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Wie gehe ich mit meiner anhänglichen Mutter um?

  

An sich haben meine Mama und ich ein enges Verhältnis zueinander. Ich liebe sie. Darum fällt es mir umso schwerer, zu gestehen, dass es mir mit ihr manchmal einfach zu viel wird.

Es heißt ja, dass sich die Beziehung zur Familie für die meisten zum Guten verändert, wenn man mal das Haus verlassen hat. Ich glaube, dass es in meinem Fall so gar nicht ist. Im Gegenteil: Unsere Beziehung ist schwieriger geworden. Und ich weiß, dass es vor allem daran liegt, dass wir beide ganz unterschiedlich mit der Distanz zwischen uns und der Tatsache, dass wir uns viel seltener sehen, umgehen.

Ich hatte bereits vor drei Jahren geschrieben. Und seitdem ist es nicht wirklich besser geworden. Ich habe das Gefühl, dass es immer mehr zum Thema wird, je öfter wir darüber sprechen und immer dann, wenn es darum geht, wann ich meine Mutter besuchen werde.

Wenn es hochkommt, fahre ich etwa alle 3 bis 4 Monate mal in die Heimat, also 3 bis vier mal im Jahr. Und dann bleibe ich auch nicht so lange, zwei bis drei Tage ist das dann das Höchste der Gefühle. Das war nicht immer so. Zu Studienzeiten bin ich durchaus länger geblieben, teilweise auch mal eine gesamte Woche, wenn ich mich recht erinnere. Was ist passiert? Was hat sich in den Jahren verändert?


Warum mich die Sehnsucht nach der Heimat nicht mehr packt

So viel ist in den letzten Jahren passiert. Vor allem die Tatsache, dass ich hier ganz viele Freundschaften geschlossen habe. Und dass ich gerne Zeit mit meinem Freund verbringe. Mehr als mit meinem vorherigen. Und die Tatsache, dass mir meine Stadt so sehr ans Herz gewachsen ist und ich auch in verschiedenen Gruppen eingebunden ist.

Aber die ganze Wahrheit lautet auch: Ich finde es in meiner Heimat einfach unglaublich langweilig. Es ist nicht mehr dieses Gefühl des Ankommens, der Zuflucht, die ich da finde. Ich verbinde damit nach wie vor schöne Erinnerungen aus meiner Kindheit und Jugend. Es ist alles so unglaublich vertraut, nach wie vor.

Aber es reizt mich immer weniger, in die Heimat zu fahren. Weil es da tatsächlich immer weniger etwas gibt, was mich auf Dauer dort hält. Ich hatte mal einige Freund*innen, mit denen ich mich oft getroffen habe. Doch inzwischen nicht mehr. Lediglich mein bester Freund ist noch da. Aber sich mit ihm mal zu treffen, gestaltet sich als schwierig. Am Ende bleibt nur meine Mutter. Es klingt böse, wenn ich sage, dass es sich für mich nicht lohnt, viel länger zu bleiben. Denn auf Dauer wird es mir einfach zu viel, nur mit meiner Mutter zusammen zu sein.

Es ist paradox, wie sich meine Beziehung zu meiner Heimat so gewandelt hat. Als ich Anfangs noch gar keine Wurzeln in meiner neuen Heimat geschlagen hatte, sehnte ich mich immer wieder nach meiner eigentlichen Heimat. Doch mit den Jahren nahm das immer mehr ab, je mehr ich mich in Magdeburg verliebte und das Leben feierte.

Wenn es nach mir und meinem Bedürfnis nach Rückkehr geht, würde es mir reichen 1 bis 2 Mal im Jahr nach Thüringen zu fahren.

Aber ich weiß ganz genau, dass das nicht gut wäre.

Zu viele Stimmen in meinem Kopf und das schlechte Gewissen: Wie kannst du nur so egoistisch sein und dich so selten zu Hause blicken lassen? Was ist mit deiner armen Mutter, die allein wohnt? Willst du ihr denn die Freude verderben?

Es gibt einfach nicht wirklich etwas, was mich wirklich dahinzieht. Außer eben meine Mutter. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr hinterfrage ich auch meine wahren Motive. Warum fahre ich nach Hause? Fahre ich wirklich in die Heimat, weil ich Lust darauf habe? Weil ich mich nach meiner Mutter sehne? Nach meinem alten Zuhause? Oder tue ich es nicht im Endeffekt eher aus Pflichtgefühl? Um meine Mutter nicht zu enttäuschen? Weil es mal wieder dran ist und zum guten Ton gehört.

Es kommen Zweifel auf, inwiefern ich wirklich in die Heimat fahren möchte, weil ich es tief in mir drinnen will.

Denn ganz ehrlich: Mir reichen wenige Besuche im Jahr. Dafür telefonieren meine Mutter und ich auch jede Woche. Wir haben regelmäßigen Kontakt. Natürlich ersetzt das Telefonieren niemals den persönlichen Kontakt, das ist mir klar. Aber mir reicht es, sie nicht so oft zu sehen. Ist das egoistisch? Ich fühle mich schuldig für diese Gedanken, die ich jetzt so niederschreibe. Bin ich deswegen eine schlechte Tochter, weil mir wenig Nähe zu meiner Mutter reicht? Und ich das durchsetze, obwohl ich weiß, dass es meine Mutter verletzt?


