Eigentlich bin ich ein sehr disziplinierter Mensch, ständig auf Selbstoptimierung aus. Treibe mich ständig an meine Grenzen. Doch es gibt eine Sache, bei der ich mir bewusst sage: „Stop, das reicht auch mal“: meine Arbeit. Da mache ich tatsächlich eher „Dienst nach Vorschrift“ und lasse gern auch mal den Stift Punkt 17 Uhr fallen. Aber warum wird das immer nur so schlecht geredet? Wieso sieht niemand, dass das eigentlich eine total gesunde Einstellung ist?
Ich mag meinen Job. Es ist eine sinnvolle Arbeit, die mir echt viel Spaß machen kann. Ich liebe es als Jugendbildungsreferentin Projekte zu konzipieren und mit Kindern und Jugendlichen zusammen zu arbeiten. Ich genieße die Zeit, in der ich reine Beziehungsarbeit mache. Das fühlt sich dann meist auch gar nicht wirklich nach Arbeit an. Ich komme gut herum, übernachte mehrmals im Jahr in Jugendherbergen oder Hotels, besuche verschiedene Städte, lerne verschiedene Menschen kennen. Erlebe immer wieder andere Dinge. Das ist toll und ich glaube, dass mich auch einige darum beneiden.
Das Problem: Es ist leider nur ein ganz kleiner Teil meiner gesamten Arbeit. Den Großteil der Zeit sitze ich hinterm Rechner im Büro. Mein Job sieht meist eher so aus, dass ich stundenlang von Montag bis Freitag am PC sitze und am Organisieren bin. Die Projekte gestalten sich nicht von allein. Die Durchführung ist nur ein sehr kleiner Teil. Den viel größeren Anteil macht vor allem die Vorbereitung und die Nachbereitung. Beides Dinge die auch okay sind und auch mal Spaß machen. Aber die auch am meisten an meinen Nerven zerren. Ständig muss ich tausend Dinge beachten. Und dann habe ich wieder was vergessen. Muss Unterkünfte buchen, überhaupt an Teilnehmende herankommen, Social Media Werbung machen, Finanzen abklären. Mit dem wenigen Geld, was mir zur Verfügung steht, irgendwie klarkommen. Das alles kann so wahnsinnig nervig und ermüdend sein. Vor allem wenn man immer wieder merkt, dass man ständig irgendwo eingeschränkt wird. Projekte organisieren kann Spaß machen, aber auch enorm frustrieren.
Auch Arbeit, die ich mag, kann nerven
Ich mag den Job wesentlich mehr als die Arbeit bei der Volksstimme. Wo ich absolut immer täglich das Gleiche getan habe und irgendwann jeglichen Sinn darin verlor. Das kann auch eine Maschine machen, dachte ich mir. Oder irgendjemand, der keine Ahnung davon hat. Meinen Job könnte vermutlich auch jemand anderes machen. Aber da gehört schon mehr dazu.
Ich finde meinen Job toll und denke schon, dass ich dazu lerne, mich dadurch weiterentwickeln kann. Ich weiß aber auch: Das ist nicht der Job, den ich ewig machen will. Immer wieder kamen Zweifel auf, ob es wirklich der richtige Job ist. Wenn es weniger Orga und PC-Arbeit wäre, käme ich schon sehr nah an meinen Traumjob ran. Aber das wird sich niemals ändern. Ich schaue immer mal wieder nach neuen Jobs. Nicht, dass ich es gar nicht mehr aushalten würde, aber ich hätte Lust auf Abwechslung, auf ein neues berufliches Abenteuer. Und würde dann mehr in Richtung Beziehungsarbeit oder gar Beratung gehen wollen.
Es ist eben doch keine Berufung
Und weil der Job schon immer sehr stressig und frustrierend sein kann, habe ich irgendwann für mich beschlossen: Ich werde mich da nicht komplett verausgaben. Es ist keine Arbeit, in der ich komplett aufblühe. Kein Job, bei dem ich mit Herzblut dranhänge. Keine Arbeit, in der ich mich verwirklichen werde. Vielleicht ist es nicht DIE Arbeit. Vielleicht ist es auch so, dass ich einfach nicht der Mensch bin, der einfach alles, wirklich alles für seine Arbeit geben würde. Vielleicht liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.
