Aber es gibt eben ein Lebensbereich, in dem diese schöne Fassade Risse bekommt: die Beziehung zu meinem Freund, mein Liebesleben. Es scheint so als würden sich hier meine psychischen Probleme und negativen Erfahrungen komplett entladen.
Warum gerade da? Weil es die Liebesbeziehung ist, in der ich am meisten so bin, wie ich bin. Ich zeige mein wahres Ich. Ich trage nicht mehr die soziale Maske, spiele eine Rolle. Ich bin authentisch, lasse alle Hüllen fallen, auch die emotionalen. Weil ich in der Nähe meines Lieblingsmenschen mich so zeigen kann und will, wie ich bin. Dass das eben nicht immer positiv ist, haben die letzten Monate sehr eindrücklich gezeigt.
Ich dachte lange Zeit: Wir kriegen das schon allein hin. Aber mittlerweile weiß ich auch: Das stimmt nicht. Genauso wie ich dachte, dass ich meine Probleme allein auch in den Griff bekommen werde. Ich las so viel über Themen, die mich betrafen, versuchte, mein Denken und Verhalten zu ändern. Kurzzeitig wurde es besser, aber bald fiel ich wieder in alte Muster zurück. Ich erkannte: So geht es nicht weiter. Ich komme alleine einfach nicht weiter.
Nur den Deckel draufhalten, klappt nicht auf Dauer
Sich einzureden, dass das allein schon klappt und dass ich keine Hilfe brauche, dass es mir doch gut ginge – das waren im Rückblick nur Ausreden, eine Art Schutzmechanismus, um vor meinen Problemen wegzurennen. Prokrastinieren. Das habe ich all die Jahre immer und immer wieder getan. Doch ich weiß jetzt, dass da Dinge in mir schlummern, die all die Jahre verborgen blieben. Ich habe gedacht, dass ich das allein irgendwie aufgearbeitet habe. Aber eigentlich habe ich nur sorgsam Decken darüber gestapelt, um nicht das zu sehen, was problematisch ist. Habe vermutlich die Ganze Zeit nur reguliert, den Deckel drauf gehalten. Aber wenn Dinge so lange brodeln, kommen sie einfach irgendwann gewaltsam zum Vorschein.
Die
Beziehung als Minenfeld ist der Bereich, in dem diese Probleme nun
doch immer mehr zum Vorschein kommen. Hier gibt es immer wieder
Dinge, die mich triggerten. Doch warum? Ich verstand es einfach
nicht. Darum habe ich mir Hilfe gesucht. Um die verborgenen Dinge in
meiner Vergangenheit, all das, wo ich so lange den Deckel
draufgehalten habe, endlich hervorzuholen und zu verstehen.
Nur ein Pflaster allein reicht nicht zur Heilung
Es geht nicht immer, dass man auf eine Wunde einfach nur ein Pflaster draufklebt und dann ist alles gut. Manchmal muss man die Wunde öffnen und dann herumwühlen und das, was da nicht hineingehört, rausholen. Das kann schmerzhaft sein, aber ist wichtig. Das Aufreißen und Herumwühlen in der Wunde kann sehr schmerzhaft sein, es kann sein, dass dadurch alles erst einmal schlimmer wird. Aber dann, wenn die Wunde gesäubert ist und geschlossen wird. Dann kann erst echte Heilung funktionieren.
So in etwa hat mir die Therapeutin den Verlauf einer Therapie erklärt. Auch das Schmerzhafte muss einmal nochmal durchlebt werden, um es aufzuarbeiten.
Therapie
ist ein Prozess, braucht Zeit. Das habe ich gemerkt. Ich bin gut
darin, Dinge schnell zu tun, Dinge zu überstürzen. Meine
Therapeutin muss mich immer wieder zwingen, das Tempo zu drosseln,
geduldiger zu sein. Das, was sich die Jahre angestaut hat, kann nicht
von heute auf morgen ganz schnell verarbeitet werden. Es braucht Zeit
und Geduld.
