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Offene Beziehung: Was macht unsere Beziehung exklusiv, wenn der Sex wegfällt?

 


Es kommt immer wieder in Schüben, dieses Gefühl, dass ich dir nicht ausreiche, dass ich nicht genug bin. Dass du eine andere Frau besser finden könntest. Dass ihr besser miteinander harmoniert. Dass sie in irgendeinem Aspekt irgendwie besser sein könnte als ich. Da ist die Angst, dass ich dich irgendwie verlieren könnte. Jetzt noch mehr als zuvor.

 Die Öffnung unserer Beziehung beschert uns aufregende Moment. Es ist die Art von Abenteuern, nach denen ich mich im Alltag gesehnt habe. Abenteuer, die mir das Gefühl geben, wieder richtig lebendig zu sein. Raus aus meiner Komfortzone zu kommen. Damit sind berauschende Gefühle verbunden. Wir beide treffen neue Menschen, erleben damit auch uns selbst neu, entdecken an uns selbst neue Facetten. Denn mit jedem neuen Menschen, entfalten wir uns selbst ein bisschen mehr. Es gibt uns beiden einen wahnsinnigen Push, wir profitieren beide davon.

Die erotische Abwechslung zwischendurch lässt uns wieder erkennen, was wir aneinander haben. Dass unser Sex eben absolut erfüllend ist. Er war vorher schon schön, aber jetzt erleben wir ihn intensiver. Haben wieder mehr Bock aufeinander. Das Feuer ist wieder entfacht worden. Es macht mich an, dass du mich wieder mehr begehrst, mehr als je zuvor. Es macht mich an, dass es auch andere Männer gibt, die mich wollen. Natürlich macht das was mit einem. Ich genieße diese Bestätigung, dieses immer wieder Kennenlernen von neuen Menschen, Persönlichkeiten und Körpern. Diese Aufregung bis man sich das erste Mal nah kommt, die Hüllen fallen lässt und miteinander verschmilzt.


Ich kann mich nicht für dich freuen

Doch wo Licht, ist auch Schatten. Bei all der Aufregung, der Leidenschaft und dem Abenteuer ist da immer noch dieses nagende Gefühl. Es ist meist unterschwellig, läuft quasi immer im Hintergrund. Ich will mich ernsthaft für dich freuen, für die neuen Erfahrungen, die du machst, für die Bestätigung, die du erhälst, für die schönen Momente, die du mit anderen teilst. Aber ich kann es nicht. Ich wünschte ich könnte es mehr. Wünschte, ich könnte dir das alles von Herzen gönnen. Wünschte, ich könnte so großzügig sein und mich mit dir freuen. Aber es geht nicht.

Allein der Gedanke, wie du eine andere Frau küsst und sie anfasst, wie du sie begehrst. Das allein verletzt mich. Es tut weh. Und die Vorstellung, wie du mit einer anderen Sex hast. Es fühlt sich an, als würde etwas meine Kehle zuschnüren. Die meiste Zeit versuche ich das Gefühl gar nicht erst so groß werden zu lassen. Doch gerade in den Momenten, in denen ich nicht damit rechne, trifft es mich so sehr.

Warum schmerzt es mich so sehr? Ich weiß die Antwort eigentlich schon längst. Es ist das fehlende Selbstwertgefühl. Es verletzt mich, dass du noch andere begehrst, dass du andere Frauen willst. Dass dir unser Sex nicht ausreicht. Dass ich dir nicht ausreiche. Es ist das Gefühl, nicht genug zu sein. Denn wenn ich es wäre, warum dann all das?


Etwas wird mir weggenommen

Eigentlich weiß ich es. Denn ich brauche nur mich selbst zu fragen, warum ich die Beziehung öffnen wollte. Es hatte nie etwas mit einem Mangel zu tun, nie etwas damit zu tun, dass du mir nicht ausreichst. Du bist der beste, den ich je hatte. Nie würde jemand an dich herankommen. Du machst mich so glücklich wie kein Mann zuvor. Ich liebe dich über alles und uns. Ich liebe unseren Sex, der noch nie erfüllender für mich war wie jetzt.