Und darum mache ich auch nur so viel, wie von mir verlangt wird. Ich mache das, was ich tun muss, damit meine Arbeit gut läuft. Es gibt Unmengen an Projekten, die ich verwalte. Ich könnte vermutlich während der Arbeitszeit und darüber hinaus unglaublich viel Aufwand und Zeit da reinstecken. Könnte schon mal die Projekte für das nächste halbe Jahr durchplanen. Aber ich es tue es nicht. Stattdessen mache ich alles Step by Step. Irgendwie funktioniert es schon. Eins nach dem anderen. Ich will mich nicht unnötig mehr stressen als nötig. Wenn es darum geht, mehr zu tun, sage ich: Nein.
Stress, der unbewusst ist
Dass ich tatsächlich sehr von der Arbeit gestresst bin, habe ich eigentlich nie gemerkt. Aber seit einigen Wochen schlafe ich an einigen Tagen sehr schlecht. Wache mit Herzklopfen auf. Schwitze in der Nacht. Denke bereits beim Aufwachen an die tausend To-Dos für die Arbeit. Mein Unterbewusstsein beschäftigt sich also mehr als mir lieb ist mit meiner Arbeit. Ich knirsche in der Nacht meine Zähne. Auch vielleicht ein Zeichen von Stress. Ich fühle mich teilweise unruhig und bin besorgt, ob das alles klappt, wie ich es mir vorstelle. Ich muss also zugeben: Ich bin gestresster, als ich es mir eingestehen wollte.
Und darum steht bei mir nur noch „Quiet Quitting“ an. Das ist ja so ein Begriff, der seit einiger Zeit auf Social Media unterwegs ist und vor allem der Gen Z zugeschrieben wird. Junge Menschen stellen hohe Erwartungen an ihre Arbeit, wollen keinen Stress, arbeiten weniger, um das zu erreichen. Oder wechseln den Job, wenn sie unzufrieden sind. Machen keine Überstunden und zeigen keinen Arbeitseifer.
Das hat es früher nicht gegeben, werden ältere Menschen sagen. Da hat man alles gegeben, war noch motiviert, engagiert und hat natürlich Überstunden in Kauf genommen. Weil man das eben so macht. Überstunden machen, ist das normalste auf der Welt. Jeder tut es und es ist so selbstverständlich.
Quiet Quitting ist gar nicht so übel
Aber ich bin nicht mehr bereits, mehr zu tun, als von mir verlangt wird. Ich mache nicht nur das Mindeste, ich mache mehr. So viel, dass es eben ausreicht. Dass die Projekte gut laufen. Aber ich werde mich für diesen Job nicht verausgaben. Niemals.
Quiet Quitting bedeutet nicht „innere Kündigung“. Sondern dass man eben Nein zu Mehrarbeit sagt. Dass man seine Grenzen sieht. Dass man keine Überstunden macht, außer es ist wirklich zwingend notwendig. Dass man sich eben nicht mehr verausgabt. Dass man eben nicht bis zum Burn Out hinarbeitet.
Ich finde, es ist okay, wenn ich eben nicht für meine Arbeit brenne. Wenn Arbeit eben nicht Selbstverwirklichung bedeutet, sondern man seine Zeit gegen Geld eintauscht und auch nicht mehr in dem Job sieht. Klar, wünsche ich mir doch mehr. Aber ich denke, es ist auch okay, wenn man in der eigenen Arbeit nicht mehr als einen Broterwerb sieht. Wenn man sich eben nicht nur über das, was man leistet und über die Arbeit definiert. Weil wir eben nicht nur leben, um zu arbeiten. Sondern arbeiten, um zu leben.
