Ich bin eine Selbstoptimiererin durch und durch. Immer besser, schlanker, gesünder, reflektierter sein. Immer auf der Suche nach dem besseren Selbst. Dabei vergesse ich jedoch: Wer bin ich wirklich? Kann ich mich jemals so annehmen, wie ich bin?
Mir ist schon seit vielen Jahren klar, dass ich ein Thema mit Selbstoptimierung und Persönlichkeitsentwicklung habe. Es bestimmt jetzt quasi seit beinahe 10 Jahren mein Leben. Habe dutzende Bücher und Blogs gelesen, dutzende Dinge versucht, umzusetzen, nehme mir täglich, wöchentlich, monatlich und jährlich viele Dinge vor. Ich reflektiere jede Woche, um zu schauen, was ich von dem geplanten auch geschafft habe. Jeder meiner Tage ist durchgeplant bis ins kleinste Detail. Im Urlaub kann ich kaum entspannen, will unbedingt etwas Produktives und Sinnvolles tun. Ich erlaube mir nicht, einfach mal in den Tag hineinzuleben – das wäre ja pure Verschwendung meiner Lebenszeit, mal nicht etwas an einem Tag zu schaffen. Nicht nur die Arbeit ist durch optimiert, meine Freizeit sieht nicht anders aus.
All das überfordert mich heillos, hinterlässt jede Menge Druck. Ich habe immer das Gefühl, nicht alles zu schaffen und zu erreichen. Und das ist auch utopisch! Ich erwarte so viel von mir, glaube, ich müsse immer funktionieren, so sein wie eine Maschine, die etwas abliefert. Aber ich bin nur ein Mensch.
Egal, wie viel ich schaffe, es stellt sich trotzdem keine Zufriedenheit ein. Wenn ich glaube, dass es reicht und ich damit okay bin, höre ich immer eine leise Stimme sagen: Aber das reicht noch nicht. Es gibt immer noch etwas, was du optimieren kannst. Du darfst dich auf deine Lorbeeren nicht ausruhen. Arbeite weiter an dir selbst.
Ich laufe und laufe im Hamsterrad der Selbstoptimierung und vergesse dabei eigentlich eins: Mich selbst und wer ich wirklich bin. Und wie sich das Ich anfühlt, an dem ich ständig herumdoktern und optimieren muss. Unfähig, mich so zu sehen, wie ich bin und mich so anzunehmen, wie ich bin. So laufe ich einem fiktiven Ich hinterher, ohne mich wirklich um das Ich zu kümmern, was mich am meisten braucht.
Wie aus einem Buch auswendig gelernt
So richtig bewusst wurde es mir mit der Therapie, gleich am Anfang. Ich konnte meiner Therapeutin wunderbar erzählen, was ich mir so gedacht habe, warum ich die Therapie will, was ich ändern möchte. Ich hatte so viele Weisheiten auf Lager, wählte meine Worte ständig mit Bedacht. Dass das alles ein Stück weit nicht wirklich authentisch ist, spiegelte mir meine Therapeutin knallhart: „Das klingt ja alles schön und gut, aber auch ein ein wenig so, als ob Sie das aus einem Buch haben, als ob Sie das auswendig gelernt hätten.“ Stille für einen kurzen Moment. Diese so ehrlichen Worte trafen mich. Ich musste sie erstmal sacken lassen. Hat sie mich von Anfang an durchschaut.
Mit ihrer Aussage hat sie einfach so ins Schwarze getroffen. All das, was ich gelesen und gelernt habe, worauf ich stolz war, das waren alles Erkenntnisse, Weisheiten und Ansichten anderer Menschen, die ich mir zu eigen gemacht habe. Doch die Tatsache, dass ich diese Dinge quasi so verinnerlicht habe und unreflektiert weitergebe, das hat mich echt erschrocken. Ich hielt all diese Dinge, die ich gelernt habe, für wahr. Für meine eigene Wahrheit. Ich habe all das einfach so verinnerlicht, so krass verinnerlicht, dass es mir nicht mal klar war, wie sehr. Sie sind mir in Fleisch und Blut übergegangen.
Und
da wurde mir erst bewusst: Krass, so tief steckst du schon in der
Selbstoptimierung, dass du die Worte anderer so herunterbeten kannst,
als wären sie deine Bibel. Es waren ja nicht meine Worte oder
Erkenntnisse, das war alles fremdes Gedankengut, was ich aber
verinnerlicht hatte.
Wie kann ich das Hamsterrad der Selbstoptimierung verlangsamen?
Und das war nur der Anfang. Peu á Peu deckten wir immer mehr auf, wie tief ich da eigentlich in der Selbstoptimierung steckte. Meine Therapeutin musste immer wieder das Tempo rausnehmen.