Eine neue Perspektive auf meine Familie und meine Vergangenheit
Ich bereue es überhaupt nicht, die Therapie begonnen zu haben. Bereits nach einigen Monate habe ich so viel über mich und mein Leben, meine Vergangenheit gelernt. Ich hätte nicht gedacht, dass es wirklich so sehr die Augen öffnen kann. Wie krass es ist, wenn jemand anderes neutrales auf einen selbst schaut und welche neue Perspektiven sich dadurch eröffnen!
Mir war schon vorher klar, dass meine momentanen Probleme in der Beziehung etwas mit meiner Vergangenheit zu tun hatten. Mir war jedoch nicht bewusst, in welcher Form und welche Rolle dabei meine leiblichen Eltern spielten. Ich dachte immer, dass meine Probleme vor allem aus meiner Jugendzeit stammen. Aber eigentlich kommt das alles von noch viel früher her.
Lange Zeit schob ich eigentlich alles nur auf meinen Stiefvater. Er wurde zum Feindbild: Er war der Mensch, der mir Leid angetan hat, der mich immer niedergemacht hat, der dafür sorgte, dass ich so ein geringes Selbstwertgefühl hatte. Der für meine soziale Phobie verantwortlich war.
Mir ist bewusst geworden, dass ich dabei nur meinen Stiefvater im Blick hatte und dass ich überhaupt nicht meine Beziehung zu meiner Mutter reflektiert hatte.
Für
mich war immer klar: Meine Mutter ist die beste, mein Vorbild. In
meiner Erinnerung hatten wir meist ein gutes Verhältnis zueinander,
ein enges. Wir beide gegen den Rest der Welt, wir beide haben uns
gegenseitig unterstützt als es mit meinem Stiefvater schwierig
wurde.
Ambivalentes Verhältnis zur Mutter
Was mir jedoch mithilfe der Therapie bewusst wurde: Es war nicht alles so toll, wie ich immer dachte. Unser Verhältnis war nicht immer das beste, was ich verdrängt hatte. Wer war es auch, der mir das Gefühl gab, nicht gut zu sein, wie ich bin? Meine Mutter. Sie war es, die sich daran störte, dass ich so ruhig war. Sie wollte nicht, dass ich weine oder jegliche Gefühle zeigte. Sie war es, die Emotionen nicht wirklich heranließ. Auch sie ging nicht wirklich auf meine Gefühle und Bedürfnisse ein. Sie war es, die mich doch sehr oft allein ließ.
Das erklärt vielleicht auch heute mein etwas ambivalentes Verhältnis zu ihr. Dass ich ihre Nähe nicht ertrage, dass sie mir manchmal einfach zu viel ist. Dass ich jetzt froh bin, endlich Luft zum Atmen zu haben. Dass ich ihr öfter Dinge verschweige, weil ich weiß, dass sie das alles nur bewertet und negativ sieht. Sie ist schnell darin, Dinge in Schwarz und Weiß zu unterteilen.
Mir war nicht bewusst, wie vieles ich von dem, was sie früher forderte und wollte, übernommen habe. Vor allem unterbewusst. Meine teilweisen krassen Wutausbrüche, mein aggressives übergriffiges Verhalten gegenüber meinem Partner – all das habe ich irgendwann mal bei meiner Mutter gesehen. Es hat mich geprägt. Sie hat nie gelernt, ihre Gefühle wirklich anzunehmen und gut zu regulieren. Und das habe ich unbewusst von ihr übernommen.
In meinem Kopf war sie ein Mensch, der so viel Leid erfahren hatte. Ich wollte sie nicht noch mehr belasten, habe deswegen vermutlich immer alles für mich behalten, ihr nicht von meinen Problemen erzählt. Wenn ich etwas unbedingt wollte – wie einen Hund – habe ich mich mit ihr gestritten, aber gleichzeitig so schuldig gefühlt. Dabei sollte sich ein Kind seiner Wünsche wegen niemals schämen oder schuldig fühlen. Ich habe mich für mein selbstverletzendes Verhalten geschämt, immer wieder versteckt. Lange habe ich ihr gegenüber darüber geschwiegen und getan, als ob nichts wäre. Es fällt mir heute noch schwer, ihr von meinen Problemen zu reden. Weil ich glaube, dass sie es nicht wirklich versteht und mir nicht den Trost geben kann, den ich bräuchte.