Das Quiet Quitting wird als etwas negatives bewertet. Das ist ja nicht richtiges Arbeiten. Man muss doch mit mehr Elan heran. Nur wer viel leistet, ist auch etwas. Dahinter steckt doch die Einstellung dahinter, dass Arbeit mehr Raum im Leben einnehmen sollte. Dass man bereit sein sollte, dafür eben auch Überstunden zu machen. Dass es normal ist, dass man dafür andere wichtige Dinge wie Familie, seine Hobbys oder gar seine eigene Gesundheit, vernachlässigt. Es ist schon so normal geworden, dass man sagt: Auf Arbeit ist es stressig und ich habe irgendwie gar keine Zeit mehr für x und y. Andere Leute stimmen zu. Als ob es einfach normal sei, dass Arbeit immer viel sein und Stress bedeuten muss. Man bereit sein muss, dafür seine Lebenszeit zu opfern, sich selbst zu vernachlässigen oder eben sein Sozialleben. Als ob Arbeit = Leben bedeutet.
Total
in Ordnung, wenn jemand ein totaler Workaholic ist und alles dafür
gibt, aber dafür kein Sozialleben hat. Aber jemand der wirklich nur
so viel arbeitet wie nötig oder gar keiner Arbeit nachgeht, dafür
aber viele Beziehungen pflegt, sich selbst weiter entwickelt und
seinen Hobbys nachgeht. Der wird ganz sicher als minderwertiger
bewertet. Das ist ein Taugenichts. Dass der nicht arbeiten geht und
aber Zeit für all diese „unwichtigeren“ Dinge im Leben hat. Der
soll mal richtig arbeiten gehen. Der macht ja nichts, der leistet
nichts. Tut nichts für die Arbeit.
Hustle Culture ist schwierig
Das ist problematisch. Arbeit ist nicht nur Geld verdienen. Arbeiten bedeutet einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, sich nützlich zu machen. Nur wer arbeitet, ist etwas wert und hat etwas verdient. Diese schwierige Einstellung sehen wir ja, wenn über Arbeitslose gedacht wird. Die werden als Menschen zweiter Klasse gesehen. Die sind nichts wert, die belasten uns, leben auf unsere Kosten und unsere Steuergelder.
Wer sagt, dass er weniger arbeiten viel, von Vollzeit auf Teilzeit beispielsweise, wird schief angeschaut. Wenn er nicht ordentliche Gründe hat, wie beispielsweise sich um die Kinder zu kümmern oder Verwandte zu pflegen, erst recht. Das kann man verstehen. Aber wenn der Grund ist, dass man gestresst ist und sich mehr um sich und sein Sozialleben und seine Hobbys kümmern will, kommen schon die ersten Abwertungen: So ein Quatsch! Wer nicht Vollzeit arbeitet, der ist überhaupt nicht belastbar. Zeit für so etwas haben, aber nicht für Arbeit, das ist total bescheuert. Als ob Arbeiten alles wäre.
Quiet Quitting steht im Gegensatz zur sogenannten „Hustle Culture“: Man arbeitet bis über die eigene Belastungsgrenzen hinaus. Im schlimmsten Fall bis zum Burnout. Und das wird eher toleriert, als wenn man sagt: Ich achte auf meine Work-Life-Balance, damit ich ja nicht zu viel arbeite. Ein zu viel wäre immer besser als ein zu wenig und das finde ich höchst problematisch.
Seit wann ist es so, dass man immer an seine Grenzen gehen und immer 100 Prozent für die Arbeit tun sollte? Warum ist es okay, dass man ständig zu allem Ja sagt und noch mehr Arbeit auf sich lädt? Weswegen ist es gut, dass man Überstunden ohne Ende ansammelt und am Ende des Jahres nicht mal abbummelt oder sich auszahlen lässt?
Schlechte Vorbilder
Das macht einer meiner Kollegen, der wirklich das reinste Arbeitstier ist. Der nullt dann immer, weil es inzwischen so viele Überstunden sind, dass er ein halbes Jahr frei machen könnte. Es ist so viel Arbeit, dass man sich gar nicht traut, mal all seine Überstunden abzubauen.