Doch gleichzeitig sehne ich mich doch ab und zu nach Abwechslung. Nach fremder Haut, nach neuen Begegnungen. Sie sind es, die Aufregung ins Leben bringen, die unsere Routine auf den Kopf stellen, die unsere Leidenschaft wieder entfachen. Auch wenn ich es liebe, mein Lieblingsessen jeden Tag zu essen. Ab und zu darf es auch mal etwas anderes sein.

Keiner von denen ist in irgendeiner Art und Weise besser und toller als du. Und selbst wenn ich mich mal verknallen würde – meine Gefühle zu dir bleiben, meine Liebe bleibt davon unberührt. Du brauchst niemals Angst zu haben, mich an jemand anderen zu verlieren. Solange wir noch immer unsere stabile Basis haben, die Liebe und Leidenschaft da ist. Solange wir miteinander glücklich sind und es gut läuft. Du weißt zu gut, dass ich dir nicht einfach so wegrennen würde, nur weil ich mal tollen Sex mit einem Mann hatte. Es gehört mehr dazu als das.

Dieses Aufregende und Neue – das ist nichts, was wir jemals wieder miteinander haben können. Und das ist okay so. Das ist der Preis für all die Verbundenheit, Intimität und das Vertrauen, was uns aufgebaut haben. Ich bin bereit, diesen Preis zu zahlen. Doch wir wissen beide, dass wir uns eben das, was wir ab und zu brauchen, nicht gegenseitig verwehren wollen. Es gibt Dinge, die du mir eben nicht geben kannst und die nur andere mir geben können.

Und obwohl ich das alles weiß und dass du so ähnlich in dieser Hinsicht darüber denkst – warum tut es trotzdem so weh, wenn ich weiß, dass du mit einer anderen Frau zusammen bist?

Nur du und ich?

Es mag sicherlich etwas mit fehlendem Selbstwertgefühl zu tun haben. Aber nicht nur. Es ist Eifersucht ganz klar. Eifersucht, nicht weil ich denke, dass du mich verlassen würdest. Ich weiß, dass das nicht passieren würde. Ich bin eifersüchtig auf das, was du mit diesen anderen Frauen teilst. Etwas, was nur wir für eine zeit lang geteilt haben. Es war das, was in monogamen Beziehungen Exklusivität ausmachte: Küsse, Berührungen, Zärtlichkeiten und natürlich der Sex. Alles Dinge, die eigentlich nur uns gehörten. Die nach wie vor etwas besonderes zwischen uns bleiben, weil wir uns lieben. Weil wir ein Paar sind.

Tief in mir drinnen habe ich dieses verinnerlichte Muster, dass die monogame Beziehung das Ideal bleiben sollte, noch immer nicht losgelassen. Es fällt schwer, wenn man das all die Jahre vorgelebt bekommt. Und wenn man eben romantisch-kitschig und naiv immer noch daran glaubt.

Obwohl ich schon versuche, mich für alternative Beziehungsmodelle zu öffnen, obwohl ich doch so gerne Neues ausprobiere. Es fällt mir an einigen Stellen immer noch schwer, das so wirklich anzunehmen. Als ob es in mir noch immer eine Art Wand gibt, die verhindert, dass ich mich komplett dafür öffne.


Ich will dich nicht teilen

Und vielleicht fällt es mir auch so schwer, weil ich unbewusst so einen Besitzanspruch habe. Ich will, dass du mir gehörst. Ich will dich ganz für mich allein, will dich mit niemandem teilen. Ich gönne dich anderen Frauen nicht, weil sie es nicht wert sind. Nur ich darf dich haben. Ich bin vielleicht auch einfach eben wie ein kleines Kind, das neidisch ist. Es hat etwas ganz tolles und besonderes. Und ich will es eben nicht an andere weitergeben oder teilen. Ich will es für mich. Da kommt auch meine Einzelkindmentalität durch. Ich wollte schon immer alles für mich allein haben. Meine Mama, meine Freund*innen, vor allem auch meine besten Freund*innen. Ich brauchte nur sie allein, also sollten sie nur mich brauchen. Ich kam damit nicht klar, dass sie neben mir auch andere Freundschaften pflegten.

Dich mit jemand anderem zu teilen, tut weh, weil ich Angst habe, dass ich dadurch weniger bekomme. Dass ich dich dadurch verliere. Es fühlt sich wie ein Verlust an. Die sexuelle Treue hat mir die Sicherheit gegeben, dass du Mein bist. Obwohl ich weiß, dass es eigentlich nur eine Illusion ist. Denn eigentlich gehörst du niemandem, nur dir selbst. Wir sind beide freie Menschen und sollten uns unseren Freiheiten entsprechend entfalten. Wir bleiben aus freien Stücken zusammen und beim anderen, nicht weil wir unbedingt müssen oder abhängig voneinander sind.