Wenn Nähe zu viel wird

Eine Sache, die sich aber nie verändert hat: Ich merke relativ schnell, dass mir die Nähe meiner Mutter zu viel wird. Immer dann, wenn wir länger als nur einen Tag miteinander verbringen. Und vor allem wenn sie dann auch noch komplett frei hat. Meine Mama will nicht nur, dass ich länger bleibe. Nein, sie würde am liebsten, wenn ich da bin, Urlaub nehmen und einfach den ganzen Tag mit mir verbringen. Ich kriege da relativ schnell aber eher das Bedürfnis, mich irgendwohin zu flüchten oder lege meinen Urlaub so, dass er ja nicht mit dem Urlaub meiner Mutter Überschneidungen findet.

Neulich fragte sie mich auch, was ich davon halten würde, wenn wir mal einen Mutter-Kind-Urlaub machen würden. Nur wir zwei allein, für eine Woche. Ich bekam bei dem Gedanken Schnappatmung, musste kurz innehalten. Mein erster Impuls: Auf gar keinen Fall! Never ever! Dabei hatten wir das durchaus schon mal so gehabt, früher immer Urlaub gemacht. Wir waren fünf Wochen lang in Vietnam und hingen quasi 24/7 aufeinander. Aber da waren noch andere Menschen dabei. Das war etwas anderes. Warum graut mir nur die Vorstellung, eine Woche tagelang mit meiner Mutter allein zu sein? Wovor flüchte ich da?

Ihre Nähe wird mir schnell zu viel. Und ich muss gestehen, dass es durchaus an meiner Mutter liegt. Ich liebe sie sehr, sie ist eine tolle Mutter und ein toller Mensch. Aber sie ist manchmal auch einfach zu viel für mich. Zu viel Kommunikation. Das an sich wäre nicht mal das Problem. Wenn unsere Gespräche nur nicht teilweise zu einseitig wären. Sie könnte den gesamten Tag reden und es würde sie nicht interessieren, was ich davon halte.

Ich merke das bei unseren wöchentlichen Telefonaten. Sie quatscht mich eine halbe Stunde mit ihrem Kram, der so semi-interessant ist, voll und wenn ich etwas von mir erzähle, kommt wenig zurück. Ich habe oftmals das Gefühl, dass sie auch nur aus Höflichkeit fragt, es sie aber nicht interessiert. Das merke ich immer dann, wenn ich erzähle und sie zwischendrin einfach reingrätscht und mich etwas fragt, was überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was ich erzählt habe. So gut hört sie mir zu. Und das ist so wahnsinnig anstrengend. Ich merke, wie sehr mir dabei die Energie ausgeht.


Gespräche ohne Gehalt

Ich kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn Menschen so viel Raum einnehmen und einen tot quatschen und es nicht hinkriegen, ordentlich zuzuhören. Und wenn sie dann die Chance ergreifen, wieder zu reden. Und ich mag es auch nicht, wenn Leute permanent reden und Stille nicht zulassen können. Und so jemand ist meine Mutter. Sie könnte den lieben langen Tag reden. Wenn es wenigstens auch noch halbwegs interessant wäre. Aber das ist es leider nicht. Das Meiste ist tatsächlich gar nicht so relevant und trotzdem besteht sie darauf, dass man ihr zuhört und das Ganze auch noch wertschätzend kommentiert.

Darum wird es mir einfach schnell zu viel, wenn ich mir stundenlang ihre Monologe anhöre und das Gefühl habe, nur als Gefäß für ihre Inhalte zu dienen. Ich habe das Gefühl, dass sie einfach nur jemanden braucht, mit dem sie reden kann. Weil sie einfach den Großteil der Zeit allein ist. Aber sich auch nicht bemüht, etwas daran zu ändern. Wie oft habe ich sie schon dazu animiert, neue Kontakte zu suchen? Und wie oft bin ich einfach weggewischt worden, weil sie angeblich keine Zeit dafür habe oder ihr das zu anstrengend sei.

Verantwortlich für das Glück der eigenen Mutter

Immer wieder kommt in mir der Drang auf, ihr Leben zum Besseren zu wandeln. Dafür zu sorgen, dass es ihr besser geht. Und dabei vergesse ich, dass ich nicht für ihr Leben verantwortlich bin. Dass ich nichts ändern kann und sollte, ich mir das nicht anmaßen sollte. Da kommt wieder das Helfersyndrom auf. Ein klein wenig erinnert mich das an meinen Stiefvater, den ich damals auch retten wollte. Verkehrte Welt und vertauschte Rollen. Meine Mutter kriegt ihr Leben hin, schafft es aber nicht, ihrem Leben mehr Freude und Sinn zu geben. Es tut mir so leid für sie, wenn sie von ihrem trostlosen Leben erzählt und ich frage mich: Bist du wirklich glücklich? Und willst du denn nichts ändern? Ich glaube, sie hat es aufgegeben, alles andere wäre zu anstrengend.