Vielleicht
ist die Beziehung zu meiner Mutter auch so ambivalent, weil sie
einfach früher immer gefehlt hat. Sie war nicht da. Vor allem dann,
wenn ich sie am meisten gebraucht habe, wenn ich wieder mit meinem
Stiefvater Streit hatte. Sie war nicht da. Und jetzt will ich aber
ihre Nähe nicht mehr. Das ist mir zu viel. Ich bin ohne sie
klargekommen und merke es jetzt, wo ich erwachsen geworden bin, umso
mehr. Vielleicht passiert auch jetzt erst dieser Ablösungsprozess
von den Eltern.
Partner ist kein Elternersatz
Das, was mir meine Eltern nicht geben konnten, das suche ich nun in der Liebe bei meinem Partner. Ich sehe meinen Partner als Elternersatz. Das ist mir jetzt in der Therapie so richtig klargeworden. Ich verhalte mich in Streitsituationen wie ein kleines hilfloses Kind, was unbedingt etwas will – vor allem Zuwendung, Liebe und Bestätigung. Das, was mir in der Kindheit gefehlt hat. Doch mein Partner kann einfach kein Elternersatz sein. Das, was ich verlange, ist etwas total unmögliches.
Ich suche immer mehr Bestätigung und Liebe von meinem Partner, der damit eindeutig überfordert ist. Ob es daran liegt, dass wir einfach zu unterschiedlich sind – das ist eine andere Geschichte. Aber Fakt ist, dass das etwas ist, was mein Partner niemals geben kann.
Ich überfordere ihn damit. Und gleichzeitig erkenne ich auch, woher das kommt. Meine Eltern haben von mir Dinge als Kind gefordert, die mich ebenso überfordert haben. Nur, wenn ich so war, wie sie wollten, bekam ich Bestätigung und Liebe, was quasi unmöglich war. Und nun habe ich das Verhalten meiner Eltern verinnerlicht und übertrage es ein Stück weit auf meinen Partner.
Destruktiver Anteil meines Stiefvaters
Vor Kurzem ist mir bewusst geworden, dass ich nicht nur Anteile meiner Mutter in mir habe, sondern auch welche meines Stiefvaters, den ich teilweise so gehasst habe. Als ich das erkannte, war ich einfach nur geschockt. Wie konnte ich zu jemanden werden, den ich so verabscheut habe?
Er war es, der immer wieder in mein Zimmer kam, meine Grenzen überschritten hat, immer wieder Forderungen stellte, mich kritisierte, mich tot reden wollte. Der einfach nicht damit aufhörte. Egal, was ich tat, ich kam nicht dagegen an. Ich fing an, zu schweigen, weil ich es nicht mehr ertragen konnte, weiter zu diskutieren.
Und
jetzt Jahre später wieder eine ähnliche Konstellation, dieses Mal
aber bin ich es, die sich meinem Partner gegenüber so verhält wie
damals mein Stiefvater mir gegenüber. Über Kritik Nähe aufbauen,
das funktioniert einfach nicht.
Ich bin okay so, wie ich bin
Der Gedanke, nicht ich selbst sein zu dürfen, und das Gefühl, nicht geliebt zu werden – das ist etwas zentrales, was in der Therapie immer wieder hochkommt. Es waren nicht nur meine Eltern, die mir das alles vermittelt haben. Es war die Gesellschaft, an die ich immer wieder aneckte. Ich war damals zu ruhig und zu anders, was negativ bewertet wurde. Ich habe diese Denkweise verinnerlicht, was meine Therapeutin aufgedeckt hatte.