Es ist nie so gewesen, dass ich absolut abhängig von meinem Partner*innen war, ich ließ ihnen immer Freiräume. Aber eben nicht was das sexuelle betrifft. Das war für mich immer etwas exklusives. Es sei denn, ich wollte die Exklusivität aufbrechen.


Was bleibt uns, wenn wir mit anderen schlafen?

Was geht in mir vor, wenn ich mir vorstelle, wie du mit einer anderen Frau schläfst? Was fühle ich dabei? Es ist eindeutig Unbehagen und ein Stich im Herzen. Und der Gedanke: Du teilst etwas mit einer anderen Frau, was uns eigentlich gehörte. Was uns als Paar ausmachte.

Dabei weiß ich doch, dass es mehr als das ist, was uns zum Paar macht. Es verletzt mich aber, dass gerade die sexuelle Exklusivität, unsere sexuelle Treue füreinander, nicht mehr gegeben ist. Es ist ein Verlustschmerz und vielleicht auch die Unsicherheit und Angst: Was bleibt denn da? Was teilen wir miteinander, was nur uns beiden gehört, wenn es nicht der Sex ist?

Obwohl ich eigentlich weiß, dass der Sex ein anderer ist als den, den wir miteinander haben. Wir haben Gefühle füreinander, Liebe und Verbundenheit, Intimität. Das ist eine Art von Sex, als den, den wir mit anderen haben. Rein rational weiß ich das auch. Aber mein Kopf spinnt sich seine eigene Geschichte zusammen.

Die Öffnung unserer Beziehung geht einher mit Unsicherheit und dem Verlust unserer Grenzen. Die Grenzen, die unseren Safe Space ermöglicht haben. Es gibt keine Grenzen mehr. Keine Sicherheit mehr. Auch davor gab es keine Sicherheit. Sexuelle Treue ist nur eine Scheinsicherheit in monogamen Beziehungen. Der Verbot, mit anderen zu schlafen, soll verhindern, dass man sich zu anderen hingezogen fühlt, sich verliebt und dann die Beziehung mit dem eigentlichen Partner beendet. Doch wir alle wissen, dass das Unsinn ist. Es passiert trotzdem. Dass wir alle nur diese sexuelle Exklusivität haben, weil wir Angst vor dem Kontrollverlust sind. Angst haben, uns mit unseren eigenen Schwächen auseinanderzusetzen.

Das Ego ist verletzt

Weil wir nicht in der Lage sind, das Körperliche von Liebe zu trennen. Weil wir das immer auf uns beziehen. Weil es unser Ego verletzt, wenn der Partner jemand anderen begehrt und genauso viel Spaß beim Sex hat wie mit uns. Weil wir glauben, dass uns der Partner gehört, er nur uns braucht. Aber das ist auch wahnsinnig egoistisch.

Ich halte mir selbst den Spiegel vor, indem ich auf das schaue, was ich mir von der offenen Beziehung erhoffe und was ich erhalte.

Grenzen zu überwinden, kann echt weh tun. Lieb gewonnene Glaubenssätze und Sicherheiten loszulassen, das schmerzt sehr. Es fühlt sich an, als hätten wir einen wichtigen Teil in unserem Leben verloren. All die Illusionen und Hoffnungen, die wir an die Liebe und Beziehungen hatten.


Was macht unsere Beziehung exklusiv?

Ich sehne mich nach etwas, was nur wir beide haben. Etwas, was Verbindlichkeit schafft, was mir Sicherheit gibt. Jetzt, wo die sexuelle Treue weggefallen ist, fühlt sich alles so unsicher an. Verzweifelt suche ich nach einem Strohhalm, an dem ich mich festhalten kann. Muss ich den Treue-Begriff neu denken? Wahrscheinlich. Treue ist doch eigentlich viel mehr, als nur das Sexuelle.

