Es ist schon eine seltsame Erfahrung. Ich stehe mit mindestens 12 anderen Frauen und einem Mann im Gewächshaus. Alle tragen lockere Sportkleidung, viele Yoga-Leggins. Es sind viele Student*innen, aber auch viele Frauen ab 30 bis 50 mit dabei. Wir alle sind gekommen, um heute eine Sache zu erleben: sich die Seele aus dem Leib zu tanzen.
In der Mitte die Organisatorin, eine Tanzpädagogin, die ich bereits öfter mal beim Yoga Festival erleben durfte. Dort hat sie bereits viele Tanzworkshops gegeben, die aber doch in eine andere Richtung gingen. Heute geht es aber nicht um Choreografien, die wir auswendig lernen, sondern einzig darum, seinen Körper zu spüren und den spontanen Impulsen, die kommen, zu folgen.
Bewusst tanzen
„Tanzt so, als würde euch niemand zuschauen. Bleibt ganz bei euch, Spürt in euch hinein. Schaut nicht nach links oder rechts und das, was andere machen.“
Darum geht es im Kern. Einfach zu tanzen und seine Umgebung quasi auszublenden. Nicht komplett. Eine gewisse Awareness sollte schon dabei sein. Wir sollten trotzdem auch achtsam mit der Umgebung und unseren Mitmenschen sein. Niemandem zu nahe kommen, wenn er es nicht will. Darauf achten, dass wir uns nicht in die Quere kommen, dem anderen genug Freiraum geben.
Es gibt einige Regeln zu beachten: Keine Drogen, kein Alkohol, keine Gespräche. Nur die Musik im Hintergrund soll zu hören sein. Und Geräusche und Gesang der Teilnehmer*innen, wenn sie es wollen.
Interaktionen ohne Sprache mit anderen ist durchaus möglich. Aber kein Muss. Nur, wenn auch beide wollen. Konsens ist alles. Wir machen nichts, was der andere nicht möchte.
Und
wenn wir nur bei uns bleiben und nur mit uns selbst tanzen, ist auch
alles fein.
Alles kann, nichts muss
Alles kann, nichts muss – auch so eine Devise. Niemand wird gezwungen, zu tanzen oder sich in irgendeiner Weise zu bewegen. Wem nicht nach tanzen zu Mute ist, der kann auch einfach nur stehen oder sich hinsetzen und entspannen. Oder auch gerne hinlegen und einfach nur sein.
Es geht nicht darum, eine Performance abzuliefern, etwas zu leisten. Es geht nicht darum, besonders schön zu tanzen. Besser zu tanzen als die anderen.
Es geht nicht darum, das aufzunehmen, was andere machen, weil man denkt, dass das doch besser sei. Es geht nicht um Choreografien oder um besonders schöne, ästhetische Bewegungen.
Es gibt keinen Anspruch. Der einzige Anspruch ist es vielleicht, sich einfach zu bewegen wie man möchte. Vielleicht ist auch der Begriff „Conscious Dance“ etwas irreführend. Klar, man kann tanzen und die meisten tun es auch. Aber man muss es nicht. Man muss weder tanzen noch sich bewegen.
Ein soziales Experiment
Es fühlt sich wie ein Sozialexperiment an. Viele Menschen im Raum, jeder für sich – was wird passieren? Ich glaube, dass es jedes Mal mit anderen Menschen und Konstellationen etwas anders ablaufen wird.
Um locker zu werden, machen wir eine Körperreise. Wir erfühlen und bewegen jedes unserer Körperteile. Erst einzeln und dann alle zusammen. Schon das ist nicht so leicht, bin ich es überhaupt nicht gewohnt, so fokussiert auf den Körper zu sein. Aber es bringt einiges, ich fühle mich danach tatsächlich lockerer.
Und dann geht es richtig los. Es folgt Musik, die vom Genre immer mal wieder wechselt. Von ruhig über psychodelisch, dann wieder basslastig und dann auch sehr poppige und teilweise jazzige Musik. Manche Musik erinnert mich an Volkstänze in Afrika. Da ist echt alles mit dabei. Jede Musik fühlt sich anders an, macht etwas anderes mit meinem Körper. Krass, wie unterschiedlich das sein kann.
Es ist überhaupt nicht mit dem Tanzen im Club oder auch auf Festivals oder bei Tanzkursen vergleichbar. Da gibt es immer eine Struktur. Immer gewisse Regeln, nach denen getanzt wird. Auch wenn jeder doch etwas anders tanzt – die Tanzstile ähneln sich doch. Und selbst wenn es keine Regeln gibt, passen sich am Ende doch alle irgendwie aneinander an.
Verbindung
zu mir selbst
Nicht so bei Conscious Dance. „Conscious“ bedeutet „bewusst“. Es geht um das bewusste Tanzen. Sich bewusst machen, was man fühlt, was tief aus dem eigenen Inneren kommt. Wir haben oftmals verlernt, wirklich in uns hineinzufühlen und zu spüren, was da ist. Was sind meine Bedürfnisse, wonach ist mir gerade? Zu oft sind wir im Kopf, zu oft folgen wir Regeln und Normen, passen uns anderen an. Und verlieren dabei das Gefühl für uns selbst.
Und das ist es, worum es beim bewussten Tanzen geht. Wieder die Verbindung zu uns zu spüren und zu halten. Den Impulsen, die kommen und gehen, zu folgen. Nicht viel nachzudenken oder darüber zu sinnieren, ob das jetzt Sinn macht und gut ist. Sondern einfach nur im Körper zu sein und zu spüren, was dann passiert. Wie fühlt sich die Bewegung oder auch Nicht-Bewegung an. Was passiert dann mit mir?
Ich
muss gestehen: Es ist anfangs nicht leicht, den Kopf auszuschalten.
Ich bin zu sehr auf das Außen, auf die anderen fokussiert. Da merke
ich, dass ich halt doch Mitläuferin bin. Was machen die anderen? Sie
geben mir Orientierung. Aber das soll ich doch lieber sein lassen. Es
ist anfangs seltsam, einfach so loszutanzen.
Es fällt schwer, loszulassen
Wenn ich zu Hause bin und allein, fällt mir das viel viel leichter. Es ist das erste Mal, dass ich mich in Gesellschaft traue, einfach so zu tanzen, als wäre mir alles egal. Es kostet mich Überwindung, es ist schwer. Anfangs ist es zögerlich. Ich schaue zu sehr, was die anderen machen.
Ich versuche, die Augen zu schließen, mal mehr mal weniger. Es wird leichter, loszulassen. Ja, Loslassen, das ist das richtige Wort. Aber was loslassen? Gedanken, Vorurteile, Ängste, Sorgen, Unsicherheiten, Regeln, Bewertungen – das ist eine ganze Menge. Es ist kein Wunder, dass das doch einiges an Zeit und Mühen kostet, Ich trage all das die ganze Zeit mit mir. Geht es den anderen auch so? Wie fühlen sie sich?
Ich bin anfangs wirklich noch zu sehr bei den anderen. Nehme Bewegungen mit auf, mehr oder weniger bewusst. Doch je mehr Zeit vergeht, desto öfter halte ich die Augen halb geschlossen und teilweise sogar geschlossen. Es ist wirklich nicht so leicht, alles auszublenden. Für mich ist es besonders schwer, bin ich sehr sensibel und achte sehr darauf, was andere von mir halten.
Was denken die anderen über mich?
Ich frage mich ständig: Sehe ich komisch aus? Mache ich es richtig? Wie komme ich bei anderen an? Ich lese ständig Dinge von den Reaktionen anderer auf mich ab und beziehe es auf mich. Beim Tanzen ist es weniger präsent, aber trotzdem merke ich es immer wieder. Es ist unangenehm zu wissen, wenn andere auf einen schauen.
Auch wenn es beim bewussten Tanzen gar nicht darum geht, sondern um einen selbst, ist es schwer, den Fokus auf mich zu legen.
Doch es wird leichter, von Zeit zu Zeit. Es hilft mir ungemein, die Augen zu schließen, den Kopf irgendwann abzuschalten.
Und
dann kommen Lieder, in denen ich mich wieder erkenne und mein Körper
fängt an, ein Eigenleben zu haben. Meine Gedanken verfliegen und ich
lasse den Körper einfach das tun, was er will. Es ist so unglaublich
befreiend. Meine Körperteile fliegen umher. Mal springe ich mehrmals
auf der Stelle, reiße die Hände nach oben. Mal tänzel ich durch
den großen Raum, umgeben von vielen Pflanzen. Mal tue ich so, als
würde ich trommeln und schlagen. Alles macht keinen wirklichen Sinn,
aber es fühlt sich so richtig an.
In den Flow tanzen
So langsam komme ich in einen richtigen Trance-Zustand. Das ist wohl das, was man einen Flowzustand nennt. Wenn ich komplett in dem aufgehe, was ich tue. Es ist so wahnsinnig befreiend, wenn man einfach loslassen kann.
In
den zwei Stunden passiert so viel. Ich habe das Gefühl, dass ich
eine innere Transformation mache. Sind die ersten Schritte noch sehr
zögerlich, zu sehr nachdenkend, ob das so okay ist. Ist es mir am
Ende fast komplett egal, wie ich dabei aussehe. Ob ich mich damit zum
Affen mache, ist mir gleich. Hauptsache fühlen und bewegen.
Verbindung in der Stille
Das letzte Lied wird gespielt, es klingt wie das vom Anfang. Ich werde ruhiger, meine Bewegungen langsamer. Und dann endet das Lied. Stille im Raum. Wir alle stehen regungslos da. Es ist ein Moment, in dem ich echt Gänsehaut bekomme. Obwohl jeder in den 2 Stunden nur für sich war, fühlt es sich so an, als wären wir trotzdem miteinander verbunden. Obwohl wir wieder miteinander geredet noch interagiert haben. Da ist etwas im Raum, eine Verbindung, die ich so noch nie in meinem Leben zu vielen Menschen gleichzeitig gespürt habe. Ich glaube das wird die Erinnerung sein, die mir am meisten im Kopf bleibt.
Es fühlt sich beinahe surreal an, dann wieder zu sprechen. Nach zwei Stunden Stille und Bewegung und Tanz ist es seltsam, wieder in den Alltag zurückzukommen. Ich lasse das alles noch mal auf mich wirken. Es hallt nach. Was für eine schöne und befreiende Erfahrung das war! Ich beschließe für mich, das unbedingt noch mal zu machen, gerne öfter. Einfach mal öfter loslassen und tanzen, als würde niemand hinsehen.
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