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Eine Analyse der Generation "Vielleicht"

 

Schon seit einiger Zeit frage ich mich: Ist unsere jüngere Generation unverbindlicher geworden? Und wenn ja, woran liegt das? Ist sie nicht gar die Generation „Vielleicht“?

Ich hatte mich schon einmal vor etwa vier Jahren mit der Frage beschäftigt: Sind oder werden wir immer beziehungsunfähiger? So eine richtige klare Antwort konnte ich nicht finden.

Ich gehe nicht davon aus, dass ich eine gesamte Generation als beziehungsunfähig bezeichnen würde, wie es der bekannte Autor Michael Nast getan hat. Interessant, dass so viele auf diesen Trend aufgesprungen sind und sich in seinen Worten und auch Büchern wiederfinden können. Davon mal abgesehen, dass das alles aus Nasts persönlichen Erlebnissen geschrieben wird und er definitiv schon viel zu alt ist, um sich selbst dieser Generation zugehörig zu finden. Er schaut da einfach auch durch eine andere Brille auf die heutige Generation. Ich wage zu bezweifeln, dass er diese wirklich durchschauen kann. Auch wenn ich nach wie vor seine Bücher gut und unterhaltsam finde, habe ich inzwischen einen kritischeren Blick auf diese entwickelt.

Ein Fünkchen Wahrheit mag vielleicht da stecken. Aber ich glaube, dass es einfach zu kurz betrachtet wäre, wenn man diese Diagnose stellen würde.


Wir sind keine Generation beziehungsunfähig

Beziehungsunfähig sind die wenigsten von uns, das ist eine ernstzunehmende Störung. Heutzutage sind wir oftmals sehr schnell darin, andere in Schubladen zu stecken, sie zu analysieren, weil wir meinen, dass wir ja so viel von Psychologie verstehen. Dass wir dabei nicht merken, dass wir zu sehr in Kategorien denken, anstatt die Menschen wirklich zu sehen, wie sind – das fällt den meisten schwer.

Es ist einfach, eine Generation über einen Kamm zu scheren und ihr einen Stempel zu verpassen. Aber die Wahrheit ist komplexer, schwieriger zu fassen. Ich würde eher dazu plädieren, zu sagen, dass vielleicht junge Menschen bindungsängstlicher geworden sind. Oder was heißt schon bindungsängstlich, das klingt so negativ. Als ob sie nichts dagegen tun könnten. Als ob da eine Phobie wäre, die nicht gewollt wäre.

Ich behaupte, dass es nicht darin liegt, dass die jungen Menschen heutzutage nicht in der Lage sind. Beziehungen einzugehen. Auch nicht zu ängstlich sind, engere romantische Bindungen aufzubauen. Sie tun das vielleicht auch einfach, weil sie generell unverbindlicher geworden sind.

Generation Unverbindlichkeit

Es ist diese Unverbindlichkeit, die sich durch so viele Lebensbereiche der Generation Z zieht. Sie ist der Schlüssel, um zu verstehen, wie die Generation tickt.

Und diese Unverbindlichkeit mag zum großen Teil gewollt und bewusst sein, aber auch zu einem kleineren Teil unbewusst.

Das ist meine Sicht auf die Dinge. Ich bin seit anderthalb Jahren in der Jugendbildung tätig, bin also ganz nah dran an der jüngeren Generation Z. Ich weiß es aus erster Hand, wie schwer es heutzutage ist, junge Menschen für etwas zu begeistern. Und sie wirklich dazu zu motivieren, zu unseren Veranstaltungen und Workshops zu kommen.

Sie überhaupt dazu zu kriegen, dass sie sich anmelden, ist schon eine Herausforderung. Denn sich für etwas anzumelden, bedeutet ja auch, sich für etwas zu entscheiden. Das ist immer auch eine Entscheidung gegen viele andere Möglichkeit. Eine Anmeldung wäre verbindlich, lässt sich nicht einfach so leicht zurücknehmen. Wobei: Wir hatten das auch schon oft genug, dass sich Leute angemeldet haben und nicht mal abgesagt haben. Mag sein, dass sie zu faul waren oder es vergessen haben. Oder sich dachten: Wird schon nicht schlimm sein, sich nicht zu melden. Auch das hat etwas von Unverbindlichkeit.