Und das ist es, was mich schon sehr frustriert, weil ich merke, wie unterschiedlich wir ticken. Sie war lange Zeit mein Vorbild, weil sie sich hier allein ein neues Leben aufgebaut hat und auch so fleißig und ehrgeizig war und viel für mich getan hat. Aber wo bleibt jetzt genau dieser Eifer, wenn es um ihr eigenes Leben allein geht? Hat sie überhaupt den Sinn für ihr Leben gefunden? War ich es und jetzt, wo ich nicht mehr zu Hause bin, hat sie ihn verloren?

Ich weiß, dass dahinter Einsamkeit steckt und dass sie diese versucht, zu kompensieren. Aber ich bin es auch einfach leid, für ihr Glück quasi verantwortlich gemacht zu werden. Das auszubaden, was sie nicht hinbekommt: nämlich soziale Kontakte zu knüpfen, Freund*innen zu finden und etwas gegen ihre Einsamkeit zu tun. Ich will nicht die Verantwortung dafür haben, ihr Lebensfreude zu geben, wenn ich sie besuche.

Ich bin gefangen zwischen Pflichtgefühl und schlechtem Gewissen. Und ich weiß nicht, was jetzt nun das Richtige wäre. Mein Ding durchziehen und mit einem schlechten Gewissen leben. Oder mich selbst verraten, meinem Pflichtgefühl nachgehen und meiner Mama eine Freude bereiten? Was ist richtig und was falsch? Und gibt es da überhaupt das richtige?

Klare Worte finden

Jahrelang bin ich meiner Mama treu gewesen, habe alles so ermöglicht, damit es ihr auch passt. Bin brav nach Hause gekommen und länger geblieben. Doch nun ist Schluss damit. Ich merke, dass mein Bedürfnis nach Autonomie stärker wird und dass ich trotz schlechtem Gewissen klare Forderungen stelle und meine Wünsche an erste Stelle bringe.

Es kostete mich aber sehr viel Überwindung, die Dinge wirklich beim Namen zu nennen. Ich weiß, dass sie meine Worte verletzt und sie enttäuscht. Da merke ich wieder, wie loyal ich meiner Mutter bin. Ich wollte sie nie enttäuschen. Aber manchmal führt kein Weg dran vorbei.

Ich bin immer wieder hin- und hergerissen. Einerseits will ich meine Bedürfnisse nicht unbedingt hinten an stellen. Aber ich will sie auch nicht enttäuschen und verletzen.

Ich denke mir auch, wenn ich sie seltener und weniger lang besuche, werde ich es später bereuen. Irgendwann wird sie alt sein und die gemeinsame Zeit immer knapper. Und dann werde ich es bereuen, sie nicht öfter besucht zu haben. Ist das der Preis, den ich zahlen muss?

Es tut weh zu wissen, dass ich sie inzwischen gut loslassen konnte, um mein eigenes Leben zu führen. Aber meine Mutter scheinbar nicht. Sie hat nie losgelassen und versucht alles, um mich wieder an sich zu binden.

Ich war es lange Zeit auch leid, immer wieder in die Heimat zu fahren, weil es ein Ungleichgewicht gab. Warum sollte ich sie immer besuchen? Sie könnte ja auch mich besuchen, wenn sie so Sehnsucht nach mir hat. Das tat sie vor Kurzem, war aber gerade mal einen halben Tag da, aber das reichte ihr nicht, mich mal zu sehen. Ich bot ihr an, mehrere Tage zu bleiben, aber das lehnte sie ab. Was sollte sie auch hier bei mir? Es ist so langweilig und es gibt nichts zu tun. Sie hat mir genau das gespiegelt, was ich die ganze Zeit dachte.

Es verletzte mich ein wenig, aber gleichzeitig fühlte ich mich darin bestätigt. Sie empfand so wie ich. Warum verstand sie mich dann nicht ein wenig besser? Warum sollte ich dann nicht aber auch meinen Willen durchsetzen und selbst entscheiden, wann ich komme und wie lange ich bleibe. Warum soll ich mir ein schlechtes Gewissen einreden? Ich will mich lossagen, von der Verpflichtung, meine Mutter glücklich zu machen. Und ich will frei entscheiden können, wie ich meine Zeit verbringe.

Sie ist meine Mutter, aber das gibt ihr nicht das Recht, frei über meine Zeit zu bestimmen. Und schon gar nicht ist es eine Pflicht, sie zu besuchen. Ich kann es selbst entscheiden.

Ich merke schmerzlich, wie unterschiedlich wir sind und dass wir abgesehen von unserer Vergangenheit und unserer familiären Verbindung kaum etwas gemein haben. Und das macht es auch so schwer, ihre Nähe wirklich für eine längere Zeit zu genießen.

Ich liebe meine Mutter nach wie vor, aber ich will mir kein schlechtes Gewissen machen, wenn ich für mich entscheide, dass es auch mal reicht. Vielleicht beginnt erst jetzt die Rebellionsphase, die davor nie stattgefunden hat.

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