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Ich bin anders – und das im doppelten Sinn

Ich bin anders als alle anderen – denken wir nicht alle, dass das stimmt? Und sind wir im Endeffekt nicht alle einzigartig, besonders und eben anders? Ich habe schon seit meiner Kindheit das Gefühl, irgendwie nicht richtig in die Gesellschaft reinzupassen. Doch woher kommt das?

 

Eigentlich habe ich es schon in der Grundschule gemerkt. Irgendetwas ist anders an mir. Ganz offensichtlich fiel ich durch meine sehr ruhige Art auf. Ich war schon immer ein Kind, was nicht auffallen wollte, was lieber für sich spielte, sich schwer anderen öffnen konnte. In meiner Kindheit war das besonders krass. Meine damals beste Freundin fand das faszinierend, wollte mir deswegen näher kommen, diese „harte Nuss“ endlich knacken. Was sie am Ende auch geschafft hatte. Ich war schon immer ein stilles Kind und fiel dadurch auf. Leider eher negativ.

In der Grundschule standen die ersten zwei Jahre keine Noten im Zeugnis, sondern Worturteile. Und in den Bemerkungen las man bei meinen Zeugnissen: Sie ist sehr ruhig, dabei kann sie viel mehr. Sie müsste mehr aus sich rauskommen.

Diese Urteile setzten sich auf dem Gymnasium fort. Da bekam ich sogar auch mündlich immer wieder das Feedback, dass ich doch zu ruhig sei und mich mehr melden und einbringen sollte. Ich könne ja so viel mehr. Natürlich habe ich es in den schriftlichen Tests gezeigt. Aber für all meine Lehrer*innen war es ein Rätsel, warum ich das nicht auch mündlich machte. Warum ich mich nicht melde, obwohl ich die Antworten doch alle wusste.

Ruhig sein ist schlecht

Sie alle hatten keine Ahnung, was in mir vorging. Dass ich unter sozialen Ängsten litt. Dass es mir total schwerfiel, mich zu melden. Ich hatte Angst, im Mittelpunkt zu stehen. Ich wollte nicht irgendwie auffallen. Und noch weniger wollte ich vermeiden, etwas falsches zu sagen. Da war einfach so viel Scham da, was mich daran hinderte, mich zu melden, obwohl ich doch so viel wusste.

Doch von außen betrachtet, wirkte es komisch und doch so leicht, sich einfach zu melden. Das sagen Leute, die nicht wissen, wie es ist, eine soziale Phobie zu haben. Davon mal abgesehen, dass diese bei mir nie diagnostiziert wurde, weil ich nicht imstande war, zur Therapie zu gehen. Ich wusste es lange Zeit nicht, was das überhaupt ist. Heute weiß ich, dass es sehr vermutlich eine Phobie war. Aber ganz sicher bin ich mir natürlich nicht.

Ich war von innen heraus also schon fremd, anders als alle anderen. Keiner war so still und zurückgezogen wie ich. Ich fühlte mich dadurch noch mehr wie eine Außenseiterin. Die Gesellschaft machte mich zu einer, in dem sie über mich urteilte und diese Persönlichkeitseigenschaft negativ bewertete. Dabei ist am Ruhig sein nichts schlimmes. Es ist okay so – diese Erkenntnis kam mir erst sehr viele Jahrzehnte später. Hätte mir nur damals jemand genau das gesagt: Es ist okay, dass du ruhig bist. Daran ist nichts falsch.


Bin ich weniger wert, nur weil ich ruhiger bin?

Ich nahm es persönlich, fühlte mich weniger wert als alle anderen. Obwohl genau das überhaupt nichts über meinen eigenen Wert aussagt. Bis heute hat sich das bei mir so eingebrannt, dass ich es aus meinem Unterbewusstsein einfach nicht mehr rauskriege. Ich habe immer geglaubt, dass Menschen wie ich, seltsam seien, dass sie weniger beliebt sind, weniger in der Gesellschaft akzeptiert und gewollt. Dass sie weniger wert seien als Menschen, die einfach so ohne Probleme aus sich herauskommen.

Ich war und ich bin anders als alle anderen, weil ich ruhiger bin. Doch das ist nur ein Aspekt. Ich bin quasi eigentlich doppelt bestraft. Ich bin zwar hier in Deutschland geboren wurden, doch meine Wurzeln liegen in Vietnam. Meine Familie kommt aus Asien. Und ich sehe eben auch einfach nicht „typisch deutsch“ aus, sondern eben wie jemand, der aus Asien stammt.