Wenn junge Menschen sich dann doch mal dazu aufraffen, um sich für unsere Veranstaltungen anzumelden, bedeutet das meist nichts. Meist kommt dann auch wenig zurück. Ich muss da ständig hinterher sein, ihnen nachtelefonieren oder schreiben, damit sie es ja nicht vergessen. Komme ich heute nicht, komme ich halt morgen. So wahrscheinlich die Devise.

Es ist einfach unglaublich schwer geworden, Jugendliche für etwas verbindlich zu gewinnen. Und selbst dann ist es in ihren Augen nicht fix. Eine Sache, die ich bis heute nicht ganz nachvollziehen kann. Einfach weil ich eben aus einer anderen Generation komme. Ich kenne es anders. Wenn ich mich verabredet und einen Termin ausgemacht habe, halte ich mich daran. Und wenn das aus welchen Gründen auch immer nicht klappt, melde ich mich. Das ist für mich selbstverständlich, einfach höflich, gehört zum guten Ton.

Das sieht die Generation Z dann doch eher etwas anders.

Es ist total schwer, an sie ranzukommen, überhaupt in Kontakt zu kommen, weil sie gefühlt gedanklich immer irgendwo anders sind. Sie lassen sich einfach schwer fassen.

Woher diese Unverbindlichkeit?

Ich habe mich gefragt, was nun hinter dieser Unverbindlichkeit steckt. Ist es Ignoranz? Faulheit? Was ist es?

Meine Vermutung: Die junge Generation ist einfach überfordert, wird überflutet mit so vielen Reizen, ist ständig im Internet, auf Social Media. Da wieder eine neue Nachricht, dort ein cooler Reel und hier noch ein krasses Foto. Dauerbeschallung, Dauerberieselung. Und überall so viele Möglichkeiten, etwas zu tun, etwas zu konsumieren. Selbst wenn sie gerade noch an etwas gedacht oder sich erinnert haben, zack ist es weg, weil sie kurz abgelenkt waren.

Ich glaube, dass da auch die Aufmerksamkeit vieler junger Menschen sehr darunter leidet. Weiß ich auch aus meiner Berufserfahrung. Mal für eine Stunde konzentriert arbeiten, ohne aufs Handy zu schielen oder den Kopf abzuschalten – ein echtes Problem für junge Menschen. Sie sind es einfach nicht mehr gewohnt, sich wirklich in etwas zu vertiefen. Wie auch, wenn sie von einer Nachricht zur nächsten springen, klick, klick, scroll, scroll.

Sich auf eine Sache zu konzentrieren – no way. Multitasking ist so ein Stichwort. Bloß nicht nur auf eine Sache konzentrieren, wenn es doch tausend andere coole Dinge gibt. Da wird nicht nur eine Serie geschaut, sondern nebenbei auch noch auf Social Media gescrollt, schnell mal auf Whatsapp einem Freund geschrieben. Alles parallel. Geht doch auch so. Nur eine Sache tun, wäre auch langweilig.


Fear of missing out

Und wenn wir noch tiefer in dieser Unverbindlichkeit graben, entdecken wir das eigentliche Problem: FOMO, Fear of missing out. Die Angst, etwas zu verpassen.

Das ist vor allem auf das Digitale bezogen. Darum sind junge Menschen auch always online. Also immerzu online. Für sie gibt es nicht mehr das Real Life, wie ich es noch aus meiner Jugend kannte. Damals unterschied ich noch zwischen Real Life und eben dem digitalen Leben, wenn ich im Internet unterwegs war. Doch die Gen Z hat nur das eine Leben, was vor allem sich digital abspielt. Digital und analog, das ist gleich, das ist miteinander verschmolzen.

Sie haben ein digitales Leben, was ein Teil ihres ganzen Lebens geworden ist. Sie verbringen den ganzen Tag da drin, wenn auch nicht immer aktiv. Passiv sind sie immer da, immer verfügbar, immer ansprechbar. Jederzeit auf dem Sprung, angeschrieben zu werden und zu antworten.