Was bedeutet es? Treue heißt, dass ich mich immer wieder von Neuem für dich entscheide. Dass ich mit dir mein Leben verbringe will. Dass ich nur dich liebe. Dass ich bereit bin, mit dir durch dick und dünn zu gehen. Dass ich bei dir bleibe, auch wenn es nicht immer leicht ist. Dass ich zu dir stehe, dass dir bei Problemen beistehe. Dass wir gemeinsam uns weiterentwickeln.

Was teilen wir, was wir mit unseren Sexpartner*innen nicht teilen? Die Gefühle, ganz klar. Die Liebe, die auch jeglicher Verknalltheit standhält, die immer und immer weiterwächst. Wir teilen miteinander Intimität und Verbundenheit. Nur dir zeige ich mich so, wie ich bin, nur dir gegenüber bin ich so verletzlich. Nur bei dir kann ich mich wirklich fallen lassen. Du bist mein Safe Space, mein sicherer Hafen, mein Zuhause, immer da, wenn ich dich brauche.

Nur wir beide teilen ein gemeinsames Leben, sind füreinander da, bewältigen den ganz normalen Alltagswahnsinn.

Und nur wir beide haben den besten und vertrautesten Sex überhaupt miteinander. Eben weil all die Komponenten mit reinspielen, die unsere Beziehung nach wie vor exklusiv machen. Und weil wir einfach körperlich so miteinander harmonieren. Eine Beziehung, die wir nur miteinander führen, nie mit anderen Menschen.

Sex ist nicht alles

Es hilft nicht, Eifersucht und andere negative Gefühle zu verhindern, indem wir die Grenzen enger setzen und uns davor verschließen. Es wird damit nicht besser, wenn wir davor fliehen. Es kann nur besser werden, wenn ich mich meinen Ängsten stelle. Da, wo die Angst ist, da geht es lang! Je mehr ich auch unangenehme Situationen durchmache und merke, dass es weniger schlimm ist, desto mehr nimmt auch die Angst ab. Zumindest hoffe ich das. Das Herz braucht Zeit, sich an die neuen Bedingungen zu gewöhnen. Ich muss mit mir geduldig sein und Mitgefühl haben, wenn die Eifersucht wieder mit mir durchgeht.

Vielleicht sollte ich dem ganzen Sex und auch der sexuellen Treue nicht mehr so diese krasse Bedeutung zuschreiben, die sie für all die anderen monogamen Menschen haben. Dass Sex das ist, was Liebe ausmacht, was die Beziehung so exklusiv macht. Dass Sex mehr sein kann als nur der Liebesakt. Dass Sex eben tatsächlich auch einfach ein Grundbedürfnis ist, was eben nicht nur von einem Menschen allein erfüllt werden kann. Dass Sex zwar körperlich intim ist, aber nichts mit Emotionen zu tun haben muss.

Statt also meinen Fokus auf Sex = Liebe zu setzen, möchte ich meinen Horizont erweitern, mein Herz dafür öffnen, dass Liebe so viel mehr ist als Sex. Und dass mir nichts weggenommen wird, nur weil du mit anderen Frauen schläfst. Im Gegenteil: Wir bereichern damit unser Liebesleben. Wir verlieren nichts, wir gewinnen nur. Wir stärken damit unsere Liebe und Beziehung, wir schaffen damit noch mehr Vertrauen zueinander. Auch wenn nicht immer einfach ist und auch mal echt wehtun kann. Das ist ein Lernprozess. Wir können uns dadurch eigentlich noch sicherer sein, dass wir zusammen bleiben, auch wenn wir mit anderen Menschen schlafen. Es ändert sich nichts an unserer Liebe füreinander. Das sind so Erkenntnisse, die zwar in meinem Kopf sind, aber noch lange nicht mein Herz erreicht haben.

Ich weiß nicht, ob ich mich ernsthaft mal irgendwann für dich freuen kann, wenn du mir von tollem Sex mit einer anderen erzählst. Momentan kann ich mir das nicht vorstellen. Dafür bin ich zu sehr auf mich selbst bezogen. Zu unsicher und zu eifersüchtig. Ich hoffe, dass es eines Tages möglich wird. Ich möchte daran arbeiten. Vielleicht wird die Eifersucht nie vergehen, wahrscheinlich wird es immer wieder Momente geben, in denen ich unsicher bin, Verlustangst habe, mich schlecht fühle. Aber ich will nicht mehr davor flüchten, ich will verstehen, was dahinter steht und daran arbeiten. Für mich und für uns beide.

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