Wenn die Herkunft dich besonders macht

Es ist meine Herkunft, die ich täglich mit mir und auch nach außen trage. Es ist das, was alle Leute sofort sehen und mich dann womöglich in eine Schublade stecken. Ich falle auf, weil ich nicht wie andere deutsche Menschen aussehe. Ich habe etwas exotisches an mir. Allein mein Aussehen lässt mich auffallen, was ich absolut hasse.

Ich will nicht auffallen, am liebsten würde ich in den Menschenmassen verschwinden wollen. Früher wollte ich auf dem Schulhof einfach nur ein Geist sein, der von anderen vergessen wird. Doch mein Aussehen hat das quasi stetig verhindert.

Ich würde mich nicht aufgrund meines Aussehens fremd fühlen, wenn nicht die Menschen um mich herum seltsam reagieren würden. Es sind die Blicke, die sie mir zuwerfen. Die mir signalisieren: Du bist anders, du fällst auf. Es sind die dummen Kommentare von meist Jugendlichen, die glauben, dass es witzig sei, mich auf Chinesisch anzusprechen. Als ob es so cool wäre, sich über das fremde Aussehen eines anderen Menschen lustig zu machen. Es sind die ständigen Fragen nach meiner Herkunft. Ich kann dieses „woher kommst du?“ nicht mehr hören und will manchmal einfach nicht mehr darauf antworten. Aber die Leute erwarten es.

Stellt euch mal vor, ich würde das ignorieren und nicht darauf was sagen. Wie unhöflich wäre das denn! Die Leute interessieren sich für die Herkunft europäisch aussehender Menschen kein Stück. Aber nur weil ich eben asiatisch aussehe, obwohl ich nicht mal Asiatin an sich bin, erlauben es sich Leute, mich mit der immer gleichen Frage zu nerven.

Ich bin tatsächlich auch schon so weit zu sagen, dass ich aus Deutschland komme, um einfach diese Unterhaltung nicht mehr weiter zu verfolgen. Ich weiß, das ist meist nicht böse gemeint. Leute sind neugierig. Und viele sagen, das sei überhaupt keine Diskriminierung. Aber warum ermaßen sich Menschen mir abzusprechen, was ich als diskriminierend erachte und was nicht. Das sollte schon meine Entscheidung bleiben.


Die Frage nach meiner Herkunft, ist für mich diskriminierend

Und ja, man mag drüber streiten, meine Meinung ist, dass es eine Art von Diskriminierung ist. Wenn man einen Unterschied macht zwischen Menschen. Wenn man dem anderen das Gefühl vermittelt, anders zu sein. Und das suggerieren die Leute mit genau dieser Frage: Du siehst anders aus und kommst bestimmt von wo anders. Du gehörst nicht zu uns. Sonst würden sie solch eine Frage gar nicht erst stellen. Es ist so verdammt oberflächlich und ja, es ist auch offensichtlich, dass ich andere Wurzeln habe. Und vielleicht können die Leute halt auch nicht anders und meinen es nicht diskriminierend.

Aber versetzt euch mal in meine Lage: Schon seit meiner Geburt bin ich damit aufgewachsen, dass Leute mich als besonders und anders betrachten, nicht als Teil ihrer Community, sondern eben als Sonderling. Ich habe alles mögliche getan, um mich zu integrieren. Ich kann super gut Hochdeutsch sprechen, sogar Dialekte, ich habe die deutsche Kultur verinnerlicht und auch die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen. Ich fühle mich einfach als Deutsche.

Warum also fühle ich mich trotzdem manchmal in dieser Gesellschaft nur so fremd?

Ich denke, dass es die anderen sind, die mir dieses Gefühl von Fremdsein vermitteln. Ich sehe fremd aus und ich verhalte mich besonders, weil ich so ruhig bin.

Für beides kann ich absolut nichts.


Ich kann nichts dafür

Wenn die Gesellschaft mich so annehmen würde, wenn sie kein großes Fass aus beidem machen würde. Wenn es normal wäre, dass man eben anders aussieht und man es nicht an die große Glocke hängen würde.

Wenn man nicht ständig für seine Persönlichkeit hinterfragt wird, wenn diese nicht ständig irgendwie thematisiert werden würde, wenn man nicht wie ein Außenseiter deswegen behandelt werden würde --- dann würde ich mich ganz sicher nicht mehr so anders und fremd fühlen wie jetzt.

Mir ist erst während meiner Therapie klar geworden, was meine Herkunft eigentlich mit mir und meinem Selbstbild gemacht hat. Ich habe mir immer wie ein Sonderling gefühlt und dachte zuerst an meine Persönlichkeit. Aber jetzt weiß ich, dass auch meine Herkunft eine große Rolle spielt. Ich habe diese nur immer heruntergespielt.

Immer anders als die anderen

Ich habe beides nie wirklich akzeptieren können. Ich habe versucht, meine Besonderheiten irgendwie anzuerkennen, habe versucht, mir einzureden, dass besonders sein und auch etwas gutes sein kann. Ich habe mich über die anderen gestellt und auf sie herablassend geschaut. Ich bin etwas besonderes, besser als ihr.

Aber es hat nichts an dem Gefühl geändert, anders zu sein. Auch wenn ich mich künstlich erhöht habe, fühlte ich mich doch immer noch einsam. Auch wenn ich das Anderssein als etwas Positives sehen wollte – es blieb trotzdem dieses Gefühl, nicht wirklich dazu zu gehören. Ich werde nie wirklich so sein wie die anderen. Ich werde immer das Gefühl haben, besonders zu sein. Und das ist schon eine ziemliche Bürde.

Jahrelang habe ich also mit mir gehadert, habe mich aufgrund meiner Besonderheiten schlecht gefühlt. Oder auch wieder besser gefühlt. Aber ich konnte es nie wirklich annehmen. Und mir selbst sagen: Es ist okay so, wie es ist. Ich kann nichts dafür. Ich nehme es an und es ist weder positiv noch negativ.


Ewiger Wunsch nach Anerkennung und Wertschätzung

Die meiste Zeit über habe ich damit nur negative Erfahrungen gemacht, anders zu sein. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als so zu sein wie alle anderen. Das Gefühl zu bekommen, endlich Teil der Gemeinschaft zu sein. Ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft. Nicht jemand quasi zweiter Klasse. Ich wollte auch anerkannt werden.

Dabei hatte ich es als Kind und Jugendliche nie leicht. Ich litt so sehr unter diesen Besonderheiten, dass ich daran dachte, mich selbst umzubringen.

Ich habe mir so sehr von anderen gewünscht, dass sie mich endlich so annehmen wie ich bin und mich eben nicht anders behandeln oder mir das Gefühl geben, dass ich ein Mensch von geringer Wertigkeit sei, nur weil ich eben doch anders bin als die anderen.



Vielleicht erzähle ich mir selbst immer nur die gleiche Geschichte

Aber vielleicht ist es ja auch so, dass ich irgendwann angefangen habe, das zu verinnerlichen. Vielleicht ist etwas, was ich mir selbst immer wieder sage und glaube: Dass ich anders bin als alle anderen. Aber vielleicht stimmt das gar nicht und ich sollte mich von diesem Glaubenssatz lösen.

Oder vielleicht mehr differenzieren: Ja, ich bin anders als die anderen, aber ich habe auch vieles mit anderen gemeinsam. Wir sind alle sehr verschieden, aber es gibt vieles, was uns eint. So geht es jedem von uns. Aber das bedeutet nicht, dass ich weniger wert bin. Wir sind doch alle gleich viel wert und besonders auf unsere Art und Weise.

Mich so anzunehmen, wie ich bin

Es hat wirklich sehr lange gebraucht, zu dieser Erkenntnis zu kommen. Noch ist sie sehr im Kopf, aber noch nicht bei mir im Herzen. Ich sehe die Therapie als den Weg, dies endlich zu schaffen.

Mein Ziel ist es, mich endlich mit all meinen Eigenheiten so anzunehmen, wie ich bin. Zu fühlen, dass ich trotzdem oder gerade deswegen so wertvoll und einzigartig bin. Dass ich liebenswert bin, so wie ich bin. Dass ich endlich aufhöre, mir immer die gleiche Geschichte zu erzählen. Ich möchte eine neue Geschichte schreiben. Eine Geschichte, in der ich mich selbst anerkenne. In der ich mich nicht mehr wie ein Sonderling fühle, sondern als jemand, der Teil der Gesellschaft ist und diese mit all meinen Besonderheiten bereichere. Das ist mein Traum.

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