Sie sind daueronline, weil sie bloß nichts verpassen wollen. Die Internetverbindung ist für sie die wichtigste Verbindung, um am Leben teilzuhaben, um Teil der Welt zu sein, um mit ihren Freund*innen in Kontakt zu sein. Wer nicht online ist, gehört auch nicht mehr dazu, grenzt sich selbst aus. Verpasst einfach unglaublich viel.

Jedes neue Blinken, jede neue Message zieht die Aufmerksamkeit aufs Handy, sorgt für einen Dopaminschub. Es macht süchtig. Die Gen Z ist süchtig danach geworden, ohne es zu wissen, ohne es zu reflektieren.

Sie wollen immer alles mitbekommen, den heißesten Scheiß, wollen wissen, wenn etwas in ihrer Clique abgeht, wollen daran teilhaben. Sie haben sonst Angst, dass sie etwas wichtiges verpassen. Vor allem den Anschluss zur digitalen Welt, die inzwischen ihr Zuhause geworden ist.

Sich nicht festlegen bedeutet Freiheit

Und FOMO lässt sich wunderbar auch auf die analoge Welt übertragen.

Vielen jungen Menschen fällt es so schwer, sich festzulegen. Wenn das Wochenende so viele coole Aktionen zu bieten hat, die spannend sind: Wie soll man sich entscheiden? Auch wenn sie sich vielleicht vorgenommen hatten, mal zu einer Veranstaltung von uns zu gehen. Wenn sie dann doch Bock auf was anderes haben, dann gehen sie da stattdessen hin. Ach scheiß auf die Anmeldung, das war doch eh nur eine Option, keine Priorität, kann man auch ausfallen lassen, war doch eh nicht verbindlich!

Es gibt einfach eine Fülle an Möglichkeiten, so viel, was man tun kann. Ich kenne das ja selbst, dass ich dann teilweise so überfordert und gestresst bin, weil ich mich nicht entscheiden kann. Ich hasse diese Ungewissheit, nicht zu wissen, was ich tun werde.

Doch die Gen Z ist ständig in diesem Zustand, ständig in Bereitschaft, immer flexibel. Sie versuchen deswegen, unverbindlich zu bleiben, weil sie darauf warten, dass eine noch bessere Option kommt. Darum legen sie sich nicht fest. Denn es könnte ja nicht das Beste sein. Da könnte ja noch etwas besseres kommen. Lieber also nicht festlegen, sondern weiter offen sein, weiter schauen.

FOMO beim Onlinedating

Und das spiegelt sich auch wunderbar beim Onlinedating wider. Datingplattformen wollen nicht, dass wir die Liebe finden. Sie wollen uns so lange wie möglich behalten, um viel Profit aus uns zu machen. Die sind nicht an unserem Liebesleben interessiert. Und um ihr Ziel zu erreichen, haben sie kluge Mechanismen entwickelt, um uns bei Laune zu halten. Immer auf der Suche, von Ankommen keine Spur.

Durch das ewige Swipen verliere ich das Gefühl, dass sich hinter den Profilen echte Menschen verbergen. Fühlt sich eher nach Shopping an und die Leute sind eher eine Ware, die ich entweder aussortiere oder in den Einkaufswagen stecke. Nur um dann später, nachdem ich die Ware ausprobiert habe, sie wieder zurückgebe. Nein, danke, hat doch irgendwie nicht gut zu mir gepasst. Und so geht die Suche weiter. In der Hoffnung, irgendwann den Richtigen oder die Richtige zu finden.

Tinder und Co haben genau den Puls der Zeit getroffen, haben die Trigger den Gen Z verstanden und nutzen sie für sich. Aufgrund der so vielen verschiedenen potenziellen Partner*innen fällt es umso schwerer, sich wirklich festzulegen. Und wenn man dann doch eigentlich jemanden hätte, mit dem man sich etwas ernstes vorstellt, kommen Zweifel auf: Was ist, wenn es da draußen jemanden gibt, der noch besser wäre? Was ist, wenn ich etwas verpasse, wenn ich mich für diese Person entscheide?

Fear of missing out in der Liebe. Und um dieser Angst entgegenzuwirken, legt man sich nicht fest, bleibt man unverbindlich.

Darum sind auch gerade solche Beziehungsformen „in“, bei denen man eben keine klassische Beziehung mit Verbindlichkeit hat. Darum sind Affären, Freundschaft Plus, Mingle und Situationship der heißeste Scheiß. Er passt einfach auch zur Gen Z, die Generation Unverbindlichkeit oder auch Generation „Vielleicht“.

Diese Beziehungsformen passen, weil sie eben das Beste aus zwei Welten vereinen, man kann trotzdem Single sein, sich selbst entfalten, Freiheiten genießen und kriegt trotzdem Intimität, Sex und Romantik wie aus der Beziehung. Doch ohne eben die ganzen Pflichten, Verantwortung, Verbindlichkeit. Das ist doch viel zu einengend, passt doch nicht zu den jungen Leuten, die heutzutage mehr nach Freiheit und Selbstentfaltung streben.

Wenn man jemand gefunden hat, mit dem es besser klappt oder in den man sich verliebt hat, beendet man es. Von Trennung kann man nicht reden, weil es ja nie eine wirkliche Beziehung war.

Selbstentfaltung ist wichtiger als Beziehung

Ist mir übrigens auch bei der einen oder anderen Netflix-Serie aufgefallen, der zweiten Staffel von Sex Education, bei der es zur Trennung kam, weil sich jemand erstmal selbst finden muss. Und das geht am besten ohne Partner*in, klar.

Persönliche Selbstfindung und Selbstentfaltung schlägt verbindliche Beziehung. Scheint auch so ein Motto der Generation Z zu sein.

Gerade die eigene Selbstentfaltung, den Sinn im Leben finden, sich selbst optimieren – das sind alles Dinge, die junge Menschen wollen. Sie wollen Freiheit ohne Ende und vor allem in sich investieren.

Das ist ja auch an sich nicht schlecht. Wenn es nicht eben auch so narzisstische Züge annimmt, wie man das auf Social Media öfter mal sieht. Es geht immer mehr darum, sich selbst besser darzustellen, ein anderes besseres Ich zu inszenieren. Aber was ist mit Authentizität? Was steckt hinter dieser schönen Maske?

Es geht nicht mehr darum, den Partner zu finden, den man liebt und der einen liebt. Die Ansprüche sind gestiegen. Der Partner muss zu mir passen, muss zu meinen Bedürfnissen passen. Und wehe nicht. Dann passt es halt nicht. Heutzutage gehen Beziehungen viel schneller in die Brüche, hat man weniger Muße, an einer Beziehung zu arbeiten. Es ist viel leichter, sich zu trennen und jemand anderen zu finden. Der könnte ja besser passen. Das ist aber im Endeffekt auch nur ein Trugschluss. Denn man nimmt die Probleme ja immer mit.

Das alles hat vor allem mit der übertriebenen Selbstoptimierung zu tun. Das eigene Leben muss besser werden und der Partner und die Beziehung auch. Auch das muss optimiert werden. Und wenn das nicht geht, sucht man sich eben den nächsten Partner.

Ich möchte um Gottes willen nicht alle über einen Kamm scheren, es sind nur so gewisse Tendenzen, die ich mehr oder weniger selbst beobachte und die mich auch nachdenklich machen. Ich will nicht sagen oder beurteilen, ob diese Unverbindlichkeit gut oder schlecht ist. Es ist einfach so, dass die junge Generation damit aufgewachsen ist.

Die Zeiten ändern sich eben. Früher waren Werte wie Stabilität und Sicherheit noch sehr wichtig, ob im Beruf, in der Liebe oder sonst wo im Leben. Doch es hat einen Wertewandel gegeben, vielleicht auch, weil wir derzeit in so unruhigen Zeiten leben, in denen sich ständig etwas verändert. Vielleicht hat sich die Gen Z auch einfach nur angepasst, um besser damit umzugehen? Wird das die Zukunft sein? Wir werden sehen.

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