Vor Kurzem sagte sie zu mir, dass es weder besser noch schlechter sei, wenn man ruhiger ist als andere Menschen. Es ist okay, so zu sein. Es gibt Menschen, die ruhig sind und andere, die lauter sind. Beide haben ihre Berechtigung. Ihre Worte haben mich so dermaßen berührt. All die Jahre wollte ich nur von jemandem genau das hören: Dass ich okay bin, so wie ich bin. Nichts ist an mir falsch. All die Jahre habe ich mich danach gesehnt. Und natürlich gab es immer wieder Menschen, die mir genau das mitteilten. Aber leider hat sich das Gegenteil zu sehr bei mir eingebrannt. Dass meine Therapeutin mir das sagte, hat etwas in mir ausgelöst. Da ist eine Menge Ballast abgefallen. Ich glaube, dass es ein Stück etwas in mir geheilt hat.
Und
trotzdem: Vom Partner und seiner Liebe abhängig zu sein, geht auf
Dauer nicht gut. Ich müsse einen Weg finden, um den Selbstwert aus
mir herauszuziehen. Mir selbst die Liebe und Bestätigung zu geben,
die ich brauche. Und das am besten im Rahmen der Therapie.
Was steckt hinter der Wut?
Doch noch immer ist ein großes Mysterium: Was steckt hinter meiner Wut? Warum bin ich nur so wütend, wenn ich nicht die Art von Nähe von meinem Partner bekomme? Warum werde ich so wütend, wenn er sich nicht so verhält, wie ich es will und brauche?
Ich merke, dass ich vieles auf meinen Partner übertrage, all das, was ich mir selbst nicht geben kann. Ich kann meinen Partner nicht so akzeptieren wie er ist. Weil ich mich auch nicht selbst akzeptieren kann. Er sollte so sein, wie ich ihn gern hätte. Ich sollte mehr so sein, wie ich gern wäre. Ich will von ihm Bestätigung und Liebe, weil ich mich selbst nicht annehmen und lieben kann. Er soll meine Bedürfnisse erfüllen, weil ich es selbst nicht kann.
Auf die Frage, was ich fühlen würde, wenn mein Partner sich nicht so verhält, wie ich es gern hätte, kann ich nicht eindeutig antworten. Das einzige, was ich wirklich spüre, ist Wut. Aber die Wut ist eher wie eine Wölbung bei einem Teppich, groß genug, dass man sie nicht übersehen kann. Doch das, worum es geht, ist subtiler. Etwas unter der Wölbung, etwas, was nicht so greifbar ist. Da besteht noch ein großes Fragezeichen.
Ich dachte immer, dass es damit zu tun hat, dass ich mich nicht geliebt fühle. Vielleicht ist es Enttäuschung oder Traurigkeit, Verletztheit. Aber ich kann es momentan einfach noch nicht fassen und erklären.
Immer wieder fragt mich meine Therapeutin, was ich am Ende der Therapie wünschen würde: Anfangs ging es mir darum, meine Gefühle zu regulieren, weniger wütend zu sein, weniger zu streiten. Doch inzwischen weiß ich, dass das nicht das Ziel sein kann. Es geht um etwas tiefgreifendes. Es geht um Verständnis und Annahme. Es geht nicht darum, die Gefühle wieder nur zu deckeln und zu verdrängen. Es geht darum, sie zu ergründen, zu verstehen, warum ich so fühle und warum ich mich so verhalte. Und dann diese Gefühle anzunehmen, sich mit diesen auseinanderzusetzen, ohne Wertung.
In dieser Form der Therapie geht es nicht darum, konkrete Tipps zu bekommen. Es geht darum, dass sich der Nebel so langsam lichtet. Ich glaube, dass ich da auf einem guten Weg bin. Stück für Stück komme ich mir selbst immer näher, indem ich mich mit meiner eigenen Lebensgeschichte befasse, blinde Flecken entdecke und so lerne, mich selbst besser zu verstehen, woher ich komme und was mich ausmacht.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen