Der Grund, warum ich überhaupt in die Therapie gegangen bin, war, dass ich ständig Streitereien mit meinem Partner hatte. Es ging eigentlich quasi nur um das Thema Sex und wie oft wir miteinander schlafen. Das war ein immer wiederkehrendes Problem, über das wir weiß Gott schon stundenlang miteinander gestritten hatten. Es lief immer gleich ab:
Ich war darauf eingestellt, dass wir Sex haben. Ich wollte Sex. Aber er wollte nicht. Entweder war er einfach müde und kaputt. Er war nicht in Stimmung und hatte einfach meine Lust. Total legitim. Und da will man meinen, dass das halt auch normal ist. Und dass der Partner das auch versteht, einfühlsam darauf reagiert und sagt: „Das ist okay. Dann eben heute nicht.“
Aber
nein: Ich habe jahrelang immer ein Fass aufgemacht. Habe mich total
abgelehnt gefühlt. Ich fühlte mich verletzt, in meinen Bedürfnissen
nicht gesehen. Fühlte mich ungeliebt und nicht begehrt. Ich bezog
seine Unlust direkt auf mich, nahm es immer persönlich. Es muss doch
an mir liegen. Bin ich nicht anziehend genug? Hat er überhaupt noch
Bock auf mich? Reiche ich ihm nicht? Was läuft da schief.
Was ist so schlimm daran, wenig Sex zu haben?
Ich weiß, aus der neutralen Perspektive werden viele von euch denken: Das muss überhaupt nicht an dir liegen. Wenn man vor allem länger zusammen ist, nimmt die Libido ab. Total normaler Prozess. Und es muss nicht bedeuten, dass ich nicht mehr attraktiv genug für ihn bin. Das hat er mir auch immer beteuert. Aber so richtig glauben konnte ich es nicht.
Und regte mich auf, wurde wütend, griff ihn an, redete ihm ein schlechtes Gewissen ein. Ich forderte ein, dass er mit mir schläft. Dass Zwang nie eine gute Idee ist und ein absoluter Lustkiller, ist allen klar. Mir ja auch. Und trotzdem verhielt ich mich weiterhin total unreif. Es fiel mir schwer, mich anders zu verhalten.
Das war aber eigentlich gar nicht das Problem. Es ging nicht primär um Sex. Es ging um etwas, was damit verbunden war. Das herauszufinden, war ein langer Weg, den ich nur dank der Therapie sehen und gehen konnte.
Es geht ja auch meist auch nicht um die Sache an sich, sondern, was dahinter steckt. In meinem Fall war es so, dass ich nicht unbedingt die krasse Libido hatte, wie ich mir das immer einredete. Ich habe mich auch nie in den Situationen gefragt, ob ich da wirklich Lust darauf habe.
Es
ging mir eigentlich eher um das Gefühl währenddessen und danach.
Ich wollte mich meinem Partner verbunden fühlen. Ich wollte mich
geliebt und geborgen fühlen, mit ihm verschmelzen. Und genau diesen
Zustand erreichte ich quasi lange Zeit nur durch Sex.
Sex der Bestätigung wegen
Es war die Bestätigung und Liebe, die ich damit suchte. Anscheinend muss es da auch einen Mangel gegeben haben. Warum sonst war ich so erpicht darauf, Sex unbedingt zu bekommen? Ich dachte ich wäre sexsüchtig, könnte halt nicht anders. Hab halt einen größeren Sexdrive im Gegensatz zu meinem Freund.
Aber dann wurde mir vor Kurzem einmal bewusst: Es ging nicht nur um das Bedürfnis nach Bestätigung. Es war noch eine andere Sache im Spiel.
Eine einzige Frage meiner Therapeutin brachte das schön zusammengebaute Kartenhaus zum Einstürzen: Was fühle ich denn, bevor ich den Sex initiieren will?
Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, was ich fühle. Es ist grundsätzlich ein Problem, dass ich nur schwer in Worte fassen kann, was ich fühle. Ich sage etwas, aber es ist der Kopf, der spricht und nicht das Herz, wie es sein sollte. Und ich hielt mich für besonders emotional. Ja, das stimmt zum Teil. Aber mir fehlt der Zugang zu meinen Gefühlen, das Verständnis. Und die richtigen Worte.
Ich
dachte, dass es das Gefühl war, sich nach Liebe und Bestätigung zu
sehnen.
Eigentlich war es nur mein Über-Ich
Aber jetzt wurde mir klar: Nein, das ist es nicht. Es ist der Kopf, der da ganz stark kontrollieren will. Ich habe all die Jahre verinnerlicht, dass wir unbedingt viel Sex haben müssen, regelmäßig Sex haben müssen, damit die Beziehung gut läuft. Wenn das nicht passiert, dann muss etwas an der Beziehung schief laufen. Doch wer sagt das?
Und da habe ich gemerkt, dass ich doch ein Mensch bin, der ziemlich zwanghaft ist. Der seinen Zwängen unterlegen ist. Ich habe es nie hinterfragt. Warum muss es denn alle zwei Tage sein? Das ist wie mit Sport: Ich mache täglich Sport, egal, ob ich Bock habe oder nicht. Das nennt man Disziplin. Aber dass das beim Sex nicht so funktionieren kann und sollte – das habe ich nie in Frage gestellt.
Für
mich wurde Sex quasi zur Routine, so gehört es zum Leben dazu. Egal,
ob ich wirklich Lust habe oder nicht. Egal, ob mein Partner gerade
Bock hat oder nicht. Es muss passieren. Sonst passiert etwas
schlimmes.
Was könnte schlimmes passieren?
Aber wenn ich so weiter nachdenke: Was soll denn schlimmes passieren? Meine Befürchtung war, dass wir nach und nach immer weniger Sex haben. Grauenhaft! Aber was wäre denn schlimm daran? Vor allem wenn beide damit fein wären?
Ich habe die Befürchtung, dass es sonst so endet wie mit meiner ersten Beziehung. Der Alltag schleicht sich ein, die Libido wird immer weniger. Bis man irgendwann gar keinen Sex mehr miteinander hat. Das wollte ich verhindern.
Aber die Ausgangsbedingungen sind komplett anders. Ich finde meinen Partner total heiß und sexuell sehr anziehend. Und ich genieße den Sex mit ihm, er ist so erfüllend! Dass ich irgendwann komplett die Lust verliere, ist quasi unmöglich.
Und wenn es weniger wird, was ist daran so schlimm? Dann ist das so. Jedem Paar in einer Langzeitbeziehung geht es so. Sind alle deswegen unglücklich? Nicht unbedingt. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht und ob man das gut findet.
Sexlose Beziehung – no way!
Dass wir quasi gar keinen Sex mehr haben, ist so gut wie ausgeschlossen. Wir werden den Sex immer noch genießen, aber eben nicht mehr so oft. Und das ist gut so. Das zu schreiben, fiel mir vor vielen Wochen noch sehr schwer.
Ich war dem Zwang so erlegen, dass ich damit quasi uns beiden die Lust daran kaputt gemacht habe. Mein Freund fühlte sich gezwungen, Lust zu haben. Sonst gab es eben Stress. Und das führte zu einer Abwärtsspirale. Bei dem Gedanken, Streit zu haben, bekam er noch weniger Lust. Ein Teufelskreis.
Er schlief mit mir, obwohl er nicht wirklich Lust hatte. Aber er wollte eben keinen Stress. Das brannte sich in sein Gehirn ein, sodass er quasi selten abschalten konnte.
Das alles führte dazu, dass mein Partner sogar unattraktiver für mich werden wollte und beim Sex nur die Standardnummer schob, in der Hoffnung, dass ich weniger Sex wollte.
Aber so richtig funktioniert hat es nicht. Es waren ja nicht meine Gefühle, die das steuerten, sondern lediglich mein Kopf.
Nur aus Zwang und Routine
Dass dieser Zwang auch auf mich Einfluss hatte, bemerkte ich erst vor Kurzem. Denn um genau zu sein, hatte ich eigentlich auch einige Male Sex, ohne, dass ich so richtig Bock hatte. Neulich hatte ich währenddessen die Erleuchtung und dachte mir: So richtig Lust habe ich gerade nicht. So toll fühlt es sich nicht an. Was mache ich hier eigentlich? Mir das einzugestehen, war echt schwer.
Fast so als wäre das mein Über-Ich, welches alles kontrollieren will. Aber meine Bedürfnisse, das Es, spielten eigentlich keine Rolle.
Eigentlich habe ich gar nicht so oft Lust
Das Über-Ich schaffte es sogar, dass ich glaubte, dass ich das wirklich will und brauchte.
Aber nachdem wir eine Zwangspause machen mussten, weil wir beide unserem Intimbereich eine Erholung gönnen wollten, wurde mir das bewusst. Ich habe eigentlich überhaupt gar keine so große Lust auf Sex.
Ich habe mich täglich beobachtet und ob ich so etwas wie eine Libido verspüre. Aber von ihr fehlte jegliche Spur. Da war selten mal der Gedanke, dass ich so richtig Bock auf Sex habe.
Dazu muss man sagen, dass ich vermutlich auch eher eine „responsive Lust“ habe. Das bedeutet, dass ich erst in Stimmung gebracht werden muss, bzw. wir etwas machen, was mich anturnt, damit ich Lust bekomme. Oder ich schaue mir einen Porno an oder lese erotische Texte, dann kriege ich auch Lust.
Nur Sex haben, wenn beide Lust haben
Aber eine spontane Libido kenne ich quasi fast nicht.
Es ist für mich eigentlich immer eine Entscheidung: Ich hätte gern Sex und gebe mir Mühe, um erregt zu werden. Oder er macht den ersten Schritt und verführt mich. Dann klappt es mit der Lust.
Vergangene Woche haben wir dann noch einmal ein ernstes Gespräch gehabt und es war anders als die Male davor. Wir versuchten ohne Vorwürfe aufeinander einzugehen, haben uns angehört, wie es dem anderen damit geht. Und da gestand ich, dass ich oftmals auch nicht so wirklich Lust hatte. Das ist dann doch total bescheuert, Sex zu haben, obwohl beide keine Lust haben! Dann kann man es auch lassen. Dieses zwanghafte, wir müssen alle zwei Tage Sex haben, hat unsere beider Libido zerstört und auch die Sexualität blockiert.
Es ist etwas ganz anderes, wenn beide echt Lust haben und miteinander schlafen, als wenn es wieder mal das Standardprogramm ist, nur um eine Pflicht zu erfüllen.
Nie wieder aus Zwang
Dabei wollte ich davon weg. In meiner ersten Beziehung hatte ich oft auch keine Lust, mich aber dann doch ab und zu dazu erbarmt, weil ich dachte, es muss mal wieder sein. Den Sex habe ich dann überhaupt nicht genossen. Im Gegenteil: Danach fühlte ich mich meist schmutzig und schlecht. Die Unlust wurde dadurch nur mehr. Der Kopf siegte wieder einmal über die Gefühle.
Und jetzt waren wir an dem Punkt in der Beziehung, wo sich das Muster beinahe wiederholte.
Wir
wussten beide: So kann es nicht weitergehen. Dabei lieben wir unseren
Sex so sehr. Wir wollen wieder den Sex von früher zurück haben, der
zwanglos ist und den wir beide sehr genossen.
Ein Neustart
Also entschieden wir uns für einen Neustart: Ab sofort scheißen wir auf alle zwei Tage Sex. Wir machen erst einen Move, wenn wir beide Lust haben. Und wenn dazwischen eine Woche vergeht, dann ist das eben so. Die erste Woche ist quasi herum und ich muss sagen: Es läuft gut, sehr gut!
Ab und zu kommt zwar wieder dieser automatische Gedanke: Oh, es sind zwei Tage herum, eigentlich hätten wir heute Sex. Aber den Gedanken wische ich dann doch gleich weg.
Ich frage mich täglich: Habe ich gerade Lust? Will ich heute Sex haben? Meist ist die Antwort eher „Nein.“
Es fühlt sich wirklich befreiend an. Ich hatte nicht wahrgenommen, dass ich mir selbst eine Zwangsjacke übergezogen habe. Aber zu wissen, dass es okay ist, wenn wir nicht alle zwei Tage miteinander schlafen und trotzdem alles gut ist – das ist echt so entlastend!
Ich
habe so lange versäumt, mich wirklich zu fragen, wie ich mich fühle.
Erst durch die Therapie bin ich darauf gekommen und mache das jetzt
öfter, nicht nur was Sex betrifft.
Warum es wichtig ist, auf sein Gefühl zu hören
Ich frage mich: Habe ich echt Lust? Fühle ich mich danach? Oder denke ich, das muss ich tun?
Es erschreckt mich schon, dass da einige Tage vergehen und ich immer noch keine Lust auf Sex verspüre. Das kenne ich von mir nicht. Ich hatte eben ein ganz anderes Bild von mir: Jemand, der eben viel Sex braucht. Aber die Wahrheit ist eben: Ich brauche doch nicht so viel Sex. Ich brauche viel weniger als gedacht. Und daran ist nichts falsch.
Das ist eigentlich etwas, was ich hätte früher bemerken können. Wenn ich mich selbst gefragt hätte.
Seitdem
ich das mache, fällt es mir unglaublich leichter, zu akzeptieren,
dass wir eben nicht so viel Sex haben. Der Fokus lag so gar nicht auf
mir und meinen Bedürfnissen. Ich habe mir eingeredet, dass ich ein
Bedürfnis habe. Das war das Über-Ich. Aber es gab nie dieses
Bedürfnis.
Wenn ich keine Lust habe, wozu dann Sex haben? Dann werde ich das sowieso nicht genießen. Und wenn mein Partner keine Lust habe und ich auch nicht – Dann ist doch alles gut. Dann brauchen wir keinen Sex zu haben.
Meine Sexualität neu denken
Ich weiß das schon lange, aber bis diese Erkenntnis wirklich verinnerlicht wurde, habt es sehr lange gedauert. Jetzt fühle ich es wirklich.
Manchmal mache ich mir Sorgen, ob ich überhaupt noch so etwas wie eine Libido habe. Bin ich asexuell? Ich denke nicht. Ich genieße den Sex und ich bin auch immer mal wieder erregt und will dann Sex haben. Mit mir ist alles okay. Und wenn ich eine Woche eben keine Lust habe – auch total okay. Ich fange an, mein sexuelles Selbstbild zu aktualisieren.
Ich kriege eben selten spontan Lust auf Sex. Ich muss erstmal wieder körperliche Nähe haben, um diese Erregung zu entwickeln. Es ist nicht mehr so wie in unserer Anfangszeit. Da ging das recht schnell. Doch jetzt brauche ich länger, um in Stimmung zu kommen. So ist es nun einmal. Und trotzdem ist alles gut.
Ich bin gespannt, wie es jetzt künftig weitergehen wird. Ob ich wieder rückfällig werde? Möglich. Aber das gehört eben dazu, es ist ein Prozess. Ich bin zuversichtlich, dass wir dieses Streitthema allmählich begraben können.
Ich
lerne gerade, das zu akzeptieren, wie es ist. Nichts mehr zu
forcieren. Schwer, wenn man gern zwanghaft alles unter Kontrolle
haben will. Aber ich lerne dazu und verändere mich, Stück für
Stück.
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