Auf die Frage, was wie es am Ende der Therapie sein sollte, antwortete ich: Ich möchte meine Gefühle regulieren. Etwas, was nicht unbedingt Ziel der Therapie ist. Auch hier wieder: Ich wollte ein besserer Mensch werden, mich selbst optimieren. Den großen Makel an mir, meine Gefühlsausbrüche, endlich zunichte machen. Sie wegoptimieren. Und das erkannte meine Therapeutin. Sie öffnete mir die Augen.
Gerade die Therapie sollte eigentlich ein wertungsfreier und leistungsfreier Ort sein. Doch auch da kann es die Selbstoptimiererin in mir einfach nicht lassen. Ich will alles richtig machen, immer eine Antwort auf all die Fragen meiner Therapeutin haben. Souverän antworten. Ich will zeigen, welch tolle Introspektion ich habe. Das hat meine Therapeutin auch erkannt und weist immer wieder darauf hin, dass es nicht um Leistung geht und dass, wenn sie mich lobt, das auch nicht wertend gemeint ist oder ich das mit Leistung in Verbindung bringen soll.
Warum will ich besser sein?
Woher diese ständige Drang, mich selbst zu verändern und zu verbessern? Meine Kindheit ist der Schlüssel. Meine Mutter und mein Stiefvater waren beide Menschen, die fleißig waren und Leistung sehr wertschätzten. Lob gab es nur, wenn ich etwas gut gemacht habe. Kritik leider umso mehr, besonders von meinem Stiefvater. Ihm konnte ich es gefühlt nie recht machen. Ich bin nicht gut genug – dieser Glaubenssatz verfestigte sich bereits in jungen Jahren bei mir. Meine Mutter – das habe ich auch erst vor kurzem wirklich realisiert – kritisierte mich subtiler, sagte mir, ich sollte nicht so ruhig sein, das käme bei den Leuten nicht gut an. Auch sie gab mir dadurch, wenn auch unbewusst, das Gefühl, nicht gut genug zu sein, liebenswert, so wie ich bin.
Als kleines Kind stellt man seine Eltern nicht infrage, kommt nicht auf die Idee, dass sie sich irren können. Man glaubt ihnen jedes Wort und sieht die Schuld immer bei sich. Und ich dachte tatsächlich, dass ich das Problem bin, dass etwas mit mir nicht richtig ist. Die Gesellschaft tat ihr übriges. Ich bekam ständig von Lehrer*innen und anderen Menschen Kritik, dass ich nicht so war wie die anderen.
Ich fühlte mich von klein auf verloren, einsam und unverstanden. Wie sollte ich da jemals mich so annehmen, wie ich bin, wenn es die Menschen um mich herum auch nicht taten? Selbstzweifel nahmen zu, mein Selbstwertgefühl bekam einen krassen Knacks, nein, das ist nicht untertrieben formuliert. Es zerbrach in viele Einzelteile, die ich heute versuche, wieder zusammenzusetzen.
Ich
verinnerlichte die Kritik der anderen mehr und mehr, bis es meine
eigene Stimme wurde: Der innere Kritiker war geboren und begleitet
mich ein Leben lang. Er ist die Stimme in mir, die sagt, dass ich
nicht gut genug bin. Egal, wie sehr ich mich anstrenge, wie viel ich
leiste, es ist einfach nie genug. Der innere Kritiker ist es, der
mich schlecht macht, wenn ich mal Fehler mache oder etwas nicht so
schaffe, wie ich es mir gedacht habe. Er drückt mich und mein
Selbstbewusstsein zu Boden.
Ich bin nicht gut so, wie ich bin
Der innere Kritiker und der Glaubenssatz „Ich bin nicht gut genug, wie ich bin“ – die beiden gehen Hand in Hand. Sie sind es, die mich glauben, dass ich besser werden muss. Dass ich immer weiter an mir und meinem Leben arbeiten muss. Dass ich nicht genug bin, so wie ich bin. Ich darf nicht zufrieden sein, denn Zufriedenheit und Akzeptanz lassen ja keine Selbstoptimierung zu.
Daher all diese Selbstoptimierungswahn. Ich versuche damit, all den Mangel auszugleichen, Hoffe, dass ich irgendwann gut genug bin. Doch die Wahrheit ist: Es ist ein Kampf, den ich nicht gewinnen kann. Wenn ich immer nur gegen mich selbst kämpfe und immer weiter laufe, werde ich niemals zur Ruhe kommen. Ich werde niemals da ankommen, wo ich hin will. Weil es einfach kein genug gibt, wenn ich mir das nicht selbst sage. Und vor allem schaue ich nicht auf das, was mich wirklich ausmacht und wer ich bin.