Mein Chef ist noch viel schlimmer, der hat bestimmt eine 60+-Woche, macht noch so viel mehr für die Arbeit, was nicht bezahlt wird. Und ich weiß, dass es beiden nicht gut geht und sie eigentlich eher mal herunterfahren müsste.
Und seit wann ist es so, dass man sich mit solchen Menschen vergleicht und ein schlechtes Gewissen hat, wenn man pünktlich zum Feierabend geht? Natürlich mache ich das nicht, wenn noch etwas Wichtiges erledigt werden muss. Aber wenn ich soweit nicht weiter machen muss, tue ich das. Und dann ist es mir egal, wie dumm meine Kollegen dann schauen und was sie denken.
Wer krank ist, ist krank
Dass ich gewissermaßen auch von der Hustle Culture ein wenig angesteckt wurde, merkte ich, als ich vor Kurzem Corona hatte. Meine erste Sorge war nicht, dass ich vielleicht schlimm erkranke, sondern: Wie zur Hölle soll ich die Arbeit bis November alles schaffen? Mir fehlte eine Woche, in der ich ausfiel. Eine Woche, in der ich eigentlich hätte viel tun sollten. Wie schlimm kann es eigentlich um unsere Arbeitsmoral stehen, wenn man sich trotz Erkältung zur Arbeit schleppt und in Kauf nimmt, dass man andere ansteckt und es einem selbst schlechter geht? Warum ist das nur so normal geworden, die eigene Gesundheit der Arbeit wegen aufs Spiel zu setzen?
Oder wenn ich krank zu Hause bleibe und trotzdem arbeite und Mails beantworte. Weil ich mir dachte: Wenn es mir nicht so schlimm geht, kann ich wenigstens zu Hause arbeiten. Als ob ich nur bei Fieber oder wenn es mir richtig mies geht, nicht arbeiten dürfte.
Dabei hat jeder, egal wie schlecht es ihm geht und wenn er eben nur bisschen Schnupfen hat, ein gutes Recht, nicht zu arbeiten und sich stattdessen zu erholen.
Wenn es einem psychisch nicht gut geht und man trotzdem diese Präsenzpflicht verinnerlicht hat. Wegen so etwas dürfte man doch nicht krank machen.
Weniger Arbeiten ist so viel gesünder
Alle reden von Quiet Quitting, als ob es etwas negatives wäre, wenn man mal auf eine gute Work-Life-Balance achtet. Der Begriff ist zwar schwierig, weil ich nicht zwischen Arbeit und Leben unterscheide, weil Arbeit schon ein Teil des Lebens ist. Aber ihr wisst, was ich meine.
Ich wäre dafür, wenn man den Begriff durch das deutsche „Dienst nach Vorschrift“ ersetzen würde, Auch der Ausdruck hat etwas Negatives. Als wäre es etwas schlimmes, wenn man eben nur das tut, was auch im Vertrag steht. Wenn man nicht bereit ist, mehr für seine Arbeit zu tun. Das ist halt einfach mal total gesund, auf seine Grenzen zu achten und auch auf das eigene Wohlbefinden. Und es ist auch einfach gut, dass man anderen Dingen im Leben auch eine große Bedeutung zu schreibt.
Ich glaube kaum, dass viele Menschen an ihrem Lebensende sagen werden: Ich bereue es, dass ich nicht genug gearbeitet habe. Es ist das Gegenteil: Ich bereue es, dass ich nicht mehr Zeit mit meinen Liebsten verbracht habe. Oder: Ich bereue es, dass ich nicht mehr Zeit in meine Träume und anderen Ziele gesteckt habe und meinen Leidenschaften nachgegangen bin.
Also
lasst uns alle mal kritisch auf unsere Arbeitseinstellung schauen und
mal einen Gang herunterschalten. Und auch andere Dinge, die wichtig
sind, mehr im Blick haben.
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