsteller-Syndrom auch mal aus – mehr oder weniger freiwillig. Wenn ich auf Arbeit vor Jugendlichen stehe und ihnen Wissen vermittle. Dann geht es aber eigentlich nicht um mich, sondern um die Jugendlichen und dass sie etwas mitnehmen.

Wenn ich in meinen Gruppen die Moderatorin bin, als ich mein Buch geschrieben habe und ganz besonders, wenn ich an meinem Blog schreibe. Ja, dann lebe ich meine Hauptdarsteller-Neigung sehr gern aus. Aber eben alles in Maßen und ohne, dass ich mich selbst auf einen Scheffel stelle.

Leider verfalle ich dem Main Character Syndrom besonders in Beziehungen, wenn es wiederum darum geht, dass meine Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Dann werde ich zur Drama Queen. Höchst toxisch und etwas, woran ich unbedingt arbeiten muss.

Auch wenn wir selbst sehr wichtig in unserem Leben sind – andere Menschen sind es auch. Und so wie ein Film nicht nur von den Hauptfiguren lebt, sondern von dem Zusammenspiel aus Nebenfiguren; Setting, Handlung und mehr, ist das im Leben genauso.

Es ist gut, dass wir uns wichtig nehmen. Aber es ist tatsächlich eine Gratwanderung. Man sollte sich wichtig genug nehmen, an sich zu arbeiten, das zu tun, worauf man Lust hat, sein Leben so gestalten wie man will. Aber man sollte sich auch nicht zu wichtig nehmen. Und zwar immer dann, wenn wir denken, dass wir anderen gefallen müssten, wenn wir glauben, dass wir sonst durchs Raster fallen. Keiner wird uns bewerten oder besonders loben, wenn wir unser Leben so gestalten, dass es den meisten gefällt. Es wird vielen egal sein.

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