Obwohl ich das inzwischen alles weiß und erkannt habe, fällt es mir unglaublich schwer, davon Abstand zu gewinnen, den Drang aufzugeben, mich ständig zu verändern und zu verbessern. Es ist quasi wie ein Programm, was mir eingepflanzt wurde und was ich schwer allein entfernen kann.
Doch ich habe Hoffnung, dass die Therapie meine große Chance ist, das alles hinter mich zu lassen. Ich merke, dass sie mir jetzt schon sehr hilft. Allein, dass ich meiner Therapeutin meine Lebensgeschichte erzähle, wir gemeinsam die Vergangenheit aufarbeiten, neue Erkenntnisse finden. Therapie ist für mich ein Stück Selbstfindung. Ich finde mich selbst und das, was ich so lange verdrängt habe.
Die Anerkennung, nach der ich mich so gesehnt habe
All die Wertschätzung und all das Verständnis, was ich mir jahrelang gewünscht habe, bekomme ich durch die Therapie. Ich habe mich so lange danach gesehnt, dass mir jemand sagt, dass ich gut bin, so wie ich bin. Dass es okay ist, wenn ich ruhiger bin. Dass es auch okay ist, dass ich Wünsche und Bedürfnisse habe. Dass es okay ist, wütend zu sein und dass das nichts damit zu tun hat, dass ich Drama habe. Dass die Wut sein darf und dass sie nicht verstanden wurde. Dass das, was ich möchte, nicht anerkannt wurde. Dass es einfach nur hart und schlimm war, was ich alles als Kind durchgemacht habe.
All das sind so heilsame Worte, nach denen ich mich gesehnt habe. Ich fühle jetzt schon, wie ein Teil in mir Heilung findet, Stück für Stück.
Therapie hat nichts mit Selbstoptimierung zu tun. Es geht nicht darum, dass ich ein besserer Mensch bin. Es geht darum, dass ich mich selbst finde, mich besser kennenlerne und besser verstehen kann. Es geht darum, dass ich lerne, mich mit all meinen Facetten anzunehmen und für mich selbst Empathie und Verständnis zu entwickeln. Dass ich lerne, dass all das, was ich so gern von anderen bekommen hätte – von meinen Eltern, der Gesellschaft – ich mir selbst geben kann. Um mein eigenes Selbstwertgefühl aufzubauen, und zu lernen, mich so zu akzeptieren, wie ich bin. All das, was ich die Jahre bei aller Selbstoptimierung versäumt habe.
Sich selbst ein Freund sein
Das fällt mir sichtbar schwer. So schwer, dass ich unsicher bin, ob ich es jemals schaffen werde. Ich wünschte, ich könnte es. Ich wünschte, ich könnte mich selbst so liebevoll behandeln, als wäre ich mir selbst die beste Freundin.
Ich
möchte mir eines Tages folgende Dinge sagen und sie wirklich meinen
und fühlen: Ich bin okay so, wie ich bin. Ich bin nicht perfekt, das
ist niemand. Ich habe meine Baustellen, meine Fehler und Schwächen.
Aber ich habe auch viele gute Eigenschaften und Stärken. All das
macht mich zu dem Menschen, der ich bin. Ich bin wertvoll, auch wenn
ich nicht immer etwas leiste. Auch ohne diese ganze Leistung und
Optimierung bin ich ein toller Mensch, der es verdient hat, geliebt
zu werden.
Dilemma: Selbstoptimierung vs. Selbstakzeptanz
Doch ich weiß auch, dass ich ins nächste Dilemma komme: Ich möchte mich ja nicht akzeptieren und dann nicht mehr an mir arbeiten. Ich will ja trotzdem ein besserer Mensch werden. Wie schaffe ich es die Balance zu halten? Wie kann ich mich selbst annehmen, aber gleichzeitig trotzdem an mir arbeiten?
Der erste Schritt ist wohl, sich erst einmal selbst zu kennen und so anzunehmen, wie man ist. Nur wenn man die Dinge annimmt, kann man damit arbeiten. Ich glaube, dass Selbstakzeptanz der Schlüssel ist, um sich dann auf eine gesunde Art und Weise weiterzuentwickeln.
An sich ist ja persönliche Weiterentwicklung gut. Es ist eine gute Sache, eine bessere Version von sich selbst zu werden. Aber nur solange es nicht ausartet. Und auch nicht immer ein Gefühl von Unvollkommenheit und Unzufriedenheit hinterlässt.
Es braucht alles Zeit und viel Geduld. Die Zeit sollte ich mir nehmen. Es wird ein langwieriger Prozess sein, der nicht geradlinig verläuft, es wird Höhen und Tiefen und Umwege geben. So ist das Leben. Aber ich bin trotzdem zuversichtlich, dass die Therapie ein wichtiger Schritt ist, um mich eines Tages akzeptieren zu können.
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